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Architektur in den Alpen

Vor einigen Monaten erschien das Buch „Hohe Häuser”. Es widmet sich den alpenländischen Gebäuden, den Architekten und den Menschen, die darin wohnen oder nur kurzzeitig hausen. Zugleich wird dem Leser aber auch bewusst, wie fragil diese Landschaft ist. Ein Buch zum Träumen, Ideensammeln, Planen und Nachdenken! Von Bernd Wißner

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Im Talschluss des berühmten Logartals (Slowenien) hängt das Ausugslokal Eagle’s Nest unterhalb des Rinkawasserfalls an der Felswand. Foto © Wolfram Putz

Eine kurze Notiz in der Tageszeitung hatte mich neugierig gemacht. Dort wurde in wenigen Zeilen ein Buch vorgestellt, das mich inhaltlich als Verleger, Autor von Bildbänden und Bergfreund interessierte. Es handelte von außergewöhnlichen Bauwerken in den Alpen. Ich besorgte mir das Buch und war überrascht von der Vielzahl und Verschiedenheit der beschriebenen Gebäude. Jedes Objekt ist aus mehreren Blickwinkeln fotogra ert. Zusätzlich ießen weniger bekannte Facetten aus dem Alpenländischen mit ein.

Aber es geht in dem Buch keineswegs nur um Wohnhäuser, wie der Untertitel: „Vom Glück, in den Bergen zu wohnen” suggeriert. Gerade durch die derzeitige Pandemie, die zu einem erheblich erhöhten Urlauberstrom in die Alpen führt, wird deutlich, dass die „Benutzung” der Berge nicht unendlich sein kann. Sollte das Buch wirklich dazu dienen, dass sich noch mehr Menschen ein Haus in naturbelassener Alpenlage bauen möchten, wäre ein scharfes Veto angebracht. Doch von den 37 vorgestellten Objekten sind nur vier private Wohnhäuser. Aber die haben es in sich!

Die Alps Villa liegt in Lumezzane, Brescia, Italien. Der Architekt ist Camillo Botticini. Durch die Eingangstreppe kommt man in das U-förmige Haus, das viele Blickrichtungen ermöglicht. Ein Atrium auf der Rückseite bietet z. B. den Blick auf die Bergkette und den Wald hinter dem Haus. Zwischen sehr viel Glas und glatten Böden fühlt man sich wie in einem modernen Museum: die Bilder sind die Fenster mit Aussicht. Für Kinder und Haustiere ist dieser Wohnstil wahrscheinlich weniger geeignet.

Das Felsenhaus im Vinschgau wird wohl von dem bekanntesten Alpinisten unserer Zeit bewohnt: Reinhold Messner. Zur Planung des Hauses arbeitete Messner mit dem Architekten Werner Tscholl zusammen, mit dem er auch schon das Mountain Museum bei Bozen realisiert hatte. Unterhalb der Burg Juval, an einer landwirtschaftlich unnutzbaren Stelle, wurde in den Gneis des Berges ein Hohlraum geschnitten. Mehrere viereckige in den Felsen gehauene Gucklöcher (siehe Spiegelung) bieten fantastische Ausblicke über das Etschtal. Das Dach des Hauses ist aus Beton gegossen, dem der Bohrstaub von der Felsfräsung hinzugefügt wurde. Somit erhielt er die gleiche Farbe wie die Umgebung. In den Innenräumen wurde die gesamte Betonstruktur mit einer Holzverkleidung versehen und farblich an die Felswände angepasst.

Foto © Eugenie Pons Alps Villa, Lumezzane, Brescia, Italien

Foto© René Riller Felsenhaus, Vinschgau, Südtirol

Foto © René Riller Haus 22, Vinschgau, Morter, Südtirol

Das Haus 22 ist ebenfalls von Werner Tscholl. Diesmal hat er sich, am Eingang des Martelltals, sein eigenes Nest gebaut. Das Haus steht wie ein Pilz auf einem schmalen Sockel, die weißen Dach- und Bodenplatten scheinen zu schweben. Die Wohnräume sind rundherum nur mit Glaswänden ausgestattet, die einen 360-Grad-Ausblick ermöglichen. Dadurch kann aber auch aus jeder Richtung hineingeschaut werden. Das stört den Hausherrn jedoch nicht. Innen ist gleichfalls alles in Weiß gehalten – im Kontrast zur traditionellen alpinen Stubenausstattung. Das Haus ist großartig, doch viele solcher Gebäude würden die Alpenlandschaft sicher zerstören. Der denkmalgeschützte Felderhof oberhalb von Villanders, mit steinbeschwerten Holzschindeln und einer Scheune mit Strohdach, wurde ra niert modernisiert. Ein Schreiner aus dem Ort kaufte ihn und entwickelte einige Jahre später zusammen mit dem Bozener Architekten Pavol Mikolajcak einen kühnen Plan. Ein modernes Wohnhaus wurde unterirdisch an das alte Haus angebaut. Die Wände dieses Raumes wurden in der gleichen dunklen Holzfarbe wie in der alten Wohnstube ausgestattet, so dass die beiden Räume stilvoll ineinander übergehen. Lediglich zwei Oberlichter in der Grasnarbe der Kuhweide weisen von außen auf die Räumlichkeiten hin.

Foto © Oskar Da Riz Der denkmalgeschützte Felderhof (links im Bild) und die moderne Erweiterung, Villanders, Südtirol

Foto © Francesco Mattuzzi Biwak Gervasutti, Mont-Blanc-Massiv, Courmayeur, Italien

Das Biwak Gervasutti in 2.835 m Höhe ist wohl einer der spektakulärsten Bauten und steht auf der italienischen Seite der Grandes Jorasses im Mont-Blanc-Massiv. Die Felswände darüber gehören zu den gefährlichsten Kletterpartien. Zwei Vorgängerbiwaks mussten wegen Verschleiß durch die Wetterbedingungen schon ausgetauscht werden. Die jetzige Version ist technologisch auf dem neuesten Stand: Solarstrom, Telekommunikation und Isolierung.

Eine Biwakschachtel mit einfachen Metallwänden kann hier nicht mithalten. Selbst die Verankerung im Fels ist umwelttechnisch aktuell. Im Winter kann schon mal der hintere Teil komplett im Schnee versteckt sein. Dann schaut nur noch das rote Strickmuster eines Bergsteigerpullovers heraus. Dort in der überhängenden Vorderfront ist ein rundes, voll ächiges Fenster eingebaut, von dem man einen grandiosen Ausblick auf die umliegende Bergwelt hat.

Foto © Ora ïto Studios Flying Nest Hotel Avoriaz, Avoriaz, Haute-Savoie, Frankreich

Foto © Giuseppe Ghedina Starlightroom, Col di Gallina, Dolomiten, Südtirol

Die drei Gebäude unten sind ausschließlich für touristische Zwecke entwickelt worden. Das Flying Nest Hotel passt sich der jeweiligen saisonalen Anforderung an. Die Hotelkette verwendet umgebaute Schiscontainer, die so mit Holz verkleidet werden, dass sie von außen zu den alpenländischen Gebäuden passen. Nach dem Saisonende können sie vom Atlantikstrand ins Gebirge verfrachtet werden, wo sich dann die Wanderer im Herbst und anschließend die Wintersportler daran erfreuen. Eine interessante Idee! Ob die Transportemissionen einkalkuliert sind, wird nicht erwähnt. Die Ideen werden verrückter und die Ansprüche mancher Touristen sind ohne Ende. Der winzige Starlightroom beim Refugio Col Callina gestattet dem Gast, vor dem Einschlafen das unglaublich schöne Bild des Sternenhimmels zu genießen. Hoentlich kommt kein Gewitter!

Foto © Payer-Hütte Julius-Payer-Hütte, Sulden am Ortler, Südtirol

Architekt Oliver Chefeaux entdeckte beim Paragliding fast zerfallene Almhütten, die er aufkaufte und zu dem Ferienhausensemble Anako Lodge umbaute. Dadurch konnten sie vor dem Verfall gerettet werden. Die Glasfronten sind das Einzige, was von der Modernisierung zu sehen ist.

Zu guter Letzt wollen wir uns noch den Häusern in den Bergen zuwenden, die uns am geläugsten sind, den Berghütten. Ein besonderes Exemplar steht unterhalb des Ortlers auf 3.000 m Höhe: die Julius-Payer-Hütte, die schon im 1. Weltkrieg Stützpunkt der kaiserlich-königlichen Armee war. Heute ist die Hütte ein wichtiger Anlaufpunkt für die vielen Bergsteiger*innen, die es über die Normalroute zum Ortlergipfel zieht. Nach der Übernachtung können sie ausgeruht am nächsten Tag den Gipfel besteigen. Wer allerdings die Höhe nicht gewöhnt ist, wird nicht gut schlafen, weil der Körper den niedrigen Luftdruck durch schnelleren Herzschlag zu kompensieren versucht. Aber vielleicht ist es auch die Aufregung über die bevorstehende Gipfeltour. Jedenfalls heißt es, vor Sonnenaufgang aufstehen und mit Stirnlampe den Aufstieg zu beginnen. Als Bergführer steht Toni Stocker seit Jahrzehnten zur Verfügung. Ihm ist im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Das Panoramafoto oben zeigt die Hütte vom Ortler herab in Richtung Norden. Direkt über dem linken Gipfel ist der Reschenstausee zu erkennen. Links die Schweizer Bergkette, rechts die österreichische.

Aus © Hohe Häuser – Vom Glück, in den Bergen zu wohnen – Maria Seifert, Wolfram Putz, Peter Feierabend, erschienen bei teNeues, € 40, www.teneues.com. Sehr empfehlenswert!

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