Ernst Trachsler «Auf Spurensuche im 19. Jahrhundert · Gedichte von Katharina Berkmüller-Stutz

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Ihr Leben

An den Mond. 10 Du schaust so treulich auf mich nieder, O Mond mit deinem sanften Strahl; Bescheinst mich hier so freundlich wieder, Wie dort im heimatlichen Thal. Oft sass ich dort in trauter Stille In meinem Stübchen ganz allein, Tief denkend wie des Vaters Wille Für mich in Zukunft möchte sein. Dann schaut ich mit gerührter Seele, Mit Tränen oft zu dir hinan, Und ob du wüsstest was mir fehle, Du blicktest mich so tröstend an. Dann konnt ich beten, Gott vertraun, Wie ward mir dann so innig wohl! Und hoffend in die Zukunft schaun, Nicht fürchtend was da kommen soll. Dann floss mit deinem sanften Flimmer Mir Trost herab und Lebensmut; Ich sah der Hoffnung goldnen Schimmer, Gott macht’s mit seinem Kinde gut. Und jetzt, nach so viel hundert Tagen, Die schwanden in der Zeiten Flut, Kann ich dir, Lieber, freudig sagen, Gott führte mich stets treu und gut. Du siehst mich nicht allein wie drüben, In stiller Wehmut tief versenkt; Du siehst mich ja bei meinen Lieben, Die mir der gute Gott geschenkt.

Du scheinst mich aber still zu fragen, Ob ich jetzt denn auch glücklich sei? – Ja, lieber Mond, doch ganz von Klagen Wird nur das Herz im Tode frei. 11 Eines ihrer Gedichte aus dem Jahre 1836 trägt den Titel «Abschied von Pfeffikon. Oct: 1836». Nochmals nimmt sie kurz vor ihrem Wegzug in berührender Weise Abschied von ihrer Zürcher Heimat; von der «geliebten theuren Hütte», von der «geliebten Wiesenquelle», vom «schönen Rebenhügel» und vom «geliebten Seenspiegel». Das Gedicht beginnt mit den Zeilen: Lebt wohl ihr meine Lieben alle! Aus eurem trauten, schönen Tale Ruft mich nun jetzt mein Schicksal ab. Nehmt meinen Dank für alle Freuden Für euer Mitgefühl im Leiden, Und was mir eure Liebe gab. 12 Den poesievertrauten Leserinnen und Lesern fällt an dieser Stelle das eher ungewohnte Reimschema auf. Wir wollen diese Zeilen später unter diesem Aspekt nochmals unter die Lupe nehmen. Das Gedicht endet mit den beiden schon schwermütig anmutenden Strophen: Lebt nochmals wohl, ihr Lieben alle, Am stillen See, im trauten Thale, Ich trenne mich mit nassem Blick. Doch weiss ich, dass zu allen Zeiten Ein treuer Vater mich wird leiten Und folge ruhig dem Geschick.

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