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Eine Frage der Verträglichkeit
Laktose- und Fruktoseintoleranzen in der Hausarztpraxis: die jüngsten Entwicklungen
SerieGASTRO
GASTAUTOREN-TEAM:
© Johann Hammer
Univ.-Prof. Dr. Heinz Hammer
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universitätsklinik Graz
Univ. Prof. Dr. Johann Hammer
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Medizinische Universität Wien Viele Menschen sind betroffen: Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit, und Durchfall nach dem Essen — auch dann, wenn man vermeintlich gesund ist bzw. nichts Außergewöhnliches gegessen hat. Häufig wird eine Laktose- oder Fruktoseintoleranz als Ursache dieser Symptome vermutet und die Betroffenen werden zu einem H2-Atemtest zugewiesen. Typisch ist das Auftreten von Symptomen nach dem Verzehr eines Lebensmittels, das schwer verdauliche Kohlenhydrate wie Laktose, Fruktose, Birkenzucker oder Ballaststoffe enthält. Diese können nicht nur in Milchprodukten, Obst oder Gemüse vorkommen, woran man oft zuallererst denkt, sondern auch in Teig- und Backwaren wie Brot, Nudeln und in Süßspeisen. Häufig wird die dosisabhängige Nahrungsmittelintoleranz mit einer dosisunabhängigen Nahrungsmittelallergie verwechselt. Die Unterscheidung ist aber wesentlich für die Therapie, da bei der Nahrungsmittelintoleranz die auslösenden Nahrungsmittel nicht vollständig vermieden werden müssen.
zVg

Abbildung 1: Carboception App zur Diagnose von und Beratung bei Kohlenhydratintoleranzen.
Neue Herangehensweise
Auf dem Gebiet der Kohlenhydratintoleranzen ist es in den letzten Jahren zu drei wichtigen Entwicklungen gekommen: • In einer Europäischen Leitlinie zum Einsatz von H2-
Atemtests in der Gastroenterologie1 wurde auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen der durch einen
Atemtest nachweisbaren – Malabsorption und der – durch
Symptomermittlung nachweisbaren – Intoleranz hingewiesen. Die wichtige klinische Erkenntnis daraus ist, dass der alleinige Nachweis einer Malabsorption durch einen
H2-Atemtest ohne eine Symptommessung keine Relevanz hat1. Ein positiver Atemtest ohne Symptommessung bietet keine ausreichende Erklärung für die Symptome, die zur Zuweisung des Patienten geführt haben. Ein positiver Atemtest ohne Symptomnachweis stellt auch keinen hinlänglichen Grund für eine Diättherapie oder eine Therapie mit Nahrungsergänzungsmitteln dar, z. B. mit Laktasepräparaten oder Xylose-Isomerase. • Publiziert wurden zwei wissenschaftlich validierte Fragebögen für den Nachweis einer Kohlenhydratintoleranz2, 3 , die in der Europäischen Leitlinie für die Diagnose einer
Laktose- oder Fruktoseintoleranz empfohlen werden1. Sie erfassen die Symptome einer Kohlenhydratintoleranz mit
Hilfe einer Visuellen Analogskala (VAS) und wurden an den Medizinischen Universitäten Wien und Graz für den
Einsatz bei pädiatrischen2 bzw. erwachsenen3 Patienten entwickelt. Dabei ließ sich nachweisen, dass der Zusammenhang zwischen einer mittels eines Atemtests nachgewiesenen Malabsorption von Laktose und Fruktose und den Intoleranzsymptomen sehr schlecht erkennbar ist.
Kurzgefasst: Die Ergebnisse der Intoleranzmessung, nicht aber die Ergebnisse der Atemtests sind für die kausale
Zuordnung der Symptome und die Entscheidung für eine
Therapie relevant. • Eine neue App zur Diagnose und Beratung bei Kohlenhydratintoleranzen ist entwickelt worden. Diese >
„Carboception App“ soll Betroffenen dabei helfen, die Ursache von Intoleranzen zu erkennen, auslösende
Lebensmittel zu identifizieren und die Mengen dieser Lebensmittel, die vertragen werden, zu bestimmen. Dieses Medizinprodukt basiert auf dem validierten Symptomfragebogen aCPQ3 und ermöglicht es, Symptome zu messen und in der Folge Intoleranzen, beispielsweise gegen Laktose oder Fruktose, zu erkennen. Die App können Hausärzte unabhängig von einem H2-Atemtest zur Umsetzung der leitliniengerechten Diagnostik einer Kohlenhydratintoleranz1 verwenden. Sie erlaubt die Diagnostik von Intoleranzen gegenüber verschiedenen Kohlenhydraten und kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln sowie die wiederholte Testung mit unterschiedlichen Dosierungen dieser symptomauslösenden Lebensmittel, ohne Patienten zu einem Atemtest zuweisen zu müssen.
Univ.-Prof. Dr. Heinz Hammer
Die Carboception App
(siehe Abbildung 1)
Der Nachweis einer Intoleranz erfordert wiederholte Symptommessungen nach dem Konsum des im Verdacht stehenden Nahrungsmittels. Der Test kann mit verschiedenen Lebensmitteln oder Zuckern wie Laktose oder Fruktose und mit unterschiedlichen Mengen der Testsubstanzen durchgeführt werden. Dieser objektive Nachweis einer Intoleranz ist entscheidend für die Behandlung mithilfe einer Diät oder mit Enzympräparaten. Viele Menschen verzichten probeweise auf verschiedene Lebensmittel, ohne genau abgeklärt zu haben, ob wirklich eine Unverträglichkeit besteht. Dieser Verzicht beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern kann auch zu Nährstoffmängeln führen. Der Nachweis einer Kohlenhydratintoleranz hilft dabei, ursächliche Lebensmittel ausfindig zu machen, und verhindert, dass man Nahrungsmittel meidet, die gar nicht für die Beschwerden verantwortlich sind. Der praktische Vorteil der App liegt vor allem darin, dass man die Intoleranz jederzeit im Alltag, beispielsweise zu Hause oder am Arbeitsplatz, nachweisen kann – ohne einen mehrstündigen Aufenthalt in einem Labor für einen Atemtest. Die App leitet die Benutzerinnen und Benutzer an, ihre Symptome vor und nach der Einnahme einer Testsubstanz oder eines Testnahrungsmittels alle 30 Minuten über einen Zeitraum von drei Stunden zu bewerten. Sie erhalten sofort nach Beendigung des Tests ihr Ergebnis sowie Empfehlungen für Ernährung und weitere Behandlungsmöglichkeiten (siehe Abbildung 2). Dadurch können Betroffene den Zusammenhang zwischen ihrem Wohlbefinden und der Ernährung besser verstehen und wieder mehr Kontrolle über ihr Leben erlangen. Tipp: Die Carboception App kann für Apple- und Android-Geräte aus den jeweiligen App-Stores kostenfrei heruntergeladen werden. Allgemeine Informationen sind unter carboception.com und auf Youtube verfügbar. <
Literatur: 1 Hammer HF, Fox MR, Keller J, et al. European guideline on indications, performance, and clinical impact of hydrogen and methane breath tests in adult and pediatric patients: European Association for Gastroenterology, Endoscopy and Nutrition, European Society of Neurogastroenterology and Motility, and European
Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition consensus. United European Gastroenterol J 2021 2021/08/26. DOI: 10.1002/ueg2.12133. 2 Hammer J, Memaran N, Huber WD, et al., Development and validation of the paediatric Carbohydrate
Perception Questionnaire (pCPQ), an instrument for the assessment of carbohydrate-induced gastrointestinal symptoms in the paediatric population.
Neurogastroenterol Motil 2020: e13934. 2020/07/02.
DOI: 10.1111/nmo.13934. 3 Hammer J, Sonyi M, Engesser KM, et al., Carbohydrateinduced gastrointestinal symptoms: development and validation of a test-specific symptom questionnaire for an adult population, the adult Carbohydrate Perception
Questionnaire. Eur J Gastroenterol Hepatol 2020 2020/08/17. DOI: 10.1097/MEG.0000000000001880.




Abbildung 2: Messung der Symptome vor und nach Einnahme einer Testsubstanz, sofortige Verfügbarkeit der Ergebnisse und individualisierte Beratung bezüglich einer Diät und weiterer Behandlungsmöglichkeiten.