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Wenn Juckreiz chronisch wird …

Lebenslauf von Allergien und Neurodermitis: ein komplexes Zusammenspiel exogener und genetischer Faktoren

Die Neurodermitis (atopische Dermatitis) ist eine chronische oder chronisch rezidivierende, nonkontagiöse Erkrankung der Haut mit starkem, schubartig auftretendem Juckreiz als Hauptcharakteristikum. Ihre Morphologie und Lokalisation ist – abhängig vom Alter – unterschiedlich ausgeprägt. Als eine der häufigsten Hauterkrankungen im

Kindesalter manifestiert sich die Neurodermitis bei etwa 50 Prozent der Betroffenen in den ersten sechs Lebensmonaten, bei 60 Prozent der Fälle im ersten Lebensjahr und bei bis zu 90 Prozent der Fälle vor dem fünften Lebensjahr. Im Erwachsenenalter sind ein bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen.

Rolle der genetischen Prädisposition

Neben diversen exogenen Triggerfaktoren spielt insbesondere die genetische Prädisposition bei der Neurodermitis eine wesentliche Rolle: Ist ein Elternteil betroffen, entwickelt ein Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 40 bis 60 Prozent ebenfalls eine Neurodermitis. Leiden Mutter und Vater an einer atopischen Dermatitis, also der gleichen atopischen Erkrankung, so besteht beim Kind ein Erkrankungsrisiko von 60 bis 80 Prozent. Die Wissenschaft geht davon aus, dass verschiedene Gene auf mehreren Chromosomen für die erbliche Neurodermitis-Prädisposition verantwortlich sind. Bei rund 25 Prozent der Patienten kommt es etwa zu Mutationen im Filaggrin-Gen, das für die Bildung der schützenden Barriere in der Epidermis zuständig ist. Diese Genmutationen gehen mit dem für Neurodermitis charakteristischen Barrieredefekt der Haut einher: Die Haut wird zu einer Schwachstelle des Körpers; Krankheitserreger und Allergene können leichter eindringen. Die Betroffenen weisen daher ein besonders hohes Risiko auf, multiple Allergien, Asthma bronchiale oder ein Ekzema herpeticatum als Komplikation zu entwickeln.

Enger Zusammenhang zwischen Allergien und Neurodermitis

Obgleich die Neurodermitis häufig zusammen mit anderen atopischen Erkrankungen auftritt, lässt sie sich nicht automatisch mit Allergien assoziieren. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen extrinsischer und intrinsischer Form der Neurodermitis essenziell. Bei der weitaus häufigeren extrinsischen Form sind Antikörper vom Typ Immunglobulin E (IgE) im Blutserum deutlich erhöht. Liegt diese Art der Neurodermitis vor, kann der Kontakt mit spezifischen Allergenen Erkrankungsschübe triggern oder eine bereits manifeste Erkrankung verschlechtern. Bei der intrinsischen Form der Neurodermitis befindet sich der IgE-Spiegel im Normalbereich – allergische Reaktionen spielen im Zuge der Pathogenese eine untergeordnete Rolle. Langzeitbeobachtungen haben allerdings ergeben, dass es auch durch die Störung der Barrierefunktion der Haut auf lange Sicht zu einer Sensibilisierung und letztlich einer manifesten Allergie kommen kann. Eine frühzeitige Behandlung und im Optimalfall die Vorbeugung der Neurodermitis – ganz gleich, ob extrinsisch oder intrinsisch – sind daher auch in puncto Allergieprävention entscheidend.

Identifikation und Vermeidung von Triggerfaktoren

Davon ausgehend, muss im Zuge der (Differenzial-)Diagnostik eine exakte Anamnese inklusive atopischer Familienanamnese vorgenommen werden. Für den Erfolg des Behandlungsplans ist weiters die Kenntnis der individuellen Provokations- und somit Risikofaktoren wesentlich, um diese entsprechend zu reduzieren respektive gänzlich zu meiden. Zu den häufigsten Triggerfaktoren der Neurodermitis zählen IgE-mediierte Allergien (auf etwa auf Hausstaubmilben, Tierepithelien, Pollen oder Nahrungsmittel), Hautirritationen (durch bestimmte Textilien, Schwitzen, Hygieneprodukte), mikrobielle Faktoren, klimatische Gegebenheiten sowie psychischer Stress bzw. psychologisch-emotionale Faktoren. Außerdem stellt Hauttrockenheit im Rahmen der Neurodermitis ein häufiges Problem dar. Diese kann die Entstehung von Entzündungen, Juckreiz und Brennen begünstigen und einen Barrieredefekt, gefolgt von allergischen Sensibilisierungen, nach sich ziehen. Der konsequente stadiengerechte und individuell an den Patienten angepasste Einsatz von Basistherapeutika, beispielsweise von reinigenden und rückfettenden Hautpflegeprodukten, lindert nicht nur bestehende Symptome, sondern verhindert letztlich auch den Einsatz topischer Kortikosteroide.

Primärprävention bei genetischer Vorbelastung

Besonders im Falle einer genetisch bedingten Neurodermitis ist eine Reduk- >

tion verhaltensbedingter Risikofaktoren bereits während der Schwangerschaft

und der ersten Lebensmonate eines Neugeborenen entscheidend. Im Konkreten trägt etwa der protektive Effekt der Muttermilch zur Primärprävention bei: Die aktuelle Datenlage empfiehlt eine Mindeststilldauer von vier Monaten und eine anschließende schrittweise Einführung von Beikost. Während der Schwangerschaft und Stillzeit gilt es überdies, auf eine ausgewogene und nährstoffdeckende Ernährung zu achten – diätische Restriktionen aus Gründen der Primärprävention sind nicht vorgesehen. Stellt ausschließliches Stillen in den ersten vier Lebensmonaten keine Option dar, sollte eine hypoallergene (HA; partiell oder extensiv hydrolisierte, nicht sojabasierte) Säuglingsnahrung zugeführt werden. Es liegen Hinweise vor, dass Fisch (einmal wöchentlich) in der mütterlichen Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit einen protektiven Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen beim Kind hat. Aufgrund gesundheitlicher Risiken, die auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Allergien stehen können, sollten Übergewicht sowie eine aktive und passive TabakrauchExposition tunlichst vermieden werden. Etwaige Luftschadstoffe und ein schimmelpilzförderndes Klima in Innen- und/ oder Außenräumen sind zu minimieren. In puncto Haustierhaltung stehen vor allem Katzen im Verdacht, das Risiko einer Allergie und einer Neurodermitis zu erhöhen. Nach Kaiserschnitt-Entbindungen ist einem genetisch bedingt erhöhten Allergierisiko besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Impfungen sollten gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) erfolgen.

Von Neurodermitis Betroffene weisen ein besonders hohes Risiko auf, multiple Allergien, Asthma bronchiale oder ein Ekzema herpeticatum als Komplikation zu entwickeln.

Lisa Türk, BA

© shutterstock.com/mentalmind

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