Hausärzt:in 05/2022

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Hausärzt:in Pädiatrie

Therapeutische Maßnahmen sind Prothesen überlegen

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Ganzheitliches Behandlungskonzept bei kongenitalen Fehlbildungen der oberen Extremität und Hand

Die Diagnose einer kongenitalen Deformität der oberen Extremität stellt – trotz allen medizinischen Fortschritts, der Möglichkeit zur Früherkennung und vielfältiger Behandlungsoptionen – in unserer zunehmend auf Perfektion ausgerichteten Gesellschaft eine Katastrophe dar. Das betrifft insbesondere Eltern ohne medizinische Vorbildung. Daher ist es wichtig, sowohl das Kind als auch die Eltern von Anfang an zu be-

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gleiten, ihnen auf diese Weise Ängste zu nehmen und bei ihnen durch detaillierte und ehrliche Aufklärung realistische Erwartungen zu wecken. In den meisten Fällen ist es den Betroffenen möglich, trotz ausgeprägter Fehlbildungen ein „normales“ und vor allem selbstbestimmtes Leben zu führen. Neben der spezifischen Behandlung der Deformität selbst muss die psychologische Situation des Kindes und der Eltern berücksichtigt werden. Ein guter psychologischer Umgang beginnt schon damit, von einer „Besonderheit“ statt von einer „Fehlbildung“ zu sprechen.

© Graz Kliniken

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Inzidenz differenziert betrachten

Univ.-Doz. Dr. Werner Girsch Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Med Uni Graz

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Mai 2022

Dr. Christian Smolle Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Med Uni Graz

In Industrienationen liegt die Inzidenz angeborener Deformitäten der oberen und unteren Extremität bei etwa 1,5 bis drei Fällen pro 1.000 Geburten. Dabei ist zu beachten, dass „einfachere“ Deformitäten wie Syn- oder Polydaktylien um ein Vielfaches häufiger vorkommen als komplexe Deformitäten wie Peromelien, Radius- oder Ulnahypoplasien. Wie in

anderen Ländern existieren auch in Österreich keine validen Daten zur genauen Inzidenz, nachdem in der statistischen Dokumentation zwischen den unterschiedlichen Entitäten und ihren Ausprägungsformen nicht unterschieden wird.

Normale geistige Entwicklung – genetische Fehlregulation Wie die embryonale Entwicklung von sämtlichen Organsystemen läuft auch jene der Extremitäten genreguliert ab. Dieser äußerst komplexe Vorgang ist mittlerweile im Detail erforscht. So weiß man z. B., dass Syndaktylien im Ausbleiben des programmierten Zelltods wurzeln und dass ein genbedingter verfrühter Wachstumsstopp zum Fehlen oder zu Hypoplasien von Strukturen in der Längsachse führt. Die Fehlbildungen treten meist unilateral, selten bilateral auf und sind gelegentlich syndromassoziiert. Auffallend ist, dass kongenitale Fehlbildungen an den Extremitäten äußerst selten mit mentaler Retardierung vergesellschaftet sind und eine völlig normale geistige Entwicklung erwartet


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