alpenblick, Ausgabe 4/2020

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Tipps zu Sicherheit & Ausrüstung

Sprich Fehler an! von Helmut Schmidt Auf dem Weg zum Check-In in der Kletterhalle fällt dir eine Seilschaft auf, bei der der Sicherer mit recht viel Schlappseil vier bis fünf Meter von der Wand entfernt steht. Der Blick zum Kletterer zeigt, dass dieser sicher einige Kilo schwerer ist als der Sicherer. Beide sehen aber erfahren aus, die Route ist auch definitiv nichts für Anfänger. Sie scheinen zu wissen, was sie machen, selbst wenn Schlappseil und Sicherungsposition nicht richtig sind. Was tun? Wir möchten euch ermutigen, etwas zu tun, nicht wegzuschauen, zu handeln, FEHLER ANZUSPRECHEN! Das Ressort Sportentwicklung des DAV hat sich dem Thema angenommen und 2017 das Handbuch „Risikokultur in künstlichen Kletteranlagen“ herausgebracht. Die Ergebnisse finden sich auch in einem Vorschlag zur Eigenaktivität von Hallenkletter*innen und zu Rückmeldungen bei gezeigten Fehlern im „bergundsteigen #107“, S. 94 ff. Grundlage des Handbuches sind Hallenstudien der DAV-Sicherheitsforschung, die unter anderem belegen, dass in Hallen mit gut gelebter sozialer Aufmerksamkeit weniger Fehler gemacht werden. Dazu gehört Fehlerrückmeldung statt Wegschaumentalität! Klettern und Bouldern boomen, immer mehr Sportler*innen jeden Alters besuchen die Kletterhallen in ganz Deutschland. Klettern und Bouldern sind trendy, doch es passieren vergleichsweise wenig Unfälle. Laut Kletterhallenunfallstatistik 2017 wurden insgesamt 177 Ereignisse mit Verletzungen erfasst, bei denen es zum Rettungsdiensteinsatz kam, davon ereigneten sich lediglich 44 dieser Unfälle beim Seilklettern. Aber bereits kleine Fehler können fatale Folgen haben. Das Unfallpotential ist leider um ein Vielfaches größer, schließlich kommt es nur zu einem Unfall, wenn die Sicherung im Moment des Fehlers belastet wird. 58 Prozent der Bodenstürze resultieren aus der Verletzung des Bremshandprinzips, andere typische Fehler sind neben einem zu großen Gewichtsunterschied vor allem zu viel Schlappseil und zu großer Abstand der Sichernden zur Wand. Heinz Zak, den viele wohl noch von seinem Vortrag in unserer Sektion kennen, spricht sogar vom „Sicherungswahnsinn“ und meint damit falsches Bedienen des Sicherungsgerätes, komplettes Auslassen der Bremshand vom Seil, Schlappseil bis zum Boden … Er spricht jedoch auch von dem Konflikt, dass es ihm peinlich sei, Leute auf Fehler aufmerksam zu machen – und andererseits könne er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, nichts zu sagen, wenn er etwas Gefährliches sähe (bergundsteigen 2/10). Niemand will schlecht sichern, egal wie cool er/sie erscheinen möchte. Der Kletternde, der die Zwischensicherung überklettert, will weder sich noch andere gefährden. Beide

Personen gehen nicht davon aus, dass der jeweilige Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben könnte. Daher ist eine respektvolle Rückmeldung auf Augenhöhe, die ermöglicht, aus dem Fehler zu lernen, das Ziel. Zu warten und zu hoffen, dass vielleicht eine andere Person tätig wird, ist nicht die richtige Wahl. Entscheidungshilfe: Fehlerschwere Abhängig von der Folgeschwere wurde von den Autor*innen des Handbuchs ein 3-stufiges Modell in Bezug auf die Rückmeldenotwendigkeit (Muss, Soll, Kann) entwickelt. Für uns sind die Punkte „Muss“ und „Soll“ die entscheidenden Handlungsfelder. 1. „Du musst eingreifen“ a) bei Fehlern, die zwingend zum Absturz/Unfall führen, wie z. B.: p Kletter*in ist in Materialschlaufe eingebunden p großer Gewichtsunterschied, z. B. Kind (35 kg) sichert Erwachsenen (80 kg) p Seil auf Seil in der Umlenkung  Sofortige Intervention: p Direktes Eingreifen ohne Vorwarnung, je nach Erfordernis physisch oder sprachlich: • „Stopp, du bist falsch eingebunden, häng dich mit deinem Anseilpunkt an der Exe vor dir ein.“ • Bremsseil greifen, Hand an Gurt des Sichernden b) bei Fehlern, die im Sturzfall große Gefahr bergen, wie z. B.: p zu viel Schlappseil in Bodennähe p Kinder in der Sturzbahn des Kletternden p längeres Loslassen des Bremsseils bei dynamischen Sicherungsgeräten  Sofortige Anweisung, ggf. Intervention: p Direktes Eingreifen ohne Vorwarnung: • „Du musst Seil einnehmen, du hast zu viel Schlappseil.“ • „Das Kind muss hier weg.“ • „Nimm deine Hand an das Bremsseil.“ Diese „Muss“-Interventionen kommen zum Glück selten vor und fallen noch relativ leicht, da die Unfallgefahr und die daraus entstehende Konsequenz drastisch vor Augen stehen. Viel schwieriger sind Fehler zu handhaben, bei denen ein Unfall erst auf „lange“ Sicht zu erwarten ist. 2. „Du solltest eingreifen“ bei Fehlern, die wahrscheinlich bei Eintreten eines weiteren Faktors zum Absturz führen, wie z. B.: p momentanes Loslassen der Bremshand p bewegungsbereites Sichern nicht möglich (z. B. Sichern im Sitzen) alpenblick 4 | 2020

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