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Aarons Glück im Schnee
KIDSKURS
Schlechtes Wetter, gute Laune: Oberstufenschüler Aaron Brönnimann geniesst einen Skitag in Sörenberg ausgiebig. Ein Augenschein.
Von Peter Birrer
Aaron freut sich auf die Stunden im Schnee und auf die Premiere in diesem Winter. Der erste Skitag in Sörenberg steht an, im Rahmen der Kidskurse, die die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) regelmässig organisiert. Offen stehen diese Kurse allen unter 20 Jahren. Der bald 14-jährige Junge aus Niederlenz AG liebt es, mit dem Monoskibob unterwegs zu sein. Ihn fasziniert das Tempo, er mag auch den Austausch mit dem Skilehrer.
Aaron weiss eigentlich, was ihn erwartet und wie es funktioniert mit dem Gerät. Trotzdem ist sein Respekt spürbar, weil im vergangenen Jahr kein einziger Skitag mit ihm stattfand. Also fragt er sich in den Tagen zuvor: Kann ich es überhaupt noch? Schaffe ich es, ohne fremde Hilfe den Hang hinunterzufahren?
Am frühen Morgen verliert Aaron nicht viele Worte. Spürbar ist die Anspannung, aber die verfliegt dann sehr schnell. Franz Schöpfer kümmert sich um ihn, ein Routinier aus dem Team der Skilehrer, die im Auftrag der SPV die Teilnehmenden unterrichten – und mit ihnen Spass haben.
Passendes Material schnell gefunden
Vor der ersten Abfahrt geht es in den Skiraum der SPV in der Bergstation Rossweid. Aaron ist seit seinem letzten Skikurs merklich gewachsen, also heisst das: Er benötigt einen grösseren Monoskibob. Das geschulte Auge der Spezialisten findet nach wenigen Minuten das passende Material: eine Schale, die eine kompakte Sitzposition gewährleistet, dazu der richtige Ski. Dem Vergnügen steht nichts mehr im Weg.
Hilfsbereit
Aaron Brönnimann kommt am 15. März 2008 mit Spina bifida zur Welt. Der offene Rücken wird ein erstes Mal gleich nach der Geburt in Zürich operiert. Doch die Beeinträchtigung hält den Bub nicht davon ab, ein abwechslungsreiches Leben zu füh-
Gemeinsamer Spass Aaron Brönnimann mit Skilehrer Franz Schöpfer

ren. Ein paar Schritte kann er zwar gehen, aber nur unter grosser Anstrengung. Er gewöhnt sich an den Rollstuhl und bewegt sich damit mit Leichtigkeit fort. Er spielt Klavier, liest oft und zeichnet gerne, vor allem Gesichter. Er besucht die Oberstufe, zieht Mathematik dem Französisch vor und gehört zu den vifen seiner Klasse.

Ausgeprägt ist seine soziale Ader. Wenn auf dem Schulweg ein Kollege eine Velopanne hat, lässt er ihn nicht einfach stehen, sondern bemüht sich um Hilfe. Er hört aufmerksam zu, wenn jemand eine Sorge mit ihm teilen möchte. Und im Sport tut er sich schwer, im Wettkampf einen Konkurrenten zu überholen, der mit einem technischen Defekt zu kämpfen hat. Nur eines will Aaron nie: dass jemand Mitleid mit ihm hat.

«Solche Gäste habe ich gern»
So ist das auch an diesem Dezembertag in Sörenberg, der wettermässig kaum unfreundlicher sein könnte. Der Himmel ist wolkenverhangen, der Regen erfordert einiges an Durchhaltewillen. Nur: Wer lässt sich von den widrigen Bedingungen schon abhalten? Schon nach den ersten Minuten benötigt er keine Unterstützung mehr: Aaron findet rasch das Gefühl für den Monoskibob und meistert die Hänge so selbstständig wie elegant.
Skilehrer Franz Schöpfer begleitet ihn auf jeder Fahrt, gibt wertvolle Tipps, die dem Schüler helfen, seine Technik zu verfeinern. Die zwei klopfen auch Sprüche oder diskutieren ernsthafte Themen. Das ist es, was Aaron gefällt: «Wir reden oft über Gott und die Welt.» Franz Schöpfer wiederum sagt: «Solche Gäste habe ich richtig gern. Nicht nur Aaron profitiert, sondern auch ich. Weil mir meine Aufgabe dank ihm auch nach so vielen Jahren noch riesigen Spass macht.»
Hauptberuflich ist Franz Schöpfer – wie die meisten im Team der Skilehrer – als Landwirt in der Region tätig. Und wie alle, die in einem SPV-Kurs Skilektionen erteilen, hat auch er eine spezielle Ausbildung absolviert. Dazu gehört zum einen ein praktischer Teil. Er muss selber in der Lage sein, in einem Mono- oder Dualskibob zu fah-
Das Material wird angepasst
Aaron Gute Laune trotz Regenwetter
ren und sich mit einem Bügellift auch den Berg hochziehen zu lassen. Er hatte einen fünftägigen Praxiskurs absolviert, an dessen Ende er eine Prüfung ablegte. Zum anderen muss sich eine Lehrperson auch theoretische Kenntnisse aneignen und etwa Bescheid über die unterschiedlichen Lähmungsgrade wissen.
Die SPV legt Wert auf Qualität
Skifahren ist überaus beliebt, «die Sportart Nummer eins», sagt Thomas Hurni, Leiter Breitensport und Sportartmanager der SPV, «Menschen im Rollstuhl können so auch im Winter sportlich an der frischen Luft aktiv sein.» Die enorme Popularität lässt sich bereits mit der hohen Nachfrage belegen. Allein in Sörenberg finden pro Winter rund 50 Kurstage statt, dazu kommen zehn in Villars-sur-Ollon, und in Airolo wird jeweils ein Wochenende organisiert. «Wichtig ist uns, dass wir Qualität bieten können», sagt Thomas Hurni, «darum setzen wir bewusst auf eine 1:1-Betreuung: Pro teilnehmende Person ist ein Skilehrer verantwortlich.»
In Sörenberg funktioniert alles unkompliziert und in vorzüglicher Ambiance. Mit guter Laune wird der Dauerregen verdrängt, und am Mittag wird Energie getankt für den zweiten Teil des Tages. Aaron sitzt mit seinen Freunden Adrian und Dario im Bergrestaurant vor dem obligaten Teller mit Chicken-Nuggets und Pommes frites, serviert von den Skilehrern. «Es gibt Unangenehmeres als schlechtes Wetter», sagt Aaron. Die zwei, die mit ihm am Tisch sitzen, nicken. Auch ihnen käme es nicht in den Sinn, den Tag abzubrechen.
Diese positive Ausstrahlung der jungen Skifahrer ermuntert auch Thomas Hurni, sich weiter unermüdlich zu engagieren. Der frühere Sportlehrer erzählt von einem Teilnehmer, der im Skiraum einmal mit feuchten Augen sagte: «Ich hätte nie ge-
Gesellige Runde am Mittagstisch
glaubt, dass ich je wieder Ski fahren kann.» Möglich gemacht wird vieles, die Skilehrer sind auch Tüftler und können auf rund 40 verschiedene Sitzschalen zurückgreifen – diese Schalen sind für Menschen mit einer Beeinträchtigung das, was für Fussgänger die Skischuhe sind. Ein kompletter Mono- oder Dualskibob kostet gegen 8000 Franken. «Es braucht manchmal ein ziemliches Improvisationsvermögen», sagt Thomas Hurni, «und wir wissen, dass wir uns in Sörenberg auf eine eingespielte Gruppe von Skilehrern verlassen können.»
Im Februar wieder nach Sörenberg
Nach einer kurzen Aufhellung in Sörenberg kehrt der Regen zurück. Aber die jungen Sportler können kaum genug bekommen. Um 14.30 Uhr aber ist Schluss. «Ich bin überrascht, wie gut es gelaufen ist», sagt Aaron Brönnimann strahlend, «ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn wir noch weitergefahren wären.» Franz Schöpfer klopft seinem Schüler zufrieden auf die Schulter. Es ist auch ihm ein Vergnügen gewesen.
Sabine Brönnimann spürt, wie glücklich ihr Sohn ist. Auf der Heimfahrt schwärmt er vom Skitag und bittet seine Mutter, ihn gleich wieder anzumelden. Den Wunsch erfüllt sie ihm umgehend: Anfang Februar wird Aaron in Sörenberg unterwegs sein. Diesmal gleich während vier Tagen. Und bei hoffentlich prächtigem Wetter.