Paracontact Winter 2021_d

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ROLLSTUHLSPORT

SERIE 4/4: TOKYO 2020

Ungleiche Voraussetzungen Catherine Debrunner und Tobias Fankhauser starteten mit sehr ungleichen Prämissen und Erwartungen in die lang ersehnten Paralympics. Von Nicolas Hausammann

Catherine war in Topform, gestählt aus dem Trainingslager in Papendal. Sie reiste mit der Erwartung, ihre erste Paralympics-­Medaille klarzumachen, nach Tokio. Tobias Fankhauser hingegen sah statt seiner wunderbaren Baselbieter Trainingsstrecke nur die Decke eines Patientenzimmers des SPZ – ein Infekt unterbrach seine Vorberei­ tung jäh. Wie steht es um die Erfüllung eurer eigenen Erwartungen? Catherine: Für mich ist es optimal gelaufen. Ich habe in jeder Disziplin Topleistungen abrufen können. Das grosse Ziel war ei­ne Medaille, welches ich mit Bronze gleich im ersten Rennen erreichte. Gold wollte ich mir eigentlich für Paris 2024 aufsparen (lacht), natürlich nehme ich es aber auch jetzt schon. Tobias: Meine Leistung ist schwierig einzuordnen. Zehn Tage vor den Paralympics lag ich mit einem Infekt, Fieber und Antibiotika im SPZ Nottwil. Lang war gar unsicher, ob ich überhaupt nach Tokio mitreisen kann. Ich konnte wegen der Folgen des Infekts nicht mein volles Leistungsvermögen abrufen. Mit Rang vier im Strassen­ rennen fuhr ich aber für mich das bestmög­ liche Resultat heraus. Da wir Handbiker ausserhalb des Village in einem Hotel nahe der Strecke des «Fuji Speedway» untergebracht waren, fehlte die

Verbindung ins Vil­lage zu anderen Sportarten und Nationen. Das hinterlässt bei mir etwas Wehmut. Wie ist die Stimmung: Aufbruch zum nächsten Ziel oder froh um eine Pause? Tobias: Es ist krass, wie viel mich diese Vorbereitung körperlich und mental gekostet hat. Da braucht es einen Moment, um Energie zu tanken. Mein nächstes Ziel dreht sich daher ums Studium. Die sportlichen Ziele sind noch offen. Es kommt darauf an, wie stark meine Motivation und der Rückhalt auf verschiedenen Ebenen sind. Catherine: Ich geniesse es gerade sehr im Kreise meiner Familie und meines Göttibubs zu sein, die mich erden nach den gan­ zen emotionsgeladenen Ereignissen. Da­ her gibt es eine kleine Pause mit einigen Urlaubstagen. Dann heisst es aber Vollgas nach Paris – es sind ja nur drei Jahre. Thema Druck: Wie geht ihr damit um, und stellte sich bei euch eine Art Olympiadepression ein? Catherine: Ich konnte meine Lockerheit be­halten und frei in die Rennen starten. Nach der Bronzemedaille gings sowieso fast wie von selbst. Olympiadepression ist bei mir daher eher unwahrscheinlich. Mei­ ne Familie hilft mir sehr, mich hier geborgen zu fühlen und Ruhe zu finden.

Tobias: Der Qualifikationsdruck war bedingt durch meine Gesundheitsprobleme dieses Jahr fast grösser als derjenige der Paralympics selbst. Andere Athleten hatten da sicher mehr Druck und Erwartungshal­ tung von aussen. Ich habe die tolle Stim­ mung mit meinen Handbike-Amigos sehr genossen und konnte unbeschwert in mei­ ne Rennen starten. Nach den Paralympics bin ich aber froh, etwas Distanz zur Sportwelt zu gewinnen. Was bleibt von den Spielen speziell in Erinnerung? Tobias: Die ersten Tage waren nur mit viel Humor zu überstehen. Wir haben immer gehört, wie akribisch die Japaner arbeiten und welch Organisationstalente sie seien. Dann waren da zehn Volunteers vor Ort, aber kein rollstuhlgängiger Bus, als wir auf die Rennstrecke wollten. Catherine: Samantha Kinghorn habe ich vor meinem Goldrennen im Call Room ge­sagt: «Let’s beat the Chinese today.» Nach dem Rennen hat sie mir erzählt, sie habe in der Schlusskurve an meine Worte gedacht und die Gegnerin nicht vorbeigelassen. Schön, dass es trotz Konkurrenz solche Freundschaften gibt. Kurz vor Druck des Heftes hat sich Tobias Fankhauser zum Rücktritt entschlossen. Eine Würdigung seiner Karriere folgt in der nächsten Ausgabe.

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