
4 minute read
Verarbeitung von Leid
98
Katharina Berkmüller nimmt Bezug auf die damalige Situation der Klöster. Diese wurden auf Grund der neuen Verfassung aufgehoben und säkularisiert. Gebäude und Ländereien wurden vom Staat in Beschlag genommen. Nicht nur in Tänikon, auch in der Kartause Ittingen, in Frauenfeld, in Kreuzlingen und in Münsterlingen. Unter die letzte Strophe setzt Katharina Berkmüller ein Malteserkreuz mit Flügeln. Die Malteser waren ein Kreuzritterorden. In der Komturei Tobel wohnte eine Malteser-Gemeinschaft. Der Orden besass Ländereien auch in Wängi. So sind in dessen Umgebung mehrere Marksteine mit dem Malteserkreuz gefunden worden. Sie befinden sich im Ortsmuseum. Was nun dieses Malteser-Kreuz unter der Zeichnung des Zisterzienserinnenklosters Tänikon zu tun hat, bleibt Katharinas Geheimnis.
Advertisement
Im Zusammenhang mit diesem KlosterGedicht ist ein kleiner Einschub von Interesse: Wie bereits im Wängener Heft 6 zum Leben des Gatten Alphons Berkmüller erwähnt, war dieser mit Thomas Bornhauser, dem evangelischen Pfarrer und vehementen Kämpfer gegen den aristokratischen und für einen freiheitlich demokratischen Staat, wenn nicht befreundet so doch mindestens gut bekannt. Immerhin war er dessen Nachfolger als Leiter des Matzinger «Gesangsvereins am Immenberg». Im Ortsmuseum Wängi befinden sich auch einige Briefe oder Rundschreiben aus den 1830er Jahren von Bornhauser an Berkmüller. Es geht darin um organisatorische Fragen rund um kantonale Gesangsfeste. Dieser Thomas Bornhauser war 1831 Präsident des Thurgauer Verfassungsrates und zwei Jahre danach – nach kurzem Unterbruch – erneut Mitglied des Grossen Rats des Kantons Thurgau. Dort bewirkte er 1835 die Aufhebung der thurgauischen Klöster; darunter auch Tänikon.147 Wir erinnern uns an Katharinas Zeilen: «Und verstummt sind die Gesänge, ihre Zellen öd und leer». Haben Katharina mit ihrer Wehmut betreffend des Verlustes der Klöster und Alphons Berkmüller mit seinem befreundeten Klosterstürmer Thomas Bornhauser148 am Familientisch darüber gestritten? Sind die poetischen Formulierungen ein Zeichen solidarischen Mitgefühls? Oder steht hinter den Zeilen eine politische Überzeugung, dass nämlich mit der Aufhebung der Klöster den Nonnen Unrecht geschehen sei?
Verarbeitung von Leid
In ihren Leidgedichten verarbeitet Katharina Berkmüller ihre quälenden Gefühle wie Kummer, Sorgen, Schmerz, Krankheit, Heimatverlust, Kindstod, Hinschied von nahestehenden Menschen, Armut, Ungewissheit betreffend der eigenen Zukunft und Ungerechtigkeit. Die Leidgedichte folgen einem immer gleichen Topos: Zunächst beklagt Katharina, was sie im Moment bedrückt und weshalb sie gerade jetzt zur Feder greift. Doch schon nach den ersten paar Zeilen oder Strophen macht sie sich bewusst, dass nach durchlittenem Leid wieder bessere Zeiten kommen werden. In ihrer unbeirrbaren Gewissheit und in ihrem unerschütterlichem Vertrauen auf einen gütigen und verzeihenden Gott findet sie schliesslich Trost und innere Kraft. Zwar wirken die Gedichte in ihrer Gesamtheit ausgesprochen autosuggestiv. Bei Katharina Berkmüller ist
dieser Selbsttrost indessen jederzeit echt und glaubwürdig. Das folgende Beispiel beginnt zunächst mit der Schilderung einer tief depressiven Stimmung, bis dann Zuversicht und Trost einkehren. Empfindungen in trüben Stunden Alles ist so dunkel um mich her, Und der Himmel wölkt sich immer mehr; Winde wehen schauerlich und kalt, Und es heult der Sturm im Tannenwald.
Blumen welken, Blätter fallen ab, Sieh dort eines Jünglings frühes Grab; Unter jenem kalten Leichenstein Liegt nur Asche, moderndes Gebein.
Was die Zeit gebar, das wird zerstört, Und kein Todter zu uns wiederkehrt; Alles Schöne seh’ ich schnell vergehn, Jede Erdenmacht, wie Staub, verwehn.
Warum eilt denn Alles so zum Ziel? Ist des Guten, Schönen doch so viel! Auch der Freund, der’s redlich mit uns meint, Bleibt nur kurze Zeit mit uns vereint.
Ach mir tönt wie Klage jeder Laut, Macht mich mit dem Leben so vertraut. Gib zufrieden dich, mein armes Herz, droben wird dir Ruh’ für jeden Schmerz.149
Weitere Leid-Themen – neben den bereits genannten – sind der bescheidene Lebensstil, das Altern oder Krankheit. Dabei kommt es nicht einmal so sehr darauf an, ob eine eigene oder die Krankheit der Kinder oder des Gatten Sorgen bereiten. Auch die Beschwerden von Freunden und Bekannten drücken auf die Stimmung. Oft machen wohl der Krankheit Schmerzen Das Leben mir ein wenig schwer.150
Oder an anderer Stelle: Gottlob ich kann die Betten machen, Kann ordnen alle meine Sachen, Und aus der Kammer gehn! Kann froh den neuen Morgen sehen, Muss nicht am Krankenbette stehen, Wie es so oft geschehn.
So will ich mich am guten Tage, den du mir schenkst, befreit von Plage, Mich deiner Huld erfreun. Und kommt, was mir jetzt noch verborgen, Ein dunkler Tag voll banger Sorgen, Lass mich nicht mutlos sein!151
Der Begriff der Armut taucht zwar nirgends auf. Aber es gibt verschiedene Stellen, wo Katharina den bescheidenen Lebensstil anspricht. Dem Mangel an weltlichen Gütern (kein Reichtum, keine Güter, kein eigenes Haus) stellt sie geistige Werte (Zufriedenheit trotz allem, Zuversicht, Gottvertrauen) entgegen. Aufschlussreich ist die letzte Zeile «Ist’s doch kein selbst geschaffnes Leid». Die Bescheidenheit des eigenen Leben wird als Gottes Entschluss verstanden und mit Demut hingenommen.
Mit meinem Los bin ich zufrieden Und danke meinem Gott dafür; Ob er auch wenig mir beschieden, Dünkt’s doch ein grosser Reichtum mir.
99