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Die Tochter Louise
60 wir nicht. Die entsprechenden Dokumente sind verloren. Immerhin: Vergessen wir nicht, Berkmüller war Buchhalter. Ganz abwegig wäre die Vermutung nicht, dass er sein Gehalt auf die eine oder andere Weise etwas aufgebessert hat. Und wie ist das nun mit dem Kaffee? Hat Berkmüller den auch nicht selbst getrunken, sondern auch damit gehandelt? Wir kommen auf Grund des im Ortsmuseum Wängi vorhandenen Materials einstweilen nicht weiter. Der Lebensstil der Familie Berkmüller liegt trotz beharrlicher Spurensuche weitgehend im Dunkeln.
Die Tochter Louise
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Auch über die Tochter Louise ist kaum etwas bekannt. Es gibt den Eintrag im Haushaltregister mit ihrem Geburtsdatum und es gibt das Gedichtbändchen der Mutter. Dieses stammt mit Sicherheit aus Louisens Hinterlassenschaft. Dazu existiert ein Portraitfoto.
Die Aufnahme zeigt eine freundliche, leicht distanziert in die Welt blickende Dame. Sie legt – wie bereits ihre Mutter – Wert auf eine gepflegte Erscheinung. Sie ist sorgfältig frisiert mit strengem Mittelscheitel und ondulierten Schläfenlocken. Sie trägt – wiederum wie ihre Mutter – ein enges, hochgeschlossenes Kleid mit Rüschenkragen und zwei aufgenähten Satin- oder Sammetstreifen sowie eine Halsbrosche und eine Kette.
Aber Hinweise auf ihr Leben? Wie hat Louise nach dem Tode ihrer Eltern gelebt und womit hat sie sich beschäftigt? Aus den Aufzeichnungen eines Gesprächs, welches Ernst Trachsler mit Frau Anna Walder (1894–1986) am 20. April 1979 zum Thema «Erinnerungen an meine Kindheit anhand einiger Berkmüller Zeichnungen» geführt hat, ergeben sich ein paar wenige Anhaltspunkte. Das Gespräch wurde auf Tonband aufgenommen. Datenträger und Abschrift werden im Ortsmuseum Wängi aufbewahrt.
Anna Walder wuchs als Kind des Dorfarztes im Doktorhaus gleich neben dem
Tochter Louise Berkmüller. Atelieraufnahme eines professionellen Fotografen. Vermutlich um 1870. 6.6 x 11.5 cm. BmKat. Nr. 01d. Ortsmuseum Wängi.
Berkmüller Haus an der Dorfstrasse auf. Sie kannte Louise Berkmüller als Nachbarin noch persönlich. «Ich ging als Kind einfach durch den Garten zu ‹Fräulein Berkmüller› hinüber. Sie hatte eine Pensionärin, eine Fräulein Bosshard. Das war ein feines Fräulein aus Zürich. Ich weiss nicht, wieso die nach Wängi zu Fräulein Berkmüller in Pension gekommen ist. Aber als Kind war ich immer wieder dort. Mir hat es dort gefallen. Meine Eltern hatten ja auch keine Zeit für ihre Kinder. Immer wenn man zu Hause keine Zeit für mich hatte, ging ich ein wenig zu Leuten. Zu Fräulein Berkmüller. Auch meine Freundin hat mir letzthin noch erzählt, sie sei häufig bei Fräulein Berkmüller zu Besuch gewesen. Louise Berkmüller wohnte in ihrem Häuschen bis sie 1912 starb.»
Bei zwei erhalten gebliebenen Gedichten handelt es sich nachweislich um solche, die von der Tochter Louise verfasst worden sind. Beide sind signiert. Louise hat also, wie schon ihre Mutter Katharina, Gedichte geschrieben und diese auch im Freundes- und Bekanntenkreis verschenkt. Sie verfügte über eine besonders feine und präzise, dennoch aber zügige Handschrift.
In der Signatur finden wir nun wieder die französische Schreibweise «Louise».
An seinem 50. Geburtstag 1851 fand Jakob Stutz unter all den Gaben auch ein Geschenk von Louise Berkmüller, seiner Nichte aus Wängi. Allerdings nennt er in seinen Erinnerungen keine weiteren Einzelheiten. Ein handgeschriebenes Gratulationsgedicht? Möglich wäre es. Louise war damals 14 Jahre alt.86
Ein loses Blatt mit einem Gedicht ohne Überschrift ist familiengeschichtlich besonders interessant. Louise befasst sich darin
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Gratulationskarte «Zum Trauungstage den 24. November 1868. Zum Andenken an deine Jugendfreundin Louise Berkmüller». 14.0 x 9.4 cm. Inv.Nr. G 1805. Ortsmuseum Wängi.
62 mit ihrem Onkel Jakob Stutz. Sie verfasste die insgesamt sechs Strophen vermutlich 1877 oder kurz danach aus Anlass des Todes ihres Onkels und setzt sich darin mit dessen Lebenstragödie auseinander. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Verständnis und Vergebung einerseits und Abgrenzung und Groll andererseits. Wir greifen hier die ersten vier Strophen heraus.
Süsses heiliges Vergessen, Dir ertönt des Klausners Lied, [Klausner=Onkel Jakob Stutz] Wenn die Abendsonne flieht. Unter flüsternden Zieprressen. [gemeint sind Thuja-Pflanzen] Was geschlagen blutige Wunden, Hüll’ in tiefe Nacht sich ein Selbst der dunkle Grabesstein Sei mit Blumen dicht umwunden.
Setzet dem begränzten Wesen Nicht zu hoch Verlornes an Was von uns sich trennen kann Ist es unser ja gewesen.
Und was sich von uns geschieden Und getrübt des Pilgers Lauf [Pilger = Onkel Jakob Stutz] Das wache nicht mehr auf Lasst o lasst, es ruh’n in Frieden.

Louise Berkmüller. Gedicht in Erinnerung an ihren Onkel Jakob Stutz. 11.0 x 14.5 cm. Ohne Datierung. Inv.Nr. G 5253. Ortsmuseum Wängi.
Anna Louisa Berkmüller starb am 7. September 1912 im Alter von 75 Jahren an «Alterschwäche, Blasenblutung, Arterienverkalkung und Hirnschlag». So der etwas pauschale Eintrag von Dr. Walder. Ein Beruf ist auf dem Totenschein nicht eingetragen. Bestätigt wurden die Angaben stellvertretend von Pfarrer Heim. Angehörige existierten keine mehr. Am 9. September erschien in der Thurgauer Zeitung die amtliche Todesanzeige.
Die Beerdigung war bereits auf den folgenden Tag, den 10. September, angesetzt und eine Danksagung der «Trauernden Hinterlassenen» erschien am Tage nach der Beisetzung.
Mit dem Hinschied von Louise fand die physische Geschichte der Familie Berkmüller in Wängi ihr Ende. Unsere Spurensuche wäre aber nicht vollständig, würden wir nicht noch einen Blick auf die Wohnverhältnisse der Familie werfen. Das Berkmüller Haus in Wängi steht heute noch und dessen Geschichte wirft nochmals einige erhellende Lichter auf Leben und Wirken von Alphons und Katharina Berkmüller.
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Eintrag im Wängemer Todten-Register vom 7. September 1912. Staatsarchiv Thurgau Todtenregister A Wängi, 1912, S.23, Nr.19. Reproduktion mit Genehmigung des Staatsarchivs.

Amtliche Todesanzeige der Kirchgemeinde vom 9. September 1912 in der Thurgauer Zeitung. Reproduktion mit Genehmigung der Kantonsbibliothek.
