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SOZIALES & GESUNDHEIT TITELTHEMA

PRIMAR DR. MARKUS KARL HUBER

Die Pandemie deckt große Schwächen auf Die erneute Schließung der psychiatrischen REHA-Abteilung im Krankenhaus Bruneck aufgrund der Corona-Seuche ist ein einschneidender Schritt und deckt große Schwächen in der Sanitätsstruktur auf. Die Seuche hat die Häufigkeit psychischer Erkrankungen erhöht und viele verzweifelte Menschen von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Das wiederum ergibt einen echten Teufelskreis.

von Primar Dr. Markus Karl Huber

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ie Covid-Pandemie führt uns die Schwächen der Gesundheitsversorgung vor Augen. Sie hat die Häufigkeit psychischer Erkrankungen erhöht und viele verzweifelte Menschen von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Ein Vergleich der Todesfälle 2020 in Südtirol, mit dem Durchschnitt der Todesfälle der vorhergehenden fünf Jahre zeigte, dass die durch psychische Störungen und Verhaltensstörungen verursachten Todesfälle um 42,4% angestiegen sind. Todesfälle aufgrund von Krankheiten des Atmungssystems sind vergleichsweise nur um 11,5% angestiegen, jene des Kreislaufsystems gar nur um 3,5% (astatinfo Nr.59/10-2021: https://astat.provinz.bz.it/de/ aktuelles-publikationeninfo.asp?news_action=300&news_image_ id=1123001).

DIE LANGZEITFOLGEN

Bekannterweise entwickelt etwa ein Drittel aller COVID-19-Patienten psychiatrische und/oder neurologische Störungen innerhalb von sechs Monaten nach der Infektion. Dabei ist die Gefahr für eine neu aufgetretene psychiatrische und/oder neurologische Erkrankung im Vergleich zu Grippe-Patienten Wir suchen

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um 78% und im Vergleich zu anderen Atemwegserkrankungen um 32% erhöht (Lancet Psychiatry-Mai 2021). Die vermehrten psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen und Substanzmissbrauch, sind dabei psychosozialen Ursprungs und weniger dem Pathomechanismus der Covid-Infektion geschuldet. Auch psychotische Störungen, wie Halluzinationen und Wahnphänomene kommen bei COVID-19 erkrankten Patienten vor, besonders dann, wenn das Gehirn mitbetroffen ist. Nach Abklingen einer akuten COVID-19 Infektion können Beschwerden wie Müdigkeit, Angst und Depression, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, sowie allgemeine Erschöpfung mit verminderten psychophysischen Belastbarkeit (Fatigue-Syndrom) weiter bestehen. Dieser Beschwerdekomplex wird als Long- oder Post-COVID-19-Syndrom bezeichnet, wenn die Dauer länger als drei Monate beträgt. Die Langzeitfolgen hinsichtlich der Teilhabe am Alltag und Erwerbsleben Betroffener sind derzeit nicht abschätzbar. Andererseits haben die gesellschaftspolitischen Restriktionen durch die COVID-Maßnahmen Menschen in unbekanntem Ausmaß verunsichert und verängstigt. Wie wichtig Sozialkontakte als stabilisierende Faktoren für die eigene Psyche sind, zeigen die deutlich angestiegenen Zahlen psychisch erkrankter Kinder und Jugendlichen i.R der monatelangen Schließung des regulären Schulbetriebs.

ANSPRUCHSVOLLE HERAUSFORDERUNGEN

Weltweit stellen die Themen „Psychische Gesundheit und Psychische Störungen“ eine der anspruchsvollsten Herausforderungen in der Gesundheitspolitik dar. Psychiatrische Erkrankungen sind die häufigsten Ursachen für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension. Verringerte Chancen bei der 8

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Dr. Markus Huber (Psych. Dienst)

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Arbeitssuche, unzureichende Bestimmung über das eigene Leben und eingeschränkte soziale Beziehungen wirken sich besonders negativ auf das Wohlbefinden von Menschen mit psychiatrischen Störungen aus. Umso bedauerlicher ist es, dass die psychiatrische Rehabilitationseinrichtung des Krankenhaus Bruneck erneut wegen Personalmangels mit 01.11.2021 geschlossen werden musste. Psychiatrische Rehabilitation ist unverzichtbar chronisch psychisch kranken Menschen zu helfen ihren Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben, zu sichern. Neben der Verbesserung psychischer Leistungsfunktionen verfolgt psychiatrische Rehabilitation der Vermittlung von Krankheitseinsicht und Bewältigung. Dies beinhaltet nicht nur Symptomkontrolle, sondern vielmehr auch Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben. Dazu gehört die Aussicht auf Arbeit, soziale Beziehungen oder eine eigene Wohnung. Doch Vieles davon ist chronisch psychisch kranken Menschen verwehrt, insbesondere dann, wenn psychiatrische Rehabilitatonseinrichtungen kurzerhand (wenn auch nur vorübergehend) geschlossen werden müssen, gerade in so schwierigen Zeiten wie der Corona-Pandemie. //


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