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Alltag und Lebensstil bei Berkmüllers

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Probleme auf dem Friedhof bestattet werden konnten, weil die Katholiken ihr eigenes, gesegnetes Grabfeld hatten. Auch stellte für die evangelischen Pfarrer die Beisetzung von ungetauft verstorbenen Kindern kein Problem dar. Der 1840 verstorbene und noch ungetaufte Knabe der Familie Berkmüller wurde demnach auf dem Friedhof in Wängi begraben. Selbstmördern hingegen wurde erst 1827 per Dekret des Grossen Rats die Bestattung innerhalb der Friedhofmauern zugesichert.63

Katharina Berkmüller muss entweder ihr Gedicht über die Selbstmördergräber ausserhalb der Friedhofmauern bereits sehr früh verfasst haben. Oder diese kirchenrechtliche Diskussion tauchte in der Familie Berkmüller oder im Dorf Wängi aus irgendeinem Grund – zum Beispiel aus Anlass eines Kindstodes – plötzlich wieder auf. Nach diesem doch eher gruseligen Abstecher in die Kirchengeschichte nun aber zurück zur Familie Berkmüller-Stutz in Wängi.

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Alltag und Lebensstil bei Berkmüllers

Darüber, wie die Familie ihren Alltag bewältigte und was für einen Lebensstil sie pflegte, ist – einmal mehr – kaum etwas bekannt. Wir haben als Quellen zum einen die Gedichte und zum andern einige zufällig erhalten gebliebene Rechnungen und Quittungen aus dem Haushalt Berkmüller.

Es scheint, dass die Familie eher einen bescheidenen Lebensstil gepflegt hat. In den Gedichten sind denn auch an verschiedenen Stellen Hinweise auf einen eher schlichten Haushalt zu finden. So beginnt etwa das Gedicht «Zufriedener Sinn» mit der Strophe:

Mit meinem Los bin ich zufrieden Und danke meinem Gott dafür; Ob er auch wenig mir beschieden, Dünkts doch ein grosser Reichtum mir.64

Auch anderorts wird Bezug genommen auf die bescheidene Lebenssituation. Etwa im Gedicht «Des Armen Trost» tröstet sich Katharina Berkmüller mit der Gewissheit, dass auch der Reiche einmal sterben müsse und ihm dann all sein Reichtum nichts nütze.

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42 Des Armen Trost am Ende. Oft wünscht ich mir ein eigen Haus Auf dieser weiten Erden, Und ach mein Wunsch wird bald erfüllt, Ein Häuschen wird mir werden; Ein Häuschen, aber eng und klein, Erwartet bald mein müd Gebein.

Dem Reichen, dem oft ein Palast Zu eng auf dieser Erden, Auch ihm wir doch zu guter Letzt Nur so ein Häuschen werden, Und drin zerfällt auch er zu Staub, Und wird gleich mir der Würmer Raub. Wie glücklich ist, wer hier mit Ernst Nach bessren Gütern trachtet, Der nicht zu hoch, was nicht besteht, Der Erde Reichtum achtet. Was bleibt von allem Reichtum dein? Ein Sterbekleid ein dunkler Schrein!65

Beinahe neckisch nimmt sich in diesem Zusammenhang ein unbeschnittener Druckbogen66 aus, welcher in der Isolation im Zwischenboden des Berkmüller Hauses zum Vorschein kam.

Unbeschnittener Druckbogen S. 33 – 40. vor 1800. Siegel: Buchhandlung Scheitlin St.Gallen. 19.3 x 24.7 cm. Inv.Nr. B510.D10. Ortsmuseum Wängi.

Das erbrochene Siegel oben links lässt sich noch teilweise entziffern. Es trägt den Namenszug der Buchhandlung «SCHEITLIN & VOLLE... [?] aus St.Gallen. Auf Seite 37 erscheinen folgende drei Artikel: «Nöthige Winke für diejenigen, die gerne reich werden möchten», «Mittel, aller Leute Taschen mit Geld zu füllen» und «Neue Art, Geld auszuleihen». Tönt nicht schlecht. So hat es auch der Aufsatz über die neue Art, Geld auszuleihen mit Datum «Paris, den 22. April 1784» in sich:

«Ich übersende Ihnen hiermit einen Wechsel im Betrage von zehn Louisd’ors. Ich beabsichtige aber nicht, Ihnen mit dieser Summe ein Geschenk zu machen. Ich leihe sie Ihnen blos. Sollten Sie in Ihr Vaterland zurückkehren, so wird es Ihnen nicht fehlen, ein Geschäft zu unternehmen, das Sie in den Stand setzen wird, alle Ihre Schulden zu bezahlen. In diesem Falle müssen Sie, wenn Ihnen ein anderer ehrlicher Mann in ähnlicher Noth aufstösst, mich dadurch bezahlen, dass Sie ihm diese Summe leihen, und ihm zu Pflicht machen, die Schuld auf dieselbe Weise zu bezahlen, sobald er es im Stande ist, und sobald sich ihm eine ähnliche Gelegenheit dazu bietet. Ich hoffe, dass sie auf diese Art durch viele Hände gehen wird, bis sie in die eines Schurken fällt, der ihre weiteren Fortschritte hemmt. Es ist dies eine Grille von mir, mit wenig Geld möglichst viel Gutes zu stiften. Ich bin leider nicht reich genug, um viel thun zu können, und so muss ich mich damit begnügen, mit Wenigem so viel als möglich zu wirken zu suchen.»67

Der Ratschlag zu fortgesetzter gegenseitiger Hilfe mag zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im Jahre 1784 gut gemeint gewesen sein. Allerdings zeigt die Geschichte, dass solche Schneeballsysteme ausnahmslos im Verlust sämtlicher Gelder enden. Dass der Artikel fast 100 Jahre später in eine neue Publikation aufgenommen wurde, verfolgte wohl eher eine moralische denn eine ökonomische Absicht und geschah mit mahnendem Unterton und warnendem Zeigefinger.

Der Buchhalter Berkmüller wird zu unterscheiden gewusst haben zwischen dem moralischen Aufruf zu gegenseitiger Hilfe und der finanziellen Naivität des Artikels.

Wir wissen nicht, in welches Buch der vorliegende Bogen hätte Eingang finden sollen. Denkbar ist ein Werk zur Lebenshilfe in allerhand Geldfragen. Ziel dabei sind allerdings eher das gute Gewissen und ein altruistisches Verhalten und weniger der eigene Reichtum. Das Buch könnte in einem kirchlichen Verlag aufgelegt worden sein. Dies würde durchaus zu Katharina Stutz und zur Familie Berkmüller passen. In einem der folgenden Kapitel werden wir noch der Frage nachgehen, auf welche Weise Katharina zur Literatur gefunden hat und dort sehen, dass religiöse und kirchliche Schriften eine dominante Rolle gespielt haben. Da würde dann der obige Artikel nahtlos passen.

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