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Unfreiwillig wach

Schlaflosigkeit ist weit verbreitet

Auf dem Weißen Album der Beatles besingt John Lennon (1940–1980) im Lied „I’m so tired“ („Ich bin so müde“) seine Schlafstörungen. „I haven’t slept a wink“ („Ich habe kein Auge zugetan“) beklagt Lennon unter anderem. Laut einer Studie der MedUni Wien haben das viele Österreicherinnen und Österreicher mit dem Musiker gemeinsam. Abgefragt wurden die Schlafprobleme von mehr als 1.000 Personen (davon 50,4 % weiblich) nach den internationalen Klassifikationen von Schlafstörungen (ICSD-3). Demnach leiden fast acht Prozent unserer Landsleute unter chronischer Insomnie. Ein ähnlicher Prozentsatz wurde auch in anderen europäischen Ländern dokumentiert. „Wenn man die Kriterien etwas weicher als ICSD-3 auslegt und die Daten dann auswertet, kommen 8,9 Prozent mit chronischen Insomniesymptomen dazu“ , betont der Wiener Schlafforscher Assoc.Prof. Priv.-Doz. Dr. Stefan Seidel. „Nur jeder Zweite mit krankhaften Schlafproblemen hat sich jedoch professionelle Hilfe geholt, was den dringenden Bedarf an besserem Screening und Aufklärung in der Bevölkerung verdeutlicht“ , so der Somnologe. Nebst insgesamt schlechter körperlicher und geistiger Gesundheit verursacht die Schlaflosigkeit der Menschen auch hohe Kosten für die Gesellschaft. Mit einem erhöhten Risiko, einen Myokardinfarkt, einen Insult oder eine psychische Erkrankung zu erleiden, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, eine Demenz zu entwickeln.

Insomnie meist psychisch bedingt

Da stockt der Atem

Bei der chronischen Insomnie sind die Patientinnen und Patienten über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten dreimal pro Woche oder öfter von Ein- und/oder Durchschlafstörungen und/ oder einem frühmorgendlichen Erwachen betroffen und verspüren deutlich negative Konsequenzen im täglichen Leben. Apropos Durchschlafen: „Das ist ein Mythos, weil es niemals zutrifft. Im Schlaflabor zeigt sich, dass das Gehirn zehn bis 15 Mal pro Stunde kurz aufwacht. Dieses Aufwachen ist Teil unseres Schlafes“ , weiß der Somnologe. Allerdings hat das nichts mit einer Schlafstörung zu tun. Kritisch wird es, wenn ein Patient nachts erwacht und dann lange Zeit keinen Schlaf mehr findet. Häufige Unterbrechungen der REM-Schlafphasen führen zu einem höheren Risiko, Angststörungen oder Depressionen zu entwickeln. Es ist also entscheidend, eine Konsolidierung des REM-Schlafs

zu erreichen. Das kann etwa durch Kognitive Verhaltenstherapie (Schlafedukation, -restriktion, Stimuluskontrolle und Entspannungstrainings) erfolgen. In manchen Fällen kann der Einsatz von Schlafmitteln oder Antidepressiva sinnvoll sein. Bei deren Verträglichkeit gibt es laut dem Schlafmediziner jedoch große individuelle Unterschiede: „Das ideale Medikament, das Betroffenen qualitativ hochwertigen Schlaf ganz ohne unerwünschte Effekte bringt, existiert bisher leider nicht. “ 70 Prozent der Insomnien sind psychisch bedingt. Bei Depressionen zeigt sich etwa häufig das frühmorgendliche Erwachen. Das hat unter anderem eine biologische Basis, nämlich ein Übermaß von Stresshormonen – also den verfrühten Anstieg von Cortisol am Morgen. Bei depressiven Menschen ist außerdem der Melatoninhaushalt (siehe Infobox) gestört, der den Schlafrhythmus bestimmt. Chronische Insomnie ist nicht die einzige Störung, die viele Menschen um den Schlaf bringt. Ähnlich verbreitet sind die schlafbezogenen Atmungsstörungen wie die Schlafapnoe. Unterschieden wird bekanntlich zwischen der obstruktiven und der zentralen Form. Bei ersterer handelt es sich um eine Atmungsstörung mit Verschluss der Atemwege. Diese tritt vorwiegend in der REM-Phase auf. Bei Patienten mit zentraler Schlafapnoe ist die Gehirnfunktion – vor allem in der Leichtschlafphase – gestört, sodass der Atemreflex ausbleibt. Die voEXPERTE: rübergehende Hypoxie ist bei Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Stefan Seidel der zentralen Variante weOberarzt der Univ.- niger ausgeprägt als bei der Klinik für Neurologie, Medizinische obstruktiven. Der SauerstoffUniversität Wien mangel begünstigt eine frühzeitige Atrophie des Stirnlappens und somit die Entstehung von Demenzerkrankungen im Alter. Dem kann man mit CPAP-Atemmasken

© MedUni Wien Felicitas Matern

(„continuous positive airway pressure“) entgegenwirken. Andere Schlafprobleme sind die zentralen Hypersomnolenzsyndrome. „Der Klassiker unter diesen Erkrankungen ist die Narkolepsie“ , erläuterte der Schlafforscher unlängst im Rahmen eines MeinMed-Webinars*. Sie äußert sich vor allem durch extreme Tagesschläfrigkeit und Kataplexien. Ausgelöst werden kann das Leiden durch Infektionen, aber auch durch bestimmte Trigger, etwa bei der Impfung gegen das Influenza-A-Virus H1N1 in der Grippesaison 2009/2010. Aufgrund einer autoimmunologischen Inflammationsreaktion gehen die Orexinneuronen im Hypothalamus zugrunde. Diese Erkrankung tritt sehr häufig im Teenageralter auf und bleibt oft lange unerkannt. Behandelt werden können die Symptome der Narkolepsie medikamentös, beispielsweise mit Modafinil, Pitolisant oder Solriamfetol. Günstig ist auch eine Kombination mit strategisch gesetzten Powernaps, um Schlafdruck abzubauen. Bei den zirkadianen Schlaf-wach-Rhythmus-Störungen laufen der endogene Schlaf-wach-Rhythmus und der äußere Licht-dunkel-Zyklus versetzt ab. Häufig können irreguläre Schlaf-wach-Phasen Bewohner von Pflegeheimen betreffen, in denen es keinen klaren Tagesablauf für die Menschen gibt, aber auch Personen, die von Geburt an blind sind. Schlafbezogene Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom werden klinisch diagnostiziert. Typisch dafür sind Missempfindungen sowohl in den Beinen – häufig im Bereich knapp unter dem Knie – als auch in den Armen. Hierbei spielt ein profunder Eisenmangel im Gehirn eine Rolle, aber auch eine genetische Disposition. Gewisse Medikamente, Durchblutungsstörungen, Schwangerschaft, neurologische Erkrankungen (MS oder Migräne) und chronische Niereninsuffizienz können das Restless-LegsSyndrom ebenfalls provozieren. Dabei kommt es zu einer Unausgewogenheit in den Botenstoffsystemen (Dopamin, Adenosin, Glutamat). Last, but not least gibt es unter den Schlafstörungen noch die Parasomnien. Diese umfassen die Somniloquie, die Confusional Arousals, den Somnambulismus, die Sexsomnie sowie den Pavor nocturnus. Aufschluss über die Art der Schlafstörung kann eine Polysomnographie geben, sie ist jedoch nur ein Instrument auf dem Weg zu besserem Schlaf. „Viele kommen ins Schlaflabor und glauben, wir könnten sagen, warum sie schlecht schlafen, aber das Schlaflabor kann keine Hinweise auf die Kausalzusammenhänge geben. Bei Schlafproblemen ist Präzisionsmedizin erforderlich. Jeder Mensch reagiert anders auf das Problem“ , so Prof. Seidel.

MELATONIN

Das Hormon Melatonin ist an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt. Im zunehmenden Alter lässt die körpereigene Produktion jedoch nach. Der Botenstoff kann auch synthetisch hergestellt und für eine kurzzeitige Behandlung der primären Insomnie gegeben werden.

Margit Koudelka

* Das gesamte Video zum Webinar kann auf meinmed.at/ videothek nachgesehen werden.

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