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Der Kern der Hotellerie wird sich nie
«Hotelier»-Interview mit Accor-Nordeuropa-Chef Duncan O’Rourke über Covid-Krise, Wachstum und neue Hotelprojekte
Der Kern der Hotellerie wird sich nie verändern
Er ist der oberste Manager des Hotelkonzerns Accor in Nordeuropa. Als CEO der Division Northern Europe ist Duncan O’Rourke für ein Hotelnetzwerk in 31 Ländern verantwortlich,
dazu gehören auch die rund 40 Accor-Häuser in der Schweiz. «Hotelier» sprach mit dem Manager über die Folgen der Covid-Krise, Accor-Projekte und die Zukunft der Branche.
INTERVIEW Hans R. Amrein
Duncan O’Rourke, welche konkreten Auswirkungen hatte die aktuelle Covid-Krise bisher auf die Häuser von Accor in Nordeuropa?
Nun, die Covid19Pandemie hat die Gastronomie und Hotellerie wohl vor die grösste Herausforderung ihrer Geschichte gestellt. Vor allem kleine, familiengeführte Betriebe mit einer Handvoll Mitarbeitern kämpfen seit gut einem Jahr ums Überleben. Das betrifft auch zahlreiche Cafés, Bars, Clubs und Restaurants, die wichtige Faktoren für Reisende sind. Wir brauchen diese kleinen Unternehmen – sie sind Teil eines jeden Reiseerlebnisses und damit auch entscheidend für die grossen Player und unser Geschäft.
Und wie retten wir diese Kleinbetriebe?
Es muss sichergestellt werden, dass sie bei der finanziellen Unterstützung durch die Regierungen berücksichtigt werden – und auch, dass diese Unterstützung rechtzeitig erfolgt. Die Jahresergebnisse, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurden, zeigen noch einmal deutlich, wie schwer die gesamte Branche getroffen ist. In dieser Situation hat Accor den grossen Vorteil, ein internationaler, finanziell sehr solider Konzern zu sein.
Wurden in den letzten Monaten Accor-Hotels vorübergehend oder ganz geschlossen?
Accor ist grundsätzlich Markengeber für die Hotels. Die Entscheidung über die gänzliche oder teilweise Schliessung von Hotelbetrieben liegt daher in der Verantwortung der jeweiligen Betreibergesellschaft. Aufgrund der CovidPandemie mussten leider auch Häuser geschlossen werden.
Mussten Sie in Ihrer Accor-Region Mitarbeitende entlassen?
Aufgrund des Abschlusses der Transformation des Unternehmens im vergangenen Jahr hin zu einem «Asset Light Model», mussten nun auch die Strukturen angepasst werden, um unsere Organisation vollständig an dieses neue Businessmodell anzupassen. So können auch die Agilität sowie die Reaktionsfähigkeit erhöht werden.
Nochmals: Mussten Sie Leute entlassen?
Ja, die erwähnten Massnahmen haben leider auch einen Stellenabbau beinhaltet. Die Situation rund um Covid19 hat den Personalabbau zwar beschleunigt, jedoch nicht ausgelöst.
Wie würden Sie rückblickend Ihr Krisen-Management umschreiben?
In dieser herausfordernden Zeit ist es wichtig, flexibel und agil zu sein. Wir haben die Krise genutzt, um neue Optionen zu entwickeln, wie wir unseren Gästen künftig ein noch spannenderes Reiseerlebnis bieten oder sie auch jetzt während der Krise unterstützen können. Zudem sind wir auch als Team daran gewachsen. Für uns alle war eine Gesundheitskrise von diesem Ausmass eine neue Erfahrung – und wir haben gelernt, dass unsere Werte, die wir seit Jahren vertreten, relevanter denn je sind. Daher haben wir während der Krise auch weiterhin sehr viel Wert auf unsere lokale Bindung gelegt. ➤


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DUNCAN O’ROURKE
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Hybrid-Konzepte sind derzeit ein relevantes Thema. Wie ist das bei Accor?
55 Prozent unserer Accor Hotels mit MeetingRäumen bieten derzeit ihren Kunden hybride Lösungen an. Das neue «All ConnectKonzept», das wir im April 2021 in Kooperation mit «Microsoft Teams» eingeführt haben, stellt sicher, dass wir ein erweitertes Gesamterlebnis bieten können, das die Messlatte für hybride MeetingErlebnisse neu setzt. Bis 2022 sollen weltweit alle Tagungshotels sämtlicher AccorMarken, von Economy bis zur UltraLuxusklasse, den neuen HybridMeetingStandard erfüllen. Durch die Kombination der Marken und Servicekultur von Accor mit der leistungsstarken Meeting und ZusammenarbeitsTechnologie von MS Teams, ermöglicht dieses neue Angebot Firmenkunden und MeetingPlanern, physische Meetings im Hotel mit virtuellen Interaktionen an mehreren Standorten gleichzeitig zu verknüpfen.
Arbeiten Sie derzeit – aufgrund der Covid-Krise – an neuen HospitalityKonzepten?
Ja, nur ein Beispiel: Accor beabsichtigt einen Zusammenschluss mit «Ennismore», um den weltweit führenden LifestyleAnbieter der HospitalityBranche zu bilden, der sich auf eines der am schnellst wachsenden Segmente der Branche konzentriert. Durch diesen Zusammenschluss aller Anteile wird ein neues, unabhängiges AssetlightUnternehmen entstehen mit einem breiten Portfolio von WeltklasseMarken, darunter The Hoxton, Gleneagles, Delano, SLS, Mondrian, SO/, Hyde, Mama Shelter, 25hours, 21c Museum Hotels, TRIBE, JO&JOE und Working From. Das neue Unternehmen wird seinen Sitz in London haben und den Namen «Ennismore» tragen.
Weitere Innovationen oder Projekte?
Wir sind bestrebt, einzigartige und angenehme Arbeitserlebnisse mit unserer HospitalityExpertise zu kombinieren, der Begriff «Workspitality» fasst dies zusammen und betont die Kombination von Arbeit und Gastfreundschaft. Wir wollen mehrere Optionen anbieten: flexible private Arbeitsräume (bereits bekannt als «Hotel Office»), gemeinsam genutzte CoworkingSpaces und dezidierte Büroräume. So können Mitarbeiter ihr Büro an einen beliebigen Ort verlegen.
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Wird die Covid-Krise die Hotellerie in Europa markant verändern – oder bleibt mehr oder weniger alles beim Alten? Und setzt Accor Northern Europe in Zukunft vermehrt auf den Leisure-Markt, so wie andere Hotelkonzerne?
Wir sind sehr optimistisch, dass die Menschen wieder reisen wollen, sofern die Rahmenbedingungen dies zulassen. Die Zielgruppe der Freizeitreisenden will oft an einzigartige Destinationen reisen und in aussergewöhnlichen Hotels wohnen – da spielen Marken eine grosse Rolle und wir sind mit unserem breiten Markenportfolio gut aufgestellt. Darüber hinaus erwarten wir Trends wie eine verstärkte Nachfrage nach Privatsphäre im Urlaub, wie zum Beispiel Private BuyOuts im Luxussegment, oder eine verstärkte Personalisierung. Es ist daher wichtiger denn je, unseren Kunden genau zuzuhören und mitunter vorauszusehen, was sie sich in Zukunft wünschen könnten.
Tönt etwas komisch, aber Corona hatte auch positive Auswirkungen auf Tourismus und Hotellerie …
So ist es. Die CovidKrise war und ist ein Beschleuniger für die Arbeitsweisen und Erwartungen an die Flexibilität. In diesem Zusammenhang haben wir festgestellt, dass viele Menschen einen kürzeren Arbeitsweg zum nächsten Hotel haben als zu ihrem Arbeitsplatz. Wir planen daher, unser Angebot langfristig in diese Richtung zu entwickeln und integrieren schrittweise intelligente Arbeitsräume und Dienstleistungen in unser gesamtes Hotelnetzwerk, gemeinsam mit WOJO, dem Pionier und Hauptakteur im Bereich Coworking & flexible Arbeitsräume. Und noch etwas: Im MICEBereich erwarten wir weiterhin eine starke Nachfrage nach hybriden Meetings.
Sie geben mir das Stichwort: Die Stadt- und MICE-Hotellerie ist von der Covid-Krise besonders stark betroffen. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Hotelsparte?
Ich gehe davon aus, dass viele Menschen nach der Öffnung der Hotels vor allem Städtereisen inklusive Konzertbesuch und BarTour machen werden. Das saubere Zimmer mit Minibar – schön und gut, aber dieses Angebot reicht den meisten Menschen nicht mehr. Je mehr alle reisen konnten und wollten in den vergangenen Jahren, umso wichtiger wurde es, die jeweiligen Erlebnisse einzigartig zu gestalten – zum Beispiel durch ausgefallenes Design oder die besondere Lage. Gemeinsam mit «Ennismore», dem Londoner Hotelentwickler, sind wir dabei, eine eigene Designund BoutiquehotelGruppe aufzubauen.
Was bringt diese Kooperation?
Mit dieser Kooperation sind wir führend in der HospitalityBranche, indem wir das grösste und am schnellsten wachsende Ökosystem von WeltklasseMarken schaffen. In einigen Märkten, in denen bereits Öffnungspläne definiert wurden, sehen wir bereits jetzt schon ein neues Interesse an der Stadthotellerie.
Accor verfolgte bis vor der CoronaKrise eine starke (weltweite) Expansions- oder Wachstumsstrategie. Wurde diese jetzt durch Covid angepasst oder gar in Frage gestellt?
Obwohl 2020 ein Jahr mit beispiellosen Herausforderungen war, hat Accor zahlreiche neue Projekte in der Pipeline und auch fertig gestellt, so dass im Jahr 2021 zahlreiche Hoteleröffnungen auf dem Plan stehen. Auch in Nordeuropa wollen wir weiterhin wachsen – wir konnten im vergangenen Jahr entsprechende Verträge abschliessen. Kurz vor Jahresende haben wir unser erstes Hotel in Moldawien eröffnet und sind damit nun in einem weiteren Land aktiv. ➤
[01] Accor-Manager Duncan O’Rourke.
[02] Mövenpick Hotel ZürichRegensdorf.
[03] Ibis Hotel Zürich-West.
[04] Novotel Zürich-West.
[05] Swissôtel Kursaal Bern.
Was steckt hinter Accor Nordeuropa?
Die Accor-Region Nordeuropa ist aus einem Zusammenschluss der früheren Teams von Nord- und Mitteleuropa sowie der Teams in Osteuropa hervorgegangen. Als CEO der Region Nordeuropa ist Duncan O’Rourke für ein Hotelnetzwerk in 29 Ländern einschliesslich Deutschland, Österreich, Schweiz, Skandinavien, Grossbritannien, Benelux, Irland, Polen und Russland verantwortlich. Daneben ist er Mitglied des Executive Committees auf globaler Ebene.
Duncan O’Rourke ist seit 2016 bei Accor; bevor er zum COO für die DACH-Region ernannt wurde, war er für die Luxus- und Premium-Hotels in Europa verantwortlich. Zuvor war er viele Jahre bei Kempinski Hotels; zunächst als General Manager für zwei Pre-Openings in London, später als Regionaldirektor mit Sitz in Jordanien. 2008 wurde er zum Chief Operating Officer und Vorstandsmitglied der Gruppe ernannt.
Accor ist der grösste Hotelkonzern Europas mit rund 5000 Hotels in 110 Ländern. Die Gruppe steht seit mehr als 50 Jahren für HospitalityKnow-how und verfügt damit über ein Markenportfolio von Luxus bis Economy. In der Schweiz gibt es rund 40 Accor-Hotels. Accor ist damit die grösste Hotelkette der Schweiz.
DUNCAN O’ROURKE
Setzen Sie jetzt, bedingt durch die Krise, auf eher nachhaltiges und langfristiges Wachstum?
Ja, unsere Wachstumspläne sind sehr langfristig angelegt – die CoronaKrise hat zweifellos starke Auswirkungen, aber wir gehen auch von einer Erholung des Marktes aus.
Welches Hospitality-Segment wird kurz- und mittelfristig besonders boomen?
Ganz klar die LifestyleKategorie. Sie wird in den kommenden Jahren eines der dynamischsten Segmente von Accor sein,wobei sich die Anzahl der Eröffnungen von LifestyleHotels bis 2023 voraussichtlich verdreifachen wird. Darüber hinaus macht das LifestyleSegment derzeit etwa fünf Prozent des Jahresumsatzes der Gruppe aus, während es wertmässig 25 Prozent der Entwicklungspipeline des Unternehmens darstellt. Das kürzlich angekündigte Joint Venture mit «Ennismore» wird das vielfältige Segment ergänzen.
Wie präsentiert sich derzeit der Hotelmarkt Schweiz für Accor?
Im internationalen Vergleich ist ganz Europa ein herausfordernder Markt, da immer noch weitreichende Massnahmen und Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie aktuell sind. Die Schweiz ist traditionell ein starker Markt, die Schweizer Gäste haben zweifellos internationale Bedeutung. Für die Schweiz selbst sind wir optimistisch und haben zahlreiche Pläne – auch für Swissôtel und Mövenpick, unsere Marken mit Schweizer Wurzeln. Dies beweist ja die Eröffnung des Swissôtel Kursaal Bern, über die wir uns sehr freuen. Damit ist die Marke wieder mit einem absoluten Flaggschiff vertreten!
Trotzdem: Gehen Sie davon aus, dass in der Schweiz Accor-Häuser geschlossen werden?
Wie gesagt, Accor ist grundsätzlich Markengeber für die Hotels. Die Entscheidung über die gänzliche oder teilweise Schliessung von Hotelbetrieben liegt daher in der Verantwortung der jeweiligen Betreibergesellschaft.
Nach wie vor läuft weltweit eine grossangelegte Impfaktion gegen die Pandemie. Werden Accor-Hotelgäste schon bald nur noch mit Impfausweis oder einem negativen Covid-Test Zimmer buchen können?
Da kann ich keine pauschale Antwort geben – die Vorgaben der jeweiligen Regierung und die lokale Lage sind für uns das entscheidende Kriterium.
Wo steht die Hotellerie in Nordeuropa im Jahr 2025?
Eines steht für mich fest: Die Hotellerie im Jahr 2025 wird eine andere sein als vor der CoronaKrise. Ich gehe davon aus, dass es eine starke Erholung geben wird. Doch wir müssen uns auf langfristige Verschiebungen vorbereiten. Aber gerade darin liegt auch so viel Potenzial: Wir werden neue Konzepte, Produkte und Innovationen sehen – gerade gibt es unendlich viel Raum für Ideen, die sehr schnell wachsen können.
Wird Accor in Zukunft vermehrt wieder in Hotel-Immobilien investieren?
Nein. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Transformation zum Asset Light Modell vorangetrieben – entsprechend ist Accor in der Rolle des Markengebers und nicht in der des ImmobilienEigentümers.
Wird die Digitalisierung die Hospitality-Industrie noch stärker prägen?
Unsere Gäste erwarten neue, innovative und digitale Lösungen. Wir haben aktuell die ideale Lösung für die Digitalisierung des CheckinProzesses gefunden: Mit der Einführung von «Accor Key» bieten wir unseren Gästen eine schlüssellose Zutrittslösung, ohne den persönlichen Austausch zu ersetzen.
Schlussfrage: Ist das klassische, eher standardisierte Hotel (Zimmer, Lobby, Gastronomie) schon bald ein Auslaufmodell?
Hotels wird es immer geben – und Hotels haben sich schon immer verändert. Wir sehen das besonders gut an Novotel, der ersten AccorMarke überhaupt. Für mich ist das klassische Hotel vor allem ein Treffpunkt – von Gästen, Einheimischen, Gastgebern und unterschiedlichen Kulturen. Das macht für mich den Kern unserer faszinierenden Branche aus, der sich nie verändern wird.