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Sepp Zemp
IM GESPRÄCH
Spuren im Schnee
Seit 30 Jahren wird in Sörenberg Monoskibob gefahren. Ein Rückblick mit dem Initiator und früheren Koordinator Sepp Zemp.
Von Gabi Bucher
Sepp Zemp, von allen Söpp genannt, Landwirt aus Schüpfheim und Vater von drei Kindern, war jahrelang Schneesportlehrer und Koordinator der Monoskibobkurse in Sörenberg. Wie kein anderer hat er diesen Sport geprägt.
Wie kam der Monoskibob nach Sörenberg?
André Deville hat den Monoskibob nach Sörenberg gebracht. Ich lernte André in der Schneesportschule Sörenberg kennen. Er war von 1980 bis 1997 Ressortchef Rollstuhlsport der SPV und förderte meinen Bruder Erwin in der Leichtathletik und im Schiessen, nachdem dieser 1976 in den Rollstuhl kam. 1987 besuchten die beiden in Engelberg einen Workshop über Skiunterricht für Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Da wurden Wintersportgeräte vorgestellt, das waren unmögliche Dinger, viel zu schwer und ungelenk. Ein Walliser Skilehrer, Raymond Schneebeli, war aber daran, Monoskibobs zu konstruieren. Diese waren revolutionär, eine Sitzschale auf gefedertem Unterteil mit Scherengitteraufbau (Söpp zückt einen alten Artikel mit einem sehr jungen Peter Gilomen in einem dieser Bobs). Der Walliser Paraplegiker Jacques Blanc fuhr diesen Bob. André lud ihn ein, damit er ihn in Sörenberg präsentiert. Danach stellte Raymond Schneebeli uns fünf bis sechs Bobs zur Verfügung und wir begannen mit dem Unterricht.
Ihr habt mit dem Unterricht begonnen ohne Ausbildung und Erfahrungen?
Einerseits waren wir ja alle Skilehrer, aber wir haben den Bob natürlich zuerst selber ausprobiert. Ich sass drin, André las vor, Das Seil am Bob gibt Sicherheit
was wie gemacht werden soll und mein Cousin Joseph Schmid stand daneben und schaute zu. Ich habe schnell gemerkt, dass wir etwas finden mussten, was künftige Fahrerinnen und Fahrer unterstützt, damit der Bob nicht davonfährt oder sie umfallen. So ist die Idee mit dem Seil entstanden, mit dem wir Anfänger sichern und unterstützen. Das war unsere eigene Methode. Anderswo übten die Fahrerinnen in einer Art Senke, dort konnten sie aber nicht wirklich fahren, nur sich drehen und sich nach hinten und vorne schieben. Auf der richtigen Piste waren sie dann oft überfordert. Unsere Methode mit dem Seil gefiel jedoch nicht allen. Wir durften uns den Vorwurf anhören, wir würden die Leute von uns abhängig machen und wir sollen sie von Anfang an alleine fahren lassen. Aber unsere Teilnehmenden hatten Freude und waren am Abend jeweils noch einigermassen heil (lacht). Das Seil verleiht Sicherheit und nimmt die Panik. Wenn wir es loslassen, begleiten wir die Anfängerinnen und Anfänger an der unteren Seite des Bobs auf derselben Höhe, damit sie wissen, dass sie jetzt selbstständig unterwegs sind.

Wann fanden die ersten Kurse statt?
Im März 1991 hatten wir die ersten Gäste im Sörenberg, das waren Andi Gautschi und Vreni Stöckli. Sie kamen mit Monika Schachschneider, damals Sportlehrerin im SPZ. Monika war jeweils ziemlich nervös, wenn sie mit Patienten bei uns war. Das war aber verständlich, sie wollte sie unbedingt wieder heil mit nach Hause nehmen. Dann kam bald Ursula Joss ins Spiel, sie war damals bei der SPV zuständig für den Breitensport. Sie wurde unsere Ansprechpartnerin und organisierte Drei- und Fünf-TagesKurse und Schnuppertage, da ging es dann so richtig los.
Ihr habt eure Methode auch in Italien vorgestellt, wie kam das?
Ursulas damaliger Partner hatte Verbindungen nach Italien und er erzählte dort von unserer Methode. Die Italiener wollten sehen, wie wir das machen, und so sind Joseph Schmid und ich runtergefahren ins Val Zoldana mit viel Material und vier Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern. Das war im Dezember 1993. Die italienischen Instruktoren blieben skeptisch, bis wir ihre
Tüftlergeist und Monoskibob-Pionier
Fahrer ans Seil nahmen. Nach vier Tagen fuhren alle selbstständig. Bei diesem Event war die Skischule von Cortina auch vor Ort und lud uns ein, drei Wochen später bei ihnen einen Kurs durchzuführen. Da sie dort nur Italienisch sprachen, liessen wir uns vorgängig die wichtigsten Sätze für die Ausbildung auf Italienisch übersetzen und übten diese, damit wir uns einigermassen verständigen konnten. Im Notfall hätte aber einer der Skilehrer etwas Deutsch verstanden.
Nun hat sich ja einiges verändert an den Bobs in dieser Zeit?
Verschiedene Firmen fingen an, Bobs zu bauen. Einige hörten wieder auf, weil der Markt zu klein war. Ende der Neunzigerjahre wurden die Kinderbobs populär durch Maria Walliser und ihre Tochter Siri. Dann folgten die ersten Dual-Bobs mit zwei Skiern. Vor zirka sechs Jahren begann Simon Weber, Maschineningenieur und Mitentwickler der Stoos-Bahn, ebenfalls Bobs zu bauen. Die waren designt «bis a Bach abe». Er brachte uns Modelle vorbei und wurde bei seinem nächsten Besuch kreidebleich, als er sah, wie wir seine Designerstücke mit Löchern und Drähten versehen haben.
War er beleidigt?
Nein, im Gegenteil, er hat schnell begriffen, dass jeder bei uns ein Einzelfall ist. Er hat mittlerweile das «Impulse»-Fahrwerk kreiert. Die Bohrungen sind so angebracht, dass wir alle Schalen draufsetzen können. So ist dasselbe Modell auch für hohe Schalen möglich, was uns sehr entgegenkommt. Wir sind Verfechter von hohen Schalen, du gehst ja auch nicht mit Halbschuhen Skifahren. Sobald die Fahrerinnen und Fahrer mehr Halt haben, kann man die Schalen mit der Stichsäge zurechtschneiden oder etwas rausnehmen, falls es drückt. Wir haben in Sörenberg jetzt zehn bis zwölf solche «Impulse»-Fahrwerke und können von 50 Schalen auswählen, je nach benötigter Höhe und Breite. Wir tüfteln viel: an den Dämpfungssystemen, der Verlagerung des Gewichts, den verschiedenen Positionen der Sitzneigung, und haben auch viele verschiedene Skier, die man ausprobieren kann.
Welche Rolle spielt der Ski beim Bob?
Der Ski spielt eine sehr grosse Rolle. Wenn er zu hart und in der Torsion zu steif ist, wird das Fahren schwierig. Ich sehe schon nach den ersten Minuten, ob sich ein Ski eignet oder nicht. Manchmal wollen die Fahrer ihren eigenen Lieblingsski fahren und müssen dann einsehen, dass der sich nicht eignet für den Monobob. Eine Fahrerin brachte mal ihren eigenen, präparierten und geschliffenen Ski, kam aber nicht zurecht damit. Ich bot ihr einen von uns an und gab vor, er sei ebenso präpariert und frisch geschliffen wie der ihre. Es funktionierte wunderbar. Der Ski hatte aber seit zwei Jahren keine Feile gesehen und war total rund und weich, ich musste sie etwas anlügen, damit sie dem Ski eine Chance gab! Simona de Agostini fuhr mal drei Tage hier, dann wollte sie am vierten Tag ihren Lieblingsski ausprobieren, den sie als Fussgängerin benutzt hatte, aber damit ging rein gar nichts mehr. Das erleben wir häufig. Oft liegts am Ski und nicht am Fahrer, wenns nicht klappt.
Ihr konntet bestimmt viele Erfahrungen sammeln in den letzten Jahren?
Wenn wir nach den Kursen am Abend jeweils gemeinsam im Auto nach Hause fuhren, sprachen wir über nichts anderes als darüber, was alles gelaufen ist. Jeder hat profitiert von der Erfahrung des anderen und ich habe 30 Jahre lang jeden Tag etwas Neues gelernt. Jede Person ist anders, es kommt auf die Lähmungshöhe an, auch auf die noch vorhandene Beweglichkeit. Wenn man anfänglich alles abklärt, kann man das Optimum herausholen. Und ich habe oft einen unserer Skilehrer gebeten, sich in den Bob zu setzen, ohne zu erklären, worum es ging. So konnte ich beobachten, was wie funktioniert und viel lernen dabei. Einer meiner Leitsätze ist: «Die Nebenwirkungen der Massnahme sind grösser als die Massnahme selber.» Nehmen wir an, wir wollen gegen den Berg kippen und es funktioniert nicht, dann bitte ich die Fahrerin, mit dem bergseitigen Arm breit zu werden und schon beginnt sie leicht zu kippen.

Was waren die schönsten Momente für dich in all diesen Jahren?
Es gab jeden Tag schöne Momente. Am Abend hast du immer mehr bekommen, als du gegeben hast. Schöne Momente waren zum Beispiel auch die Sessellift-Trainings in Grindelwald und in den Flumserbergen. Wir hatten damals noch keine Sessellifte in Sörenberg. Oder all die Momente mit den Kollegen und Ursula, wenn wir in der Schwarzenegg noch Kaffee tranken und sich dann die Talfahrt ziemlich lustig gestaltete. Und die vielen schönen Begegnungen – Daniela Jutzeler war bei uns, Edith Hunkeler auch. Und Manuela Schär kam als kleines Mädchen schon vorbei. Sie hatte damals ein Klettband um die Beine, an diesem konnten wir sie aufheben und in den Bob transferieren, so klein und zart war sie. Und wenn sie jeweils den Helm auszog und ihr Käppi überstülpte, musste ihr Rossschwanz immer durch die Öffnung des Käppis gezogen werden. Sie ist eine gute Skifahrerin, mit etwas Training wäre sie sofort vorne mit dabei! Ich habe sie und Marcel Hug im Jugendskilager in der Lenk betreut. Einmal lud die Firma Rossignol den italienischen Skirennfahrer Alberto Tomba als Gast an die Eröffnungs-
Ein Herz für grosse und kleine Schützlinge
feier ein. Die Kids waren alle total aus dem Häuschen. Paul Berlinger, Vertreter von Rossignol Ski und ich haben abgeklärt, ob Alberto ein Autogramm auf Manuelas und Marcels Jacken geben würde. Marcel hat seine Jacke ohne viel Worte ausgehändigt, Manuela aber hat gesagt: «Äuä chuum, der muss mir meine Jacke nicht verkritzeln, ich bin nicht Tomba-Fan.»
Du bist ja seit ein paar Jahren nicht mehr Koordinator der Kurse in Sörenberg. Wie war es für dich, die Leitung abzugeben?
Natürlich war es nicht ganz einfach, aber es ist der Lauf der Dinge. Richard Studer und Fabian Emmenegger führen jetzt den Laden. Richard kümmert sich mehr um die Administration, Fabian ist der «Stallchef» auf der Rossweid und wartet vor allem das Material. Ich weiss, dass sie alles in meinem Sinn weiterführen, mit den nötigen Veränderungen und Anpassungen. Sie haben ein super Team um sich und ich verstehe mich bestens mit ihnen. Wenn sie mich brauchen, helfe ich jederzeit gerne aus und gehe ab und zu vorbei und schaue zu. Jetzt kann ich aber vermehrt selber Ski fahren.
Ein herzliches Dankeschön!
Sepp ist massgeblich dafür verantwortlich, dass das Skiangebot in Sörenberg das ist, was es heute ist, auch wenn er selbst, bescheiden wie er ist, diesen Erfolg als Teamleistung bezeichnet. Für ihn ist sein unermüdlicher Einsatz selbstverständlich. Söpp ist überall gern gesehen und geschätzt, wohl nicht zuletzt, weil er sich ganz auf sein Gegenüber konzentriert und sich von nichts ablenken lässt. Rollstuhlfahrer fragt er anfänglich, was noch möglich ist, was sie noch spüren, wo allfällige Probleme liegen. In seinen Pausen setzt er sich zu den Fahrerinnen, hört zu und erlaubt sich auch den einen oder anderen Spruch, immer mit dem nötigen Respekt. Denn Söpp sitzt durchaus auch der Schalk im Nacken. Legendär ist die Aussage zu Weisungen der Ansprechpartner bei der SPV: «Wenn sie was sagen, nicken wir alle und sagen ja, ja. Und dann machen wir es so, wie wir es für richtig halten.» Unvergesslich auch sein «Computer», ein kleines Büchlein, welches er in der Brusttasche seiner Jacke aufbewahrt und in dem all seine wichtigen Daten «gespeichert» sind.
Söpp hat unzählige Stunden in den Skisport investiert. Seine Begeisterung für die Sache ging so weit, dass er mit einem Preis, den ihm der Kiwanis-Club verliehen hatte, einen neuen Bob kaufte. Das ist Söpp, wir danken ihm von Herzen für alles und hoffen, ihn immer wieder und noch möglichst lange anzutreffen für einen Schwatz, um Erinnerungen auszutauschen und uns eine seiner vielen Geschichten anzuhören.