Auf Spurensuche im 19. Jahrhundert · Zeichnungen und Aquarelle von Johann Alphons Berkmüller

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Sein Oeuvre – eine Einordnung

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Unsere Gegenüberstellung der beiden Werke bringt Erstaunliches zu Tage! Vom Format her unterscheiden sich die beiden Werke: Das frühere misst in der Originalgrösse 7.5 x 11.5 cm und das ältere ist beinahe doppelt so gross und misst 13.0 x 20.0 cm. Beides sind Bleistiftzeichnungen und «nach der Natur» entstanden. Zwar wirkt die frühe Zeichnung insgesamt weicher als die spätere. Letztere ist, vor allem was die Häuser betrifft, bestimmter und präziser gezeichnet. Die Konturen und Linien scheinen mit spitzerem und etwas härterem Stift gezogen. Aber sonst ist Berkmüllers Handschrift in beiden Werken dieselbe. Die Motive oder Sujets sind die gleichen: Häusergruppen. Auch der Bildaufbau wiederholt sich: Im Vordergrund die für Berkmüller so typischen Hirtenszenen. Im Mittelgrund dann die Gebäude und abschliessend im Hintergrund die sanften Hügelketten. Darüber der Himmel mit leichten Schönwetterwölkchen. Der beide Male leicht erhöhte Standpunkt des Betrachters, einmal der Schlossberg und einmal die Tuttwilerstrasse nach ihrem ersten Anstieg, erlaubt einen grosszügigen Weitblick bis zu den Hügelkulissen im Hintergrund. Die hohen Pappelgruppen strukturieren den Bildraum. Die Dächer haben auf beiden Zeichnungen dieselbe Schraffur. Im Vordergrund finden wir da wie dort Hirtenszenen. Zwischen Sträuchern knabbern Ziegen an allerhand Kräutern. Beim Wiederkäuen betrachten sie von ihrer Warte aus das rege Geschehen auf den Strässchen und ihr Blick verliert sich in der Tiefe des Bildes.

Die Räume zwischen den Gebäuden bevölkert Berkmüller mit den uns unterdessen bekannten Figurengruppen wie etwa dem Bauern mit der Stosskarre oder dem Paar auf dem Heimweg von der Feldarbeit mit Sense und Rechen auf den Schultern. Hier wie dort hat Berkmüller einen Brunnen eingefügt, wo Leute ihre Wassereimer füllen. Auf den Strassen herrscht Wagenverkehr. Hier ein Bauer mit Leiterwagen und Zugochsen und dort ein Kutscher mit zweispänniger Chaise und hochgeklapptem Verdeck. Das ganze Repertoire ungebrochener Berkmüllerscher Erzähllust. Was wir auf der frühen Fabrikansicht von 1848 finden, erkennen wir auch auf der späten Dorfansicht von 1874. Berkmüller blieb über Jahrzehnte der liebenswürdige Betrachter seines Dorfes und dessen Bewohner. Er hat von Anfang bis Ende seines Schaffens seinen Stil unbeirrbar beibehalten; motivisch, technisch und künstlerisch. Epoche um Epoche hat er an sich vorbeiziehen lassen. Er ist sich selbst treu geblieben. Er hat sich weder fremden Trends angepasst noch hat er experimentiert und nach neuen Ausdrucksweisen gesucht. In diesen Zusammenhang passt die Tatsache, dass von Berkmüller praktisch keine Skizzen oder Entwürfe erhalten sind. Stilistisch nicht recht ins Bild passen will einzig sein Bild «Weierhaus». Gemalt hat er die Ansicht auf einem braunen Untergrund. Das Gebäude selbst ist ausgesprochen sorgfältig gezeichnet. Die Häuserkanten sind wohl mit Lineal gezogen, so wie wir es von ihm vor allem aus seinen späteren Werken gewohnt sind. Auch das bekannte Ringen mit der Perspektive begegnet uns hier wie-


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