5 minute read

MTB

Next Article
Kurz gemeldet

Kurz gemeldet

Marokko – von Mountainbikes und Mulis

von Stefan Kern

Advertisement

In der Dunkelheit vor der Hütte hieß es um 5 Uhr morgens: „Jallah, Jallah!“, und wir machten uns gemeinsam mit unserem lokalen Führer Abda sowie unseren Mountainbikes an die 1.000 Höhenmeter Bike-Tragepassage. Unser Ziel war der 4.167 m hohe Jbel Toubkal im Hohen Atlas, die höchste Erhebung Nordafrikas.

Aber zurück zum Winter 2018, als ich einen Vortrag des DAV besuchte, bei dem der Referent Walter Treibel unter anderem von seiner Überquerung des Hohen Atlas per Mountainbike berichtete. Noch am selben Abend durchstöberte ich das Internet zu diesem Thema und stieß auf ein Video zweier Bike-Bergsteiger, die dessen höchsten Gipfel samt ihren MTBs erklommen hatten. Begeistert von dieser Idee, einen eisfreien Viertausender mit dem MTB zu besteigen, machte ich mich auf die Suche nach Freunden, die mit mir diese Herausforderung antreten würden. Die Antworten auf meine Anfragen elen total gegensätzlich aus, entweder von kategorischer Ablehnung unter Au istung der vielen Risiken bis zu voller Begeisterung nach dem Motto: „Bin dabei! Wann geht’s los?“ So kam es, dass wir zu fünft im September 2019 nach einiger Planung – schließlich wollten Bikes samt Gepäck nach Marokko ins Hochgebirge transportiert werden – unsere kleine Expedition antraten.

Nach der Landung in Marrakesch folgten wir einem nervös telefonierenden Einheimischen, der uns zum vorab bestellten, jedoch viel zu kleinen Shuttle führte. Wir staunten nicht schlecht angesichts der improvisierten Befestigung unserer Bike-Ko er auf dem Dach des herbeigerufenen Kastenwagens mittels Paketschnur, die wohl schon etwas in die Jahre gekommen war. Insgeheim stellte sich jeder die Frage, wie das nur weitergehen sollte, und war erleichtert, als uns ein passendes, großräumiges Fahrzeug am nächsten Morgen pünktlich zum Bergdorf Imlil – unserem Startpunkt der Tour – transportierte.

An unserer Unterkunft im traditionellen marokkanischen Stil emp ng uns der obligatorische Führer, den wir in unsere Tourenplanung einweihten. Anschließend montierten wir die Fahrräder und unterzogen sie einer nalen Prüfung. Mit dem nötigsten Gepäck für die dreitägige Gipfeltour machten wir uns dann an die 1.400 Höhenmeter,

die zwischen uns und der auf 3.200 m gelegenen Hütte des französischen Alpenvereins lagen. Die ersten Meter konnten wir noch im Sattel zurücklegen und die Eindrücke der gewaltigen Landschaft auf uns wirken lassen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass der Weg ungeeignet für ein üssiges Pedalieren bergauf war, womit schon frühzeitig die Bike-Tragevorrichtungen an unseren Rucksäcken zum Einsatz kamen.

Mit dieser sperrigen Beladung mussten wir stets auf der Hut sein, wenn vollbeladene Mulis mit uneingeschränktem Vorrang den schmalen Pfad für sich beanspruchten und wir uns nur durch einen beherzten Schritt zur Seite in Sicherheit bringen konnten.

Trotz der Höhe herrschten heiße Temperaturen, die eine Belastung für unsere Körper darstellten, und wir genossen die vielen Verp egungsstände, die uns auf den zehn Kilometern mit gekühltem, frisch gepresstem Orangensaft versorgten. Immer wieder ernteten wir erstaunte Blicke, da es doch üblich war, den Mulis das schwere Gepäck zu überlassen, wir jedoch freiwillig unsere Fahrräder schulterten.

Schließlich erreichten wir erschöpft, aber zufrieden das Ziel unserer erste Etappe. Unser Führer Abda servierte zur Begrüßung auf der Hütte zeremoniell frisch zubereiteten marokkanischen Minztee. Den Folgetag nutzten wir für die Akklimatisierung bei einem entspannten Aus ug auf 3.700 m Höhe, wobei wir den weiteren Aufstiegsweg auskundschafteten und die sommerlichen Temperaturen bei strahlendem Sonnenschein genossen.

Die Erkundung vorab erleichterte uns die Weg ndung am Gipfeltag, als wir frühmorgens mit unseren Stirnlampen starteten. Durch ein langsames, aber kontinuierliches Aufstiegstempo, das keine Pausen erforderte, erreichten wir zu unserem Erstaunen trotz des stark reduzierten Sauersto gehalts in diesen Höhen die Bergspitze bereits nach 3,5 Stunden. Dennoch machte uns der starke und böige Wind im Gipfelbereich sehr zu scha en, da er die 5 ° Celsius in

gefühlte Minustemperaturen verwandelte und somit den Gipfelgenuss deutlich minderte. Die Pause nutzten wir daher lediglich zum Anlegen von Helm und Protektoren sowie den hastigen Verzehr von Energieriegeln.

Bereits bei den ersten Abfahrtsmetern stellte sich dann heraus, dass uns die Höhe, anders als beim Aufstieg, deutlich zu schaen machte. Die lang ersehnte Abfahrt vom Toubkal entpuppte sich auch für uns geübte Mountainbiker als herausfordernde Aufgabe. Selbst gut fahrbare Trails, die uns in den Alpen großen Fahrspaß bereiten, erforderten hier höchste Konzentration und häuge Verschnaufpausen. Zudem erschwerte der böige Wind die zielgerichtete Führung der Bikes. Der für die Abfahrt gewählte alternative Rückweg stellte sich als schlechte Entscheidung heraus und erforderte einiges Schieben über blockige und geröllige Passagen.

Umso lohnender war – nach einem kurzen Zwischenstopp an der Hütte – die perfekte Abfahrt zurück ins Bergdorf. In gewohnt verspielter Manier genossen wir das Bike-Vergnügen bei herrlichen Temperaturen auf dem Singletrail und rundeten damit unseren 14-stündigen Gipfeltag ab.

An den beiden Folgetagen fuhren wir noch weitere Bike-Touren auf ausgetretenen Mulipfaden in die angrenzenden Täler und durch ursprüngliche Dörfer, in denen sich in den letzten Jahrzehnten wohl nicht viel verändert hatte.

Den Urlaubsausklang genossen wir im bunten Treiben Marrakeschs, auf einem Markt, der an Vielfalt wohl nur schwer zu übertreen war, sowie in gemütlichen

Oben: Gut gelaunt, die Hütte zum Greifen nah Unten: Kurze Verschnaufpause beim Aufstieg zur Hütte

Rooftop-Bars mit weitem Blick über die gesamte Stadt.

Noch eine Anmerkung zum Bike-Bergsteigen: Ich selbst habe als Wanderer bereits schlechte Erfahrungen mit Mountainbiker*innen gemacht, die mit Vollvisierhelm und verspiegelter Brille bei hoher Geschwindigkeit an mir vorbei rasten. Ihnen ist nicht bewusst, dass es für Wander*innen äußerst unangenehm ist, die Mimik des Fahrers nicht zu erkennen oder Gefahr zu laufen, von einem losgerissenen Stein getroen zu werden. Dabei hat man als Mountainbiker bei der Abfahrt alle Zeit der Welt und kann rechtzeitig am Wegesrand Halt machen, um wandernde Personen vorbei zu lassen. Ich nutze dabei stets die Gele genheit, die Landschaft zu genießen, mich auf den nächsten Trailabschnitt zu freuen und mit den Wanderern einen netten Plausch, z. B. über das Weißbier in der nächsten Hütte, zu halten.

Mit dieser defensiven, achtsamen und respektvollen Herangehensweise hatten wir auf unserer Tour ausschließlich positive Begegnungen. Teilweise begleitet von spontanem Beifall machte es großen Spaß, gemeinsam mit Mitmenschen unterschiedlichster Herkunft die Natur zu genießen, egal ob beim Wandern oder Fahrradfahren.

Unsere Jahreshauptversammlung ndet statt am:

26.11.2020 um 18.30 Uhr im Andy-Schmidt-Raum in der DAV-Geschäftsstelle, Peutingerstr. 24.

This article is from: