Paracontact d 1/2022

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MEDIZIN UND WISSENSCHAFT

UROLOGIE

Strom für die Blase

Neuromodulative Verfahren können Störungen der Blasen- und Darmfunktion mindern. Stromimpulse über Elektroden wirken auf das Nervensystem und verbessern die Steuerung des Organs. Von Dr. Jens Wöllner, Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, SPZ

Eine Querschnittlähmung führt in vielen Fällen zu einer irreversiblen Störung der Blasen-, Darm- und Sexualfunktion. In Ab­ hängigkeit von Höhe und Ausprägung der Rückenmarksläsion können verschiedene Funktionsstörungen resultieren. Grund­ sätz­lich unterscheidet man Störungen der Blasenspeicherphase, mit ungehemmten Kon­traktionen des Blasenmuskels, die zu einer Harninkontinenz führen können, so­ wie Störungen der Entleerungsphase, mit fehlender Aktivität des Blasenmuskels und inkompletter oder fehlender Entleerung der Blase. Auch die Darmfunktion ist beeinträchtigt, was sich in massiver Verstopfung (Obstipation) oder auch in unfrei­ willigem Stuhlverlust (Stuhlinkontinenz) äus­sern kann. Die genaue Funktionsstörung wird im Rahmen der Erst-Rehabilita­ tion diagnostiziert und therapeutisch begleitet. Wenn immer möglich, kommen zu diesem Zeitpunkt konservative Verfahren zum Einsatz. Nach einem Jahr stellt sich meist ein chronischer Zustand ein; sollten sich zu dieser Zeit die Funktionsstörungen nicht konservativ (manuelle Therapie, Uro­ therapie, medikamentös) beheben lassen, kommen zum Teil minimal-invasive Verfahren zum Einsatz wie etwa die Botox-Be­ handlung der Blase oder die perkutane und invasive Neuromodulation.

Neuromodulation Es gibt zwei neuromodulative Verfahren. Beim perkutanen Verfahren, auch PTNS ge­nannt, erfolgt die Stromapplikation für ei­nen bestimmten Zeitraum über Kleb­ elektroden durch die Haut. Bei der sakralen Neuromodulation geben Elektroden an die Nervenfasern im Kreuzbeinbereich per­ ma­nent Strom ab. Die Verfahren können sowohl bei Spastik der Blase als auch bei chro­nischer Harnretention (Unfähigkeit, die Blase komplett zu entleeren) eingesetzt werden. Auch bei Darmfunktionsstörungen findet die sakra­le Neuromodulation Anwendung.

Beide Verfahren transportieren den applizierten Strom über periphere Nerven und das Rückenmark zum Gehirn, wo der Impuls verarbeitet, in absteigende Nervenim­ pulse umgeleitet und dem Endorgan (Bla­ se/­Darm) zugeführt wird. Aus diesem Grund ist für eine erfolgreiche Therapie ei­ne ausreichende Restfunktion des Rückenmarks notwendig, um die Impulse weiterzuleiten. Es bedarf zunächst einer ausführlichen Diagnostik, um die Art der Funktionsstörung genau zu erfassen und zu klassifizieren. In besonderen Situationen können

Sakrale Neuromodulation Einliegende Elektroden für die Neuromodulation der Sakralnerven S3 mit Impulsgebern

In der Regel wird diese Therapie als Kaskade bzw. als Eskalationstherapie durchge­ führt. Man beginnt mit einem konserva­ tiven Verfahren und wechselt, falls dieses nicht die gewünschte Wirkung zeigt, auf die nächsthöhere bzw. invasive Therapiemethode. 20

Paracontact I Frühling 2022


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