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Der Schäfliplatz Wängi – ein Beispiel
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Einstieg in Berkmüllers Bilderwelt
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Der Schäfliplatz in Wängi – ein Beispiel
Es lohnt sich, ein Buch über Johann Alphons Berkmüller gleich mit einem seiner Werke zu beginnen und einzutauchen in seine Welt, wie er sie uns in seiner Zeichnung der Strassenkreuzung beim Gasthof «Schäfli» in Wängi 1871 schildert.
Wir blicken von der 1856 erbauten Murgbrücke oder von der bereits leicht ansteigenden Aadorferstrasse in Richtung «Schäfli». Der Gasthof mit seinen links hinten angebauten Stallungen und Scheunen ergibt zusammen mit der rechts etwas zurückliegenden Spinnerei ebenfalls mit Scheune eine eindrückliche Kulisse für ein kunterbuntes Verkehrsgeschehen ab. Links mündet die Strasse von Frauenfeld auf den Platz und rechts führt sie weiter in Richtung Wil. Das Wängemer Post- und Telegraphenbüro befindet sich seit 1866 im Gasthaus «Schäfli» gleich links nach dem Eingang. Eine der beiden Tafeln an der Aussenwand weist darauf hin, die andere vermutlich auf die Billettausgabe für die Postkutsche.
Zunächst weckt die Zeichnung unsere historische Neugierde. Das «Schäfli», so wie Berkmüller es noch gekannt hat, gibt’s seit der Brandnacht im Jahre 1976 nicht mehr.
Der alte Gasthof war schon im 19. Jahrhundert ein pulsierender Dreh- und Angelpunkt des wirtschaftlichen und des gesellschaftlichen Lebens in Wängi. Ganz so wie auf der Zeichnung dargestellt. Zwar gibt das Haus seine Geschichte nur zögerlich preis. Manches lässt sich lediglich erahnen.
In einem der ersten schweizerischen Reiseführer aus dem Jahre 18404 ist Wängi nicht vermerkt. Zum Nachbardorf Münchwilen jedoch mit dem Gasthof «Engel» in durchaus vergleichbarer Situation zum Gasthof in Wängi heisst es: «Das Büreau für die
Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). In Waengi (Unterdorf). Bleistift. 18.5 x 12.0 cm. Mit Signatur: «nach d. Natur A.B.» Mit Datierung: «1871». BmKat. Nr. 5. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion ab Diapositiv 1980.
ordinären und Extraposten (Postkutschen) ist im Hause, so dass man auf beliebige Weise zu jeder Stunde befördert werden kann. Geräumige, gut eingerichtete und meublierte Zimmer, sowohl für höhere Stände, als auch mittlere und niedere Personen, geräumige Stallungen und Remisen, reinliche Bedienung, bei billigen Preisen, sind die Titel, womit sich dieser vielbesuchte, beliebte Gasthof empfiehlt.»
Wir können diese Beschreibung durchaus auch auf das «Schäfli» übertragen. Zwar weiss man nicht genau, wann der Gasthof in Wängi erbaut wurde. Die erste Nennung geht auf das Jahr 1808 zurück. Dort ist in den Brandassekuranz-Schatzungen ein «Wirtshaus, bestehend aus einem Haus & Scheür, samt Trotten und Schopf» erwähnt und auf «1560 Gulden»5 geschätzt. 1823 (Gründungsjahr der Spinnerei!) wurde dann «ein Theil neu Erbauen & Villes Repariert». Der Wert stieg beträchtlich auf «2200 Gulden». Übrigens: Damals überquerte der Verkehr die Murg noch durch eine Furt. Es führte noch keine Strasse im Talgrund durch Wängi Unterdorf. Der Bau der Strasse in der Ebene, und damit am Gasthof «Schäfli» vorbei, erfolgte erst einige Jahre später, und eine Brücke wurde sogar erst 1856 errichtet.
So interessant für den Historiker Lage, Bauweise und Funktion der Gebäude sowie die damalige Verkehrsführung sein mögen, von weit grösserem Reiz ist für uns das geschäftige Treiben auf dem Platz vor den Gebäuden; der Schäfliplatz ist ein lebendiger Dorfplatz. Wir wenden uns wieder der Zeichnung zu.
Von Frauenfeld fährt eben die täglich verkehrende zweispännige Postkutsche auf den Platz und steuert auf den Gasthof zu. Dort befinden sich Anbindestangen für die Pferde sowie eine Futterkrippe. Nach Wil fährt die Kutsche dann einspännig weiter. Neben dem Gasthof ist bereits ein zweispänniger Planwagen abgestellt. Der Kutscher lädt Waren um. Eine Schar Hühner pickt verschüttete Körner aus den Hafersäcken für die Zugpferde vom Boden auf. Verschiedene Hunde streunen über den Platz. An der Hausecke wartet eine abgeschirrte Chaise. Vielleicht steht das Pferd an der Tränke. Diese befand sich am Brunnen gleich links ausserhalb des Bildrandes in der Gabelung Frauenfelder- und Dorfstrasse. Oder ein Hufeisen musste ersetzt werden. Zum Hufschmied Thalmann an der Dorfstrasse (heute Dorfstrasse 17) waren es kaum 100 Meter. Ein einspänniger Brückenwagen hat grosse Ballen geladen. Der Kutscher kümmert sich um das Pferd.
Dazwischen gehen zahlreiche Dorfbewohner ihren täglichen Geschäften nach. Ein Bauer schiebt seine Milchtanse auf dem Handkarren in die Käserei. Eine Frau trägt ein Bündel Wäsche auf dem Kopf. Wo sich die Gelegenheit für einen Schwatz ergibt, hält man aller Geschäftigkeit zum Trotz gern einen Moment inne. Der Soldat mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett kehrt vom Dienst zurück und weiss Neuigkeiten aus der Fremde zu erzählen. Die Zeichnung ist aufs Jahr 1871 datiert. Es ist also denkbar, dass der Soldat von seinem Einsatz bei der Entwaffnung der französischen Bourbaki Armee im Neuenburger Jura erzählt. Der Grenzübertritt dort erfolgte am 1. Februar. Die anschliessende Internierung dauerte ungefähr sechs Wochen. Der Soldat hätte ge-
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