E-Paper Hotelier 04-05/21

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Report Schweiz KOLU M N E

Yvette Thüring, Hôtelière des Jahres 2019, über «Hotel-Sitting»

Wie ich ein ­Ferienhotel in den Bergen ad interim führte  «Hotel-Sitting». Wie kommt man auf diese Idee? Ich war mir bewusst, dass es nicht leicht sein würde, nach rund 50 arbeitsa­ men Jahren, davon 30 als Hoteldirektorin, ruhiger zu treten und eine erfüllende Tagesstruktur zu finden. Arbeiten ist und war auch mein Hobby und es besteht kein Nachholbedarf bei Reisen. Ich träumte, mit Kurzeinsätzen oder sonstigen Aufträgen weiterhin in der Hotellerie nützlich sein zu dürfen. Ich musste also nicht lange überlegen, als der CEO der Sunstar Hotels Management AG mich anfragte, ob ich an einer Direk­ tion ad interim im Sunstar Hotel Grindel­ wald interessiert wäre. Ja natürlich, ant­ wortete ich, denn ein solcher Auftrag ent­ sprach genau meinem Wunsch. Wie konnte ich mich auf diesen Einsatz vorbereiten? Ausser der Webseite des Hotels und derjenigen von Grindelwald, standen mir keine weiteren Informations­ quellen zur Verfügung. Ich bat um die Namen des Teams sowie um ein paar Hin­ tergrundinformationen: Warum ist das Hotel im Moment ohne Direktion? Was erwartet der CEO der Hotelgruppe von mir? Man überreichte mir einen Laptop mit allen benötigten Zugängen, eine Voll­ macht sowie die Bankunterschriften. Der Antrag für die Umschreibung der Betriebs­ bewilligung wurde eingereicht. Alles lief

schnell und unbürokratisch, was für mich ein erster Vertrauensbeweis war. Die Ankunft und der erste Eindruck im Hotel waren sehr speziell, denn ich wurde mit offenen Armen empfangen. Das hatte ich nicht erwartet, es berührte mich des­ halb umso mehr. In einem ersten Gespräch mit den Abteilungsleitern konnte ich meine Aufgabe und meine Absicht, wie ich diese erfüllen möchte, erklären. Und ich durfte hören, ob und wo der Schuh bei ihnen drückt. Meine Absicht war es, eine offene, ehrliche Kommunikation zu pflegen. ­Vertrauen schaffen, hiess mein Credo. Es gelang ganz gut. Ich genoss nicht nur den erneuten Kontakt mit Gästen, sondern vor allem den Aus­ tausch mit den Teammitgliedern. Wir sprachen über mögliche Vereinfachungen von Arbeitsabläufen, oder wie zum Beispiel eine gewisse Serviceleistung am Gast Mehrwert ohne weiteren Aufwand für den Mitarbeitenden bringen könnte. Ich ver­ suchte, dem Team Mut für Veränderung und auch zur Lücke zu machen. Gerade in der schwierigen Zeit der Pandemie ist es möglich, neue Sachen, neue Abläufe auszu­ probieren, die vorher als unabänderbare Routine gegolten haben. In dieser vorübergehenden Direktionsrolle war für mich neu, dass ich nur Anstösse, H O T E L I E R · N O 04–05 | 2 0 21

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Ideen, Überlegungen geben durfte. Die Umsetzung von Massnahmen oder Ideen war nicht meine Aufgabe und machte auch keinen Sinn, da die zukünftige Direktion des Hotels eventuelle Entscheide über Ver­ änderungen selbst verantworten muss. Ausnahmen waren Prozesse, die mit der Ge­ s chäftsstelle der Sunstar Hotels Management AG abgesprochen wurden. Ich musste mich also zurücknehmen und somit meinen Tatendrang zügeln – nicht ganz einfach für mich, aber lehrreich. Zu meinem Erstaunen wuchs mir das Hotel innert kürzester Zeit sehr ans Herz. Dies nicht wegen der Inneneinrichtung oder der Lage des Hauses, sondern einzig und allein wegen des Teams, das sich mit uneingeschränkter Freude und grossem Einsatz den täglichen und zurzeit sehr ­speziellen Herausforderungen stellt. Die Erfahrungen im Sunstar Hotel Grindel­ wald bestätigten mir einmal mehr, dass der gute Geist und die stimmige Atmo­ sphäre in einem Betrieb vor allem durch das Verhalten und die positive Einstellung des gesamten Teams geprägt werden. Kein Wunder also, dass sich die Gäste im Hotel wohl fühlen und gute Feedbacks geben. Bei der Auswahl der neuen Direktion hat­ ten auch die Abteilungsleiter die Gelegen­ heit, die Kandidaten zu treffen. Transpa­ renz seitens der Sunstar Hotels Manage­ ment AG und von mir schafften Vertrauen – und das Team freute sich über die Wahl des neuen Direktors. Und schon stand die Direktionsübergabe an den gewählten Direktor an. Auch das lief unbürokratisch und auf eine ange­ nehme Weise ab. Ich durfte meine Liste mit Ideen und Anregungen abgeben sowie einen Bericht an den Verwaltungsrat von Sunstar verfassen. Dann packte ich mei­ nen Koffer und freute mich auf meine Wohnung in Basel. «Hotel-Sitting» – für mich eine wunderbare Zeit, denn ich durfte ­einmal mehr wertvolle Erfahrungen sammeln und mich gleichzeitig nützlich fühlen.   Yvette Thüring


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