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Unzureichendes Wachs tum durch Gendefekt

Unzureichendes Wachstum durch Gendefekt

Prader-Willi-Syndrom (PWS) – mehr Awareness für die Seltene Erkrankung

Das Prader-Willi-Syndrom, kurz PWS, ist eine seltene neurogenetische Funktionsstörung, die auf einer angeborenen Genveränderung des Chromosoms 15 basiert. Das Syndrom umfasst physische und psychische Symptome und stellt die häufigste Ursache für die genetisch bedingte Adipositas dar. Global betrachtet weist allerdings nur eines von 15.000 bis 30.000 Neugeborenen diesen Defekt auf. Schätzungen zufolge betrifft die Seltene Erkrankung weltweit etwa 350.000 Menschen; die Geschlechterverteilung ist ausgewogen. Der PWS-AwarenessMonat Mai steht ganz im Zeichen jener Patientinnen und Patienten.

Drei Ursachen

Der genetische Hintergrund der bis dato bekannten Genotypen ist ein Funktionsverlust eines väterlich vererbten Genclusters am Chromosom 15. Diesen Veränderungen können drei Ursachen zugrunde liegen: Deletion, uniparentale Disomie (UPD) oder Imprinting-Fehler. Bei der Deletion, welche mit 70 Prozent die häufigste Ursache des PWS darstellt, ist das Chromosom 15 an der Stelle, an welcher der väterliche Teil der Erbinformation sitzt, nicht vollständig ausgebildet. Liegt anstatt des väterlichen Chromosoms 15 ein zweites mütterliches Chromosom 15 vor, handelt es sich um eine mütterliche uniparentale Disomie. Wie bei einer Deletion fehlt auch hier die väterliche Erbinformation im langen Arm von Chromosom 15. Eine UPD kommt bei 25 bis 30 Prozent aller von PWS betroffenen Personen vor. Sind die für das PWS relevanten Gene nicht nur auf dem mütterlichen, sondern fälschlicherweise auch auf dem väterlichen Chromosom 15 stillgelegt, so resultiert das aus einem Imprinting-Fehler. Obwohl in diesem Fall ein strukturell normales väterliches Chromosom vorliegt, gleicht ein ursächlicher ImprintingFehler einer UPD. Hierbei handelt es sich um die seltenste Form des PWS, da dieses bei lediglich einem Prozent der Betroffenen auf eine derartige Fehlprägung zurückzuführen ist.

Ursachen und symptomatische Hauptmerkmale

Die genannten Defekte bzw. Veränderungen treten in den meisten Fällen spontan auf, nur äußerst selten ist das PWS familiär vererbt. Der zugrundeliegende Gendefekt, der prinzipiell schon bei der Zellteilung zu Beginn der Schwangerschaft vorhanden ist, bewirkt eine Prozessveränderung im Hypothalamus und somit im gesamten neuronalen System. Die Bandbreite dieser Störung ist individuell, sie kann schwächer oder stärker ausgeprägt >

sein. Zu den Hauptmerkmalen des PWS zählen Kleinwuchs, Verhaltensänderungen, Entwicklungsverzögerungen, Muskelhypotonie, eine hohe Schmerzschwelle, Sehstörungen, eine gestörte Impulskontrolle, die Unterentwicklung der Geschlechtsorgane, Schlafstörungen sowie teils kognitive Beeinträchtigungen. Hervorzuheben ist die ungehemmte und exzessive Hyperphagie, die eine extreme Adipositas zur Folge haben kann. Diese wiederum gilt heute als Hauptursache für Morbidität und Mortalität in dieser Population. Die häufigsten Komorbiditäten sind diverse kardiovaskuläre sowie pulmonale Erkrankungen und Diabetes mellitus.

Mehr Awareness für frühzeitige Diagnose

Eine frühzeitige Diagnose und somit eine gesteigerte Awareness für die Erkrankung sind wesentlich, um den Behandlungsbeginn rasch einleiten und die Symptome zumindest abschwächen zu können. Als diagnostischer Hinweis gilt grundsätzlich die für das PWS charakteristische dem Altersabschnitt des Kindes entsprechende Symptomatik. Bei Neugeborenen ist die Erkrankung durch eine schwere muskuläre Hypotonie gekennzeichnet. Ebenso typisch sind erhebliche Trinkschwierigkeiten mit der Notwendigkeit einer Sonderernährung. Anamnestisch ergeben sich oftmals verminderte Kindsbewegungen bereits während der Schwangerschaft. Weitere Auffälligkeiten umfassen Schlafapnoe und äußere Merkmale wie Hypogenitalismus, veränderte Gesichtszüge und – selbst bei zunächst normaler Körperlänge – ungewöhnlich kleine Hände und Füße, ein Merkmal, das mit zunehmendem Alter des Kindes noch deutlicher wird. Die muskuläre Hypotonie ist lebensbegleitend, gerät allerdings mit der wachsenden Muskelmasse im Laufe des ersten Lebensjahres etwas in den Hintergrund. Schon im Kleinkindalter stellt sich eine Hyperphagie ein, die unbehandelt in den meisten Fällen bereits bis zum Kindergartenalter Adipositas und parallel dazu eine verminderte Wachstumsgeschwindigkeit nach sich zieht. Die körperlichen Entwicklungsverzögerungen gehen mit emotionalen Verhaltensänderungen einher. Da auch die Pubertätsentwicklung verzögert ist oder gänzlich ausbleibt, ist Unfruchtbarkeit eine häufige Folge des PWS. Obgleich die genannten Veränderungen diagnostisch hinweisgebend sind, ermöglichen nur eine genetische Analyse und die Suche nach Veränderungen im Chromosom 15 eine treffsichere Diagnose.

Multidisziplinäre Therapie und Langzeitbetreuung

Da die Erkrankung aus pathogenetischer Sicht einen deutlichen Bezug zu endokrinologisch-metabolischen Störungen aufweist, wird heutzutage auf Basis zahlreicher erfolgreich durchgeführter Studien – insbesondere aus den USA, Schweden und der Schweiz – bereits im Kindesalter Wachstumshormon (meist als Injektion) verabreicht. Neben günstigen Auswirkungen auf das Wachstum des Kindes kann dieses eine Verbesserung von Leistungsfähigkeit, Ausdauer und Körperzusammensetzung (Muskelmasse, Fettanteil) erzielen. Dadurch ist zu hoffen, dass auch adipositasassoziierte Komorbiditäten zurückgehen. Eine wesentliche Rolle spielen zudem verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Ernährungsberatung. Im Allgemeinen haben die betroffenen Kinder und Jugendlichen meist einen erhöhten Förderbedarf und benötigen psychische sowie psychiatrische Unterstützung. Obwohl das PWS nicht heilbar ist, besteht bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie die Chance, die Lebensqualität der Betroffenen im Rahmen der genannten Maßnahmen zu verbessern.

Lisa Türk, BA

© shutterstock.com/GoodStudio

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