alpenblick, Ausgabe 4/2020

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Aus den Abteilungen / MTB

Marokko – von Mountainbikes und Mulis von Stefan Kern In der Dunkelheit vor der Hütte hieß es um 5 Uhr morgens: „Jallah, Jallah!“, und wir machten uns gemeinsam mit unserem lokalen Führer Abda sowie unseren Mountainbikes an die 1.000 Höhenmeter Bike-Tragepassage. Unser Ziel war der 4.167 m hohe Jbel Toubkal im Hohen Atlas, die höchste Erhebung Nordafrikas.

Alle Fotos: Silke Huwer

Aber zurück zum Winter 2018, als ich einen Vortrag des DAV besuchte, bei dem der Referent Walter Treibel unter anderem von seiner Überquerung des Hohen Atlas per Mountainbike berichtete. Noch am selben Abend durchstöberte ich das Internet zu diesem Thema und stieß auf ein Video zweier Bike-Bergsteiger, die dessen höchsten Gipfel samt ihren MTBs erklommen hatten. Begeistert von dieser Idee, einen eisfreien Viertausender mit dem MTB zu besteigen, machte ich mich auf die Suche nach Freunden, die mit mir diese Herausforderung antreten würden. Die Antworten auf meine Anfragen fielen total gegensätzlich aus, entweder von kategorischer Ablehnung unter Auflistung der vielen Risiken bis zu voller Begeisterung nach dem Motto: „Bin dabei! Wann geht’s los?“

So kam es, dass wir zu fünft im September 2019 nach einiger Planung – schließlich wollten Bikes samt Gepäck nach Marokko ins Hochgebirge transportiert werden – unsere kleine Expedition antraten. Nach der Landung in Marrakesch folgten wir einem nervös telefonierenden Einheimischen, der uns zum vorab bestellten, jedoch viel zu kleinen Shuttle führte. Wir staunten nicht schlecht angesichts der improvisierten Befestigung unserer Bike-Koffer auf dem Dach des herbeigerufenen Kastenwagens mittels Paketschnur, die wohl schon etwas in die Jahre gekommen war. Insgeheim stellte sich jeder die Frage, wie das nur weitergehen sollte, und war erleichtert, als uns ein passendes, großräumiges Fahrzeug am nächsten Morgen pünktlich zum Bergdorf Imlil – unserem Startpunkt der Tour – transportierte. An unserer Unterkunft im traditionellen marokkanischen Stil empfing uns der obligatorische Führer, den wir in unsere Tourenplanung einweihten. Anschließend montierten wir die Fahrräder und unterzogen sie einer finalen Prüfung. Mit dem nötigsten Gepäck für die dreitägige Gipfeltour machten wir uns dann an die 1.400 Höhenmeter,

Am Gipfel angekommen: Joachim, Stefan, Christian, Silke, Mike (v.l.n.r.)

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die zwischen uns und der auf 3.200 m gelegenen Hütte des französischen Alpenvereins lagen. Die ersten Meter konnten wir noch im Sattel zurücklegen und die Eindrücke der gewaltigen Landschaft auf uns wirken lassen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass der Weg ungeeignet für ein flüssiges Pedalieren bergauf war, womit schon frühzeitig die Bike-Tragevorrichtungen an unseren Rucksäcken zum Einsatz kamen. Mit dieser sperrigen Beladung mussten wir stets auf der Hut sein, wenn vollbeladene Mulis mit uneingeschränktem Vorrang den schmalen Pfad für sich beanspruchten und wir uns nur durch einen beherzten Schritt zur Seite in Sicherheit bringen konnten. Trotz der Höhe herrschten heiße Temperaturen, die eine Belastung für unsere Körper darstellten, und wir genossen die vielen Verpflegungsstände, die uns auf den zehn Kilometern mit gekühltem, frisch gepresstem Orangensaft versorgten. Immer wieder ernteten wir erstaunte Blicke, da es doch üblich war, den Mulis das schwere Gepäck zu überlassen, wir jedoch freiwillig unsere Fahrräder schulterten. Schließlich erreichten wir erschöpft, aber zufrieden das Ziel unserer erste Etappe. Unser Führer Abda servierte zur Begrüßung auf der Hütte zeremoniell frisch zubereiteten marokkanischen Minztee. Den Folgetag nutzten wir für die Akklimatisierung bei einem entspannten Ausflug auf 3.700 m Höhe, wobei wir den weiteren Aufstiegsweg auskundschafteten und die sommerlichen Temperaturen bei strahlendem Sonnenschein genossen. Die Erkundung vorab erleichterte uns die Wegfindung am Gipfeltag, als wir frühmorgens mit unseren Stirnlampen starteten. Durch ein langsames, aber kontinuierliches Aufstiegstempo, das keine Pausen erforderte, erreichten wir zu unserem Erstaunen trotz des stark reduzierten Sauerstoffgehalts in diesen Höhen die Bergspitze bereits nach 3,5 Stunden. Dennoch machte uns der starke und böige Wind im Gipfelbereich sehr zu schaffen, da er die 5 ° Celsius in

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