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Beziehungspflege

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Antwort daneben. Das erlaubt uns einen kleinen Einblick in einen Dialog zwischen zwei Freundinnen.125 Von der blinden A:S: Freundin hör dir will ich sagen Wie sich meine Seele quällt Ach bereits muss ich verzagen Dass mir die Gesundheit fehlt.

O wie gerne würd ich sterben Denn ich wünsche mich ins Grab. Könnte ich den Himmel erben Wer ich alle Plagen ab.

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Erwiderung Freundin ach verzage nicht. Höre was dies Liedchen spricht Leide doch gelassen. Denk was Gottes Hand dir thut Komme deiner Selle gut Sie wird dich nicht verlassen.

Scheint dir alles trüb und leer Siehst du keine Hoffnung mehr Für der Erdenfreuden Denk an den der droben wohnt Der dich einstens herrlich lohnt Für dieses schwere Leiden.

(…)

Einen zweiten Themenkreis nennt Heidi Witzig-Schäppi die «Selbstvergewisserung der Frauen als Persönlichkeit». Aspekte wie (Selbst-)Beruhigung und Zufriedenheit boten die Möglichkeit, das eigene Schicksal als gottgewollt zu verstehen und mit Geduld und Freude durchs Leben zu gehen.126

Das «Erlebnis der Natur, insbesondere der Jahreszeiten» bildet einen dritten Kreis im literarischen Schaffen von Katharina.127 Auch die meisten der im Ortsmuseum Wängi erhaltenen Gedichte lassen sich diesen drei Themenkreisen zuordnen.

Wir wählen hier für unseren Überblick einen etwas anderen Ansatz und fragen nicht nur, wie sich die Gedichte ordnen lassen. In unserem Zusammenhang ebenso wichtig ist eine zweite Frage «Wer war Katharina Berkmüller?» Unter Einbezug der im Jahre 2001 Witzig-Schäppi noch unbekannten Gedichte im Ortsmuseum Wängi drängen sich daher zwei weitere Kategorien auf: «Umgang und Verarbeitung von Leid» und «Gestaltung von Übergängen». Auch wenn sich dann bei einzelnen Gedichten die Zuweisungen als nicht ganz eindeutig erweisen und sich Überlagerungen mit andern Kategorien ergeben, so dienen die beiden zusätzlichen Kategorien doch dem besseren Verständnis von Katharinas Gesamtwerk.

Beziehungspflege

Zwar existieren im Ortsmuseum Wängi keine Briefe von Katharina Berkmüller. Doch es ist anzunehmen, dass sie auch während ihrer Wängemer Zeit den brieflichen Kontakt zu Verwandten und Bekannten eifrig gepflegt hat.

Eine Beziehung steht gegenüber allen anderen im Vordergrund: jene zu ihrem Bruder Jakob. Wir erinnern uns: Hermann Walder hält in seinen Erinnerungen fest, dass «die Berkmüllers wegen gewisser bekannter Vorkommnisse» kaum mehr Beziehungen zu ihren Verwandten, insbesondere zum Volksdichter Jakob Stutz pflegten. Her-

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86 mann Walder nimmt Bezug auf pädophile Verfehlungen des Lehrers Jakob Stutz.128 Wie Katharina damit umgegangen ist, können wir nur erahnen. Es muss für sie eine ständige Spannung gewesen sein zwischen der Liebe zu ihrem Bruder und ihren eigenen moralischen Überzeugungen.

Dazu kommen Reaktionen aus dem Umfeld, welche eher ungnädig gewesen sein dürften. In ihrem Gedichtband für ihre Tochter Louise findet sich denn auch an mehreren Stellen das Thema der Verleumdung. So spricht sie etwa vom «Zahn der Verleumdung» und vom «Schmerz», welchen ihr das diesbezügliche Gerede bereiteten. Zwar wird sie nie konkret und niemals nennt sie Namen. Die Gedichte zeigen indessen, wie sie mit dieser Situation zu ringen hatte. Trost in Verläumdung. Trifft dich der Verläumdung Zahn, Fange sacht zu forschen an; Findst dich frei von aller Schuld, O dann trag es mit Geduld! Dein Gewissen gut und rein Muss dir ja viel teurer sein Als ein Lob der Schmeichelei, Wär es nicht so gut und treu. Denk, die böse Zunge sticht selten einen Bösewicht. Nur wer lebt wie sich’s gebührt, Stets von ihr verleumdet wird.129

Berkmüller, Katharina. (zwischen 1850 und 1870). Zum Andenken der lieben Louise. Trost in Verläumdung. Ausschnitt. S. 70.

Noch etwas zum Thema der Verleumdungen: Im Jahre 1856 weilte Jakob Stutz in der Zeit vom 1. bis 14. März sowie vom 30. April bis zum 27. Mai bei seiner Schwester in Wängi zu Besuch. An eben diesem 27. Mai sprach das Bezirksgericht Pfäffikon gegen Jakob Stutz eine bedingte Gefängnisstrafe aus, welche hernach in drei Jahre Kantonsverweis umgewandelt wurde. Auch wenn konkrete Anhaltspunkte fehlen, ist ein Zusammenhang zwischen Jakobs Besuchen in Wängi und dem Gedicht über die Verleumdungen denkbar. Seine wohl auch hierzulande bekannt gewordene Straffälligkeit führte zu bösen Kommentaren und üblen Nachreden. Diese hat dann Katharina in ihren Gedichten verarbeitet.

Unter all den erhalten gebliebenen Gedichten finden sich zahlreiche mit persönlichen Widmungen. Im gedruckt erschienenen Bändchen aus dem Jahre 1835 sind dies unter anderen folgende Titel: «Bei der Wiege des jüngsten Kindes meiner seligen Schwester», «An Karl», «Meiner ältesten Schwester», «An meine Schwestern in St...» (vermutlich Sternenberg) oder «Am Grabe meiner Schwester». Nicht selten nennt sie lediglich Initialen. Wir wissen daher oft nicht, an wen sich nun die Widmung richtet. «Antwort auf die Klage meiner blinden Freundin A.H…», oder «Ein Sträusschen auf den Namenstag der Jungfrau N.M.»

Besonders eindrücklich ist eine Folge von namentlich adressierten Gedichten an einen früh verstorbenen Knaben namens Karl. Wer dieser Karl war, ist unklar. Das Gedicht wurde 1835, also vor ihrer Ehe mit Alphons Berkmüller, veröffentlicht. Unter Katharinas Brüdern hiess keiner Karl. Vielleicht hat sie nach dem frühen Tode ihrer Eltern als Pflegekind bei ihrer Schwester einen Buben (Neffen) betreut. Aus Platzgründen werden die Gedichte hier lediglich auszugsweise aufgeführt. An Karl Sei still, mein Karl, und weine nicht, Bleib du ein gutes Kind! Hab’ ich die Arbeit hier verricht, So komme ich geschwind,

Und trage dich dann her und hin, Zeig manches Schöne dir; Das Gärtchen und die Blumen drin; Zum Bächlein gehen wir.

Sei still, füll’ deine Äuglein nicht Sobald mit Tränen an, Da noch so wenig dir gebricht, Auf deiner Lebensbahn.

Sei still, die Tränen warten schon In spätern Zeiten dir, Wann du, dem Jugendtraum entfloh’n Erkennst das Leben hier.

Bei Karls erstem Gehen Lieber Gott! Wie stärktest du Dieses Kleinen Glieder! Erst so schwach noch, und jetzt geht Er dort auf und nieder.

Erst am Krankenbettchen noch Musst’ ich seiner pflegen, Wo er schwach und schmerzensvoll Jahre lang gelegen.

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88 Guter Gott! und doch zuletzt Sendest du auf Leiden, Wenn es oft schon lange währt, Uns auch wieder Freuden.

Welche Wonne mich durchzückt, Seh’ ich jetzt den Kleinen Seiner neuen Kunst sich freun! O, ich möchte weinen.

An Karls Grabe Wie süss schläft nun mein Kindlein hier! Mein lieber Karl, wie wohl ist dir! Denn dornenvoll war deine Bahn, Von deinem ersten Tage an. Nur wenig Jahre warst du hier, Und tausend Leiden folgten dir. Nun immer frei von Pein, Hüllt dich ein kühles Bettlein ein; Geschmückt mit einem sanften Grün, Mit Blümchen, die so freundlich blühn. Doch manche Träne weinen wir, Geliebtes Kind! noch oft nach dir, Bis wir ob jenen lichten Höh’n Dich froh und selig wieder sehn.130

Wie gross der Bekanntenkreis von Katharina Berkmüller vor allem im thurgauischen Wängi war, wissen wir nicht. Zwar sind durchaus einige gewidmete Gedichte und eine Gratulationsschrift erhalten geblieben. Aufschluss über die Grösse des Bekannten- oder Freundeskreises vermögen sie indessen nicht zu geben. Auf alle Fälle kommt Katharina in verschiedenen Gedichten auf ihre Einsamkeit zu sprechen: Kann ich auch wenig Freunde zählen, So kann ich doch zufrieden sein.131

Die Mutter muss so oft allein Mit ihrem Kind zu Hause sein.132

Was ich oft in den stillen Stunden In meiner Einsamkeit empfunden.133

Eine Widmung der ganz besonderen Art stellt das Gedicht an eine gewisse Barbara Höpli dar. Die ersten Buchstaben aller Zeilen ergeben den Namen der Empfängerin. Höpli ist ein Wängemer Geschlecht. Zum Abschied B. H. Bleibe fromm auf allen deinen Wegen, All dein Tun sieht ja der Vater dort; Reicht dir seine Vaterhand entgegen, Bietet Rat und Trost dir fort und fort. Aber ernstlich musst du dich bestreben, Recht zu handeln ihm getreu zu sein, Als sein Kind getrost dich ihm ergeben, Herz und Seele ihm allein nur weihn. Öffne nie dein Herz den eitlen Trieben, Pracht und Hoffahrt bleibe fern von dir, Lebst du wie ich dir hier vorgeschrieben, Ia dann lebst du glücklich für und für.134

Zum Schluss dieses Themenkreises der Beziehungspflege noch ein Gedicht, in welchem Katharina Berkmüller ihre bislang vorherrschende Ausgewogenheit und Zurückhaltung ablegt und sich in Zorn redet – oder besser schreibt. Schon die erste Zeile mit der direkten Anrede «Dörfchen!» vermittelt einen Eindruck über ihre innere Entschlossenheit und ihre Wut. Welches Dörfchen sie konkret meint, schreibt sie nicht. Allfällige Vermutungen sind spekulativ. Das Gedicht

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