Hausärzt:in 05/2022

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Hausärzt:in medizinisch

Unfreiwillig wach

Auf dem Weißen Album der Beatles besingt John Lennon (1940–1980) im Lied „I’m so tired“ („Ich bin so müde“) seine Schlafstörungen. „I haven’t slept a wink“ („Ich habe kein Auge zugetan“) beklagt Lennon unter anderem. Laut einer Studie der MedUni Wien haben das viele Österreicherinnen und Österreicher mit dem Musiker gemeinsam. Abgefragt wurden die Schlafprobleme von mehr als 1.000 Personen (davon 50,4 % weiblich) nach den internationalen Klassifikationen von Schlafstörungen (ICSD-3). Demnach leiden fast acht Prozent unserer Landsleute unter chronischer Insomnie. Ein ähnlicher Prozentsatz wurde auch in anderen europäischen Ländern dokumentiert. „Wenn man die Kriterien etwas weicher als ICSD-3 auslegt und die Daten dann auswertet, kommen 8,9 Prozent mit chronischen Insomniesymptomen dazu“, betont der Wiener Schlafforscher Assoc.Prof. Priv.-Doz. Dr. Stefan Seidel. „Nur jeder Zweite mit krankhaften Schlafproblemen hat sich jedoch professionelle Hilfe geholt, was den dringenden Bedarf an besserem Screening und Aufklärung in der Bevölkerung verdeutlicht“, so der Somnologe. Nebst insgesamt schlechter körperlicher und geistiger Gesundheit verursacht die Schlaflosigkeit der Menschen auch hohe Kosten für die Gesellschaft. Mit einem erhöhten Risiko, einen Myokardinfarkt, einen Insult oder

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Mai 2022

eine psychische Erkrankung zu erleiden, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, eine Demenz zu entwickeln.

Insomnie meist psychisch bedingt

zu erreichen. Das kann etwa durch Kognitive Verhaltenstherapie (Schlafedukation, -restriktion, Stimuluskontrolle und Entspannungstrainings) erfolgen. In manchen Fällen kann der Einsatz von Schlafmitteln oder Antidepressiva sinnvoll sein. Bei deren Verträglichkeit gibt es laut dem Schlafmediziner jedoch große individuelle Unterschiede: „Das ideale Medikament, das Betroffenen qualitativ hochwertigen Schlaf ganz ohne unerwünschte Effekte bringt, existiert bisher leider nicht.“ 70 Prozent der Insomnien sind psychisch bedingt. Bei Depressionen zeigt sich etwa häufig das frühmorgendliche Erwachen. Das hat unter anderem eine biologische Basis, nämlich ein Übermaß von Stresshormonen – also den verfrühten Anstieg von Cortisol am Morgen. Bei depressiven Menschen ist außerdem der Melatoninhaushalt (siehe Infobox) gestört, der den Schlafrhythmus bestimmt.

Da stockt der Atem

Bei der chronischen Insomnie sind die Patientinnen und Patienten über einen Chronische Insomnie ist nicht die einZeitraum von mindestens drei Monaten zige Störung, die viele Menschen um dreimal pro Woche oder öfter von Einden Schlaf bringt. Ähnlich verbreitet und/oder Durchschlafstörungen und/ sind die schlafbezogenen Atmungsoder einem frühmorgendlichen Erwastörungen wie die Schlafapnoe. Unterchen betroffen und verspüren deutlich schieden wird bekanntlich zwischen negative Konsequenzen im täglichen der obstruktiven und der zentralen Leben. Apropos Durchschlafen: „Das Form. Bei ersterer handelt es sich um ist ein Mythos, weil es niemals eine Atmungsstörung mit zutrifft. Im Schlaflabor zeigt Verschluss der Atemwege. sich, dass das Gehirn zehn bis Diese tritt vorwiegend in der 15 Mal pro Stunde kurz aufREM-Phase auf. Bei Patienwacht. Dieses Aufwachen ist ten mit zentraler Schlafapnoe Teil unseres Schlafes“, weiß ist die Gehirnfunktion – vor der Somnologe. Allerdings hat allem in der Leichtschlafdas nichts mit einer Schlafphase – gestört, sodass der störung zu tun. Kritisch wird Atemreflex ausbleibt. Die voEXPERTE: es, wenn ein Patient nachts rübergehende Hypoxie ist bei Assoc.-Prof. Priv.-Doz. erwacht und dann lange Zeit der zentralen Variante weDr. Stefan Seidel Oberarzt der Univ.keinen Schlaf mehr findet. niger ausgeprägt als bei der Klinik für Neurologie, Häufige Unterbrechungen obstruktiven. Der SauerstoffMedizinische der REM-Schlafphasen fühmangel begünstigt eine frühUniversität Wien ren zu einem höheren Risiko, zeitige Atrophie des StirnAngststörungen oder Depressionen zu lappens und somit die Entstehung von entwickeln. Es ist also entscheidend, Demenzerkrankungen im Alter. Dem eine Konsolidierung des REM-Schlafs kann man mit CPAP-Atemmasken

© MedUni Wien Felicitas Matern

© shutterstock.com/Sergey Mironov

Schlaflosigkeit ist weit verbreitet


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