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Glaube und Konfession

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In des Grabes tiefe Stille Dringt der Menschen Bosheit nicht, Welche sonst im Erdenleben Manchen Frieden unterbricht.

Nein jetzt schäm ich mich der Thränen, Die ich einst um euch geweint, Da ich es nun klar erkenne, Wie es Gott so wohl gemeint.

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Aber euer noch gedenken Darf die Mutterliebe doch, Die euch einst so nah verbunden, Bleibt es auch im Tode noch.

Eure Seelen, rein und selig Schweben nun im Himmelslicht, Und dahin auch einst zu kommen Hofft mein Herz voll Zuversicht.

Und dann will ich euch umarmen, Hier ward es mir nicht vergönnt, Wenn von eurer Engelsstimme Mir der Muttername tönt.55

Noch um 1870 starben hierzulande etwa 20 Prozent der Säuglinge bereits in ihrem ersten Lebensjahr. Auch erreichte die Hälfte aller Kinder das Erwachsenenalter nicht.56 Schuld waren vor allem die mangelhaften hygienischen Bedingungen.

Glaube und Konfession

Wir drehen das Rad der Zeit nochmals um einige Jahrzehnte zurück.

Katharina aus dem Zürcher Oberland gehörte, wie bereits erwähnt, der reformierten Kirche an. Ihre enge Beziehung zu ihrem Bruder Jakob festigte sie zudem in der Überzeugung, hier dem richtigen Glauben zu folgen. Jakob sagte sich allerdings von der reformierten Kirche los und machte bei den Herrnhutern mit, einer Abtrennung von den Pietisten. Aber er überwarf sich dann auch mit dieser Gruppe und schloss sich den Sezessionisten an. Er war lebenslang ein Sucher. Katharina hat all dies selbstverständlich mitbekommen und mitverfolgt, ohne allerdings wie ihr Bruder aus der reformierten Kirche auszutreten. Unter all den Gedichten existiert ein einziges, welches «katholisch» anmutet. Es geht dabei um Marias Leben von der Geburt über die Verkündigungsszene bis zu ihrer späteren Verehrung. Allerdings zeichnet Katharina die Mutter Maria eher als Vorbild für allgemein mütterliche Tugenden: Demut, Bescheidenheit, Hingabe, Fleiss und Pflichtbewusstsein. Wir erkennen darin unschwer das Frauen- und Mutterbild des 19. Jahrhunderts mit seinem Kanon der Rechtschaffenheit. Und mit der Widmung an ihr liebes Kind im Titel bringt die Mutter zweierlei zum Ausdruck: Dass nämlich nicht nur die tugendgetreue Lebensgestaltung, sondern auch deren Tradierung an die nächste Generation Elternpflicht ist. Louise ist dann allerdings ledig und kinderlos geblieben.

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38 An Maria Geburt 1846. Meinem lieben Kinde gewidmet. Heut wurde die Frömmste der Mütter geboren, Vom Schöpfer zu Grossem bestimmt und erkoren, Zur Freude dem alternden Elternpaar, Dies Kindlein vom Himmel gegeben war.

Sie gaben dem Kindlein die sorglichste Pflege, Erzogen es nur in des Göttlichen Wege, Und wie wohl gar wenige Kinder es sind, War Maria stets ihr gehorsames Kind.

Sie labte sich nicht an dem irdischen Tande, Ging schuldlos daher im bescheidnen Gewande, So wuchs sie zur herrlichsten Jungfrau heran, Und wandelte immer auf richtiger Bahn.

Sie wusste gar nützlich die Zeit zu verwenden, Sie sass bei der Arbeit mit fleissigen Händen; Gern blieb sie zu Hause, auch manchmal allein, Und siehe, einst schwebte ein Engel herein.

Er grüsste gar freundlich die Gute, die Fromme, Sagt, dass er vom himmlischen Vaterland komme; Der Vater, dort oben; er hab sie so gern, Er hab’ sie erkoren zur Mutter des Herrn.

Wie ward da der glücklichen Jungfrau zu Mute, Froh glaubte dem Göttlichen Boten die Gute; Der Wille des Höchsten er möge geschehn! Dies war der Beglückten demütiges Flehn.

Still tat sie der himmlischen Worte erwägen, Und harrte getrost der Erfüllung entgegen; Und herrlich ward die Verheissung erfüllt, Ihr gläubiges Hoffen und Sehnen gestillt.

Sie wurde nun Mutter dem göttlichen Sohne, Und sieht ihn jetzt herrschen auf himmlischem Throne,

Wie hatte ihr Wandel vor Gott einen Wert, Darum wird sie noch jetzt von den Menschen verehrt.

Sei schuldlos, mein Kind, sei bescheiden und stille, Und folg wie Maria dem Göttlichen Wille; Ihr Leben so heilig, so schuldlos und rein, O lass es zum täglichen Vorbild dir sein!57

Gerade im Zusammenhang mit der Frage der Übereinstimmung zwischen den persönlichen Überzeugungen und dem kirchlichen Normen- und Tugendkatalog fällt noch ein Gedicht besonders auf:

Das Grab der Selbstmörder ausserhalb dem Kirchhof in Wengi Alle, die da drinnen schlafen, Trug man feierlich zur Ruh, Und bei hellem Grabgeläute Deckte man sie friedlich zu.

Auf die stillen Grabeshügel Floss so manche Trän herab, Und zum treuen Angedenken Schmücken Blumen manches Grab.

Aber euch trug keine Bahre An dies schauerliche Ziel, Und kein Tränlein ist geflossen, Auch die Glocken schwiegen still.

Und zu keinem Angedenken Sieht man da ein Blümchen blühn, Ach man muss mit stillem Grauen Nur an euch vorüber ziehn.

Mancher spricht mit kaltem Herzen Über euch das Urteil her, Sieht in alle Ewigkeiten Für euch keine Gnade mehr. Doch ich will euch nicht verdammen, Kenn hier Gottes Walten nicht; Weiss nur euer traurig Ende, Nicht was dort der Richter spricht.

Möchte aber jeden fragen, Der hier kalt vorüber geht: Weißt du schon dein selig Ende, Wie’s einst um dein Grabe steht.

Willst du gut und selig sterben, Dies, o Mensch erfordert viel! Fromm [u]nd christlich hier zu leben Fromm zu bleiben bis ans Ziel.58

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Es ist unmissverständlich: Katharina Berkmüller zweifelt die damalige kirchliche Gepflogenheit des Verscharrens ausserhalb des Friedhofes an. Sie bricht nicht den Stab über die Unglücklichen. Sie masst sich kein moralisches Urteil an; sie verdammt nicht. Auf sanfte Art opponiert sie aber klar und deutlich gegen die harten Urteile und unmenschlichen Rituale der Kirche.

Wir erinnern uns: Katharina war reformiert. Und wir erinnern uns zweitens, dass ihre beiden Knaben kurz nach der Geburt verstarben. Der jüngere starb ohne Taufe. Die Frage, wie sich die Kirche in solchen Situationen verhält, hat die aufgeklärte Katharina mit Bestimmtheit beschäftigt. Die beiden Konfessionen hielten ihre Gottesdienste in Wängi ja auch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in derselben paritätisch genutzten Kirche ab.

Gemäss traditioneller katholischer Theologie war das ungetauft verstorbene Kind noch mit der Erbsünde behaftet und konnte deshalb nicht an der Auferstehung teilhaben. Die Kirche stand vor der Frage, wie ein solches Kind begraben werden konnte. So entwickelte sich im Laufe der Zeit die Lehre des sogenannten Limbus Puerorum. Umgangssprachlich kamen die Seelen, welche «ohne eigenes Verschulden vom Himmel und der ewigen Anschauung Gottes ausgeschlossen waren», in die Vorhölle für Kinder.59 Laut Meinung der Kirche konnten sie nicht in der geweihten Erde des Friedhofs bestattet werden. Sie wurden ausserhalb der Kirchhofmauern und in aller Regel ohne Zeremonie beigesetzt.

Diese Vorhölle wird beschrieben als ein Ort der Finsternis unter der Erde, aus der es für alle Zeiten keine Rückkehr mehr gibt. Auch nach der Reformation blieb dieser Glaube im Volk tief verwurzelt, Nicht nur dass man glaubte, ein solches Kind würde nicht selig und geistere als unerlöste Seele umher; ein ungetauftes war auch bedrohlich. Es hätte sich rächen und zum Auslöser von Seuchen, wie zum Beispiel der Pest, werden können. Solche Vorstellungen lassen die Not der Eltern nachvollziehen und erklären, warum man alle Mittel ergriff, um ein solches «ungfreuts Chindli»60 nicht ungetauft zu bestatten. Vermutlich wurde der erste Knabe der Familie Berkmüller, welcher gemäss Angaben im Haushaltregister nur einen einzigen Tag überlebte, ebenfalls per Nottaufe auf den Namen Conrad getauft.

Dass sich die Kirche über Jahrhunderte hinweg in Bezug auf diese Fragen selbst nicht einigen konnte, zeigen etwa die teilweise üblichen Bestattungen längs der Kirchengebäude, die sogenannten «Traufkinder». Sie sind wohl als Zeichen dieser Ambivalenz zu deuten. Durch das niederrieselnde Dachwasser des Kirchengebäudes wurden die Kinder sozusagen postmortal getauft. Auch im protestantischen Volksglauben war diese Auffassung noch lange vertreten.61 Am 20. April 2007(!) bewertete Papst Benedikt XVI die Lehre des Limbus puerorum «als eine nicht vom Lehramt unterstützte, ältere theologische Meinung. (...) Es bleibe jedoch eine Theorie, die die Kirche nicht verurteile und den Gläubigen zubillige».62

Im Jahr 1713 wurden in der Landgrafschaft Thurgau die paritätischen Friedhöfe vermessen und zwischen den beiden Konfessionen aufgeteilt. Das hatte zur Folge, dass die evangelischen ungetauften Kinder ohne

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