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Querschnittgelähmte des Jahres
QUERSCHNITTGELÄHMTE DES JAHRES
Galina Gladkova und Karl Emmenegger
Anfang September ehrte die Schweizer Paraplegiker-Stiftung zum 28. Mal in Nottwil zwei Querschnittgelähmte.
Von Gabi Bucher
Am 5. September, dem internationalen Tag der Querschnittgelähmten, wurden die Basler Ballett-Lehrerin Galina Gladkova-Hoffmann und der frühere Lebens- und Laufbahnberater Karl Emmenegger zu den Querschnittgelähmten der Jahre 2020/21 gewählt.
GALINA GLADKOVA
Geboren: 15.6.1959
Behinderung:
Tetraplegikerin Beruf: Choreografin und Tanzlehrerin, dipl. Kulturmanagerin MAS Uni BS, dipl. Kontrabassistin Hobbys: Fotografie, Musik, Automobilsport
Der lange Weg
Galina Gladkova wurde in Kanada als Kind russischer Eltern geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Toronto und begann früh mit Tanzen. Der bekannte Schweizer Choreograf Heinz Spoerli lud sie nach einem anspruchsvollen Vortanzen in New York nach Basel ein. Sie tanzte viele Jahre als Solistin beim Basler Ballett, später beim Luzerner Ballett, dem Schweizer Kammerballett, dem Cathy Sharp Dance Ensemble und anderen.
1995 wurde sie in Frankreich von ihrem Pferd geworfen. Der Sturz machte sie zur Tetraplegikerin. Sie habe sofort realisiert, dass sie «in big trouble» sei. «Gleich zwei Rettungsfahrzeuge kamen zum Einsatz, da wir eine Departementsgrenze überqueren mussten», erinnert sie sich. Nach der lebensrettenden Operation im Unispital Besançon hätten sie gut zu ihr geschaut, aber es sei die Hölle gewesen in einem Zimmer ohne Klimaanlage und einer Aussentemperatur von 34 Grad. «Wenn ich das überlebe, schaffe ich alles», habe sie damals gedacht. Die Rega verlegte sie nach einer Woche nach Nottwil. «Die Ärzte haben nicht schlecht gestaunt, als ich im Helikopter während des Flugs ‹It’s a long way to Tipperary, it’s a long way to home› gesungen habe.»
Leidenschaft Tanz
In Nottwil empfing sie Guido A. Zäch. «Er sagte mir, jetzt werde es schwer, aber es werde alles wieder gut.» Und so sei es gekommen, das könne sie heute, 26 Jahre später, bestätigen. Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum traf sie den Berufsberater Karl Emmenegger. «Schön, dass wir heute zusammen geehrt werden», freut sie sich. «Als er damals mein Dossier sah, meinte er, eine Balletttänzerin im Rollstuhl, das werde kompliziert.» Aber sie liess sich ihre Passion fürs Tanzen durch den Unfall nicht nehmen. «Tanzen und Querschnittlähmung müssen sich nicht gegenseitig ausschliessen.» Und so arbeitet sie seit ihrer Rehabilitation weiter als Choreografin und Tanzlehrerin. 1999 gründete sie «Mudance» im Schloss von Villersexel, im 2006 ihre eigene «Basel Dance Academy», leitet diese noch heute als Direktorin und Choreografin und bildet junge Profitänzer inklusive Maturaabschluss aus. Durch das Tanzen habe sie die Lebenslust wieder gefunden. «Hätte ich den Tanz nicht, würde ich mich nur auf meine körperlichen Einschränkungen konzentrieren und nicht darauf, was ich machen kann! Mein Beruf ist meine Leidenschaft und trägt mich.» Und sie ist überzeugt: «Es geht nicht um Akzeptanz, sondern um Anpassung, darum, den Mut zu haben, sich auf das neue Leben einzulassen.»
Russischer Toast mit Weisswein
Heidi Hanselmann, Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, zeigte sich in ihrer Laudatio beeindruckt. «Trotz ihres Schicksalsschlages bleibt Galina GladkovaHoffmann ihrer Leidenschaft treu und gibt ihre Motivation und ihr Flair für das Tanzen an junge Menschen weiter, damit auch sie im Tanz ihre Erfüllung finden.» Sie lebe Inklusion täglich und inspiriere damit zahlreiche Mitmenschen. «Das verdient grossen Respekt.» Galina Gladkova zeigte sich gerührt über die unerwartete Ehrung. Sie hat Dr. Guido Zäch für seine geniale Weitsichtigkeit gedankt und alle Gäste gebeten, sich nach russischem Brauch zu einem Toast zu erheben, zwar ohne Wodka, aber mit viel Emotionen.
KARL EMMENEGGER
Geboren: 19.2.1952 Behinderung: Paraplegiker Beruf: dipl. Berufs- und Laufbahnberater und Jobcoach Hobbys: Modellfliegerei und Saxofon spielen
Das Beste ist der Kopf
Ein Autounfall Mitte zwanzig veränderte das Leben des damaligen Spitzenhandballers Karl Emmenegger schlagartig. Er erinnert sich noch ganz genau an den Unfall, ausgelöst durch einen Sekundenschlaf am Steuer. «Es krachte, ich erwachte und wusste sofort, was Sache ist.» Er habe sich überlegt, sich umzubringen, gleich vor Ort. Eine Art Wachtraum hat ihn davon abgehalten. Im Paraplegiker-Zentrum Basel hat Guido A.Zäch ihn empfangen und ihm Mut zugesprochen, allerdings auch erklärt, er würde nie mehr gehen können. «Und dann hat er angefügt, dass das Beste, was ich habe, mein Kopf sei, der funktioniere noch. Aber für mich war damals mein Körper das Wichtigste, nicht mein Kopf.» Er werde es schaffen, habe Guido A. Zäch gesagt, und wenn mal etwas schieflaufe in seinem Leben, seien sie da für ihn. «Das hat mir Mut gemacht», erinnert sich Karl.
Kommunikativ, authentisch und ehrlich
Karl Emmenegger liess sich zum Erwachsenenbildner umschulen. 1990 erarbeitete er mit Berufskolleginnen und -kollegen ein Konzept, wie sie sich die berufliche Wiedereingliederung Querschnittgelähmter vorstellen. Er unterbreitete den Vorschlag Guido A.Zäch. «Das machen wir, und du wirst der Chef», war seine Antwort. «Ich erwiderte, ich sei kein Berufsberater, da meinte Guido Zäch, dann wirst du es!» So begann seine Karriere. «Karl Emmenegger hat vielen Leuten Mut gemacht und neue Perspektiven aufgezeigt», sagte Heinz Frei in seiner Laudatio. «Als ehemaliger Leiter der ‹ParaWork›, einer Abteilung des SPZ, war Karl Emmenegger massgeblich daran beteiligt, dass die Schweiz in internationalen Vergleichen den Spitzenplatz bei der Integration von Querschnittgelähmten ins Berufsleben einnimmt.» Er habe mit seiner kommunikativen Art unzählige Querschnittgelähmte auf dem Weg zurück ins Leben begleitet. «Er zeigte ihnen auf, worauf man sich vorbereiten muss, und das gelang ihm hervorragend.» Er sei immer authentisch und ehrlich gewesen, habe aber auch vorgelebt, was er von anderen verlangt habe. «Für mich ist er einer der inkludiertesten Querschnittgelähmten überhaupt» schloss Heinz Frei.
Zehn gewonnene Jahre
Karl Emmenegger, von allen Kari genannt, ist und war immer schon direkt und beschönigt nichts. Er gibt unumwunden zu, dass, wenn es eine Möglichkeit gäbe, wieder gehen zu können, er sie sofort wählen würde. «Ich wüsste auch, welche Carving Ski ich dann gleich kaufen würde», lacht er. Gleichzeitig bestätigt er aber, ein völlig gleichwertiges und ausgefülltes Leben zu haben, als wäre er Fussgänger. «Das Wichtigste ist, nicht einen eingefahrenen Weg gehen zu wollen, sondern das Schicksal anzunehmen und daraus einen Gewinn zu generieren.» Er zeigte sich geehrt und auch etwas stolz über die Ehrung. «Ich habe wohl nicht alles falsch gemacht», meinte er schmunzelnd. «Mein Nachfolger Stefan Staubli zieht mein Projekt bei ParaWork in meinem Sinn weiter, das freut mich sehr.» Abschliessend bedankte er sich für die frühzeitige Pensionierung, die ihm das Unternehmen ermöglicht hat. In seiner eigenen Firma ist er zwar immer noch als Berufs- und Laufbahnberater tätig, aber er erlebe jetzt seine schönste Zeit. «Damals sprach man von einer Lebenserwartung von 60 Jahren, die habe ich jetzt um zehn Jahre überschritten und geniesse das Leben in vollen Zügen!»
Herzliche Gratulation
Die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung gratuliert den beiden Querschnittgelähmten der Jahre 2020/21 und bedankt sich für das grosse Engagement zugunsten aller Rollstuhlfahrer.