Geheimnisvolle Moore, Skivergnügen und der letzte Auerhahn

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WINTERSPORT 78

Zeitzeugen Quercus junior: „Papaaa …“ Quercus senior: „Ja, Sohn!“ Quercus junior: „Was ist ein Bob?“ Quercus senior: „Ein Bob ist eine spezielle Art Schlitten.“ Quercus junior: „Und was ist ein Schlitten?“ Quercus senior: „Tja, ein Schlitten ist eine Konstruktion aus Holz. Mit einer Sitzfläche und zwei Kufen aus Stahl.“ Quercus junior: „Aus HOLZ?? Etwa aus EICHE?“ Quercus senior: „Nee! Meistens sind die aus Buche.“ Quercus junior: „Echt? Ein Glück!“ Quercus senior: „Mach‘ dir keine Sorgen! In den letzten Wintern ist selbst hier oben so wenig Schnee gefallen. Das reicht nie und nimmer zum Rodeln. … Vielleicht wirst du eines Tages zu einem Schrank oder Tisch verarbeitet, aber kaum zum Schlitten.“ Quercus junior: „Ich werde also wahrscheinlich NIE einen Bob die Bobbahn runterfahren sehen? Oder einen Schlitten?“ Quercus senior: „Hier sind NOCH NIE Bobs oder Schlitten runtergefahren, Sohn. Nicht einmal in den völlig verschneiten Wintern, die ich erlebt habe. Das kann ich dir versichern. Immerhin stehe ich hier schon seit 300 Jahren.“ Quercus junior: „Aber wieso heißt der Weg dann ‚Bobbahn‘?“ Quercus senior: „Menschlicher Humor, Sohn! Sie geben Dingen einen Namen, der nur im übertragenen Sinne zu ihnen passt, und finden es witzig. Ein Charmebolzen ist auch kein sympathischer Holzpflock, sondern ein Womanizer, der mit Komplimenten um sich wirft.“ Quercus junior: „Was du alles weißt, Papa. … Aber was haben sich die Menschen denn dabei gedacht, die Bobbahn Bobbahn zu nennen?“ Quercus senior: „Nun, ich denke, es hat damit zu tun, dass der Weg sehr steil ist und einige scharfe Kurven aufweist. Man KÖNNTE ihn wunderbar mit einem Bob fahren, vor allem, wenn im Winter das Wasser, das hier an einigen Stellen aus dem Erdreich tritt und über den Weg fließt, zu Eis gefriert. Dann hast du hier den reinsten Eiskanal und dein Pferde- oder Ochsengespann mit dem Karren hintendran würde unfreiwillig zur Wintersportmannschaft.“ Quercus junior: „Hä?? Pferde- und Ochsengespann? Karren? Wann hast du die denn gesehen?“ Quercus senior: „Och, das ist tatsächlich schon ein paar Jahre her. Also hundert bestimmt. Eher mehr. Da haben die Menschen ihre Waren, Holz und Eisenerz über den Ebbekamm transportiert. Von Meinerzhagen aus kamen sie zum Beispiel über den Höhenweg und sind dann hier am Stahlschmidt abgebogen, um über den Nordhang runter nach Herscheid und von dort aus weiter nach Plettenberg und ins Lennetal zu gelangen. Und von Valbert aus haben die Industriearbeiter den Alten Valberter Skiweg genommen, sind dann auf den Höhenweg abgebogen und ebenfalls am Stahlschmidt runter nach Herscheid gewandert.“

Quercus junior: „Ach so!“ Quercus senior: „An der Gaststätte Stahlschmidt haben sie oft Pause gemacht, bevor sie weitergezogen sind. Die Pferde und Ochsen wurden hier getränkt, manchmal auch umgespannt, und dann ging‘s weiter.“ Quercus junior: „Davon sieht man heute aber nichts mehr, oder?“ Quercus senior: „Im oberen Bereich der Bobbahn, kurz hinter der Wegespinne, so heißt der Stahlschmidt heute, befinden sich noch die Überreste von Fundamenten und ein alter Brunnen. Der ist eingezäunt, damit niemand hineinfällt. Hier hat wohl damals das Gehöft gestanden, das Stahlschmidt hieß. Nach der Familie, der es gehörte und die den Gasthof betrieb.“ Quercus junior: „Aha, ich verstehe langsam, was das mit dem menschlichen Humor auf sich hat.“ Quercus senior: „Die Menschen erzählen sich sogar heute noch, dass die Ehefrauen der Industriearbeiter zu jener Zeit am Stahlschmidt auf ihre Ehemänner gewartet haben, um zu verhindern, dass diese in der Schankwirtschaft ihren Lohn versaufen.“ Quercus junior: „Ach!“ Quercus senior: „Jaja, wenn man es von Plettenberg aus erst einmal bis hier oben geschafft hat, dann hat man Durst, und weil es so gemütlich ist, trinkt man gleich zwei oder mehr Gläser Bier und Schnaps, und ganz schnell ist die Lohntüte leer, und für die Familie bleibt nichts mehr übrig. Es waren schon harte Zeiten damals.“ Quercus junior: „Ich kann die Frauen verstehen.“ Quercus senior: „Ich auch. Aber sei‘s drum. Das ist lange her.“ Quercus junior: „Papaa …“ Quercus senior: „Ja, Sohn!“ Quercus junior: „Wo ist eigentlich Mama?“ Quercus senior: „Nun, ich war mir stets selbst genug. Wir Eichen sind Zwitter, mein Sohn. Das entbindet uns von der Notwendigkeit, auf Partnersuche zu gehen, indem wir irgendwelche Pollen in die weite Welt hinausschicken. Es reicht, wenn sie bis zum Nachbarzweig fliegen, wo die Blüte schon auf sie wartet, und im Herbst lasse ich meine Eicheln zu Boden fallen, hoffe, dass nicht alle von den Wildschweinen gefressen werden, und im idealen Fall entstehst du daraus, eine naturverjüngte Eiche.“ Quercus junior: „Das klingt schön, Papa.“ Quercus senior: „Ist es auch.“


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