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Wieder nach Hause

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Hüter der Drachen

Hüter der Drachen

ZUSAMMENHALT

Nach monatelanger Reha im SPZ ermöglicht ein anspruchsvoller Umbau Nico Schmid die Rückkehr ins Elternhaus.

Von Nadja Venetz

Nico Schmid sprang kopfüber in einen See. Das war im Sommer 2020. Der gelernte Zimmermann spielte gerade mit dem Gedanken, zu Hause auszuziehen. Auf den Sprung ins untiefe Wasser folgen elf Monate Reha im Schweizer Paraplegiker-Zentrum. Der junge Tetraplegiker und seine Familie sehen sich plötzlich mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert und schmieden neue Pläne: Der 23-Jährige soll wieder im Elternhaus wohnen können.

Dreh und Angelpunkt

Das Einfamilienhaus in Weggis LU direkt über dem Vierwaldstättersee ist seit jeher Zentrum der Familie Schmid. «Wir haben die Liegenschaft vor 30 Jahren gekauft und diverse Male nach unseren Bedürfnissen umgebaut. Hier sind auch unsere drei Kinder gross geworden. Die beiden Töchter sind mittlerweile ausgezogen, kommen aber oft zu Besuch. Hier versammelt sich die Familie, zu Weihnachten, an Geburtstagen oder sonstigen Feiern», betont Mutter Elisabeth Schmid die Wichtigkeit des Hauses.

Ein Umzug kam nicht in Frage. Gemeinsam mit seinen Eltern entschied sich Nico Schmid, dass er im vertrauten Zuhause leben möchte. «Mein soziales Umfeld hat mich durch diese schwierige Zeit getragen. Durch den Unfall hat sich so viel verändert in meinem Leben. Ich habe gemerkt, dass ich nach Aspekten suche, die immer noch gleich sind wie vorher, mein Elternhaus zum Beispiel.» Und selbst wenn er doch ausziehen sollte, ist es allen Beteiligten wichtig, dass Nico Schmid mühelos auf einen Besuch vorbeischauen kann.

Endlose Stufen

Die Familie entschloss sich für einen aufwändigen Umbau und holte das Zentrum für hindernisfreies Bauen mit ins Boot. Der Kontakt entstand bereits, als Nico in der Reha war. Gemeinsam mit seiner Ergotherapeutin und den Architekten des ZHB fand eine Wohnungsbegehung statt. Die Ausgangslage war nicht ganz einfach. Das Haus steht in Hanglage an einer Quartierstrasse, die sich leicht über Seeniveau befindet. Eine 25m lange Treppe führt zum dreigeschossigen Haus. Parkmöglichkeiten gibt es keine. Auch im Haus selbst sind

Unter dem Haus entsteht die Tiefgarage

zahlreiche Treppen und Schwellen vorhanden. Die Herausforderung bestand darin, das Gebäude von der Strasse bis unters Dach zu erschliessen. Diese Aufgabe sollte ein einziger Lift übernehmen.

Die Architekten des ZHB erarbeiteten nach der Begehung ein Vorprojekt. Dieses sah vor, dass der Hang vor dem Haus abgetragen wird. Unter dem Haus sollte eine Tiefgarage entstehen, von dort sollte ein Lift in alle Stockwerke führen. «Normalerweise erschliessen wir eine Liegenschaft durch einen Lift in einem Anbau. Hier in Weggis jedoch sahen wir die Lösung in einer Tiefgarage, von der aus die Räume von innen zugänglich gemacht werden», erläutert Architekt Philipp Pfäffli die Besonderheiten. Der Plan war gut, die Finanzierung jedoch unklar und schwierig. Die IV finanziert «nur» Treppenlifte. Dieser wäre hier im Aussenbereich angebracht worden. Diese Option schien sowohl den Architekten wie auch der Familie als ungeeignet. Ein Treppenlift über einen solch langen Zugang ist unkomfortabel. Die Person ist Wind und Wetter ausgesetzt. «Das wollten wir Nico nicht antun», erklärt Vater Markus Schmid. Und auch das Parkplatzproblem wäre damit nicht gelöst gewesen.

Finanzierung

Bevor der Umbau starten konnte, musste die Finanzierung geklärt werden. Die Familie Schmid reichte ein Gesuch bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ein. Das ZHB erarbeitete dazu umfangreiche Entscheidungsgrundlagen. Die positive Antwort für eine Teil-Vorfinanzierung traf im Dezember 2020 ein. Ohne diese Unterstützung hätte sich das Projekt nicht realisieren lassen. Mittlerweile liegt auch der Entscheid der IV vor, die sich in Kostenhöhe eines Treppenlifts am Umbau beteiligt. Nachdem die Kostenfrage geklärt war, machte sich das Team des ZHB an die Planung und holte die Baubewilligung ein. Einen Teil der Bauleitung übernahm die Familie selbst, die durch frühere Anpassungen reichlich Umbauerfahrung mitbringt. «Mir macht das grossen Spass», bekennt Markus Schmid. Anfang April begannen die Arbeiten am Haus. Unter dem Haus entstand eine Tiefgarage mit drei Parkplätzen ebenerdig zur Strasse. Von hier aus fährt ein Lift in alle

Umzug

Nico Schmid wohnt endlich wieder bei seiner Familie

Stockwerke. Damit dieser eingebaut werden konnte, wurde eine Dachlukarne aufgesetzt. Das Bad ist rollstuhlgängig und auch der Aussensitzplatz ist barrierefrei zu erreichen. Die vielen Schwellen wurden beseitigt.

«Ich habe ein eigenes Stockwerk für mich allein mit grossräumigem Badezimmer und einem eigenen Wohnzimmer, in dem ich mit meinen Kollegen allein sein kann. So bin ich unabhängig, obwohl ich bei meinen Eltern wohne», freut sich Nico Schmid vor seinem Einzug. «Wir haben schon vor Nicos Unfall als Dreier-WG sehr gut funktioniert», merkt Markus Schmid an. Dennoch wird der Alltag ein anderer. Obwohl die Spitex einen Teil der Pflege übernimmt, ist Nico Schmid auf Unterstützung durch seine Eltern angewiesen.

Wohnen üben

Zwischen der Reha im SPZ und dem Einzug zu Hause wohnte Nico Schmid übergangsweise in der ParaWG in Schenkon LU. Mit drei anderen jungen Rollstuhlfahrern lebte er hier in einer barrierefreien Wohnung. Wo er Unterstützung benötigte, erhielt er diese. Jeder beteiligte sich gemäss seinen Fähigkeiten am Haushalt. Der Einzug in die WG sei ein grosser Schritt gewesen. Erstmals seit dem Unfall war er nicht mehr rund um die Uhr betreut, erinnert sich der junge Tetraplegiker. Er ist überzeugt, dass er hier viel gelernt hat, um selbstständig zu leben. Von Schenkon aus fuhr er regelmässig mit dem Bus nach Nottwil, um in die Physiotherapie oder ins Krafttraining zu gehen oder zu ParaWork, wo er sich mit seiner beruflichen Zukunft befasste. «Es ist ein gutes Gefühl zu erfahren, was alles noch möglich ist.» Im September bei unserem Treffen war die Vorfreude auf die Rückkehr nach Hause indes gross; sowohl bei Nico Schmid selbst als auch bei seiner Familie. «Wir freuen uns sehr, wenn Nico wieder hier wohnen kann, er wieder unter seinen Freunden und in seinem gewohnten Umfeld ist», blickt Markus Schmid nach vorn.

Bauabschluss

Im Spätherbst sind alle Arbeiten abgeschlossen. Markus Schmid erlebte die Zusammenarbeit mit dem Team des ZHB sehr positiv. «Es war eine intensive und kreative Beratung und Begleitung mit hoher Fachkompetenz.» Er ist überzeugt, dass vom Umbau alle profitieren und fügt lachend an: «Auch wir werden nicht jünger.»

Über den Umbau und Nico Schmids Umzug ins neue Zuhause erfahren Sie mehr in unseren Kurzfilmen.

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