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56 die blaue Farbe auch gar nicht überinterpretieren. Vielmehr ergreifen wir die Gelegenheit zu einigen allgemeinen Gedanken zum Thema Integration. Die Geschichte lehrt, dass Katharina als Frau des Buchhalters der dominanten Weberei sich einem gewissen Assimilationsdruck kaum entziehen konnte. Hätte sie sich diesen Erwartungen konsequent entzogen, wäre sie in Wängi in der sozialen Bedeutungslosigkeit versunken. Denkbar ist die Einbettung in einer lokalen Gruppierung oder in einem Verein. Nach Heidi Witzig dehnte sich im späten 19. Jahrhundert die Vereinslandschaft rasant aus. In der Regel standen gemeinnützige und fürsorgerische Anliegen im Vordergrund. Die Vereinsstrukturen erlaubten den Frauen sich zu organisieren und sowohl ideell als auch konkret Einfluss auf das öffentliche Leben zu nehmen.80 Bruno Giger nennt in seiner Geschichte des Wängemer «Müttervereins streng katholischer Prägung» als Gründungsdatum den 8. Dezember 1875.81 Ein evangelischer Frauenverein folgte erst 1914. Mit Katharina Berkmüller hatte das aber nichts mehr zu tun. Sie starb bereits 1862.
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Katharina schrieb ihre Gedichte grossenteils auf kleinformatiges Papier. So misst eine Seite des Gedichtbändchens für Louise gerade einmal 15.0x11.5 cm. Ihr Gatte Alphons bevorzugte beim Zeichnen ebenfalls kleine Formate. Eine ganze Reihe seiner Werke misst gerade einmal 6.0x9.5 cm oder 7.7x11.5 cm. Das strengt die Augen an. Kommt dazu, dass die beiden vermutlich erst nach ihrem Arbeitsalltag im Haushalt oder im Büro ihren Freizeitbeschäftigungen nachgingen; also am Abend bei Kerzen-, Öl- oder Petrolbeleuchtung. Das forderte die Augen zusätzlich. So erstaunt es nicht, dass sich im Nachlass auch einige Dokumente zum Thema «Rath und Hülfe für den, wel-
Werbeschriften für Dr. Romershausen’s Augenessenz. 1842 und 1845. Inv.Nr. B510.D12a-c. Ortsmuseum Wängi
cher an Gesichtsschwäche leidet und namentlich durch angestrengtes Studiren und andere angreifende Arbeiten den Augen geschadet hat» zu finden sind.
Während Dr. Romershausen vor allem die «heilsamen und augenstärkenden Kräfte des Fenchelkrautes» empfiehlt, preist ein gewisser J.S. im Jahre 1831 «die Wunderkräfte des kalten Wassers in vielen Krankheiten und Uebeln und als Universalmittel zur Begründung einer dauerhaften Gesundheit.» Auf alle Fälle nennt der Autor einschlägige Beispiele von erfolgreicher Anwendung. «Benvenuto Cellini82 heilte sich in einer schweren, fieberhaften Krankheit dadurch vom Fieber, dass er eine Menge kalten Wassers verschluckte. Er kroch aus dem Bett, trank einen Kessel voll kaltes Wasser aus, verfiel in heftigen Schweiss und genas von da an.»83 «Der Kaiser Maximilian I. (vor mehr als 300 Jahren) bekam ein hitziges Fieber. Da ihm aber die Aerzte alles kalte Trinken verboten und ihn mit hitzigen Arzneien noch kranker machten, so liess er sich durch einen Bediensteten heimlich einen Krug frisches Wasser vom Brunnen holen und trank es mit Lust nach und nach aus; worauf er ‹den Leibärzten zur Verspottung› wieder gesund wurde.»84
Nur bei der Behandlung von Augenleiden mit kaltem Wasser ist offenbar Vorsicht geboten: «Das zu häufige Waschen ist aber schädlich. Denn dadurch werden die Augen zu viel gereizt und der Zufluss der Säfte nach denselben vermehrt.»85 Wir nehmen gerne an, dass alle diese Ratschläge den Berkmüllers geholfen haben und sie mehrheitlich gesund lebten. Ganz konnten sie allerdings
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Ungebundene Druckbogen eines Gesundheitsratgebers. 1831. 12.0 x 18.0 cm. Inv.Nr. B510.D07. Ortsmuseum Wängi.
58 nicht auf den Arzt verzichten, wie folgende Jahresrechnung von Dr. Ammann in Wängi über einen Betrag von 14 Gulden und 49 Kreuzern belegt. Weswegen die Arztbesuche erfolgten, geht aus der Rechnung nicht hervor. Es heisst hier lediglich «für ärztl. Behandlung». Allerdings erstreckten sich die Konsultationen über das ganze Jahr 1846: «Jen Jan, Hornung, März, April, Mai, Juli, August, Sept., Nov. & Dec.»
Aus derselben Zeit – und damit schliessen wir unsere Analyse der gefundenen Schriftdokumente endgültig – stammen noch zwei gerade im Zusammenhang mit den Themen Lebensstil und Gesundheit aufschlussreiche Schriftstücke:
Kiloweiser Kaffeenachschub im Jahresturnus? Ein Indiz auf den Lebensstil in der Familie Berkmüller? Ein Fehlschluss auf-

Rechnung von Conrad Wegelin in Diessenhofen für Herrn Berkmüller in Wengi für 1 Ballot (1) mit 4 Paquet Rio Café. 30. April 1846. 21.8 x 27.5 cm. Inv.Nr. B510.R22. Ortsmuseum Wängi. (1) Ein «Ballot» ist ein kleiner Warenballen Rechnung des Dorfarztes J.C. Ammann (damals wohnhaft im Weierhaus) für Herrn Berkmüller für verschiedene Behandlungen. 1847. 17.2 x 10.9 cm. Inv.Nr. B510.R27. Ortsmuseum Wängi.

Rechnung der Spezerei-, Glas-, Steingut- und Branntweinhandlung Balthasar Siebler & Huber in Wyl für Herrn Bergmüller in Waengy für 16 Pfund Kafe. 22. April 1845. 17.2 x 21.4 cm. Inv.Nr. B510. R06. Ortsmuseum Wängi.

grund der zufälligen Fundumstände? Was sollen wir daraus schliessen? Wir wissen es nicht.
Allerdings, dass die Kaffeebohnen in der Küche selbst geröstet wurden, war damals keine Seltenheit. Die Flammen im Holzherd wurden etwas reduziert, die Röstpfanne im Feuerloch versenkt und die Kaffeebohnen durch die verschliessbare Öffnung eingestreut. Mit dem Rührwerk wurde eine gleichmässige Röstung erzielt.
Auch bei der Rechnung über 1 Gulden und 25 Kreuzer für 100 Cigarren sind wir auf Mutmassungen angewiesen. Der Brief ist adressiert als Nachnahme für Herrn Berkmüller in Wengi.
War Berkmüller ein Zigarrenraucher, der seine Raucherwaren gleich in grossen Mengen einkaufte? Betrachten wir die Nachnahme etwas genauer!
Ein J.Trachsler (vermutlich der Wirt) vom Ochsen in Elgg fordert von Berkmüller 1 Gulden und 25 Kreuzer für 100 Cigarren. Berkmüller zahlt den Betrag. Der Ochsenwirt bestätigt den Empfang. Nun folgt aber der Vermerk «für Herrn Bosshard, Maler in Neubrunn». Demnach liefert Berkmüller die Cigarren weiter nach Neubrunn.
Berkmüller wäre der Zwischenhändler für die Zigarren. Er hätte die Raucherwaren in Elgg gekauft und nach Neubrunn weiterverkauft. Zu welchem Preis wissen
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Leinensack für Kaffeebohnen aus dem Kolonialwarengeschäft. Kaffeemühle und Blechdose für den gemahlenen Kaffee. Um 1900. Nicht aus dem Haushalt Berkmüller. InvNr. G5079, G4264 und G3722. Ortsmuseum Wängi. Nachnahme für 100 Stck. Cigarren. 21.9 x 17.4 cm. Inv.Nr. B510.R45. Ortsmuseum Wängi


Von Herrn Berkmüller für Herrn Bosshard Maler in Neubrunn, pr. 100 Stck. Cigarren f.1.25x J. Trachsler z. Ochsen Elgg, 5. Januar 1850.