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Beruf und Freizeit

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Wängener Hefte

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Beruf und Freizeit

Neben seiner beruflichen Haupttätigkeit als Buchhalter wurde ihm auch die Besorgung der Post übertragen. Wöchentlich zwei- bis dreimal wurde diese durch einen Boten nach Frauenfeld gebracht, respektive dort abgeholt, und dann in den Fabrikbüros verteilt. Otto Bischof nennt Berkmüller «gewissermassen den ersten Posthalter von Wängi aus der Zeit, als die Post noch von Hand von Frauenfeld nach Wängi transportiert wurde». Hier irrt Bischof allerdings. Berkmüller hat die Leitung der Poststelle erst nach einigen Jahren von seinem Arbeitgeber und Besitzer der Spinnerei Georg Michael Stierlin übernommen. Freiwillig oder nicht. Auf der Liste der Wängemer Poststelleninhaber ist «Berkmüller Alfons» für die Zeit vom 1. Juli 1848 bis zum 31. März 1853 aufgeführt. Dann ist er von dieser Funktion freiwillig zurückgetreten.

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In seiner freien Zeit beschäftigte sich Berkmüller zunächst mit Zeichnen und Malen. Seine Begabung blieb seinem Umfeld nicht verborgen. So schuf er mit den Jahren ein beachtliches Werk an Blei- und Farbstiftzeichnungen und einigen Aquarellen. Das Werkverzeichnis umfasst aktuell 160 bekannte Werke. Otto Bischof erwähnt in seinen Erinnerungen, dass sich Berkmüller an seinem Arbeitsplatz «manchmal krank gemeldet habe, um wieder einmal seinem Steckenpferd nachgehen zu können.»

Neben seiner zeichnerischen Passion hat Berkmüller den Matzinger «Gesangsverein am Immenberg» geleitet. Dieser entwickelte, wie auch andere Thurgauer Chöre zu jener Zeit, neben seiner musikalischen auch eine rege politische Tätigkeit. In seiner Blütezeit zählte der Chor 50 bis 60 Mitglieder.40 In der Zeit von 1824 bis 1831 leitete Pfarrer Bornhauser, der Thurgauer Polit-Reformer, den Männerchor am Immenberg. Dann übernahm Berkmüller den Dirigentenstab. Berkmüller und Bornhauser müssen sich demnach gut gekannt haben. In einem späteren Kapitel werden wir darauf noch näher eingehen. Die im Ortsmuseum erhalten gebliebenen Chornoten aus dem Besitz Berkmüllers liefern weitere aufschlussreiche Hinweise auf seine chormusikalischen Interessen und sein entsprechendes Engagement. Seinem musikalischen Wirken widmen wir etwas weiter hinten ein ganzes Kapitel.

Verzeichnis der Poststellenleiter von Wängi für die Jahre 1845 bis 1994. PTT-Archiv. Inv.Nr. PTT-Archiv, Post-199 A_0008_14_Wängi_TG. Reproduktion mit Genehmigung. 39

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Jakob Fröhlich nennt Berkmüller zudem «einen tüchtigen Geiger».41 Nähere Angaben oder weitere Quellen, welche dies bestätigen könnten, sind bislang nicht auffindbar. Im Ortsmuseum ist zudem ein Buch aus dem Besitz der Familie Berkmüller erhalten geblieben. Berkmüller selbst hat auf dem Vorsatzblatt seinen Namen «Berkmüller in Wengi» festgehalten. Das Buch trägt den Titel «Die Erde und ihre Bewohner, ein Hand- und Lesebuch für alle Stände».42 Es umfasst 693 Seiten und enthält in enzyklopädischer Art Wissenswertes zur Geografie der Erde als «Theil des Sonnensistems» bis zur Schilderung aller Kontinente und ihrer jeweiligen Bewohner. Zahlreiche Zahlentabellen ergänzen den Text, und ein mehr als 30 Seiten langes Sachregister erlaubt die Suche bestimmter Themen oder einzelner Orte. Wängi ist zwar nicht vermerkt, jedoch taucht auf Seite 447 der Kanton Thurgau auf «mit 82950 Einwohnern samt der Hauptstadt Frauenfeld, rechts der Murg gelegen und von 1800 Einwohnern bewohnt.» Das Buch enthält insgesamt fünf Stiche. Sie tragen Titel wie «Der höchste Theil des Alpengebirges», «Der Rheinfall bei Schaffhausen», «Der Rheinstein», «Ein Dorf auf Java» oder «Stierfang in Südamerika». Vor allem der Stierfang hat es Berkmüller angetan.

Aus diesem zwar einzig erhaltenen Buch aus dem Haushalt Berkmüller lässt sich dennoch folgern, dass in der Familie Sachbücher zur Erdkunde gelesen wurden und das Interesse und der geistige Horizont weit über Wängi hinaus reichten. Einen weiteren Hinweis in diese Richtung liefert ein Foto von Katharina Berkmüller. Sie studiert dort in einem Atlas eine Landkarte.

Den Stich «Stierfang in Südamerika» hat Berkmüller kopiert. Bei genauem Hinsehen ist auf der entsprechenden Buchseite ein mit feinen Bleistiftlinien gezogenes Raster zu erkennen. Berkmüller hat die Darstellung massstabsgetreu leicht vergrössert nachgezeichnet.

Im Innern des Buches findet sich ein handbeschriebenes Blatt Papier von 11 x 9 cm Grösse mit einem kleinen Weihnachtsgedicht von einer Maria Stutz. Zwar ist im Stammbaum der Familie Stutz (Berkmüllers Frau) keine solche Person aufgeführt. Auch in der Generation der Nichten und Neffen nicht.43 Wer immer diese Maria gewesen

«Die Erde und ihre Bewohner» aus dem Besitz der Familie Berkmüller. 1833. Inv.Nr. B 68. Ortsmuseum Wängi.

Stierfang in Süd Amerika. Stahlstich in «Die Erde und ihre Bewohner» aus dem Besitz der Familie Berkmüller. 1833. 15.0 x 9.5 cm. S. 650. Inv. Nr. B68. Ortsmuseum Wängi. Kaum sichtbar ist das Raster über dem Druck, mittels welchem Berkmüller seine proportionalgetreue Kopie anfertigte.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Stierfang in Amerika. Bleistift. 18.5 x 12.0 cm. Ohne Signatur. Nach 1833. BmKat. Nr. 142. Ortsmuseum Wängi. Kopie eines Stahlstichs aus «Die Erde und ihre Bewohner» aus dem Besitz der Familie Berkmüller.

sein mag, so zeigt das Buchzeichen doch zweierlei: Zunächst den damals weitverbreiteten Brauch des Verfassens von Gedichten (welcher später ja dann in den Poesiealben der Mädchen ihre Fortsetzung erfuhr) und zweitens den Respekt diesen sehr persönlichen literarischen Werken gegenüber. Sie wurden aufbewahrt, zum Beispiel als Buchzeichen.

Die Frage, wie wir uns Berkmüllers Verhältnis zu den Besitzern der Spinnerei und der Weberei und damit seinen Arbeitgebern vorzustellen haben, hat uns bereits einmal beschäftigt. Einzige Hinweise sind die beiden bereits erwähnten Alben mit Zeichnungen und namentlicher Widmung.

Berkmüller muss die beiden Alben kurz vor Abschluss seiner beruflichen Tätigkeit als Buchhalter oder bereits nach seiner Pensionierung gemacht haben. Wir können den Entstehungszeitraum auf 1865 bis 1875 eingrenzen.

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Dieses eine Album enthält nur zwei Zeichnungen aus der engeren Umgebung von Wängi, nämlich die Fabrikgebäude im Jakobstal. Die restlichen Werke zeigen Gebäude und Landschaften aus der Schweiz und vor allem aus Österreich.

Georg August Stierlin könnte das Album bei Berkmüller in Auftrag gegeben haben. Sei es, dass er seine eigenen Reisen dokumentiert haben wollte und jeweils Stiche nach Hause brachte, welche Berkmüller dann kopierte und in einheitlichen Formaten und immer gleicher Technik (Bleistift, ergänzt mit Weiss auf leicht eingefärbter Grundierung) in einem Album zusammenstellte. Oder Stierlin hat bei Berkmüller Zeichnungen nach dem aktuellen Zeitgeschmack bestellt und Berkmüller bediente sich dann bei verschiedenen Vorlagen anderer Zeichner oder Kupferstecher. Das Beispiel des Stierfangs in Südamerika wäre hierfür Beleg.

In einer Randnotiz vermerkt Berkmüller tatsächlich einmal, dass er auch nach Fotografien und Holzschnitten gearbeitet habe. Das Kopieren nach Vorlagen war damals üblich. Im Zusammenhang mit dem aufkommenden Tourismus hatten sich sogar eigentliche Produktionsbetriebe mit Kopisten und Koloristen entwickelt. Dass die Fotos damals in einem ockerfarbenen Sepiaton gehalten waren, erklärt möglicherweise auch, weshalb Berkmüller in einem seiner Alben bei manchen Zeichnungen eine ocker eingefärbte Grundierung gewählt hat.

Abschliessend kommt einem die Bemerkung Bischofs wieder in den Sinn, der Fabrikbesitzer Stierlin habe ein Einsehen gehabt, wenn Berkmüller dann und wann der Arbeit in der Fabrik ferngeblieben sei, um zu Hause zu zeichnen. Seine Firma konnte die allfälligen Arbeitsausfälle des Buchhalters offenbar verschmerzen. Als Gegenleistung erhielt der Fabrikherr immerhin Alben mit persönlicher Widmung und Zeichnungen nach Wunsch.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Album mit 17 Zeichnungen. 22.0 x 19.0 cm. Entstehung vermutlich zwischen 1865 bis 1875. Widmung an den Fabrikbesitzer und Arbeitgeber auf dem vorderen Vorsatzblatt. BmKat. Nr. 96-112. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion ab Diapositiv 1980.

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