Ihr Leben
Das erbrochene Siegel oben links lässt sich noch teilweise entziffern. Es trägt den Namenszug der Buchhandlung «SCHEITLIN & VOLLE... [?] aus St. Gallen. Auf Seite 37 erscheinen folgende drei Artikel: «Nöthige Winke für diejenigen, die gerne reich werden möchten», «Mittel, aller Leute Taschen mit Geld zu füllen» und «Neue Art, Geld auszuleihen». Tönt nicht schlecht. So hat es auch der Aufsatz über die neue Art, Geld auszuleihen mit Datum «Paris, den 22. April 1784» in sich: «Ich übersende Ihnen hiermit einen Wechsel im Betrage von zehn Louisd’ors. Ich beabsichtige aber nicht, Ihnen mit dieser Summe ein Geschenk zu machen. Ich leihe sie Ihnen blos. Sollten Sie in Ihr Vaterland zurückkehren, so wird es Ihnen nicht fehlen, ein Geschäft zu unternehmen, das Sie in den Stand setzen wird, alle Ihre Schulden zu bezahlen. In diesem Falle müssen Sie, wenn Ihnen ein anderer ehrlicher Mann in ähnlicher Noth aufstösst, mich dadurch bezahlen, dass Sie ihm diese Summe leihen, und ihm zu Pflicht machen, die Schuld auf dieselbe Weise zu bezahlen, sobald er es im Stande ist, und sobald sich ihm eine ähnliche Gelegenheit dazu bietet. Ich hoffe, dass sie auf diese Art durch viele Hände gehen wird, bis sie in die eines Schurken fällt, der ihre weiteren Fortschritte hemmt. Es ist dies eine Grille von mir, mit wenig Geld möglichst viel Gutes zu stiften. Ich bin leider nicht reich genug, um viel thun zu können, und so muss ich mich damit begnügen, mit Wenigem so viel als möglich zu wirken zu suchen.» 67 Der Ratschlag zu fortgesetzter gegenseitiger Hilfe mag zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im Jahre 1784 gut gemeint ge-
wesen sein. Allerdings zeigt die Geschichte, dass solche Schneeballsysteme ausnahmslos im Verlust sämtlicher Gelder enden. Dass der Artikel fast 100 Jahre später in eine neue Publikation aufgenommen wurde, verfolgte wohl eher eine moralische denn eine ökonomische Absicht und geschah mit mahnendem Unterton und warnendem Zeigefinger. Der Buchhalter Berkmüller wird zu unterscheiden gewusst haben zwischen dem moralischen Aufruf zu gegenseitiger Hilfe und der finanziellen Naivität des Artikels. Wir wissen nicht, in welches Buch der vorliegende Bogen hätte Eingang finden sollen. Denkbar ist ein Werk zur Lebenshilfe in allerhand Geldfragen. Ziel dabei sind allerdings eher das gute Gewissen und ein altruistisches Verhalten und weniger der eigene Reichtum. Das Buch könnte in einem kirchlichen Verlag aufgelegt worden sein. Dies würde durchaus zu Katharina Stutz und zur Familie Berkmüller passen. In einem der folgenden Kapitel werden wir noch der Frage nachgehen, auf welche Weise Katharina zur Literatur gefunden hat und dort sehen, dass religiöse und kirchliche Schriften eine dominante Rolle gespielt haben. Da würde dann der obige Artikel nahtlos passen.
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