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Zur Person
26 Staat eingreifen. Er liess «36 öffentliche Suppenküchen im Kanton errichten und 1849 unterstützte er den Lebensmittelkauf.»32 Es waren Not und Verzweiflung und nicht einfach Abenteuerlust, welche die Leute massenhaft in die Auswanderung trieben; – auch aus dem Murgtal. Wahrlich keine Zeit zur historischen Verklärung und zur da und dort vertretenen Auffassung, früher sei alles noch in Ordnung und besser gewesen!
Es erstaunt schon, dass Berkmüllers künstlerisches Schaffen von all dem unberührt geblieben ist. Im Folgenden wollen wir mehr über sein Leben erfahren. Auch wenn die Quellen ausgesprochen spärlich sind.
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Zur Person
Auf dieser einzig erhalten gebliebenen Fotografie sehen wir Alphons Berkmüller in
Alphons Berkmüller. Fotografie. 8.0 x 10.4 cm. Um 1870. BmKat. Nr. 01a. Ortsmuseum Wängi. Aufgenommen vermutlich in seiner Wohnstube im Berkmüller Haus an der Dorfstrasse. Einzige überlieferte Aufnahme von Berkmüller.
bereits fortgeschrittenem Alter. Er trägt eine Art Kosakenmütze und ein hochgeschlossenes Wams aus Wollstoff. Ein weisshaariger Kranzbart umrahmt sein Gesicht und verleiht diesem eine bestimmte Würde und Gefasstheit. Die Hände liegen in seinem Schoss. Nichts deutet auf irgendwelche Betätigung hin. Ruhig und gefasst, mit leicht zusammengekniffenen Augen und geschlossenen Lippen blickt er uns durch seine randlose Brille entgegen. Körperhaltung und Gesichtsausdruck wirken etwas müde.
Von der Wohnung ist auf der Aufnahme wenig zu erkennen. Berkmüller sitzt auf dem Sofa neben dem Kachelofen in seiner getäferten Wohnstube. Mehrere gehäkelte Decken schützen den Plüschstoff der Rücken- und Seitenlehnen. An der Wand über ihm hängt ein schräg montierter Spiegel in einem schweren Goldrahmen.
Von Otto Bischof existiert in den Thurgauer Jahrblättern 1941 ein Beitrag «Johann Alphons Berkmüller – Geboren am 6. Mai 1802, gestorben am 24. November 1879». Auf dreieinhalb Seiten beschreibt er Zeichnungen von Berkmüller. Angaben zu dessen Leben finden sich lediglich in ein paar wenigen Zeilen ohne Quellenangaben. Vom selben Autor stammt ein etwas ausführlicherer Artikel im «Anzeiger von Wängi und Umgebung» im Rahmen der Themenreihe «Gang lueg d’Heimat a!» ebenfalls aus dem Jahre 1941.33 Wir folgen hier seinen Ausführungen auszugsweise:
«Einer der wenigen, dem die Reize unserer Gegend voll zum Bewusstsein kamen, war Johann Alfons Berkmüller. Er stammte aus dem Bayrischen, wo er am 6. Mai 1802 geboren wurde. Als Jüngling kam er 1823 nach Wängi.» Im selben Jahr erwarb Georg Michael34 Stierlin-Joos zusammen mit J.C. Bachmann aus Schönenberg-Anetswil in Wängi eine ehemalige Mühle und Reibe mit den damit verbundenen Wasserrechten und gründete die «Mechanische Spinnerei in Wengi». Es ist anzunehmen, dass die Anstellung als erster Buchhalter der neu gegründeten Firma der Grund für Berkmüllers Zuzug aus dem Bayrischen und seiner Wohnsitznahme in Wängi war. Stierlin-Joos stammte aus Schaffhausen. In seiner Funktion als dortiger Regierungsrat pflegte er mit Sicherheit auch Beziehungen zur Badischen und Bayrischen Nachbarschaft. Ob er jenseits der Grenze nach Arbeitskräften suchte und dabei auf Berkmüller stiess, ist zwar denkbar, aber nicht belegt, wie überhaupt rund um dessen Herkunft noch manches im Ungewissen liegt.
Ausgangspunkt für die Nachforschungen nach der Herkunft von Johann Alphons Berkmüller bildeten zunächst zwei Vermutungen Hermann Walders in seinen Erinnerungen an Wängi. Dort schreibt er, dass Berkmüller «aus dem Bayrischen jedenfalls ursprünglich katholischer Konfession war, aber zu den Reformierten hielt»35 und an anderer Stelle insinuiert er einen möglichen Zusammenhang zwischen Berkmüller und einem berühmten Augsburger Barockmaler: «Herr Berkmüller soll aus der Familie des Augsburger Malers Joh. Georg Bergmüller (1688–1762) gestammt haben, von dem ein Altarblatt (Mariae Tod) im Konstanzer Münster von 1710 stammt.»36 Woher Walder diese Information hat, wissen wir nicht. Als dritter Ausgangspunkt dient uns der Eintrag im Haushaltregister der Evange-
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28 lischen Kirchgemeinde Wängi, wo die Herkunft von Berkmüllers Eltern mit «Kaufbeuren» angegeben ist.
Somit fokussierte unsere Spurensuche zunächst auf Katholisch Kaufbeuren und Augsburg. Schon ein erster Blick in die Kirchenarchive des Bistums Augsburg zeigte, dass der Name «Berkmüller» im Grossraum Augsburg/Kaufbeuren im 18. und 19. Jahrhundert nicht nur häufig, sondern auch in verschiedenen Schreibweisen von «Berckmüller» über «Bergmüller» bis «Bergmiller» auftaucht. Da die Eltern von Berkmüller nachweislich 1792 geheiratet hatten und Alphons 1802 geboren wurde, erfolgte die zeitliche Eingrenzung der Recherche vorerst auf die Jahre 1780 bis 1810.
Sämtliche Kirchendokumente des Bistums Augsburg sind heute in Augsburg zusammengefasst. Auch das Kaufbeurer Hochzeitsregister für die Jahre 1784 bis 1802 befindet sich dort. Die eingetragenen Berkmüller sind so zahlreich, dass dem zuständigen Beamten der Platz knapp wurde und er improvisieren musste. Kurzerhand schob er den letzten Eintrag über den ersten, weil er da noch etwas Platz fand. Dass dadurch die Abfolge der Registernummern durcheinan-
Ausschnitt aus der auf königliche Anordnung erstellten Übersichts- und Verwaltungskarte des «Königreichs Baiern» aus dem Jahre 1808. Hervorgehoben sind Augsburg als Wohnsitz der Künstlerdynastie Bergmüller sowie Kaufbeuren als Geburts- und Wohnort von Johann Alphons Berkmüller. Das Strassen- und Wegnetz erlaubt es einem 21-jährigen jungen Manne wohl, vom bayrischen Kaufbeuren ins thurgauische Wängi auszuwandern. Massstab 1 :870 000. Steindruck. 45 x 68 cm. Reproduktion im Ortsmuseum Wängi.
Wängi


Berkmüller M.(aria) Franziska Berkmüller Jos.(ef) Aloys " do
Registernummer 183 147 157 " Caspar 167 " M(aria). Anna Franz.(iska) 175 " David Aloys 170 " Christian 177 Archiv Bistum Augsburg. Pfarrei Kaufbeuren. Pfarreimatrikeln. Hochzeit. 13-H-R 1784 – 1802 | 0028. Sieben Einträge «Berkmüller» im Register Hochzeit Kaufbeuren.
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dergerieten, muss ihn vermutlich gewurmt haben. Ein Zusammenhang zwischen den eingetragenen Namen und unserer Familie Berkmüller lässt sich aber nirgends erkennen.
In einem zweiten Anlauf nehmen wir uns die konkreten Einträge in den Heiratsbüchern der Stadt Augsburg vor. Auch da stossen wir immer wieder auf den Namen Berkmüller. So etwa am 24. July 1797, als

Archiv Bistum Augsburg. Pfarrei Kaufbeuren. Pfarreimatrikeln. Hochzeit. 7-H 1784 – 1835 S. 57. 0247. Eintrag Berkmüller am 24. July.
30 Josef Aloys Berckmiller und Anna Maria Höhrin sich vermählten. Als Trauzeuge trat Eugen Berckmiller auf, wahrscheinlich der Bruder des Bräutigams.
Noch ein zweites ähnliches Beispiel: Am 20. May 1799 heirateten Leopold Stanislaus Berkmiller und Joanna Crescentia Schuhlerin (weibliche Schreibform von Schuhler). Trauzeugen waren Aloys und Eugenia Berkmiller. Die Suche nach der Familie Berkmüller in Katholisch Kaufbeuren verläuft ergebnislos. Der Name ist zwar, wenn auch in verschiedenen Varianten, verbreitet. Aber weder der Vater Johann Christoph noch der Sohn Johann Alphons sind irgendwo auffindbar. Bei den unterschiedlichen Schreibweisen wollen wir uns ebenfalls nicht länger aufhalten. Auch in der noch spärlich vorhandenen Korrespondenz aus der Wängemer Zeit wurde «Berkmüller» nicht selten als «Bergmüller»37 adressiert. Die Vermutung Walders, dass Berkmüller «jedenfalls katholisch» gewesen sei, trifft nicht zu. Eigentlich erstaunt dies, waren die beiden in Wängi doch jahrelang Nachbarn.
Nun bleibt noch die Bemerkung Walders, Berkmüller stamme ursprünglich aus der Augsburger Künstlerfamilie Bergmüller. Eine solche Vermutung ist selbstverständlich verlockend. Unser Johann Alphons Berkmüller würde auf einen Schlag in einem reputierten Umfeld, zusammen mit verwandten Berühmtheiten auftauchen.
Im «Allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler» von Ulrich Thieme und Felix Becker aus dem Jahre 1909 erscheint in der Tat in Augsburg ein Johann Georg Bergmüller

Archiv Bistum Augsburg. Pfarrei Kaufbeuren. Pfarreimatrikeln. Hochzeit. 7-H 1784 – 1802. S 63. 0250. Eintrag Berkmüller am 20. May.
(1688–1762). «Im Jahre 1732 vollendete er die 17 grossen Deckengemälde in der kathol. Kreuzkirche mit Darstellungen aus der Leidensgeschichte Christi und weiter malte er in der Karmeliter-, Katharinen- , Barfüsser- und Annakirche in Augsburg. Auch auswärts wurde seine Kunst verlangt. (...) Gut erhalten sind seine Fresken am Ständehaus in Stuttgart.»38 Ab 1740 war Bergmüller zudem fürstbischöflicher Hofmaler. Ihm folgte einer seiner Söhne, Johann Baptist Bergmüller (1724–1785). Auch er war zunächst vielbeschäftigter Maler, Kupferstecher, Graphiker und später Kunsthändler und Verleger. Allfällige Nachkommen dieses Sohnes liessen sich nicht auffinden.
Eine verwandtschaftliche Spur von Johann Georg Bergmüller aus Augsburg zu Johann Alphons Berkmüller aus Kaufbeuren wird immer unwahrscheinlicher, und wir nehmen unsere Suche nunmehr im Evangelischen Kirchenarchiv Kaufbeuren nochmals neu auf. Und tatsächlich: dort kommen wir der Sache schon bald einen Schritt näher. In den dortigen Kirchenbüchern finden wir nämlich nicht nur den Vater Johann Christoph Berkmüller. Dessen Stammbaum lässt sich sogar über mehrere Generationen bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen:
Aus der Tafel geht hervor, dass die Kaufbeurer Vorfahren unseres Johann Alphons Berkmüller zeitgleich zur Augsburger Künstlerfamilie der Bergmüller vorweisbar sind. Die beiden Familien haben gleichzeitig gelebt, die eine in Augsburg und die andere in Kaufbeuren. Eine Verbindung ist nicht ersichtlich. Die Ähnlichkeit der Namen hat keine Bedeutung. Die Hoffnung, Johann Alphons Berkmüller könnte aus einer berühmten Künstlerfamilie stammen, löst sich in Luft auf.
Eine weitere Unsicherheit in der Biographie Berkmüllers hat sich geklärt. Doch die Befriedigung währt nicht lange, wie ein Blick auf die Stammtafel der Familie rasch zeigt.
Ahnentafel Johann Berkmüller. Evang. Kirchenarchiv Kaufbeuren. Reproduktion mit Bewilligung. 31

32 Stammtafel Johann Berkmüller. Evang. Kirchenarchiv Kaufbeuren. Reproduktion mit Bewilligung.

Haushaltregister der Evangelischen Kirchgemeinde Wängi ab dem Jahre 1753. Auszug. Bd. 4. ab 1835. S. 47f. Reproduktion mit Genehmigung.
Aus der Ehe zwischen dem Vater Johann Christoph Berkmüller und der Mutter Juliana Augustina Saxer gingen nachweislich vier Kinder hervor: Catharina Wilhelmina *1793, Johann Christoph *1794, Karl Eduard *1796 †1796 und Gustav Adolph *1798 †1867. Während Karl Eduard nicht überlebte, wurde Gustav Adolph 69 Jahre alt und starb rund 10 Jahre vor unserem Johann Alphons. Sie hätten sich kennen und brüderlichen Kontakt halten können.
Allerdings: Johann Alphons *1802 †1879 fehlt im Stammbaum der Familie. Er wäre vier Jahre nach seinem Bruder Gustav Adolph zur Welt gekommen. Warum taucht er im Kaufbeurer Kirchenarchiv nicht auf? Hat die Familie Kaufbeuren bereits vor seiner Geburt verlassen? Wohin sind sie gezogen? Finden sich anderswo noch Spuren? Warum ist dann aber das Todesdatum des Bruders noch im Kaufbeurer Archiv eingetragen?
Die Lücken in Berkmüllers Lebenslauf haben sich nicht wie erhofft schliessen lassen. Kurz vor seinem Geburtsdatum verliert sich die Spur der Familie in Kaufbeuren. Erst im Haushaltregister der Evangelischen Kirchgemeinde Wängi aus dem Jahre 1753 werden wir auf Seite 47f wieder fündig. Dort ist Johann Alphons als von Kaufbeuren stammend aufgeführt. Genaueres zum Verbleib in der Zeit dazwischen ist nicht zu erfahren. Die Fragen, wann, auf welchem Weg und warum Alphons Berkmüller in Wängi auftaucht, harren weiterhin der Klärung.

Wir hätten über Berkmüllers Herkunft gerne Genaueres erfahren. Immerhin hat unsere Spurensuche in den bayrischen Archiven ergeben, dass Berkmüllers Geburtsdatum mit dem 6. Mai 1802 stimmt und er in einer evangelischen Familie aufgewachsen ist. Auch seine Heirat mit Katharina Stutz am 4. Oktober 1836 ist belegt. Offen geblieben ist indessen der genaue Geburtsort. In Kaufbeuren verliert sich die Spur seiner Familie kurz vor seiner Geburt. Sein Verbleib bis zu seinem Stellenantritt als Buchhalter in der Spinnerei Wängi bleibt im Ungewissen.
Zwar zeichnet Wyler in der Wirtschaftsgeschichte des Kantons Thurgau in einem Aufsatz zum Thema Handel die wirtschaftlichen Beziehungen im Zusammenhang mit der Herstellung und Verarbeitung von Leinwand zwischen dem süddeutschen und dem thurgauischen Bodenseeraum in Einzelheiten nach. Er verweist auch auf den Handel mit Wein und Korn. Eine Zuwanderung bayrischer Arbeitskräfte auf die andere Seite des Bodensees erscheint durchaus denkbar, konkrete Hinweise auf Berkmüller sind indessen nicht auszumachen.39
Im Zusammenhang mit der Frage, wer die Spinnerei und spätere Weberei geführt hat und somit Berkmüllers Arbeitgeber war, können wir uns ein paar Jahreszahlen nicht ersparen. Wie bereits erwähnt gründete Georg Michael Stierlin-Joos (1776–1856) im Jahre 1823 die «Mechanische Spinnerei in Wengi» und erweiterte diese 1837 zur «Weberei Wängi». Er starb 1856. Sein Sohn Jakob August Stierlin (1818–1898) war beim Hinschied des Vaters 38 Jahre alt. Wir nehmen an, dass er spätestens zu diesem Zeitpunkt die Firma übernahm. Wann dessen Sohn Georg Jakob Stierlin (1845–1912) seinem Vater in der Leitung der Weberei nachfolgte, wissen wir nicht. Im Jahre 1879, als Berkmüller starb, war Georg Jakob Stierlin 34 Jahre alt. Angenommen, Berkmüller schied 1868 mit 65 Jahren aus dem Berufsleben aus, wäre Georg Jakob zu diesem Zeitpunkt erst 23 Jahre alt und wohl noch nicht mit der Leitung der Firma betraut gewesen. Auch wäre sein Vater Jakob August Stierlin damals im Alter von 70 Jahren vermutlich in der Lage gewesen, die Firma noch ein paar Jahre zu führen.
Wann genau hat wohl Georg Jakob August den Direktionssessel eingenommen? Die Frage ist deshalb von besonderem Interesse, weil Berkmüller eben diesem Georg Jakob August Stierlin zwei Alben mit insgesamt fast 50 Zeichnungen widmet und in der Widmung des einen schreibt: «Zum freundlichen Andenken für Herrn August Georg Stierlin. Gewidmet aus Achtung & Dankbarkeit von der Familie Berkmüller». Hat erstens Georg Jakob August Stierlin die Firma wirklich mit 23 Jahren übernommen und zweitens Berkmüller mit 65 Jahren noch weitergearbeitet, so dass sich die beiden kannten? Oder haben sich der junge Stierlin und der alte Berkmüller als Nachbarn gekannt? Immerhin wohnte die Familie Stierlin im Weierhaus an der Dorfstrasse schräg gegenüber der Familie Berkmüller. Man begegnete sich wohl täglich. Wofür war nun die Familie Berkmüller so dankbar, dass sie der Familie Stierlin zwei Alben schenkt? Oder hat Georg August Stierlin diese Alben bei seinem Buchhalter Berkmüller in Auftrag gegeben? Womöglich nach dessen Pensionierung? Berkmüller ist immerhin 77
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Erste Seite des Schreibens des Bayrischen Königreichs aus dem Jahre 1835 betreffend Entlassung aus dem bayrischen Bürgerrecht. Auszug. Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Inv.Nr. 2’30’26-A, 293/3. Reproduktion mit Genehmigung. Erste Seite des Gesuchs Berkmüllers aus dem Jahre 1835 an den Regierungsrat des Kantons Thurgau um Erteilung des Schweizer Bürgerrechts. Auszug. Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Inv.Nr. 2’30’26-A, 293/3. Reproduktion mit Genehmigung.

Jahre alt geworden. Zeit hätte er also gehabt. Fragen über Fragen! Einstweilen müssen die meisten offen bleiben.
Immerhin liegen im Thurgauer Staatsarchiv noch Hinweise auf Berkmüllers Einbürgerung im Jahre 1835. Zunächst ist da ein Schreiben des Königs von Bayern betreffs der Entlassung Berkmüllers aus dem bayrischen Bürgerrecht. Darin geht es im Wesentlichen darum, dass Berkmüller rechtlich verbindliche Unterlagen einzureichen habe, womit er eine anderweitige Staatsbürgerschaft belegen kann. «Seine Majestät der König» will wohl sichergehen, dass sein «Unterthan» Berkmüller nicht anderweitig berufstätig ist und dort Steuern bezahlt und dann als bayrischer Staatsbürger im Alter in Bayern Rentenansprüche erhebt.
In seinem Gesuch um Einbürgerung an den Kleinen Rat des Kantons Thurgau betont Berkmüller zunächst seine mehr als 10jährige Anwesenheit und gute Integration hierzulande. Dann kommt er auf sein bereits einmal eingereichtes Gesuch zu sprechen,
An den Kleinen Rath des Kantons Thurgau Herr President! Herren Regierungs-Räthe! Seit mehr als 10 Jahren, während welchen ich mich / der ehrerbietig Unterzogene, in hiesigem Kanton / befinde, habe ich mich mit den Sitten und Gebräuchen / desselben so befreundet, dass ich längst den Wunsch / nährte, wo möglich immer in diesem glüklichen Lande / bleiben, und ein Bürger desselben werden zu können. - / Um diesen Zwecke zu erreichen, entschloss ich mich / mich förmlich in der Gemeinde Wengi anzusiedeln, / und bemühte mich sofort alle die Verpflichtungen / zu erfüllen, die die Geseze zur Erhaltung, der / Naturalisation vorschreiben. Zu dem Ende kam ich unterm 27. December v. J. (vorigen Jahres) / um die hohheitliche Niederlassungs-Bewilligung, bey / Ihrer hohen Behörde ein, welche mir auch sofort gegen / die gewöhnliche Taxe gütigst ertheilt wurde, und / sowohl diese Urkunde, als auch auf mein damaliges / Begehren bezüglichen Ausweisungs Schriften werden / sich in der Staatskanzlei aufbewahrt finden. – / Einzig wurde mir damals von Ihrer hohen Behörde / der vom Stadtmagistrat in Kaufbeuren ausgefertigte / Heimathschein aus dem Grunde retourniert: weil / demselben die Vidimierung (Beglaubigung) des Ministeriums / abgehe. Ich ermangelte nicht denselben zu dem / Behuf sogleich an den Stadtmagistrat in Kaufbeuren / zu senden erhielt aber statt der wirklichen Urkunde / zu meinem Befremden das beifolgende königliche / Rescript (sub. La A.) aus welchem Sie, Herr / President! Herren RegierungsRäthe! ersehen / werden, dass ich deswegen, weil seiner Zeit der / Stadtmagistrat von Kaufbeuren bei Ausstellung / des Heimathscheines diese Formalität ausser Acht / liess, nun auf unschuldige Weise um dieses / Dokument kam, und bei den vielen Schwierigkeiten, / denen man besonders jetzt in Baiern ausgesezt ist / schwerlich mehr erhalten könnte. / …
Abschrift der ersten Seite von Berkmüllers Gesuch 35
welches auf Grund eines verwaltungsrechtlichen Formfehlers zunächst ins Stocken geriet.
Der Einbürgerungsentscheid der Gemeinde Wängi, welcher dem kantonalen Gesuch vorausgegangen ist, ist nicht mehr auffindbar. Berkmüller erwähnt in seinem Gesuch, dass die Gemeindebehörde ihn am 2. Januar 1835 «auf schmeichelhafte Weise als Bürger aufnahm» und er versichert, er werde sich dafür «auf alle mögliche Weise nützlich erzeigen».
Seinem Gesuch an den Regierungsrat legte er eine Bürgschaft der «Direktion der mech. Baumwollspinnerey» bei. Darin verpflichtet sich Berkmüllers Arbeitgeber, die anfallenden Gebühren der «Naturalisation» sowie «allenfalls weiter notwendige «Cautions-Leistungen sofort an die Kantons Cassa zu entrichten.»
Schliesslich ging alles gut und der Bayer Johann Alphons Berkmüller wurde Schweizer und Bürger von Wängi im Kanton Thurgau.
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Bürgschaft des Fabrik(mit-)besitzers Bachmann, für allfällige Verfahrenskosten aufzukommen. Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Inv.Nr. 2’30’26-A, 293/3. Reproduktion mit Genehmigung.

Auszug aus dem Einwohnerregister der evangelischen Gemeinde Pfyn aus dem Jahre 1836. Staatsarchiv des Kantons Thurgau. ViewScan ab Mikrofilm. Reproduktion mit Genehmigung. Evangelisch Wängi wurde damals durch den Pfarrer von Aadorf betreut, daher der Begriff «Filiale».
Promulg(ation). Copul(ation). Heimath. Vereh(l)ichte Paare. – – – – 4ten Oct. Wengj Herr Joh. Alphons Berkmüller Fil(iale): Aadorf u. Jgfr: Katharina Stutz, von Isikon, Pf:(arrei): Hittnau, Kt: Zürich Kirche.
Pfÿn
Am 4. Okt. 1836 heirateten «Herr Joh. Alphons Berkmüller u. Jgfr. Katharina Stutz von Isikon, Pf(arrei) Hittnau, Kt. Zürich» in der Kirche Pfyn. Eine vorherige, und im Normalfall übliche, Promulgation (Ankündigung) fand nicht statt. Den Fragen, warum die beiden ausgerechnet in Pfyn geheiratet haben und welches die Gründe für die ausgebliebene Ankündigung sein mögen, wird im Wängener Heft 7 über Katharina Berkmüller-Stutz näher nachgegangen. Kirchliche Eheschliessungen fanden damals nicht selten ziemlich unspektakulär im Anschluss an den Gottesdienst statt. Kaum eingebürgert und frisch verheiratet wurde Berkmüller 1837 im Alter von 35 Jahren zur militärischen Aushebung aufgeboten. Er wird in die «Infanterie 4. Classe» und dort in die «1te Abteilung» eingeteilt. Darunter muss man sich vermutlich eine Art Hilfsdienst vorstellen. Schon ein Jahr später wird er dann in die «2te Abteilung» umgeteilt. Ob er tatsächlich je Wehrdienst geleistet hat und wir ihn uns in Uniform vorstellen müssen wie den Soldaten auf dem Schäfliplatz, wissen wir nicht.
Als Buchhalter des grössten ortsansässigen Arbeitgebers war Berkmüller zweifellos im Dorf eine Respektsperson. Wir nehmen an, dass er gesellschaftlich in den eher besseren Kreisen verkehrte. Wenn diese Vermutung zutrifft, stellt sich die Frage, ob er im Dorf bestimmte Funktionen in der Öffentlichkeit bekleidet hat. Dazu finden wir kaum Hinweise. Immerhin ist aus dem Jahre 1846
Militärischer Aushebungsrodel 1837. Der entsprechende Eintrag von Alphons Berkmüller ist als Nachtrag unter der Ziffer 626 zu finden. Staatsarchiv des Kantons Thurgau. Inv.Nr. 4’410’21. Reproduktion mit Genehmigung. 37

38 Zahlung des Schulpflegers Berkmüller an den Schneidermeister und Lehrer J. Gamper für Schullohn im Winterkurs 1845/46. Inv.Nr. B510.R11. Ortsmuseum Wängi. Berkmüller hat als Privatkunde beim Schneidermeister J. Gamper auch schneidern lassen.

eine Quittung vorhanden, welche einen möglichen Hinweis liefert.
Am 9. Juni zahlte der Schulpfleger Berkmüller dem Schneidermeister J. Gamper für Schullohn im Winterkurs sieben Gulden. Als Schulpfleger der evangelischen Schule können wir uns den Buchhalter Berkmüller gut vorstellen. Wir nehmen diese Rechnung als Hinweis, dass Berkmüller im Dorf tatsächlich ein Amt bekleidet hat und eine Person von öffentlichem Interesse gewesen ist. Dass übrigens ein Schneider die Stelle als Dorflehrer innehatte, ist in jener Zeit nicht unüblich.
Schliesslich findet sich im «Todten-Register» der Gemeinde Wängi vom 24. November 1879 Alphons Berkmüllers «Todtenschein». Als Todesursache vermerkt der Wängemer Dorfarzt «Altersschwäche nach vorangegangener Lungenentzündung». Dass beim Beruf «Buchhalter» noch der Nachtrag «ehl. Sohn» (ehelicher Sohn) vermerkt ist, hat wahrscheinlich erbrechtliche Bedeutung. Auffällig ist, dass nicht die Tochter Louise als Familienmitglied, sondern der Fabrikbesitzer August Stierlin die Angaben auf dem Totenschein unterschriftlich bestätigt.

Eintrag von Berkmüllers Hinschied am 24. November 1879. Staatsarchiv Thurgau Todtenregister A Wängi, 1879, S. 62, Nr. 27. Reproduktion mit Genehmigung.