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Das Magazin der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung I Sommer 2021

WCMX Neue Trendsportart


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EDITORIAL

Geschätzte Leserinnen und Leser «Gemeinsam» ist das Credo der Stunde. Gemeinsam mit Mitgliedern der Clubs haben wir im Herbst des vergangenen Jahres erarbeitet, in welche Richtung sich die SPV entwickeln soll. Zahlreiche wertvolle Anregungen haben wir erhalten, die Eingang in unsere Strategie für die kommenden Jahre finden werden.

Vom 24. bis 29. August 2021 kurbeln Handbikerinnen und Handbiker erneut durch Teile unseres Landes. Die sechs­ tägige Tour organisieren wir mit den Rollstuhlclubs der entsprechenden Region und schaffen ein Erlebnis, das die Zusammengehörigkeit für alle Beteiligten erlebbar macht.

Am Treffen der Präsidentinnen und Präsidenten definierten wir die weiteren Schritte und legten Arbeitsgruppen fest, die sich der einzelnen Themenschwerpunkte annehmen werden. Die Mitglieder der SPV sollen sich einbringen dürfen. Nur als Team können wir die SPV der Zukunft gestalten.

Gemeinsam an denselben Zielen arbeiten wir auch mit unseren Partnern. Innerhalb der Schweizer Paraplegiker-Gruppe verkörpern wir die Stimme der Betrof­ fenen. Diese Stimme ist wesentlich, wenn es unser aller Ziel ist, für Selbst­ bestimmung und Chancengleichheit von Querschnittgelähmten einzustehen. Die Zusammenarbeit soll intensiviert werden, betont auch Heidi Hanselmann (ab Seite 44), Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Auch hier sind wir überzeugt; gemeinsam sind wir stärker.

«Gestärkt in die gemeinsame Zukunft» Gemeinsam mit Mitgliedern der Clubs stellen wir auch wieder einen gross­ artigen Anlass auf die Beine. Nach­dem die Premiere des Giro Suisse im ver­gangenen Jahr so ein riesiger Erfolg war, haben wir entschieden, das Veranstaltungsformat weiterzuführen.

Paracontact I Sommer 2021

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Laurent Prince, Direktor

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Paracontact I Sommer 2021


IMPRESSUM

INHALT

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Herausgeberin Schweizer Paraplegiker-Vereinigung Kantonsstrasse 40, 6207 Nottwil Telefon 041 939 54 00 E-Mail spv@spv.ch www.spv.ch Chefredaktorin Evelyn Schmid Redaktion Laurent Prince, Gabi Bucher, Nadja Venetz, Felix Schärer, Roger Getzmann, Daniela Vozza, Michael Bütikofer, Tina Achermann Koordination, Grafik, Inserate Tina Achermann Fotos SPV, Adobe Stock, Christopher Stewart, CRR Sion, Nils Eschenmoser, PxHere, Pixabay, WELTMALERiNNEN, Stapferhaus Anita Affentranger, Reiner Pfisterer, Tobias Lackner, Louka Réal, Alex Fischer, James Brickell, IntegrART, Scewo, Urs Bucher, Kornelia und Michel Torny, SPS Druck Brunner Medien AG, www.bag.ch Redaktionsschluss Ausgabe Herbst 2021: abgeschlossen Ausgabe Winter 2021: 3.9.2021 Auflage 8100  Exemplare deutsch 4 250 Exemplare französisch In dieser Publikation wird zur Ver­ einfachung die männliche Form stellvertretend für die weibliche und männliche Formulierung verwendet. Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Fremdbeiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. Ein Abdruck von unverlangt eingesendeten Manuskripten ist nicht gewährleistet.

Paracontact I Sommer 2021

WIR BEWEGEN AKTUELL  6 PRÄSIDENT/-INNENTREFFEN Volle Kraft voraus 8 GESETZGEBUNG IV-Revision 9 NACHGEFRAGT Sportarten ausprobieren 10 ZENTRALFEST Wir feiern gemeinsam 11 LEBENSBERATUNG KONSTRUKTIVES MITEINANDER Optimistisch in die Zukunft 12 LANGJÄHRIGE ZUSAMMENARBEIT CRR Sion mit Leistungen aus Nottwil 15 RECHTSBERATUNG STEUERRECHT Steuerabzüge für Fahrtkosten SOZIALVERSICHERUNGEN Gesetzesanpassungen seit 1.1.2021 MEDIZIN UND WISSENSCHAFT HILFSMITTEL Gewusst wie – gekonnt durch den Alltag HINDERNISFREIES BAUEN WOHNUNGSUMBAU Im Garten zu Hause

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KULTUR UND FREIZEIT FREIZEITGESTALTUNG Biscotti, pomodori e peperoni 22 IN KÜRZE  24 MALKURS Kreativität grenzenlos 27 FREIZEITTIPP Rollenklischees im Stapferhaus 28 ROLLSTUHLCLUBS ROMANDIE Kooperation und Präsenz ausbauen 29 SANFTE BEWEGUNG Yoga für alle 31 ROLLSTUHLSPORT GIRO SUISSE Erfolgsgeschichte geht weiter 32 IN KÜRZE  34 SERIE 2/4: ARMEE 1000 Kilometer pro Woche 36 FRAUENPOWER IM SPORT In Bewegung bleiben 37 SERIE 2/4: TOKYO 2020 Saisonplanung 39 SOMMERPROGRAMM Heute schon bewegt? 40 WHEELCHAIR MOTO X Inklusion im Skatepark 41 FOKUS VERMISCHTES  42 IM GESPRÄCH Heidi Hanselmann 44 UNSERE HELFER Auf goldenen Flügeln 48 FÜR SIE DA Gian Paolo Donghi 50 5


RUBRIK AKTUELL

HINDERNISFREI BAUEN

SPG

Beste Arbeitgeberin

Teilrevision SIA 500 Der Schweizerische Ingenieurund Architektenverein wird voraussichtlich 2021 mit der Revision der Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten», Ausgabe 2009 starten. Die Norm soll einer Teilre­vision unterzogen werden. Eine im 2019 durchgeführte Umfrage ergab, dass Anpassungen in einigen Bereichen nötig sind.

Die Schweizer Paraplegiker-Gruppe steht ganz oben auf der Liste der «Top-Arbeitgeber 2021», die von «Handelszeitung», «Le Temps» und dem Marktforschungsun­ ternehmen Statista herausgegeben wird.

Unter die Lupe kamen 1500 Schweizer Unternehmen mit mindestens 200 Angestellten; bei der SPG sind es aktuell 2000 Mitarbeitende. Die Liste der «Top-Arbeitgeber 2021» basiert auf einer Umfrage von über 7000 Angestellten sowie Urteilen, die über Im Bereich Gesundheit und Soziales wur­ die Websites der beteiligten Medienhäuser de die SPG als beste Arbeitgeberin bewer- generiert wurden. tet, in der Gesamtwertung als drittbeste Arbeitgeberin hinter dem Lifthersteller Über alle Kanäle flossen mehr als 200 000 Schindler (Platz 2) und Getränkehersteller Bewertungen ins Ranking ein. Die Erhe­ Rivella (Platz 1). bungs­phase war von Mai bis Juni 2020.

NEUE MITARBEITENDE

Sophie Wiesbauer

Kathrin Huber Näf

Jacqueline Calame

Vera Lang

Durch ihre Querschnittlähmung, welche sie im Alter von drei Jahren in den Rollstuhl brachte, kennt Sophie Wiesbauer die SPG schon lange. Seit Februar 2021 absolviert sie ihre Ausbildung als Zeichnerin Fachrichtung Architektur im ZHB.

Seit Juni verstärkt Kathrin Huber Näf das Team der So­zialberatung. Die ausgebildete Pflegefachfrau HF studierte von 2006 bis 2011 Soziale Arbeit und unterstützte an­schliessend Querschnittgelähmte als Sozialberaterin im SPZ. Kathrin Huber Näf kennt sich in den Themenfeldern der SPV daher bestens aus.

Jacqueline Calame ist diplomierte Sozialarbeiterin und berät seit Mitte April unsere Mitglieder in der Westschweiz. In ihrer beruflichen Laufbahn arbeitete die Jurassierin mit älteren Menschen und mit Menschen mit einer Behinderung mit Fokus Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. Zudem war sie als Berufsbeistand tätig.

Vera Lang betreut seit Mai die Social-Media-Kanäle der SPV. Nach ihrer Matur besuchte sie den gestalterischen Vorkurs an der Hochschule Luzern und ab­solvierte dort den Bachelor in Animation 2D und den Master in Film. Anschliessend war sie als Motion-Designerin in einer Agentur tätig. Fasnacht Seit 12 Jahren ist die Luzernerin in einer Guggenmusik aktiv und organisiert die Kinderfasnacht am Schmutzigen Donnerstag. Sie schwärmt für Filmmusik, restauriert mit viel Hingabe ihren Oldtimer und werkelt gern in Heim und Garten.

Lernende ZHB

Kreativ Seit ihrer Kindheit interessiert sich die Chamerin für alles, was mit Tieren, Musik, Kunst und Design zu tun hat. Wenn sie nicht gerade singt oder bei den Lucerne Sharks Hockey spielt, zeichnet sie gerne am PC oder lernt für ihre Abschlussprüfung. 6

Lebensberatung

Draussen zu Hause Die Mutter von drei erwachsenen Kindern geht Sommer wie Winter in die Berge. Hier trifft man sie beim Wandern oder auf einer Berg- oder Skitour. Zur Entspannung liest sie gerne ein Buch.

Lebensberatung

Reisefieber Jacqueline Calame liebt es, neue Regionen zu erkunden und deren Bewohner kennenzulernen. Die Begegnungen, die dabei entstehen, sind für sie eine grosse Bereicherung.

Zentrale Dienste

Paracontact I Sommer 2021


LEBENSBERATUNG

SPV-Höck Die SPV bietet in der Uni­ klinik Balgrist regel­mässig Infover­anstaltungen an. Offene Runde: Stammtisch Lebensberatung SPV Donnerstag, 26. August 2021, 16.00 –18.00 Uhr Der Austausch findet regelmässig statt. Interessierte treffen sich im Restaurant der Uni­klinik Balgrist und diskutieren verschiedene Themen. Vorstellung ParaHelp ParaHelp, Lebensberatung SPV Mittwoch, 22. September 2021, 15.00 –17.00 Uhr ParaHelp hilft Ihnen, wenn Sie auf pflegerische Leistungen angewiesen sind. Eine Mitar­ bei­terin von ParaHelp informiert über die Dienstleistungen und beantwortet Fragen. Allfällige Änderungen entnehmen Sie unserer Webseite.

ESCIF

Hygienemasken Die ESCIF Help Alliance hat in ganz Europa mit Hilfe von Sponsoren gratis Hygienemasken verteilt. Mehr als 900 000 Masken gelangten auf diese Weise an Querschnittgelähmte. Die SPV hat die Verteilung in der Schweiz koordiniert und über 900 Tetraplegiker kontaktiert. Diese durften um-­ sonst eine Packung Masken beziehen. Zum Projekt www.protectthevulnerable.com Paracontact I Sommer 2021 2021

AUS DEN CLUBS

Nervenkitzel Der CFR Valais Romand veranstaltet adrenalingeladene Sommerausflüge – für Mitglieder und weitere Interessierte.

Allen Interessierten offen steht hingegen der WCMX-Tag am 14. August auf dem Skatepark von Chable. Vize-Weltmeisterin Lorraine Truong zeigt Anfängern wie Fort­ Am 24. Juli organisiert der Rollstuhlclub geschrittenen Tricks. Der CFR Valais Rogemeinsam mit Défisport eine Mountain- mand stellt die Verpflegung. Interessierte bikeabfahrt. Der Ausflug ist ausschliesslich sind gebeten, sich bis zum 10. August anzumelden: secretariat@cfrvr.ch für Mitglieder.

BOB

Schweizer Pass Christopher Stewart ist seit mehreren Jahren Garant für Schweizer Medaillen im Bob­ ­sport. Die Saison 2020/21 schloss der Bobfahrer auf dem zweiten Platz der Gesamtwertung ab. 2019 sicherte er sich den Europameistertitel. Seit Februar 2021 ist der gebürtige US-Amerikaner «offiziell» Schweizer. Sein Einbürgerungsantrag wurde gutgeheissen.

BREITENSPORT

Support your Sport Mit einer gross angelegten Aktion förderte Migros den Breitensport. Kunden erhielten ab einem Einkauf von CHF 20.– einen Bon, den sie bis zum 12. April einem Vereinsprojekt zuweisen konnten. Wer am meisten Bons erhielt, erhielt am meisten Fördergelder. Auch viele Rollstuhlclubs ha­ben ihre Projekte eingegeben. Besonders erfolgreich waren die Powerchair-Hockeyclubs «zeka-Rollers Aargau», «Lucerne Sharks» und «Iron Cats Zürich». Auch der Rollstuhlclub St. Gallen und Gruppo Paraplegici Ticino waren in den Ranglisten vorne dabei. Insgesamt wurden 20 Projekte mit Bezug zum Rollstuhlsport eingereicht. 7


WIR BEWEGEN

PRÄSIDENT/-INNENTREFFEN

Volle Kraft voraus Am 30. Januar 2021 tauschten sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Rollstuhlclubs aus. Diskutiert wurde unter anderem, wie es mit den Themen weitergehen soll, die an Workshops im Herbst erarbeitet wurden. Von Nadja Venetz

An ein physisches Treffen war im Januar nicht zu denken. Wie so oft in Zeiten der Pandemie fand die Diskussion im virtuellen Raum statt. Die Teilnehmenden wurden über die geplante Statutenänderung orientiert und erneut darauf hingewiesen, dass die SPV mit Mustervorlagen und dem Versand unterstützt, wenn Clubs ihre GVs auf schriftlichem Weg durchführen möchten. Das Hauptaugenmerk des Treffens bestand jedoch darin, zu besprechen, wie es mit den Ideen und Vorschlägen aus den Workshops zur Strategieentwicklung, die im Herbst 2020 stattfanden (vgl. Paracontact 4/2020, S. 10), weitergehen soll. Zwei Wochen zuvor hatte der Zentralvorstand die Strategie für die Jahre 2021–2024 verabschiedet sowie den Auftrag erteilt, zu prüfen, welche Massnahmen mit welchen Ressourcen umsetzbar sind. Gewisse Anlie­ gen liessen sich bereits ohne viel Aufwand realisieren: So ist es etwa neu den Clubs möglich, ihre Themen im Paracontact zu platzieren. Auch erhalten alle Mitglieder in regelmässigen Abständen einen Newsletter mit Empfehlungen und Informationen betreffend Coronavirus. Prioritäten setzen Andere Forderungen und Ideen aus den vier Themenblöcken Kommunikation, Mit­ gliedergewinnung, Verbandsdienstleistun­ gen und Einbezug der Rollstuhlclubs wiederum sind nicht so rasch zu verwirklichen. Diese sollen gestaffelt genauer evaluiert und konkretisiert werden. In der Folge erhielten alle Clubs eine Liste mit 26 Vorschlä­ gen und Einzelthemen, die ebengenannten Themenblöcken zugeteilt waren. Jeder Club durfte nun insgesamt 40 Punkte vergeben, 8

wobei pro Einzelthema max. fünf Punk­te zugewiesen werden durften. Dieses Vorgehen ermöglichte, klar zu sehen, wo die Prioritäten der Rollstuhlclubs liegen. Aus dieser Evaluation ergaben sich folgende Schwerpunkte, die im Jahr 2021 angepackt werden sollen: 1. Unterstützung der Rollstuhlclubs Vertreter der Clubs erhalten gezielt Hilfestellung in Form von Schulungen und Weiterbildungen bei Themen wie BSV-Abrechnung, Projektmanagement, Vereinsführung, Kommunikation usw. 2. N eugestaltung der Webseite spv.ch in allen vier Sprachen Diese Massnahme wurde 2020 SPV-intern mit ersten Schritten in Angriff genommen. 3. Zusammenarbeit SPV und Clubs Die SPV unterstützt die Clubs bei der Rekrutierung neuer Vorstandsmitglieder. Der Austausch unter den Clubs, aber auch zwischen den Vorständen, der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden der SPV soll sich intensivieren. Gewisse Bestrebungen sind hier bereits in der Umsetzung.

Projektteams Für die Themenblöcke eins und drei werden Arbeitsgruppen gebildet, die bis En­de 2021 Umsetzungsmassnahmen erarbeiten und diese am Treffen der Präsidentinnen und Präsidenten im Januar 2022 vorstellen. Die Neugestaltung der Webseite wird in einem internen Projektteam bestehend aus Fachleuten vorangetrieben.

Der Zentralvorstand und die Geschäftsleitung haben zudem entschieden, dass sich eine zusätzliche Arbeitsgruppe des The­ mas Strukturentwicklung des Verbands an­ nehmen soll. Inhaltliche Schwerpunkte die­­ser Arbeitsgruppe sind die Mitsprache der Sektionen und einzelnen Mitglieder sowie die Formen der Mitgliedschaft. In allen drei Arbeitsgruppen engagieren sich Clubmitglieder sowie Mitglieder des Zentralvorstands und der Geschäftsleitung. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen wurde anlässlich der Delegiertenversammlung am 8. Mai 2021 bekanntgegeben.

Paracontact I Sommer 2021


WIR BEWEGEN

GESETZGEBUNG

IV-Revision Per 1. Januar 2022 soll das revidierte Gesetz über die Invalidenversicherung in Kraft treten. Die SPV äusserte sich gemeinsam mit weiteren Behindertenorganisationen im Vernehmlassungsprozess zum Gesetzesentwurf. Von Nadja Venetz

Im Sommer 2020 hat das Parlament die Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) verabschiedet. Das revidierte Gesetz soll per 1. Januar 2022 in Kraft treten und bringt weitreichende Veränderungen mit sich. Inclusion Handicap, der politische Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen, engagiert sich sehr in diesem zentralen Prozess. SPV-Präsidentin Olga Manfredi stärkt als Vorstandsmitglied von Inclusion Handicap die Stimme der Querschnittgelähmten. Die Behindertenorganisationen waren eingeladen, sich an der Vernehmlassung zu beteiligen und bis zum 19. März 2021 ihre Position zum Gesetzesentwurf einzubringen. Auch die SPV hat eine solche Vernehmlassungsantwort eingereicht und auf kritische Punkte hingewiesen. Grossmehrheitlich begrüsst die SPV die Bestimmungen des revidierten Gesetzes. Nachfolgend finden Sie die Themenbereiche, welche gemäss unserer Auffassung und derjenigen von Inclusion Handicap einer Anpassung bedürfen. Berufliche Eingliederung Wir begrüssen die Weiterentwicklung der IV im Bereich der beruflichen Eingliederung, insbesondere die verstärkte Ausrich­ tung auf den ersten Arbeitsmarkt. Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass gute Absprachen und klare Rollenteilungen zwischen IV-Stellen, Schulbehörden und kantonalen Instanzen unerlässlich sind. Die Zukunft der Jugendlichen mit Behinderung muss im Zentrum stehen. Paracontact I Sommer 2021

Rentensystem Im Hinblick auf die Einführung eines stufenlosen Rentensystems auch bei der IV und der damit im Zusammenhang stehenden grösseren Bedeutung der prozentgenauen Ermittlung des Invaliditätsgrades begrüsst es die SPV, wenn die für die Ermittlung des Invaliditätsgrads massgebenden Grundsätze auf Verordnungsstufe geregelt werden. Das Gesetz sieht vor, für den Einkommensvergleich auf Tabellenlöhne des Bundesamtes für Statistik (BFS) abzustellen, soweit diese für die Berechnung des Invaliditätsgrades nötig sind. Sie widerspiegeln jedoch weitgehend das Lohn­­­niveau von Personen ohne Behinderung. Da Löhne von Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung aber systematisch signifikant tiefer ausfallen, fordern wir und auch das Bundesgericht, dass für die Bestimmung des Invalideneinkommens (Ein­­kommen mit Behinderung) eine Lohn­­ta­belle geschaffen wird, in welcher die Löh­ne gesundheitlich eingeschränkter Per­so­nen abgebildet sind. Erst wenn diese vorliegen, darf der heute im Sinne eines Korrektivs teilweise gewährte Abzug vom Tabellenlohn (sog. leidensbedingter Ab­ zug) aufgehoben werden. Verfahren und Gutachten Der Gesetzesentwurf trägt der Hoffnung auf verbesserte Gutachten nur bedingt Rechnung. Aus unserer Sicht müssen Sach­ verständige regelmässig überprüft und allenfalls von einer Gutachtertätigkeit ausgeschlossen werden. Die Überprüfung und Sanktionierung der «schwarzen Scha­fe»

wird leider weiterhin nicht konsequent an die Hand genommen. Ausserdem begrüsst die SPV die Tonaufnahme eines Gut­­ach­ tergesprächs. Will jedoch die begut­achtete Person auf eine Tonaufnahme verzichten, soll sie das nicht anlässlich des Gesprächs und im Beisein des Gutachters äussern müssen. Zudem wird verlangt, dass die be­ gutachtete Person die Tonaufnahme jeder­ zeit im Rahmen ihrer Akteneinsicht und nicht erst im Streitfall abhören und ver­ wen­­den kann. Finanzhilfen Ein wichtiger Bestandteil der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) sind die Bestimmungen zur Finanzierung der Leistungen der privaten Behindertenhilfe. Das Ziel der Anpassungen ist gemäss Bundesrat die Förderung der Inklusion und der Innovation sowie die Schaffung einer Prioritätenordnung zur Vergabe der Finanzhilfen. Entgegen der Botschaft des Bundesrats, dass die Änderungen betreffend Finanzhilfen keine Auswirkungen auf die Organisationen der privaten Behindertenhilfe haben werden, drohen diesen nun Kürzungen. Um diese zu verhindern, unterbreiteten wir einen Gegenvorschlag. Statt der wiederkehrenden linearen Kürzungen von 3% bei jeder Dachorganisation sollen sich die Organisationen verpflichten, mindestens 3% der Mittel für die Weiterentwicklung der bestehenden Leistungen einzusetzen. Auf diese Weise werden Innovation und Inklusion gefördert und es kommt zu keiner Kürzung auf Kosten der Leistungen für Menschen mit Behinderung.

Wir hoffen sehr, dass die Einwände der Be­ hindertenorganisationen nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens zu einer Überarbeitung der kritischen Punkte führen, damit die neue Gesetzgebung dem Wohl der Betroffenen Rechnung trägt. Wir werden Sie über den weiteren Verlauf informieren.

Informationen zur IV-Revision www.bsv.admin.ch 9


WIR BEWEGEN

NACHGEFRAGT

Sportarten ausprobieren Seit 1. Januar 2021 betreibt die Orthotec AG den Verleih von Sportgeräten. Andrea Koch, Gruppenleiterin Verkauf Innendienst, gibt Auskunft über diesen Mietservice. Von Nadja Venetz

Worin genau besteht eure Dienstleistung? Wir geben unseren Kunden die Möglichkeit, verschie­­ de­­ne Rollstuhlsportgeräte zu tes­ten. Vielleicht weiss die Per­ ­son noch nicht, welche Sportart sie ausüben möchte, oder jemand will einfach etwas Neues ausprobieren. Da ei­ne An­schaf­f ung immer mit einem grossen fi­ nan­ziellen Aufwand verbunden ist, möch­te ich ja sicher sein, dass mir die Sportart entspricht. Wir bieten unserer Kundschaft rund 80 Sportgeräte zur Miete. Wie kam es dazu? Zuvor hat Rollstuhlsport Schweiz (RSS) den Verleih betrieben und wir haben die Wartung der Geräte gemacht. Nun hat RSS einen verlässlichen Partner gesucht, der die­sen Dienst per 1. Januar 2021 komplett übernimmt. Eine Zusammenarbeit war na­heliegend.

Wie seid ihr gestartet? Unsere Dienstleistung ist gut angelaufen. Bedingt durch die Jahreszeit waren vor allem die Langlaufbobs sehr gefragt. Glücklicherweise kam es trotz der vielen Anfragen zu kei­ nen Engpässen, so dass wir allen Interessierten auch ein Gerät ausleihen konnten. Zwei Kunden waren so begeistert, dass sie sich in der Folge einen eigenen Langlaufbob angeschafft haben. Das sind natürlich auch für uns schöne Erlebnisse. Welche Sportarten bietet ihr an? Wir vermieten Rollstühle für Badminton, Tennis, Basketball, Rugby, WCMX, Leicht­ athletik, Fechten sowie Handbikes und Langlaufbobs. Auch einen speziellen Winterschlitten für Kinder haben wir im Angebot. Den Verleih von Monoskibobs und Wassersportgeräten wickelt nach wie vor Rollstuhlsport Schweiz ab.

Kontakt Mietservice Orthotec AG Innendienst innendienst@orthotec.ch Telefon 041 939 56 90 www.paraplegie.ch/ orthotec 10

Wer kann den Verleih nutzen? Egal ob Querschnittgelähmte oder Personen mit einer körperlichen Einschränkung: unser Angebot steht allen offen. Die Geräte werden nach dem Prinzip «Dr Schnäller isch dr Gschwinder» vergeben. Die ein­ zige Ausnahme ist Rollstuhlsport Schweiz, der bei uns die Geräte für Kurse und Veranstaltungen kostenlos und prioritär bezieht. Wie gehe ich vor, wenn ich ein Gerät ausleihen möchte? Wer Interesse hat, meldet sich einfach telefonisch bei uns. Welche Geräte wir anbieten, findet sich unter der Rubrik «Markt­ platz» auch auf unserer Webseite. Wir vom Innendienst sind ein kleines Team von vier Personen, dem ich als Gruppenleiterin vorstehe und das sich um die Anfragen kümmert. Wir beraten die Kunden am Telefon. Bei Bedarf ziehen wir einen unse­ rer Berater hinzu, um abzuklären, welches Gerät in Frage kommt. Anschliessend machen wir einen Termin für eine Sitzprobe und für allfällige Anpassungen. Vielleicht braucht es noch weiteres Zubehör, das der Kunde mitausleihen möchte. Ist alles eingestellt, kann der Mieter das Gerät für die vereinbarte Dauer mitnehmen. Will jemand eine Sportart einfach nur mal aus­ pro­bieren, sehen wir eine kürzere Zeitdauer vor. Hat jemand seinen Sport gefunden, ist die Miet­dauer nach oben offen. Vielleicht kann und will sich diese Person kein eigenes Gerät anschaffen. Dann kann sie es auch längerfristig mieten. In solchen Fällen kümmern wir uns natürlich auch um den Service. Welche Kosten sind mit einer Miete verbunden? Wir wollen die Kosten bewusst tief halten und verlangen für alle Geräte eine Grundpauschale von CHF 115.– für Wartung und Administration plus einen symbolischen Franken pro Miettag, unabhängig davon, ob jemand ein Gerät nur wenige Tage oder ein ganzes Jahr lang leihen möchte. Uns ist es wichtig, ein günstiges und niederschwel­ liges Angebot zu schaffen, welches zur Bewegung motiviert und vielleicht dazu beiträgt, etwas Neues auszuprobieren. Im bes­­ten Fall findet so jemand eine neue Passion. Paracontact I Sommer 2021


WIR BEWEGEN

ZENTRALFEST

Wir feiern gemeinsam Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nachdem uns das bekannte Virus im letzten Jahr zweimal einen grossen Strich durch die Rechnung machte, ist das Zentralfest 2021 nun in Planung. Von Yvonne Rölli

Nach all den Entbehrungen setzen wir das diesjährige Fest unter das Motto des Treffens und Zusammenseins. Wir alle vermis­ sen den Austausch, das unbeschwerte Verweilen und das Wiedersehen mit guten Freunden. Nutzen Sie die Möglichkeit, unseren Direktor Laurent Prince in Nottwil kennenzulernen. Er ist seit August 2020 im Amt und freut sich, endlich ein Zentral­ fest miterleben zu dürfen. Das Zentralfest findet am 9. Oktober 2021 in Nottwil statt. Rechtzeitig zum Anlass steht uns die neu renovierte Sporthalle zur Verfügung. Der gemütliche und gesellige Austausch steht während des Apéros und des anschliessenden Banketts im Vordergrund. Nutzen Sie die Gelegenheit, um alte Be­kannt­schaften zu pflegen und neue aufzubauen. Verleihung Benevol Awards Die Rollstuhlclubs und die ungezählten ehrenamtlich geleisteten Einsatzstunden sind die Pfeiler der Schweizer Paraplegiker-­ Vereinigung. Dieses freiwillige En­ga­gement möchten wir mit den Benevol Awards

BENEVOL AWARDS Freiwilliges Engagement ist Gold wert! Daher zeichnet die SPV neu mit dem BenevolAward Personen mit langjähriger, ehrenamtlicher Funktion im Rollstuhlclub aus. Jährlich kann jeder Club eine Person nominieren. Unser Partner Hollister sponsert den Hauptpreis.

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würdigen. Die erstmalige Verleihung dieser Auszeichnung ist deshalb ein Höhepunkt des diesjährigen Zentralfests. Jeder Rollstuhlclub kann eine ehrenamtlich tätige Person bestimmen, die am Zentralfest geehrt wird. Auch der traditionelle Wettbewerb unseres Hauptsponsors Hollister darf natürlich nicht fehlen. Lassen Sie sich überraschen. Programm In der Aula SPZ sehen wir eine Ausstellung vor, an denen Sie Neues und Spannendes entdecken. Geplant ist ebenfalls ein Rundgang durch das SPZ. Die langjährigen Um­ bauarbeiten wurden im Herbst 2020 abgeschlossen. Erkunden Sie die neuen Räum­lichkeiten. Ab 11.00 Uhr begrüssen wir Sie zum Apéro. Anschliessend nehmen wir ein Mittagessen ein. Vor oder nach dem offiziellen Teil lohnt sich auch ein Abstecher in die interaktive Ausstellung ParaForum.

Hier lernen Sie vier fiktive Menschen im Rollstuhl kennen und dürfen einen Blick in deren Alltag werfen. Feiern Sie mit uns Die Einladungen für das Zentralfest werden im Sommer verschickt. Ihre Anmeldung nehmen wir über unsere Webseite ent­gegen (www.spv.ch/zentralfest). Wir freuen uns, Sie nach einer langen Durststrecke im Oktober endlich bei uns begrüssen zu dürfen. Dabei behalten wir die Entwicklung der Pandemie stets im Blick. Wir setzen alles daran, Ihnen ein sicheres und angenehmes Zentralfest zu bieten. Wir freuen uns auf Sie. Der Anlass wird grosszügig durch den Hauptsponsor Hollister unterstützt.

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LEBENSBERATUNG LEBENSBERATUNG

KONSTRUKTIVES MITEINANDER

Optimistisch in die Zukunft

Eine Autoimmunkrankheit macht Edward Sarowski 2017 zum Paraplegiker. Dank dem Zusammenspiel unterschiedlicher Fachbereiche der Schweizer ParaplegikerGruppe findet er zurück in ein selbstbestimmtes Leben.

Von Gabi Bucher und Silvia Affentranger

Edward Sarowski blickt auf bewegte Zeiten zurück. Er wurde am 1. April 1967 in Liegnitz, einer Stadt in der polnischen ­Woiwodschaft Niederschlesien, geboren. Der Ort habe mehr als 800 Jahre zu Deutschland gehört, erklärt er, dann habe die Rote Armee 1945 den Landstrich erobert, jetzt gehöre er zu Polen. Er besuchte die dortigen Schulen und absolvierte eine Berufs-

schule im Bereich Energie. Als das Mutter­ haus einer Luzerner Firma in Polen eine Filiale aufbaute, wurde Edward Sarowski als Elektriker eingestellt. Es folgten Auslandeinsätze für diese Firma in Filialen in Russland, der Ukraine, Amerika, Rumänien, der Karibik. Seit 2012 lebt er in der Schweiz. Seine Haupttätigkeit in den letzten Jahren waren elektrische Installationen

Edward Sarowski ist optimistisch für seine Zukunft 12

in Coop-Filialen. Angestellt war er von ei­ nem Temporärbüro, er arbeitete aber immer für dieselbe Firma. Vom eigenen Körper bekämpft Edward Sarowski führte ein aktives Leben, bis sich im Oktober 2017 alles änderte. Innerhalb von wenigen Tagen bekam er zu­ neh­mend Schmerzen in beiden Oberschen­ keln, hatte Probleme beim Wasserlassen und konnte plötzlich die Beine nicht mehr bewegen. Mit diesen Beschwerden wurde er ins Spital Langenthal eingewiesen. Innerhalb von zwei Tagen spitzte sich die Situation zu: komplette Paraplegie. Trotz der Untersuchungen konnten die Ärzte sich nicht erklären, was mit ihm los war. Erst im Inselspital in Bern wurde die Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes diagnostiziert. Bei dieser Erkrankung produziert der Körper Antikörper, die nicht wie vorgesehen zur Abwehr von Infekten dienen, sondern sich gegen körpereigene Zellund Gewebestrukturen richten und in seinem Fall die Nerven im Rückenmark angegriffen hatten. Die Ursachen für diese Krankheit sind nicht klar. «Ich bin relativ hellhäutig, vielleicht war ich damals in der Karibik zu lange an der Sonne», meint Edward Sarowski, das sei auch eine Theorie der Ärzte. Im Inselspital wurde er umfassend untersucht, erhielt Chemotherapie, die Medikamente wurden richtig eingestellt, danach erfolgte die Verlegung nach Nottwil zur Rehabilitation im Rollstuhl. Erschwerende Faktoren Die Erkenntnis, plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen und mit einer schwerwie­ genden Krankheit konfrontiert zu sein, ist für jeden ein Schock und mit vielen Ängsten und Problemen verbunden. Bei Edward Sarowski kamen mehrere erschwerende Faktoren dazu: Er hatte keine Familienangehörige in der Schweiz, die ihn in dieser Situation hätten unterstützen können. Trotz mehrjährigem Aufenthalt in der Schweiz hatte er nur eine Aufenthaltsbewilligung L, mit welcher er an eine Arbeitsstelle gebunden war. Diese wurde ihm jedoch noch im Oktober 2017 gekündigt. Die Wohnung, wel­che er damals bewohnte, war in keiner Weise rollstuhlgängig. Zudem wurde das Haus während seines Aufenthaltes in Nottwil verkauft. Job weg, Wohnung weg. DaParacontact I Sommer 2021


rüber hinaus fehlte es ihm an Wissen zu seiner Krankheit. Seine Sprachkenntnisse reichten für den Alltag zwar aus, aber bei schwierigeren Gesprächen musste eine Dol­metscherin zugezogen werden. Ein Netzwerk befähigt Zwei Aspekte halfen, dass Edward Sarowski nicht in ein Loch fiel. Einerseits sei er ein positiver Mensch, sagt er von sich. «Für mich heisst es noch lange nicht, dass diese Situation nun unumstösslich ist und ich im Rollstuhl bleibe. Ich lasse pessimistische Ge­danken nicht zu.» Andererseits profitier­te er im SPZ von der umfassenden Unterstützung der verschiedenen Fachbereiche. «Ich war unglaublich erstaunt, wie man sich um mich gekümmert hat! Eine Klinik wie diese hier ist sicher einzigartig in Europa», ist er überzeugt. In Polen wäre das nie mög­ ­lich gewesen, da hätte er weder die finanzielle noch die medizinische Unterstützung erhalten. Neben den Therapien und der ärzt­lichen Betreuung wurde er von der Sozialarbeiterin der Sozialberatung begleitet. Das Krankentaggeld wurde angemeldet, Hilfsmittel organisiert, rechtliche Fragen ge­klärt. Die Lebensberatung der SPV half auf der Suche nach einem angepassten Auto. Es folgten berufliche Abklärungen durch die IV in der ParaWork. Bei Austritt aus der Reha erfolgte die Über­ gabe von der Sozialberatung des SPZ an die Lebensberatung der SPV. Eine neue Wohnung habe er sich selber gesucht. «Im Inter­ net findest du alles, auch worauf man achten muss, wenn man im Rollstuhl ist.» Die Lebensberatung unterstützte ihn bei Abklärungen der Wohnung vor Ort und den mit der Wohnung verbundenen rechtlichen Angelegenheiten.

Heute lebt Edward Sarowski selbstständig in seiner neuen Wohnung. Er hat eine längerfristige Aufenthaltsbewilligung erhalten und kann seinen Lebensunterhalt mit den Sozialversicherungsleistungen bestrei­ ten. Die nötige Unterstützung im Alltag be­ komme er durch einen Freund im 3. Stock desselben Hauses. Wöchentlich hat er Phy­ siotherapie im SPZ. Zwei Mal pro Monat reist er ins Inselspital für weitere Untersuchungen und um neue Medikamente zu erhalten. Und natürlich profitiere er weiterhin von der Unterstützung der LebensParacontact I Sommer 2021

Sein Auto erlaubt Edward Sarowski Ausflüge in die geliebten Berge

beratung. Silvia Affentranger, seine Sozial­ arbeiterin, hilft ihm vor allem mit Dokumenten und bei Versicherungsfragen. «Und beim Einfordern der Renten», seufzt er. Da stehe noch einiges an, aus Polen, Holland, Amerika, Deutschland, Länder, in denen er gearbeitet hatte. Da sei er auf die Hil­fe angewiesen. Sonst verlaufe sein Leben ruhig, ohne Stress. Er fahre gerne mit dem Auto in die Berge, treffe Freunde. Probleme machen lebendig Was ihm am meisten geholfen habe während seiner über sechsmonatigen Rehabilitation? Er überlegt und erklärt es mit einem Vergleich. «Ich verlange viel von mir und ich mochte es immer, wenn ich bei mei­ner Arbeit mit Problemen konfrontiert wurde. Da fühlte ich mich lebendig.» Wenn polnische Ärzte nicht mehr weiterwüssten, schreiben sie die Patienten einfach ab, meint er. «Hier bin ich auch ein Problem, aber die Ärzte lieben das. Sie sind da für mich, arbeiten mit mir, versuchen, das Problem zu lösen, wie ich es jeweils bei

meiner Arbeit gemacht habe. Das ist schön, das macht mich glücklich.» Ja, er fühle sich in der Schweiz sehr gut aufgehoben und zu Hause. «Auch meine Söhne, welche in Polen wohnen, freuen sich, dass es mir trotz meinen Einschränkungen so gut geht.» Dass Edward Sarowski sein Leben so gut meistert, freut auch Silvia Affentranger, So­ zialarbeiterin bei der SPV. Das sei nicht selbstverständlich, komme aber vor allem auch daher, dass er seine Situation aktiv mitgestalte, sich melde, wenn er Fragen oder Probleme habe, sich die nötige Unterstützung hole. «Nur durch die Kooperation des Klienten ist es möglich, weiterzukommen und optimale Lebensbedingungen zu schaffen.» Rückblickend zeigt sich, wie wichtig das Zusammenspiel der verschiedenen Fachrichtungen der Schweizer Paraplegiker-Gruppe ist. Mit dem Einverständnis des Klienten arbeitet das ganze SPG-Team zusammen, damit es den Betroffenen gelingt, wieder möglichst selbstständig ihren Alltag zu gestalten. 13


Discretion by Design Ein Katheter, dessen Design wirklich begeistert.

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Der Infyna Chic Einmalkatheter wurde mit Hilfe von Fachexperten entwickelt, um ein hohes Mass an Diskretion für Frauen, die Einmalkatheter verwenden, zu gewährleisten. Der Einmalkatheter hat nicht nur ein ansprechendes Design, sondern ist auch einfach in der Handhabung. Infyna Chic kann einer Frau helfen, sich besser damit zu fühlen, einen Katheter zu verwenden. Benötigen Sie weitere Informationen oder möchten Sie ein Testprodukt anfordern? Dann besuchen Sie uns auf www.hollister.ch/InfynaChic. Lesen Sie vor der Verwendung die Gebrauchsanleitung mit Informationen zu Verwendungszweck, Kontraindikationen, Warnhinweisen, Vorsichtsmassnahmen und Anleitungen.

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© 2021: Hollister Incorporated. Hollister und Logo sowie Infyna Chic und Kontinenzversorgung sind Warenzeichenvon Hollister Incorporated. GOOD DESIGN ist ein eingetragenes und geschütztes Warenzeichen des Chicago Athenaeum. Metropolitan Arts Press Copyright 2020.

Kontinenzversorgung


LEBENSBERATUNG

ANLASS

LANGJÄHRIGE ZUSAMMENARBEIT

CRR Sion mit Leistungen aus Nottwil Aussendienstmitarbeiter Yann Avanthey bringt den Patienten in Sion die Dienstleistungen der SPV näher. Von Gabi Bucher

Mit Dr. Xavier Jordan, Chefarzt der Abteilung Paraplegie der Clinique Romande de Réadaptation (CRR) in Sion, und mit Karis Bagnoud, Leiterin der Abteilung Sozialberatung, wurde die Zusammenarbeit mit der SPV in den letzten Jahren intensiviert. Besuche erwünscht Anlässlich seiner wöchentlichen Arztbesu­ che überreicht Dr. Jordan den neuen Pa­ tienten der CRR ein Dossier, in welchem die SPV und ihre Dienstleistungen vorgestellt werden. Gleichzeitig bietet er den Be­such des Aussendienstmitarbeitenden Yann Avanthey an. Entscheidet sich der Patient für einen Besuch, erhält Yann dessen Kontaktdaten und spricht sich mit der Patientenplanung ab, um ein passendes Da­ tum zu finden. «Pro Jahr besuche ich an die 20 Patienten in Sion, zusätzlich zu den zirka 20 französischsprechenden Patienten in Nottwil», erklärt Yann. Auto und Sport im Fokus Obwohl alle die Unterlagen der SPV erhalten hätten, seien sie meist erstaunt, wenn er mit ihnen die Dienstleistungen bespreche. «Bei meinem Besuch sind die ersten Schritte für einen eventuell nötigen Um­ bau der Wohnung oft bereits beim Zentrum für Hindernisfreies Bauen eingeleitet.» Die Fragen, die ihm gestellt würden, hätten darum eher mit dem Erwerb und Umbau eines Autos zu tun, mit Zollfragen, Flottenrabatt oder Versicherungen. «Da helfe ich weiter, gebe Adressen von Ga­­ra­gen in ihrer Region, welche Umbauten vor­nehmen.» Auch Fragen zu sportlichen Aktivitäten im Rollstuhl seien häufig. Paracontact I Sommer 2021

ParaRomandie Trotz der unsicheren Situation im Frühjahr blieb das OK von ParaRomandie optimistisch und hofft nun, dass die dritte Ausgabe dieses Anlasses rund um die Querschnittlähmung wie geplant am Samstag, 28. August 2021 in der Clinique Romande de Réadapatation (CRR) in Sion durchgeführt werden kann.

«Meist haben die Patienten während ihrer Rehabilitation die eine oder andere Sportart ausprobiert und wollen nun wissen, wo sie diese weiterhin betreiben können.» Und jene, die Interesse an einer Mitgliedschaft bei der SPV haben, werden über einen Rollstuhlclub aufgenommen. Beim Austritt aus der Klinik übergibt die Sozialarbeiterin auf Wunsch des Patienten den Auftrag zur weiteren Begleitung an die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Lebensberatung, damit er bei Bedarf optimal weiterberaten werden kann.

Ziel der Besuche sei, den Patienten gesamtschweizerisch dieselben Angebote zur Verfügung zu stellen. Yann schätzt die Zusammenarbeit sehr und spürt, dass es für die Betroffenen angenehm ist, eine An­sprechperson auch nach dem Klinikaustritt zu haben. Kontakt Yann Avanthey Tel. 079 253 45 53

ParaRomandie ist ein Anlass für Menschen mit und ohne Rollstuhl. Betroffene berichten über ihren Alltag, Vorträge informieren über das Thema und Partner der Klinik stellen an verschiedenen Ständen neue Technologien und Hilfsmittel vor. Neu gibt es dieses Jahr thematische Ateliers und eine Modeschau. Als einzige Klinik für Querschnittgelähmte in der Romandie möchte das CRR aktiv dazu beitragen, der Bevölkerung die Thematik Para- und Tetraplegie näherzubringen. Der Anlass ist öffentlich und soll eine Plattform bieten für Begegnungen, Information und Sensibilisierung.

Mehr Informationen www.crr-suva.ch/ pararomandie 15


RECHTSBERATUNG

STEUERRECHT

Steuerabzüge für Fahrtkosten

Arbeitnehmende mit einer Behinderung sollen die tatsächlichen Fahrtkosten von den Steuern abziehen dürfen, entscheidet das Tessiner Kantonsgericht. Von Patrick Untersee, Cristina Arrigoni Baeriswyl, Simone Aldi, Tessiner Partneranwältinnen und -anwälte des IRB

Am 5. Oktober 2020 hat das Berufungsgericht¹ des Kantons Tessin erstmals auf kan­ tonaler Ebene im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) die Möglichkeit eingeräumt, dass ein Steuerpflichtiger mit einer Behinderung die tatsächlichen Kosten für Fahrten mit seinem Privatfahrzeug zwi­schen seiner Wohn- und Arbeitsstätte als behinderungsbedingte Kosten von seinem Einkommen abziehen kann. Dieser Entscheid ist eine wichtige Neuerung in der Steuerrechtsprechung, da er die Praxis der kantonalen Steuerbehörden in Frage stellt, bei der Berechnung des Abzugs von Fahrtkosten stets die im DBG vorgesehene Höchstgrenze von CHF 3000.– anzuwenden.

Der konkrete Fall Im Rahmen eines Rekurses gegen einen Entscheid der Tessiner Steuerbehörde argu­ mentierte ein Steuerpflichtiger, dass die­se Obergrenze diskriminierend sei, da die Tat­ sache unberücksichtigt bleibe, dass er aufgrund seiner Behinderung keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne und zur Nutzung seines Privatfahrzeuges gezwungen sei, was Kosten verursache, die weit über dem gesetzlich zulässigen Maxi­ mal­betrag lägen. Er betonte, dass die von der Steuerbehörde praktizierte Nichtberück­sichtigung der Fahrtkosten in vollstän­ diger Höhe, obwohl diese eine direkte Fol­ ge seiner Behinderung seien, daher in­ akzep­tabel sei.

Gesetzliche Grundlagen Gemäss Art. 26 Abs. 1 Bst. a DBG² sind abzugsfähige Berufskos­ten «die notwendigen Kosten bis max. 3000 Franken für Fahr­­­ten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte».

Das Gericht analysierte die Frage, ob die ei­ner behinderten Person entstandenen Fahrt­kosten zusätzlich zu dem bereits gemäss Art. 26 Abs. 1 Bst. a DBG zulässigen Betrag von CHF 3000.– als behinderungsbedingte Kosten gemäss Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis DBG abzugsfähig sind.

Die kantonalen Behörden haben diese Bestimmung bisher strikt auf der Grundlage des Kreisschreibens Nr. 11 der ESTV³ ange­ wandt, gemäss dem ein diesen Betrag über­steigender Abzug nicht zulässig ist mit der Begründung, dass die Fahrtkosten nicht als behinderungsbedingte Kosten, sondern lediglich als Kosten im Zusammenhang mit der Erzielung eines Einkommens im Sinne von Art. 26 Abs. 1 DBG abzugsfähig sind.

Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass es Steuerpflichtigen mit Behinderungen im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 13. Dezember 2002 gemäss Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis DBG möglich ist, die mit ihrer Behinderung verbundenen Kosten vom Einkommen abzuziehen. Zum Begriff der «Behinderungskosten» präzisierte das Gericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass es sich hierbei um Kosten handelt, die in

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einem engen Zusammenhang mit der Behinderung der Person stehen, also um Kos­ten, die grundsätzlich und zu einem grossen Teil als unmittelbare Folge der Behinderung entstehen. Das Gericht verwies dann auf das Kreisschreiben Nr. 11 der ESTV aus dem Jahr 2005, gemäss dem Kosten, die CHF 3000.– übersteigen, nicht auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis DBG abzugsfähig sind. In der Tat ist in diesem Kreisschreiben eindeutig festgehalten, dass Fahrtkosten einer behinderten Person für den Weg zur Arbeitsstätte, auch wenn sie CHF 3000.– übersteigen, nicht als Berufskosten abzugsfähig sind (siehe Art. 26 Abs. 1 DBG). Fahrtkostenabzüge, die CHF 3000.– übersteigen, sind daher nicht mög­­lich, auch wenn diese Kosten als unmittelbare Fol­ge einer Behinderung entstehen. Paracontact I Sommer 2021


Das Gericht erläuterte daher in der Folge, dass nach der Einführung des Maximalbetrags gemäss Art. 26 Abs. 1 Bst. a DBG das Kreisschreiben Nr. 11 der ESTV nicht mehr aktuell ist und die strenge Anwendung des Gesetzes negative Auswirkungen für Steuerpflichtige mit Behinderung ha­ ben könnte. Das Berufungsgericht des Kantons Tessin verwies anschliessend auf ähnliche Fälle und erläuterte, wie die Rechtspre­chung der diversen Kantone die verschiedenen kantonalen Steuerbehörden zur Veröffentlichung neuer Kreisschreiben veranlasst hat mit dem Ziel, die Auslegung des Gesetzes zu vereinheitlichen. Auf der Grundlage dieser Elemente hielt das Berufungsgericht die Position der kan­ tonalen Steuerbehörden für inakzeptabel, dass der Steuerpflichtige trotz seiner Behin­ derung und des komplizierten Arbeitsweges öffentliche Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeitsstätte nutzen sollte. Entscheid vom 5.10.2020 Das kantonale Gericht entschied deshalb, dass die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die den Höchstbetrag für den Fahrtkostenabzug gemäss Art. 26 Abs. 1 Bst. a DBG übersteigen, vom Einkommen abzuziehen und damit als behinderungsbedingte Kosten gemäss Art. 33 Abs. 1 Bst. hbis DBG anzuerkennen sind. Es gab damit dem Antrag des Steuerpflich­ tigen auf einen zusätzlichen Abzug ei­nes Betrags deutlich über CHF 3000.– statt, in Höhe der tatsächlich entstande­nen Fahrtkosten als Ausgaben, die in engem Zu­sam­ menhang mit einer Behinderung stehen.

Dieser Entscheid ist ein wichtiger Schritt hin zur Anerkennung der Rechte von Men­ schen mit Behinderungen und zeugt von einem gesteigerten Problembewusstsein der Gerichte. ¹ La Camera di diritto tributario del Tribunale d’appello, Urteile Nr. 80.2020.53 und 80.2020.85 vom 5. Oktober 2020 ² Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (SR 642.11) ³ Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), Kreisschreiben Nr. 11 vom 31. August 2005

Paracontact I Sommer 2021

SOZIALVERSICHERUNGEN

Gesetzesanpassungen seit dem 1.1.2021 Anpassungen an Preisund Lohnentwicklung Bei einer vollen Beitragsdauer beträgt die minimale AHV/IVRente CHF 10.– mehr pro Monat als früher, die max. AHV/ IV-Rente fällt um CHF 20.– höher aus. Auch die Hilflosenentschädigung der AHV und IV, der Intensivpflegezuschlag der IV für Minderjährige, der Assistenzbeitrag der IV sowie die Beträge für den Lebensbedarf bei den Ergänzungsleistungen stiegen an. Ebenfalls erhöht wurde der Mindestbeitrag an die AHV/IV/EO (von CHF 496.– auf CHF 503.– pro Jahr). Die Grenzbeträge in der beruf­lichen Vorsorge erfuhren eine Anpassung: Der Koordinationsabzug wurde auf CHF 25 095.– erhöht und die Eintrittsschwelle liegt neu bei CHF 21 510.–. Ältere Arbeitslose in der beruflichen Vorsorge Personen, die ihre Arbeitsstelle nach Vollendung ihres 58. Altersjahres verlieren, können bei der bisherigen Pensionskasse versichert bleiben. Neben der Pflicht zur Einzahlung von Risikobeiträgen und zur Beteiligung an den Verwaltungskosten besteht die Möglichkeit, weiterhin Sparbeiträge für das Alter einzuzahlen. Wer sich für eine Weiterversicherung entscheidet und mindestens die Risikobeiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag) sowie den Verwaltungskostenanteil weiter einzahlt, hat weiterhin die gleichen Rechte wie die anderen versicherten Personen (Verzinsung, Umwandlungssatz und Rente).

Vereinbarkeit Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung Aufgrund des neuen Bundesgesetzes zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung sehen das Obligationenrecht und das Arbeitsgesetz auch für Arbeitnehmende, die erwachsene Familienangehörige aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankung betreuen, einen bezahlten Urlaub vor. Dieser beträgt max. 3 Tage pro Ereignis bzw. 10 Tage pro Jahr. Neu besteht durch eine Änderung im Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung auch Anspruch auf eine Betreuungsgutschrift, wenn eine Person mit einer Hilflosenentschädigung wegen leichter Hilflosigkeit betreut wird. Das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung wird dahingehend angepasst, dass Hilflosenentschädigungen und Intensivpflegezuschläge für Kinder unter 18 Jahren während mind. 30 Tagen weiter ausbezahlt werden, wenn sich das Kind im Spital befindet. Dauert der Spitalaufenthalt länger als 30 Tage und ist die Anwesenheit der Eltern im Spital notwendig, werden die Leistungen darüber hinaus bezahlt. Per 1.7.2021 wird das Erwerbsersatzgesetz so ergänzt, dass Eltern für die Betreuung schwer erkrankter und verunfallter Kinder ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen können und eine Betreuungsentschädigung erhalten. Das Taggeld entspricht 80 % des Einkommens bzw. max. CHF 196.– pro Tag und wird während max. 14 Wochen innert einer Frist von 18 Monaten ausgerichtet. 17


MEDIZIN UND WISSENSCHAFT

HILFSMITTEL

Gewusst wie – gekonnt durch den Alltag

Die grösstmögliche Selbstständigkeit im Alltag ist oberstes Ziel für viele Patientinnen und Patienten im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ). Dazu gehört, fehlende Funktionen durch Kompensationstechniken zu ersetzen oder die richtigen Hilfsmittel zu kennen. Von Nathalie Lammers, Sarina Stöckli und Sarah Kleikemper; Therapien SPZ

Wie trage ich den heissen Topf voll Älpler­ magronen vom Kochfeld auf den Esstisch, wenn ich meine Hände doch zum Antreiben des Rollstuhls benötige? Wie schliesse und öffne ich die kleinen Knöpfe meines Hemds, das ich für einen wichtigen Termin tragen muss? Wie bleibe ich Teil der digitalen Welt, wenn mir die Fingerfertigkeit fehlt, um Tastatur und Maus zu bedienen? All diese Gedanken flirren durch die Köp­ fe von Menschen mit einer Para- oder Tetraplegie, die sich in ihrem Rehabilitations­ prozess auf dem Weg zur grösstmöglichen Selbstständigkeit im Alltag befinden. Eine Tetraplegie bedeutet meist auch eingeschränkte Handfunktionen. Je nach Läh­ mungshöhe kann es sein, dass Fingerfunk­ tionen komplett ausfallen. Wie kleine Alltagshilfen eine grosse Wirkung zeigen können, illustriert der fiktive Tagesablauf eines Tetraplegikers. Nützliche Hilfsmittel Für die Morgentoilette kommt die Spitex und hilft mir beim Duschen und Abführen. Trotz dieser Unterstützung bin ich froh, dass ich einen Duschbrausehalter besitze, mit dem ich den Duschkopf selber halten kann. Meine Tetrahandschuhe ermöglichen es mir, dass ich meinen Unterkörper selbstständig anziehen kann. Dazu nutze ich das Gummipad, das sich in der Innenseite der Handflächen befindet, und 18

kann damit die Hosenbeine an meinen Bei­ nen hochstreifen, ohne dass ich die Ho­se greifen muss. Die Tetrahandschuhe sind übrigens auch beim Antreiben des Rollstuhls notwendig, um genügend «Grip» am Greifreifen zu haben. Den Transfer vom Bett in den Rollstuhl führe ich mit meinem Rutschbrett durch, welches mir den Weg in den Rollstuhl wie eine Brücke ebnet. Beim Frühstück bin ich auf meine Tetraschlaufe angewiesen. Ich befestige mein Besteck in der dafür vorgesehenen Plastikhülse und schnalle die Schlaufe um meine Handfläche. Im Schlüs­ selring am Ende des Verschlusses hake ich meinen Daumen ein und schliesse so den Klettverschluss. Teilweise benötige ich da­für aber auch meine Zähne. Manchmal benutze ich auch das Besteck, welches mir meine Ergotherapeutin mit Schienenmaterial angepasst hat. Je nach Mahlzeit ist ein hoher Tellerrand von Vorteil, damit ich das Essen nicht von meinem Teller schie­be. Wenn ich etwas von der Küche zum Esstisch transportieren möchte, nutze ich mei­ nen Knietisch. Diesen habe ich während meiner Reha im SPZ selbst gebaut. Dank der Styroporkügelchenfüllung im Kissen passt sich der Knietisch meinem Schoss an und das Tablett verrutscht beim Fahren kaum.

Am späten Vormittag beantworte ich EMails. Dabei hilft mir meine Tetramaus, mit der ich den Klick mit dem Handballen auslösen kann. Die Sprachsoftware nimmt mir einige unnötige Schritte durch langwierige Menüoptionen ab oder ich kann lange Texte einfach diktieren. Mein Handy befindet sich auf einem kleinen Keil aus Trocellen und ist durch ein Band mit einem Klettverschluss an meinem Bein fixiert. Die Spitex platziert das Handy dort jeden Morgen, damit es für mich in Reichweite ist, wenn ich einen Anruf erhalte. Den An­ ruf nehme ich mit dem Touchpen entgegen, den ich in der Tetraschlaufe befestige. Anschliessend mache ich mich auf den Weg zu meinen ambulanten Therapien. Dafür nehme ich den Zug und lasse mich von meinem Elektrohilfsantrieb ziehen. Die­ser wird einfach mit Klemmen an den Rohren von meinen Fussrasten befestigt. Die besonders geformten Schrauben er­ mög­lichen es mir, dass ich den Elektrohilfsantrieb auch ohne fremde Hilfe an meinem Rollstuhl befestigen kann. Ich überprüfe in der SBB-App, welche Verbindungen einen barrierefreien Zugang haben und wo ich eine Voranmeldung machen muss, damit mir jemand beim Ein- oder Aussteigen hilft. Manchmal bin ich auch mit meinem angepassten Auto unterwegs. Da nutze ich das integrierte Rutschbrett für den Transfer und verlade den Rollstuhl mit Paracontact I Sommer 2021


Die wichtigsten Alltagshelfer im Überblick In diesem Fallbeispiel hat die Tetraschlau­fe eine grosse Bedeutung im Alltag zugeschrieben. Mit dieser kann auch eine Person ohne Fingerfunktionen eine Gabel oder einen Löffel halten. Die Tetraschlaufe besteht aus Klett und einer Plastikhülse. Der oder die Betroffene befestigt die Schlau­fe um die Hand und steckt das Besteck in die vorgesehene Hülse. Dafür ist teilweise auch der Einsatz der Zähne notwendig. Die Tetraschlaufe kann auch für das Putzen der Zähne oder das Bedienen des Smart­phones per Touchpen verwendet werden. Wenn Fingerfunktionen teilweise vorhanden sind, aber noch kein vollständiger Faustschluss möglich ist, erleichtern einfache Verdickungen aus Schaumstoff das Greifen.

Ein weiteres zentrales Hilfsmittel für den Alltag sind die Tetrahandschuhe. Diese bestehen aus Leder und einem Gummipad und werden individuell angefertigt. Das Gummipad haftet an den gummierten Greifreifen am Rollstuhl, wodurch das An­ treiben des Rollstuhls auch ohne Fingerfunktionen möglich ist. Ebenso haftet es an jeglicher Kleidung, die auf diese Weise am Körper entlang gestreift werden kann. Die richtigen Hilfsmittel ermöglichen einen möglichst selbstständigen Alltag

einem Seilzug hinter den Autositz. Zum Tanken nutze ich eine App, mit der ich mich zum Tanken anmelden kann. Alternativ nehme ich manchmal auch Freunde mit, die mir beim Tanken helfen. Komme ich nach der Therapie nach Hause, muss ich erst mal mein Gesäss entlasten. Um zu kontrollieren, wie meine Haut aussieht, ha­be ich eine Spiegelfolie neben dem Bett angebracht. Abendroutine Danach beginne ich mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Das dauert meist lange, sodass ich froh bin, wenn ich im Supermarkt geschnittenes Gemüse kaufen konnte. Meine Küche ist entsprechend um­ gebaut. Der Wasserhahn in der Küche ist ausziehbar und der Hebel extra lang. So kann ich den Topf auf der Arbeitsfläche positionieren, mit Wasser füllen und muss Paracontact I Sommer 2021

ihn nur rüber auf den Herd schieben. Trotz diesen Anpassungen bin ich froh, wenn ich nicht alleine kochen muss. Wenn ich abends Zeit habe, zocke ich ger­ ne auf meiner Spielekonsole. Neu habe ich einen angepassten Controller, den ich selber finanziert habe. Vor der Nacht putze ich mir die Zähne und nutze dafür wieder meine Tetraschlaufe, in der meine Zahnbürste steckt. Was ich einmal ausprobieren möchte, ist eine elektrische Zahnbürste. Diese werde ich gemeinsam mit meiner ambulanten Ergotherapeutin mit Schienenmaterial anpassen und den Ein- und Aus-Schalter mit einem Gum­ miaufkleber erhöhen. All die­se kleinen Hilfsmittel, Apps und Tricks vereinfachen meinen Alltag sehr und ermöglichen mir eine grössere Selbstständigkeit.

Individuelle Anfertigungen Müssen Hilfsmittel optimiert oder neu ent­ wickelt werden, erarbeitet ParaWork gemeinsam mit Patientinnen und Patienten Lösungen. Der benötigte Gegenstand wird mit Hilfe des CAD-Programms gezeichnet und durch einen 3D-Drucker gefertigt. Hilfsmittel wie beispielsweise eine Griffver­ dickung für die Gabel oder eine Hilfe zum Einklappen der Antikippräder am Rollstuhl wurden so schon erfolgreich hergestellt.

Die Webseite «evilcontrollers» vertreibt an­ passbare Module für die Controller von Gaming-Konsolen. Diese erlauben das Be­ dienen des Controllers mit nur einer Hand oder den Handballen. Auch hier werden individuelle Lösungen er­mög­­licht.

Angebot Therapien SPZ www.paraplegie.ch/spz 19


HINDERNISFREIES BAUEN

WOHNUNGSUMBAU

Im Garten zu Hause

Dank dem vom ZHB geplanten Wohnungsumbau hat Familienmensch Nils Eschenmoser eine neue Passion: seinen 200 m² grossen Garten. Über den freut sich auch Assistenzhund Banco als jüngstes Familienmitglied.

Von Felix Schärer und Marcel Strasser

Der in Zürich aufgewachsene Rollstuhlfahrer kam nach seiner MS-Erkrankung 1997 mit Einsatz von einfachen Hilfsmitteln vorerst ohne Umbauten zurecht. Als er 2009 in die Altstadt von Lenzburg um­zog, hatte sich seine Mobilität durch die Krankheit verändert. Zum ersten Mal trat Nils Eschenmoser mit dem ZHB in Kontakt. Familienwohnung Seither sind zwölf Jahre vergangen, und bei zwei weiteren Bauprojekten in ande­ren Wohn­objekten, ebenfalls in Lenzburg, konn­te das ZHB wertvollen Rat im Bereich hindernisfreies Bauen bieten. Im Jahr 2013, als Toch­ter Lina drei Jahre alt war, erwarb die junge Familie eine Eigentumswohnung im Obergeschoss in einem Neubauquar20

tier. Nils Eschenmoser war sehr froh über die Expertise, die das ZHB in das Projekt einbrachte. Die planenden Architekten der Siedlung konnten dabei die Lösungsvorschläge des ZHB, basierend auf den Bedürfnissen der jungen Familie, einplanen und ohne grosse Mehrkosten realisieren. Garten gewünscht Seither ist die Familie gewachsen und das Bedürfnis nach Garten gestiegen. Zufällig steht Anfang 2020 eine Parterrewohnung im Nachbarhaus derselben Siedlung zum Verkauf. Die Familie schlägt sofort zu und zieht erneut das ZHB für eine kostenlose Bauberatung bei. Stets zufrieden mit unse­ ren Dienstleistungen, beauftragt uns der Familienvater auch zugleich mit der Pla-

nung bis und mit Kostenvoranschlag.Wir planen eine einfache Wohnraumanpassung. Türen und Schwellen müssen angepasst werden. Es benötigt Rampen für den Zugang in den Keller sowie Hilfsmittel und Haltegriffe im Bad, das der Bauherr zusätzlich renoviert haben möchte. Die IV bewilligt die Kosten exklusive die Bauherrenwünsche und das Planungs- und Bauleitungshonorar des ZHB. Böse Überraschung Der Umbau ist keine komplexe Angelegen­ heit. Nils Eschenmoser traut sich die Koordination selber zu. Die Auswechslungen für die Montage der Hilfsmittel wie Haltegriffe und Duschsitz sind im Kostenvoranschlag eingeplant und in den Offerten Paracontact I Sommer 2021


Leichtbaukonstruktionen in Sanitärräumen Für die Installationen im Sanitärbereich werden immer öfters Ständerkonstruktionen verwendet. Wegen der kurzen Bauzeit und der kompakteren Konstruktionen, die im Gegensatz zur bisher konventionellen Bauweise keine Feuchtigkeit in den Raum bringen, sowie aus ökologischen Gründen oder wegen des guten Raumklimas wird immer häufiger Holz als Baustoff für die Tragkonstruktion von Gebäuden verwendet. Bezüglich hindernisfreiem Bauen ergeben sich bei diesen Leichtbaukonstruktionen jedoch ein paar Probleme, die beachtet werden müssen. Sanitärinstallationen werden oft in vor der tragenden Wand montierten Leichtbaukonstruktionen mit Ständern aus Aluminium oder Holz untergebracht. Dadurch werden die Tragkonstruktionen statisch weniger geschwächt, die Schallübertragungen können reduziert werden und die Baukosten sind niedriger. Für die Montage der Sanitärapparate werden in der Installationswand Metallrahmen mit auf das Gerät abgestimmten, stabilen Befestigungspunkten eingebaut. Die Installationswände werden dann für die Aufnahme des Wandbelages mit einer Leichtbauplatte, zum Beispiel einer Gipsplatte, verkleidet. Wegen der offensichtlichen Vorteile sind solche Installationssysteme weit verbreitet. Durch diese Konstruktionsweise ergibt sich jedoch ein Problem, wenn sich später die Anforderungen an den Sanitärraum verändern.

enthalten. Aber die Sache läuft anders als geplant. Als im Frühling 2020 während Bauarbeiten eine Leichtbauwand einstürzt und zusätzlich noch die Coronapandemie unseren Alltag auf den Kopf stellt, bittet Nils Eschenmoser das ZHB um Unterstützung bei der Bauleitung. Die Invalidenversicherung kann er kurzfristig überzeugen, in diesem Fall das Honorar für die Bauleitung und Planung zu finanzieren. Heute ist er froh darüber. Er hatte wegen des Co­ rona­virus zwar selten direkten persönliParacontact I Sommer 2021

Einbau einer Verstärkung in Leichtbauwand für den Umbau der Dusche

Muss aufgrund einer körperlichen Einschränkung eines Benutzers ein Hilfsmittel wie ein Duschklappsitz oder ein Haltegriff montiert werden, so ist dies nur im Bereich der Tragkonstruktion möglich. Die Leichtbaukonstruktion ist in der Regel nicht für die zusätzlich auftretende Belastung ausgelegt, was ohne zusätzliche Massnahmen zu Schäden führt. Auch das Verschieben eines Einrichtungsgegenstandes, zum Beispiel einer Toilette, ist meist nicht ohne Anpassung der Unterkonstruktion möglich. Die gleichen Probleme treten auch bei Häusern mit Tragkonstruktion aus Holz auf, zum Beispiel bei Holzrahmenbauweise oder Skelettbauweise. Bei hindernisfreien Anpassungen in einem Sanitärraum mit Montage von Hilfsmitteln sind bei solchen Konstruktionen Verstärkungen für die Befestigung (sogenannte Ausholzungen) notwendig. Das bedeutet, dass die Verkleidungen entfernt und dahinter eine stabile Unterkonstruktion eingebaut werden muss, die die auftretenden Kräfte auf die Ständerkonstruktion übertragen kann. In der Regel werden dafür mehrschichtig verleimte Holzplatten verwendet, die zwischen die Ständer der

chen Kon­takt zu unserer Architektin Irene Bucher, aber mit ihrer Bauleitung, der pro­ fessionellen Koordination di­­rekt mit den Handwerkern vor Ort und dem Endresultat ist er sehr zufrieden. Mit seiner neuen Zughilfe ist es dem Rollstuhlfahrer seit dem Umzug in die neue Gartenwohnung ein Leichtes, zusammen mit Hund und Familie Zeit in seinem Garten und auf Spaziergängen im Wald zu ver­bringen. Lachend erzählt er, dass er

Installationswand eingebaut werden. Nach der Verstärkung der Wand müssen die Verkleidung und der Wandbelag wieder ergänzt werden. Falls beispielsweise die bestehenden Wandplattenbeläge nicht oder nicht in genügender Menge als Reservematerial vorhanden sind, muss ein neuer Wandbelag verwendet werden. Selbst bei kleinen Anpassungen ist der Aufwand gross. In vielen Fällen ist es auch möglich, anstatt der aufwendigen Verstärkung ein anderes Hilfsmittel zu verwenden oder die Anordnung so zu wählen, dass stabile Wände oder auch Boden und Decke für die Befestigung verwendet werden können. An Stelle eines Duschklappsitzes kann z. B. ein freistehender Duschstuhl oder ein Duschrollstuhl eingesetzt werden. Als Alternative zu nur an der Wand befestigten Haltegriffen gibt es auch Mo­delle mit Bodenstützen, die einen Grossteil der Kräfte aufnehmen, oder vertikale Haltestangen, die zwischen Boden und Decke eingespannt und mit Griffen ergänzt werden können. Für die Auswahl der Hilfsmittel ist eine vorgängige, detaillierte Abklärung der Bedürfnisse wichtig.

nun hoffe, die Leistungen des ZHB in den nächs­ten 20 Ja­hren nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen. Dieses Beispiel zeigt, dass heute, wo immer mehr Leichtbaukonstruktionen im Wohnungsbau eingesetzt werden, Schwachstel­ len in der Norm SIA 500 «Hindernisfrei Bau­en» bestehen. Diese gilt es auszumer­ zen und wir hoffen, die anstehende Revision der Norm wird für zukünftige Wohnungen Verbesserung bringen. 21


KULTUR UND FREIZEIT

SINNVOLLE FREIZEITGESTALTUNG

Biscotti, pomodori e peperoni Sandro Lancini, passionierter Gärtner, hat sich in Arzo TI sein eigenes kleines Paradies eingerichtet.

Von Gabi Bucher

Sandro Lancini lebt in Arzo, im Bezirk Mendrisio, in einem Haus am Hang mit unglaublichem Ausblick. Bis Mailand sehe man an schönen Tagen, behauptet er. Er lebt dort seit 30 Jahren, allein, mit Hund Aldo, einer englischen Bulldogge. Nicht all­täglich, der Name, denn Aldo ist eine Hundedame. Sandro lacht und erzählt, halb Französisch, halb Italienisch und mit ein paar Brocken Deutsch, wie es dazu gekommen ist. Der Name sei schon gewählt gewesen und zusammen mit seinem eigenen bereits auf dem Briefkasten vermerkt, be­vor er den Hund beim Züchter ausgesucht habe. Der für ihn vorgesehene Rüde hatte nicht die richtige Farbe, also entschied er sich für das Weibchen. «Schlussendlich ist es dem Hund egal, wie ich ihn rufe, so­lan­ge er sein Leckerli kriegt», erklärt er lachend. Verheerende Hilfsaktion Das ist Sandro, er erzählt gerne Geschichten, lacht viel und lebt gut hier in seinem Reich, trotz den Einschränkungen durch seinen Unfall. Wobei es eigentlich nicht sein Unfall gewesen sei, meint er. «Ich war auf der Autobahn unterwegs. Es hatte ei­ nen Unfall gegeben und ich stieg aus meinem Wagen, um zu helfen. Dabei wurde ich von einem herannahenden Auto mit 120 km/h erfasst und 25 Meter durch die Luft geschleudert.» Er sei mehr tot als lebendig liegen geblieben. Nach fast zwei Jahren Krankenhaus und dreissig Operationen lebt er heute, 13 Jahre später, mit ei­ nem über dem Knie amputierten Bein und 22

mit einer eingeschränkten Beweglichkeit des rech­ten Arms. Aber was ihn vor allem plagt und einschränkt, sind die Phantomschmerzen. Immer wieder suchen sie ihn heim. «Die Beinprothese machte das Gan­ ze noch schlimmer, darum habe ich sie vor zwei Jahren weggelegt.» Jetzt benutzt er den Rollstuhl und ab und zu Krücken. Treppenelemente als Gartenweg Eine grosse Ablenkung in seinem Alltag ist Aldo. «Einerseits ist sie Gesellschaft, an­ dererseits muss ich mich um sie kümmern, muss raus, bei jedem Wetter.» Aber sein wirklich grosses Hobby ist sein Garten.

«Es gab schon immer einen Garten hier, auch vor meinem Unfall, aber er war viel grösser», erzählt er. Als er nach seinem Krankenhausaufenthalt zurückgekommen sei, habe er lange überlegt, wie er den Garten umgestalten und für sich zugänglich machen könnte. «Eines Tages sah ich in Coldrerio bei einer Betonfirma diese viereckigen Behälter und die Treppenelemen­te.» Das brachte ihn auf die Idee der Gartenbeete. Liefern würden sie schon, habe der Verkäufer gesagt, aber verlegen müsse er das Ganze selber. «Glücklicherweise ha­be ich viele Freunde aus meiner Zeit als Zugführer bei der SBB», erklärt Sandro.

Ernten, Setzlinge ziehen oder backen, Sandro weiss sich zu beschäftigen Paracontact I Sommer 2021


Die Treppenelemente wurden verkehrt he­ rum verlegt, das ergab einen befahrbaren Weg und gleichzeitig die Umrandung der Gartenbeete. Da Sandro relativ viel Rumpf­ stabilität hat, kann er die so entstandenen Beete erreichen. «Natürlich wäre es prak­ ti­scher, wenn sie höher wären, aber dann hätte betoniert werden müssen. Der Druck der Erde wäre sonst zu hoch gewesen. So reichte es, sie zu verlegen.» Auch ein etwas breiterer Weg wäre praktisch, dann könnte er sich im Rollstuhl drehen. «Dazu hätte ich aber Elemente nach Mass benötigt, das wäre zu teuer gewesen.»

«Mein Garten hält mich auf Trab» In diesen Beeten pflanzt er Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Zucchini, Kräuter, Salat. «Es gibt Tomatenjahre, Zucchinijahre, man weiss nie, was jeweils am besten wachsen wird. Aber meine Tomaten!», schwärmt er, «gross, rot und wunderbar fleischig.» Sein vor vier Jahren verstorbener Vater habe auch einen Garten gehabt, «in dem hättest du vom Boden essen können», lacht Sandro. «Alles geputzt und gepflegt, kein Unkraut, nichts. Er stand um fünf Uhr in der Früh auf, um zu giessen. Bei mir wächst so einiges mit, ich giesse am Abend, das sei total falsch, sagte mein Vater. Aber meine Tomaten waren eher reif und schöner als seine!» Gut, er gibt zu, dass die ganztägige Besonnung, von welcher sein Garten profitiert, wohl auch das ihre tut! Paracontact I Sommer 2021

Bezahlung in Keksen Im kleinen Gewächshaus an der Hauswand zieht Sandro Setzlinge. «Ich versuche, alles so weit als möglich selber hinzukriegen. Wenns nicht klappt, kaufe ich die Setzlinge nach.» Der Garten hält ihn auf Trab. Jäten, Triebe entfernen, giessen, das kriegt er problemlos hin. Aber es gebe natürlich etliches, was er nicht selbst machen könne. «Das ist auch gut so. So bleibe ich in Kontakt mit meinen Freunden. Entweder rufe ich sie an und bitte um Hilfe oder sie fragen, ob es zum Beispiel Zeit sei, die Kartoffeln auszugraben. Als Gegenleistung be­ koche ich sie oder bezahle sie in Keksen.» Ja, erklärt er, seit einiger Zeit backe er regelmässig Kekse, eine Beschäftigung gegen die Phantomschmerzen. «Wenn ich nicht mehr schlafen kann, weil sie zu stark sind, mache ich Kekse, anstatt vor dem Fern­ seher zu sitzen und kannenweise Kaffee zu trinken. Das lenkt ab.» Er bringt drei Schüsseln mit unterschiedlichen Keksen. «Meine Mutter hat mir das Grundrezept gegeben und ich probiere jetzt aus, was man alles reintun kann. Nüsse, getrocknete Aprikosen und neu auch Ingwer.» Seine Freunde lieben die Kekse und lassen sich gerne damit «bezahlen». «Und mich freut es, wenn sie mir sagen, sie seien lecker.» Schade nur, dass er selber keine esse! Kürz­ lich habe er einem seiner Helfer ein Paket davon in die Rekrutenschule geschickt, zum Spass mit kleinen gebratenen Bratwurststückchen drin. «Es war als Gag gemeint», lacht er, «aber der junge Mann fragte nach Nachschub.»

Der Garten ist nicht riesig, aber gross ge­ nug für das, was er in seiner Küche braucht. Natürlich koche er selber, sonst könnte er ja nicht essen, meint er. Und mindestens drei Mal pro Woche komme seine betagte Mutter zum Mittagessen. «Sie ernährt sich nicht mehr richtig. Zudem hat sie so lange für mich gekocht, jetzt kann ich ihr etwas zurückgeben.» Auch grillieren tut er gerne, hat sich einen Spezialgrill konstruieren lassen, den er jetzt sitzend gut bedienen kann. Und zu Grilladen reicht er «pomodori e peperoni», eine Art Tomaten-Peperoni-Paste auf frischem Baguette – es gäbe nichts Besseres. «Oder gefüllte Zucchini mit Gemüse oder mit Fleisch, und Gurken mit Joghurt.» Hier spricht ganz offensichtlich ein Geniesser. Es gebe ein italienisches Sprichwort, meint Sandro: «Jeder rührt seine eigene Polen­ta.» Man müsse sich selber organisieren, sich selber helfen. So tüftelt und verbessert er immer wieder. So erfand er beispielswei­se eine Vorrichtung gegen Hagel. «Wenn ich sie montiere, hagelt es bestimmt nicht, aber wehe, ich vergesse sie mal!» Oder ein demontierbares Gitter, damit er vom Parkplatz aus an seine Gartenbeete rankommt, Aldo sich jedoch nicht in den Beeten vergnügt. Und er holt sich Hilfe, wann immer nötig. Der unverkennbare köstliche Duft eines Moka-Kaffees weht von der Küche her auf die Terrasse. Zeit, sich Sandros «biscottis» zu widmen! 23


RUBRIK UND FREIZEIT KULTUR

TEAM KF

KULINARIK

Wechsel in der Bereichsleitung

Herbstausflug

Im Oktober 2019 übernahm Tanja Müller die Leitung der Abteilung Kultur und Freizeit. Seit ihrem Weggang Ende März 2021 ist Roger Getzmann interimsmässig für die Bereichsleitung zuständig. Während der Zeit bei KF baute Tanja Müller eine Koordinations­stelle für die Romandie auf. Hierfür wurde auch die Stelle eines Koordinators für die Westschweiz geschaffen (siehe Seite 29). Sie regte einen verstärkten Austausch mit den KF-Verantwortlichen an und lancierte die Überarbeitung des Sensibilisierungsangebotes sowie des Kurs- und Veranstaltungswesens. Das Reisebüro wurde breiter abgestützt und mit zwei Reisefachfrauen im Teilzeitpensum ergänzt.

KURS FÜR MITGLIEDER

Mobilitätskurs Region Biel Durch eine Mischung aus Theorie und Praxis verbessern Sie Ihre Mobilität im Rollstuhl und erlernen neue Handhabungstechniken. Sie lernen Ihre Schultern zu entlasten und das Kippen des Rollstuhls zu vermeiden. Am zweiten Tag werden Sie die neu erworbenen Fähigkeiten bei einer Rollstuhl-Schatzsuche in der Praxis anwenden. Ein Kurs, der sie dabei unterstützt, sich im täglichen Leben sicherer und mobiler zu fühlen. Der Kurs findet am 25. und 26. Juni 2021 in der Region Biel statt.

Erste Station ist der Besuch im beliebten Charlie-ChaplinMuseum in Vevey. Schauen Sie sich im wunderschönen Herrenhaus des genialen Filme­machers um. Sie werden mehr zu seinem Familienleben erfahren und Möbel und per­sönliche Gegenstände besichtigen können. Im Anschluss stärken Sie sich mit einem leckeren Mittagessen.

Mehr Informationen www.spv.ch/veranstaltungen

AKTIVITÄT

Bettmeralp-Weekend Das legendäre Wochenende auf der Bettmeralp bietet Ihnen Entschleunigung in einzigartiger Natur und eine grosse Portion gesunde Alpenluft. Dies alles in roll­ stuhlfreundlicher Umgebung und bester Gesellschaft. Mit seinen typischen Walliser Chalets ist das Dorf sehr authentisch und zudem komplett autofrei. Oberhalb der Bettmeralp liegt der Aletschgletscher, der grösste der Alpen. Die Infrastruktur der Aletsch Arena ist barrierefrei und ermöglicht so­mit auch Menschen mit Mobilitätseinschränkung, die Re­ 24

Die Farben des Herbstes leuchten am Lac Léman besonders intensiv. Der 25. September 2021 wird ein Tag, den Sie mit Leib und Seele geniessen werden.

gion in ihrer ganzen Schönheit zu erleben. Die Wege sind für Rollstuhlfahrer gut befahrbar und wunderschön angelegt. Freuen Sie sich auf diesen zweitägigen Ausflug ins Oberwallis, der vom 28. bis 29. August 2021 geplant ist. Gemeinsam mit der SPV organisiert Alois Schmid diesen Anlass. Selbst Rollstuhlfahrer, kennt er sich in der Region bestens aus. Er wird seine Gäste an beiden Tagen begleiten. Anmelden www.spv.ch/veranstaltungen

Lernen Sie danach die Weinwelt von Jean-Paul Forestier kennen. Der Weinkeller und der «Caveau de la Pierraz», mit einem atemberaubenden Blick auf den Lac Léman und Savoyen, befinden sich im Herzen des Dorfes Chardonne. In dieser besonderen und warmen Atmosphäre degustieren Sie die lokalen Weine und geniessen dazu die Weitsicht in die Region – ein einmaliges Erlebnis! Das Abendessen findet im Restaurant L’Unique in La Roche am See statt, wo Sie viel Gemütlichkeit vorfinden. Informationen www.vins-forestier.ch Paracontact I Sommer 2021


KULTUR UND FREIZEIT

REISEN IN DER SCHWEIZ

Grand Tour of Switzerland barrierefrei Schon immer von einem Roadtrip durch die Schweiz geträumt? Die barrierefreie Grand Tour of Switzerland der Stiftung Claire & George machts möglich. Von Antonia Tanner

Zurücklehnen auf einer Dampfschifffahrt auf dem Vierwaldstättersee, einkehren in eine urchige Beiz im Emmental, die fantas­ tischen Rebberge am Lac Léman ins Gedächtnis einbrennen oder das Matterhorn aus bester Position vor die Linse bekommen. Diese und viele weitere Highlights hält die Grand Tour of Switzerland für Sie bereit. Route 66 als Vorbild Im Jahr 2015 lancierte Schweiz Tourismus die Grand Tour of Switzerland. Auf diese Weise sollte Individualtouristen die Reiseplanung per Auto oder Motorrad erleichtert werden. Rund 1600 Kilometer lang führt die Grand Tour durch die schönsten Gegenden der Schweiz. Sie schlängelt sich durch alle Landesteile, über fünf Alpenpäs­se, vorbei an 44 Sehenswürdigkeiten, 51 Städten und entlang von 22 Seen. Als

Grand Tour of Switzerland www.grandtour.myswitzerland.com

Vor­bild dafür diente die legendäre US- dene Etappen ohne Wartezeiten und ohne Route 66, heute ein Anziehungspunkt für Umsteigen miteinander verbinden. Das Touristen und Nostalgiker. Gepäck reist mit und ist bereits im Hotel, bevor man ankommt. Ein weiterer Vorteil Barrierefrei und individuell planbar dieser individuellen Tou­ren ist, dass nach Dieser Roadtrip ist auch für Menschen Lust und Laune Ange­bote dazugebucht mit einer Mobili­täts­ein­schrän­kung mög- werden können. Susanne Gäumann bestälich. Die Stiftung Claire & George bietet tigt dies: «Unsere Erfahrung ist, dass die eine individuell gestaltbare und hindernis­ Gäste eine Tour pla­nen, jedoch vor Ort freie Grand Tour of Switzerland an: «In der meist ihr Programm anpassen. Hier wird Regel buchen die Gäste eine vier- bis fünf- eine Etappe mit dem Glacier Express vertägige Tour. Die Wahl der Destinationen längert, dort wird ein Bergausflug oder ist sehr unterschiedlich», sagt Susanne eine sportliche Aktivität eingebaut – einGäumann, Geschäftsleiterin der Stiftung. fach weil das Wetter gerade optimal ist. «Jüngere Gäste sind fasziniert von barriere­ Oder die Gäste lassen sich für eine Archifreien Ausflugszielen wie z. B. dem Cliff- tekturführung oder ei­nen lokalen Deguswalk in Grindelwald, welcher mit dem tations-Geheimtipp begeistern.» Jung­fraujoch kombiniert wird.» Beliebt seien aber auch die Panoramazüge sowie Angebotspakete testen Schifffahrten. Um die Angebote besonders auch für die Schwei­zer Gäste attraktiv zu machen, wur­ Unterwegs spontan bleiben de die Grand Tour in vier übersichtliche Sind die Gäste mit einem Tourguide und regionale Touren unterteilt: «Art de Vivre», Chauffeur unterwegs, bleiben sie zeitlich «Dolce Vita», «Bergwelten» und «Alpenflexibel. So können die Reisenden verschie­ bli­cke». Zusammen mit den Tourismuspartnern werden diese mit lokalen Angebotspaketen ergänzt, die Sportbegeisterte, Familien oder auch Kunst- und KulinarikLiebhaber ansprechen. Die Angebotspakete werden im Sommer als Test ausgeschrieben. INDIVIDUELLE BERATUNG Barrierefreie Grand Tour of Switzerland Claire & George kontakt@claireundgeorge.ch www.claireundgeorge.ch Tel. 031 301 55 65 Mobile 079 949 10 26

Spezieller Service möglich Benötigen Sie zusätzliche Dienste wie Spitex, können Sie auch diese dazubuchen. Die Touren werden nach Wünschen, Bedürfnissen und Budget der Individualgäste oder kleineren Gruppen organisiert. Die Kosten variieren je nach Wahl des Hotels, Dauer der Tour und Anzahl Personen.

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KULTUR UND FREIZEIT

MALKURS

Kreativität grenzenlos Das Atelier der WELTMALERiNNEN in Biel öffnet Türen für gestalterisch interessierte Menschen mit und ohne Behinderung. Es ist ein Raum für gelebte soziale und künstlerische Inklusion. Von Yvonne Rölli

Vor gut zwei Jahren haben Fran­ziska Feldmann und Regula Gäumann den Verein DIE WELTMALERiNNEN gegründet. In ihrem Atelier werden Menschen, die behin­ dernde Situationen erfahren und gestalterisch im Bereich Kunst und Design tätig sein möchten, fachkundig begleitet. Diese Kulturarbeit versteht sich nicht als Therapie oder sonderpädagogische Behandlung, sondern bietet den Teilnehmenden einen Raum zur Stärkung der eigenen Künstleridentität. Durch ihre eigenen gestalterischen Fachkenntnisse und die gesammelten Erfahrun­ gen können die WELTMALERiNNEN die Arbeiten in der Umsetzung professionell begleiten. Ebenso erkennen sie vorhandenes künstlerisches Potenzial. Die Arbeit jedes Einzelnen wird so begleitet, dass die­ Das Coronavirus wirkte sich auch auf die se zum persönlichen Ausdruck und zur Arbeit im Atelier aus. Die Arbeit in GrupEntwicklung des eigenen Stils führt. pen war nur noch bedingt möglich. Dies ver­hinderte, sich mit dem Atelier eine fi­ Gesamtkunstwerk nan­­zielle Existenz aufzubauen und die bei­ Immer wieder zu erleben, wie sich künstle­ den Frauen arbeiten nach wie vor ehrenrisches Potenzial entfaltet, weiterentwickelt amtlich. und in die Welt hinauszieht, ist für Franziska Feldmann eine grosse Freude. Für Lichtdurchflutet Regula Gäumann ist das inklusive Atelier Das Atelier ist Arbeits- und Begegnungs­ nicht nur ein Herzensanliegen, sondern gar raum. Es befindet sich oberhalb der Bieler ein Gesamtkunstwerk, welches sich aus Altstadt und ist mit dem Auto oder Bus erdem über Jahre gewachsenen Traum und reichbar. Der Atelierraum ist gross und hell. aus ihren verschiedensten Erfahrungen Die hohen Fenster geben den Blick frei hientwickelt hat. nunter auf die Stadt. Der Raum verfügt über behindertengerechte Infrastruktur für Die beiden Frauen lernten sich bei der Ar- sechs Atelierplätze. Ein Nebenraum bietet beit kennen, wo sie ein Mal- und Druck- die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, und atelier leiten. Schon längere Zeit wuchs in ist eigerichtet für Pausen und Mittagsverihnen die Idee, einen Ort zu schaffen, an pflegung. Alle Räume sind mit dem Rolldem Kunst und Kreativität im Vordergrund stuhl zugänglich und eine Rampe führt distehen. rekt in den Atelierraum. Paracontact I Sommer 2021

ANGEBOT Der Kurs findet am 2. Oktober in Biel statt. Weitere Infos: www.spv.ch/kurse oder yvonne.roelli@spv.ch, Tel. 041 939 54 24 Greifen Sie zum Pinsel Anfang Oktober organisiert die SPV im Atelier in Biel einen Workshop, bei dem das Malen und Zeichnen im Zentrum stehen. Während eines Nachmittages erläutern die Atelierleiterinnen verschiedene Techni­ken. Sie leiten in den gestalterischen Möglichkeiten an und unterstützen die Teilnehmen­ den individuell. Um die Entwicklung des persönlichen Mal- und Zeichenstils optimal zu fördern, sind während des Workshops Farben, Formen sowie Proportionen und Perspektiven ein Thema.

Lassen Sie im Atelier der WELTMALERiNNEN Ihren künstlerischen Fähigkeiten freien Lauf und verbessern Sie Ihren eigenen Stil. Nutzen Sie die Chance, unter professioneller Anleitung kreativ zu sein. 27


KULTUR UND FREIZEIT

Und bereits da ergab sich eine erste Diskussion darüber, wer und was unser Geschlechtsempfinden denn eigentlich beein­ flusst.

FREIZEITTIPP

Rollenklischees und Schubladendenken Manuela Schär hat die Ausstellung «Geschlecht» im Stapferhaus Lenzburg besucht und war beeindruckt. Von Gabi Bucher

Seit dem Umzug des Stapferhauses Ende 2018 vom alten Zeughaus ins neue Gebäu­de beim Bahnhof Lenzburg können auch Rollstuhlfahrer von den spannenden Ausstellungen profitieren. Das Haus ist komplett rollstuhlgängig und für die kleinen baulichen Barrieren der Ausstellung selber gibt es Lösungen. Eine Vermittlerin des Hau­ses nahm Manuela Schär gleich bei ih­rem Eintreffen auf einen kurzen erklärenden Rundgang. «Alles tipptopp», war Manuelas Fazit. Mit «Geschlecht» hat das Stapferhaus ein hochaktuelles Thema aufgegriffen. Zemen­ tierte Gender-Vorurteile werden aufgenom­ men, es geht um Rollen und Arbeit, um Macht und Ordnung, um Schönheitsideale 28

und um Sexualität. Man staunt, ist amüsiert, wird aber auch mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert und kommt im­ mer wieder miteinander ins Gespräch. Pinkes Paradies Eine kurze, bunte Einführung erklärt, wie Geschlecht entsteht. Danach kann man ent­ scheiden, ob man durch die Frau­en- oder Männertür weitergeht. Manuela wähl­te die Frauentür und landete in einem pinkfarbi­ gen Paradies. «Da schüttelt es mich grad», mein­te sie lachend. Hunderte von pinken Mädchenträumen, oder dem, was man gemeinhin als solche betrachtet, hängen an den Wänden. «Ich bin nicht so aufgewachsen, Pink war nie mein Ding. Ich trug ja auch die Kleider meines Bruders nach.»

Frau versus Mann Im nächsten Raum, sozusagen im Hauptraum, befindet sich eine «Geschichtswand» über 30 000 Jahre Geschlechtergeschichte. Von diesem Raum aus führen farbige Tü­ ren in Räume mit verschiedensten Themen. Menschen erzählen, wie sie ihr Geschlecht leben, telefonisch holt man Antworten zu Fragen, die man sich schon oft gestellt hat. Ein Raum thematisiert das geschlechtsspe­ zifische Posieren. «Denen ist das wirklich ernst», meinte Manuela erstaunt, nachdem sie sich ein Youtube-Video eines Influencers angeschaut hatte zum Thema «wie pose ich möglichst männlich». Im grünen Raum werden prozentuale Anteile visuell so dargestellt, dass sie eine ganz neue Dimension erhalten. Die Dominanz der Männer, das Fehlen von Frauen in gewissen Bereichen, Ungleichheiten und Diskriminierungen werden aufgezeigt, quer durch den Alltag, quer durchs ganze Leben. Wunsch nach mehr Empathie «Ein wirklich spannendes Thema und sehr gut umgesetzt», fand Manuela und konnte einige Parallelen ziehen zu ihrer Situation als Rollstuhlfahrerin. Auch hier gehe es ja um Diskriminierung, um vorgefasste Meinungen. «Es ist unglaublich und oft traurig, was da in unseren Köpfen herumgeistert, auch in meinem übrigens», gab sie zu und wünscht sich, dass die Menschen unter sich empathischer und «gspüriger» werden, sich gegenseitig einfach leben lassen. «Es wird wohl noch sehr lange dauern, bis all diese Vorurteile und Diskriminierungen aus der Welt geschafft sind.» Die Ausstellung könne durchaus etwas dazu beitragen. «Ich kann einen Besuch nur empfehlen», meinte sie abschliessend. «Es werden so un­ terschiedliche Themen behandelt, dass alle etwas mitnehmen können. Und je mehr wir uns über solche Themen informieren, desto einfacher wird der Umgang miteinander, desto unkomplizierter. Wir sind doch alles nur Menschen.» Informationen/Reservation www.stapferhaus.ch Paracontact I Sommer 2021


KULTUR UND FREIZEIT

ROLLSTUHLCLUBS ROMANDIE

Kooperation und Präsenz ausbauen Mit Rollstuhlfahrer Claude Siegenthaler arbeitet seit November ein Experte für die Westschweizer Rollstuhlclubs bei Kultur und Freizeit. Seine Mission: die Zusammenarbeit mit den Clubs stärken und die Präsenz der SPV in der Romandie ausbauen. Von Claude Siegenthaler

Im November 2020 habe ich die Stelle als Koordinator Kurse und Veranstaltungen angetreten. Meine Aufgabe ist es, in den Roll­stuhlclubs der Romandie vermehrt Prä­senz zu zeigen und generell die Zusammenarbeit mit der SPV auszubauen. Ein wich­tiges Ziel ist zudem, dass das Angebot in der Romandie künftig dem der Deutsch­schweiz in nichts mehr nachsteht.

wel­che Erwartungen sie an die SPV haben und wie sie sich künftig die Zusammen­ arbeit mit der SPV vorstellen. Auf diese Wei­se erfuhr ich von den Wünschen und Anliegen der Rollstuhlclubs.

Der Einstieg Ich wurde den KF-Verantwortlichen der Rollstuhlclubs am KF-Treffen Ende Oktober 2020 vorgestellt. So lernte ich die meis­ ten KF-Verantwortlichen – einige in Person, andere per Videokonferenz – bereits vor Stellenantritt kennen. Die Einarbeitung unter Corona-Bedingungen stellte eine He­ rausforderung dar. Da ich aber wusste, was ich zu tun hatte, konnte ich bereits nach ein paar Wochen mit den ersten Projekten starten.

Erkenntnisse und erste Resultate Ich konnte feststellen, dass die Rollstuhlclubs ihren Mitgliedern viele span­nen­de Ak­tivitäten anbieten. Leider werden diese attraktiven Angebote oft nur von ein paar wenigen Mitgliedern genutzt. Und meist sind es auch immer dieselben Mitglieder, die daran teilnehmen. Einige KF-Verantwortliche berichteten zudem, dass ihre Clubs Mühe hätten, neue oder junge Mitglieder zu finden. Die jungen Mitglieder nehmen selten an Aktivitäten von Kultur und Freizeit teil. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich jüngere Personen eher auf den Sport fokussieren und somit zeitlich bereits zu stark absorbiert sind.

Das Gespräch gesucht In einer ersten Phase wollte ich im Gespräch mit den KF-Verantwortlichen er­ fah­ren, welche Aktivitäten sie anbieten,

Bei den Gesprächen ist mir besonders aufgefallen, dass die Westschweizer Rollstuhl­ clubs stärker zusammenarbeiten möchten. Der Austausch unter den Clubs scheint

Claude Siegenthaler weiss um die Bedürfnisse der Romands

wichtig zu sein, daher strebt man an, Aktivitäten gemeinsam durchzuführen. Es wurde gewünscht, Angebote aus den Rollstuhlclubs auf einer gemeinsamen Plattform für alle verfügbar zu machen. Somit wissen die KF-Verantwortlichen, was in den anderen Clubs läuft. Ein sehr sinnvoller Input, denn so kann zum Beispiel auf einer Reise die Buskapazität optimal genutzt werden oder Angebote können, dank Teilnehmenden aus mehreren Rollstuhlclubs, überhaupt durchgeführt werden. Um Clubaktivitäten und Ausflugstipps zu teilen, arbeiten die Kultur- und FreizeitVerantwortlichen der Rollstuhlclubs neu auf einer gemeinsamen Plattform. Hier ha­ben sie die Möglichkeit, Tipps aus ihrer Region zu teilen und Inspirationen für An­­lässe zu sammeln. Zugang zur Platt­ form haben nur die KF-Verantwortlichen. Mit­glie­der können sich gerne an den KFVerantwortlichen des jeweiligen Rollstuhl­ clubs wenden, sollten sie an den Informationen interessiert sein. Weiteres Vorgehen Nach rund sechs Monaten Einsatz befinde ich mich aufgrund der Einschränkungen durch das Coronavirus und der Komplexi­ tät des Themas noch in der Einarbeitungsphase. Trotzdem bin ich sehr zuversichtlich, dass wir unsere Ziele mit viel Zeit und Engagement erreichen werden.

In einem weiteren Schritt werde ich abklären, welche Aktivitäten die SPV in der Romandie anbieten soll. Es gilt zu eruieren, inwiefern diese mit den Rollstuhlclubs durchgeführt werden können. Wir sind be­reit, Gas zu geben! Paracontact I Sommer 2021 29


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Paracontact I Sommer 2021


KULTUR UND FREIZEIT

SANFTE BEWEGUNG

Yoga für alle Antje Kuwert lehrt Menschen im Rollstuhl, wie sie mit Kundalini-Yoga ihr Bewusstsein für Körper und Geist entwickeln und stärken können. Von Antonia Tanner

«Jeder Mensch, der atmen kann, kann auch Yoga machen», sagt Antje Kuwert, Yogalehrerin und -ausbilderin, Sporttherapeu­ tin, Gestalttherapeutin und Buchautorin. Man müsse weder unversehrt oder gar akrobatisch begabt sein, um im Yoga Ziele zu erreichen. Antje Kuwert weiss wovon sie spricht. Bereits seit 15 Jahren unterrichtet und lehrt sie Kundalini-Yoga für Menschen mit und ohne Behinderung. Pionierarbeit geleistet Sie war die Erste, die damals mit ge­misch­ ten Klassen (Rollstuhlfahrer und Fuss­­gän­ ger) begann. Yoga für Menschen mit Behinderung gab es so noch nirgends im Angebot. Dementsprechend stiess Antje Kuwert auf grosse Skepsis. Ihrer Motivation, ein Yoga für alle zu schaffen, tat dies jedoch keinen Abbruch. Heute kann sie auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken und weiss um die positiven Auswirkungen, die Yoga auf die Gesundheit von Querschnittgelähmten haben kann. Lebensenergie und Bewusstsein Kundalini-Yoga weckt die Lebenskraft und gilt als Yoga des Bewusstseins. Dieser Yoga­ stil eignet sich besonders gut für Menschen im Rollstuhl. Viele der Körperübun­gen fin­ den im Sitzen statt und können leicht abgewandelt werden. Kundalini ist verwandt mit anderen Yogaformen wie Hatha-Yoga. Die Übungen gestalten sich jdedoch dynamischer, da sich Kundalini stark auf das Spüren der Lebensenergie ausrichtet. Nach jeder Übungsreihe folgt eine Entspannung und Meditation als energetisch notwendiger Ausgleich für den Geist.

Atmen, bewegen, dehnen Auch der Atem hat einen zentralen Stel­ len­wert und wird praktisch während allen Übungen bewusst geführt. So kann eine Ver­besserung der Atemtechnik und des Atemvolumens erreicht werden. Die Atmung wirkt sich auch positiv auf die Organe aus, wie auch die Aussage der 47-jährigen Diane, eine Teilnehmerin mit Spina bifida, zeigt: «Durch das viele Sitzen ist mein Oberkörper oft verspannt und mein Bauch gestaucht. Durch eine bestimmte Atemtechnik, den Feueratem, kann ich mei­ne inneren Organe, wie zum Beispiel das Bauchfell, massieren und meine Darm­ tätigkeit sanft anregen. Das ist ein toller Effekt.»

Die positiven Auswirkungen von Kundalini spürt auch die 32-jährige Sandra. Sie hat Dysmelie und nimmt regelmässig an Antje Kuwerts Onlinekursen teil: «Viele Übungen funktionieren genauso im Sitzen

und falls nicht, passt Antje die Übungen an. Gleich nach der ersten Stunde habe ich gemerkt, wie Yoga meinen Körper beruhigt und ausgleicht. Als Rollstuhlfahrerin sitze ich viel. Die Bewegungen und das Dehnen helfen mir, mich freier, ausgeglichener und beweglicher zu fühlen.» Buch als Anleitung 2015 gab Antje Kuwert ihr Buch «Kundali­ ni-Yoga für RollstuhlfahrerInnen» heraus. Darin zeigt sie leichte bis herausfor­dernde Übungen auf, die für Anfänger und Fort­ geschrittene gleichermassen geeignet sind. Alle Übungen sind gut bebildert und ge­nau erläutert. Die Autorin nennt jeweils Va­ rian­­­ten zur Übung im Rollstuhl oder am Bo­den; fast alle können im Rollstuhl aus­ ge­führt werden und/oder sind für quer­­schnittgelähmte Menschen mit verschiede­ nen Läsi­ons­höhen geeignet.

WISSENSWERT Der für Juli im SPZ geplante Kurs mit Antje Kuwert musste leider abgesagt werden. Ein Ersatzdatum steht vorerst nicht fest. Informationen erhalten Sie bei christa.schwager@paraplegie.ch, Tel. 041 939 52 92. Onlinekurse Es finden jedoch regelmässig gemischte Kurse via Zoom statt: www.kundaliniyoga-ak.de info@kundaliniyoga-ak.de Buch «Kundalini für RollstuhlfahrerInnen» ist in der Schweiz bei Orell Füssli erhältlich: www.orellfuessli.ch. Vier Exemplare gibt es zur Ausleihe in der Bibliothek des SPZ.

Paracontact I Sommer 2021 31


ROLLSTUHLSPORT

GIRO SUISSE

Erfolgsgeschichte geht weiter

Die Bilder der bewegenden Tour zum 40-jährigen Jubiläum der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung sind noch in vielen Köpfen präsent. Nun wird der Anlass regional weitergeführt.

Von Thomas Hurni

Zusammen mit den Rollstuhlclubs hat die SPV mit dem Giro Suisse über die Clubgrenzen hinweg den Solidaritätsgedanken als Grundpfeiler der Schweizer Paraplegiker-Gruppe in die ganze Schweiz getragen. Auf vielfachen Wunsch, verbunden mit den durchwegs positiven Rückmeldungen, lan­ ciert die Abteilung Rollstuhlsport Schweiz die Idee des Giro Suisse als wiederkehrenden Anlass im Breitensportprogramm. Der Giro Suisse 2021 startet am Dienstag, 24. August und erreicht sechs Tage und rund 300 Kilometer später sein Ziel in Wil im Kanton St. Gallen. Im Fokus stehen wie­

derum Rollstuhlsportlerinnen und -sportler, die zusammen mit ihren Clubs etwas Bewegendes leisten wollen. Das Organisationskomitee rund um das Breitensport-­ Team wurde neu mit Yvonne Rölli aus dem Team von Kultur und Freizeit verstärkt. Sie wird sich um Unterkünfte und Verpflegung sowie Transporte kümmern. Ansons­ ten orientiert sich das OK am bewährten Ablauf: Die Sportlerinnen und Sportler wer­den am Zielort abgeholt und an den Start gefahren, um im Anschluss an die absol­vierte Etappe den Tag beim gemütlichen Zusammensein ausklingen zu lassen. Bei der jeweiligen Etappenhälfte wird wie-

der eine Zwischenverpflegung bereitstehen – schliesslich wollen die verbrauchten Körner in den Muskeln wieder aufgefüllt sein. Je nach zeitlicher Möglichkeit und sportli­cher Ambition können alle, meh­ re­re oder auch nur einzelne Etappen absolviert werden. Der fachkundige Staff be­stehend aus Chauffeuren, Tourguides, Medical­­Team der Sportmedizin und Tourservice der Orthotec Nottwil sind wieder mit Freude und Begeisterung dabei. Von Nottwil nach Mostindien Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil ist Ausgangspunkt des Giro Suisse

AUSBLICK Der Giro Suisse besucht 2022 die Westschweiz. Möchten Sie mit Ihrem Rollstuhlclub Teil des grossar­ tigen Anlasses werden und ihrem Club den Giro-Spirit einhauchen? Dann melden Sie sich bereits jetzt bei Sophie Gnaegi, Sportkoordinatorin Romandie: sophie.gnaegi@spv.ch.

Genuss pur – der Giro Suisse geht weiter 32

Paracontact I Sommer 2021


2021. Die erste Etappe führt die Handbike­ rinnen und Handbiker durchs Suhrental nach Aarau. In der ehemaligen Bundeshauptstadt wird der Tross vom Rollstuhlclub Aargau empfangen. Nach der Auf­ wärmetappe geht es am zweiten Tag der Aare entlang weiter, um am späteren Nach­ mittag bei der Suva-Klinik in Bellikon vom CEO Giovanni Rossi begrüsst zu wer­ den. Der Tag wird mit einem Abendessen in Bellikon samt Rahmenprogramm abgerundet. Der Transfer zum Übernachtungs­ ort Brugg ist nicht mehr weit. Dort startet dann auch die dritte Teilstrecke. Diese ist als Königsetappe sehr herausfordernd und braucht Ausdauer. Rund 600 Höhenmeter bei einer Distanz von fast 60 Kilometer sind zu bezwingen. Sie führt von Brugg an die deutsche Grenze und darüber hinaus. Über deutsche Radwege geht es weiter nach Schaffhausen, wo der Rollstuhlclub Winterthur-Schaffhausen wie bereits im 2020 ein tolles Abendprogramm bietet. Wer den Jubiläums-Giro miterlebt hat, wird bestimmt einen Teil der Strecke des vierten Tages entlang des Rheins wiederer­ kennen. Diesem folgend werden wir am Ufer des Bodensees die flachen, gut aus­ gebauten Radstrecken geniessen können bis zum Ziel Berlingen. Von dort geht es am nächsten Tag weiter nach Arbon, dem Leicht­athletik-Mekka mit seiner Rennserie «Weltklasse am See». Immer wieder wer­ den dort Weltrekorde regelrecht pulverisiert. Von Arbon aus folgt die sechste und letzte Etappe dem Bodensee entlang bis Rorschach, um über St. Gallen das Ziel in Wil zu erreichen. Rollstuhlsclubs und Partner mittendrin Ohne die grosse Unterstützung von Freiwilligen ist eine solche Tour nicht durchführbar. So hat sich der Rollstuhlclub Zentralschweiz für die Mithilfe am Start und bei der Zwischenverpflegung der Eröffnungs-Etappe bereit erklärt. Die zekaRollers, Powerchair-Hockey-Gruppe des Roll­stuhlclubs Aargau, wird das Ziel und Abend­programm der ersten Etappe für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorbe­ rei­ten. Mit der Suva-Klinik in Bellikon stellt ein kompetenter Partner der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung den Ankunftsort von Etappe zwei. Die Verbindung zur Suva-Klinik beinhaltet SportbeParacontact I Sommer 2021

Schnell repariert – Orthotec-Tourservice

ratungen für Patienten und Trial Days. Die Zielankunft ist Ausdruck dieser Partnerschaft und Zeichen für die Zukunft. Mit entsprechender Leidenschaft wird der Roll­ stuhlclub Winterthur-Schaffhausen alle Sportlerinnen und Sportler und den Staff im Hauptort des Kantons Schaffhausen willkommen heissen. Der Abschluss des Giro Suisse 2021 in Wil wird vom RC St. Gallen unterstützt, der den Tross am späten Sonn­tagnachmittag vom 29. August in Empfang nehmen wird. Langfirstige Partnerschaften Wiederum dürfen die Handbikerinnen und Handbiker auf starke Partner bauen. So bietet Orthotec Nottwil den Tourservice, um den Teilnehmenden vorab einen Bikecheck zu bieten sowie während der Tour kleine und grössere Pannen an den Bikes zu beheben. Europcar unterstützt die Trans­ portleistungen für die nächsten drei Jahre. Fizzy und Chicco d’Oro lassen keine Kehle trocken sein und bieten während der ganzen Tour Getränke zur Erfrischung an. Da­ mit der ganze Tross bestens gerüstet ist, wird für die Teilnehmerinnen und Teilneh­ mer ein Funktionsshirt vom Verbandsausrüster Erreà zur Verfügung gestellt. Der Giro Suisse wird so mit einem tollen, einheitlichen Auftritt komplettiert. Hollister als Verbandspartner sponsert dieses Shirt für die Teilnehmenden und beugt mit Riegeln der Unterzuckerung der Fahrerinnen und Fahrer vor. Zur medizinischen Unterstützung stellt die Sportmedizin Nottwil ihr Know-how zur Verfügung. So werden die Rollstuhlsportlerinnen und -sportler auch körperlich optimal betreut und wenn nötig versorgt.

Von Nottwil nach Tokio Der Giro Suisse 2021 startet am Dienstag, 24. August quasi gleichzeitig mit der Eröff­ nungsfeier der Paralympics in Tokio. Der Giro-Tross wird in direkter Verbindung zur Schweizer Delegation in Japan stehen. SPV-Direktor Laurent Prince wird an je­ dem Etappenziel ein Grusswort an alle Gi­ro-Teilnehmenden und die mithelfenden Rollstuhlclubs richten sowie hoffentlich von aktuellen Medaillengewinnen der Paralympioniken berichten. Über diese ex­kl­usive Liveschaltung kann der GiroSuisse-­Tross unseren Schweizer Medail­ len­hoffnungen mit einem lauten «Hopp Schwiiz» zum Sieg schreien. Jetzt anmelden auf girosuisse.ch Haben Sie Lust auf dieses Abenteuer bekommen? Oder sind Sie Wiederholungs­ tä­ter? Die Ausschreibung und Etappenbeschriebe sind unter www.girosuisse.ch auf­geschaltet. Rollstuhlsportlerin­nen und Rollstuhlsportler können sich zusammen mit einer Begleitperson anmelden. Die Anzahl der Startplätze ist aus logistischen Gründen beschränkt.

GIRO SUISSE 2021 Die 6 Etappen sind einzeln buchbar, Teilnahmegebühr pro Etappe CHF 50.–, exkl. Abendessen und Übernachtung. Anmeldeschluss 11. Juni 2021 Infos/Anmeldung www.girosuisse.ch

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ROLLSTUHLSPORT

ETHIK

Anlaufstelle für Ethikvorfälle Unfaire Behandlung im Sport, übertrieben harte Trainingsmethoden oder gar Mobbing? Neu können Ethikvorfälle direkt bei Swiss Olympic gemeldet werden. Die Anlauf- und Erstberatungsstelle INTEGRITY bietet einen sicheren Anlaufpunkt an, um Missstände schnellstmöglich aufzudecken und zu beseitigen. Denn der Schweizer Sport soll in einem sicheren und fördernden Umfeld ausgeübt werden können. INTEGRITY hört Vorfälle an, gibt Impulse und verweist an die richtigen Ansprechpersonen in den Verbänden, sofern dies notwendig ist.

DAMEN-BASKETBALL

Erfolgreicher Projektstart Im Frühling 2020 hat die TK Basketball Eliane Keller und Christian Rosenberger. das Projekt «Damen-Basketball» ins Le­ Sie trainieren das momentan achtköpfige ben gerufen. Team. Da zurzeit keine Zusammenzüge statt­finden können, trainiert das motivierZiel des Projekts ist es, erstmals in der Ge- ­te Team aktuell einmal wöchentlich online. schichte des Schweizer Rollstuhlsports ei­ne Damen-Nationalmannschaft zu gründen. Das Team ist immer noch auf der Suche Das Projekt bringt den Athletinnen der nach neuen, motivierten Spielerinnen und Sportart die einzigartige Gelegenheit, sich würde sich über Zuwachs freuen. Bei Ingegen ihresgleichen zu messen. Im Lead teresse kann man sich bei Eliane Keller für das Projekt und auch Ideenzünder sind melden: eliane@keller-imbach.ch.

Weitere Informationen über die Leistungen von INTEGRITY sind verfügbar unter: swissolympic.ch/integrity

ONLINEKURS

RSS setzt Ausbildungszeichen Zum ersten Mal hat RSS das Basis- und das Praxismodul Ende März als virtuelles Ausbildungswochenende durchgeführt. 2 Tage, 36 Teilnehmende aus mehr als 10 Sportarten, 7 Referierende, 13 Stunden live aus 2 Ländern und von 7 Standorten, mindestens 3 Muttersprachen, 0 Reifenpannen und – leider – 0 gemeinsame Kaffeepausen. 1 grosser Erfolg!

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VORSCHAU TITELWETTKAMPF

Para-cycling-WM in Portugal Vom 9. bis 13. Juni kämpfen die Schweizer Handbiker im portugiesischen Cascais in den verschiedenen Kategorien um den Weltmeistertitel.

kurvenreiches, aber auch flaches Rennen freuen. Nachdem im letzten Jahr die WM abgesagt wurde, ist die Motivation unserer Athleten eine Medaille zu ergattern, um so grösser. Gestartet wird in den TitelwettAusgetragen wird der Kampf um den Titel kampf mit dem Zeitfahren am Donnersauf der ehemaligen Formel-1-Strecke «Cir- tag und am Freitag. Weiter geht es mit cuito do Estoril». Bis 1996 fand auf der dem Strassenrennen am Wochenende und Strecke jeweils der Formel-1-GP von Portu­ am Montag bildet das Team-Relay den gal statt. Die Strecke ist für die Schweizer Abschluss der Weltmeisterschaft. Athleten neu. Sie können sich also auf ein Paracontact I Sommer 2021


PARA TOP POTENTIAL

FOKUS

Alexandra Helbling, Leichtathletik 27-jährig, wohnhaft in Nottwil. Sie gehört zum neuen Athleten­fördergefäss «Para Top Potential» von Rollstuhlsport Schweiz. Dein Lieblingsessen? Schwierig. Ich mag so viele Sachen. Aber «wenn s’Mami chocht, esch’s am Beschte!» Ich liebe ihre «Chässpätzli». Dein Soundtrack fürs Training? Marilyn Manson. Bei Trainings und vor Wettkämpfen. Deine Hobbys neben der Leichtathletik? Meine Hunde und Rennmäuse. Aber auch Musikhören oder Gamen machen mir Spass.

Augenmerk TK Tennis

WINTER-PARALYMPICS 2022

Alles bereit? Die Infrastruktur in Peking steht: Die drei Villages in Beijing (Curling), Yanqing (Ski al­pin) und Zhangjiakou (Snowboard und Ski nordisch) sind fertig gestellt. Alle Sportanlagen sowie die Verkehrsanlagen wur­den bereits zu Beginn des vergangenen Win­ ters in Betrieb genommen. Ob Beijing 2022 wirklich bereit ist, wird sich aber erst bei der Durchführung zeigen. Denn die Testevents konnten alle nicht wie geplant durchgeführt werden. Veranstaltung www.beijing2022.cn/en

VORSCHAU TITELWETTKAMPF

Das müssen unsere Leser unbedingt über dich wissen. Ich gebe immer Vollgas und habe ein Ziel vor Augen – die Paralympics! Netflix oder SRF? Netflix! Insta oder Whatsapp? Ganz klar Instagram. Handyfoto oder Spiegelreflexkamera? Ich bin eher der HandyfotoTyp – schnell gezückt und Schnappschuss gemacht. Paracontact I Sommer 2021

Rugby-EM B-Division Die ursprünglich für 2020 angesetzte RugbyEM der B-Division soll vom 27. Juni bis 4. Juli in Warschau (POL) stattfinden. Neben der Schweiz sind vom internationalen Verband IWRF Finnland, Irland, Österreich, Po­len und Russland sowie Tschechien und Israel, die beiden Aufsteiger aus der C-Division, nominiert worden. Die Stärkenverhältnisse der Teams können aufgrund der unterschiedlichen natio­na­len Pandemie-Einschränkungen der letzten Mo­nate kaum abgeschätzt werden. Die beiden Erstplatzierten nehmen an der A-EM 2022 in Dänemark teil.

Tennis im Rollstuhl – die ideale Kombination aus Sport, Spiel und Spass, alles gewürzt mit einem hohen technischen und taktischen Anspruch. Was will man mehr? Nicht verwunderlich, dass Tennis eine gefragte Rollstuhlsportart in der Schweiz ist. Jährlich organisiert die TK Tennis mehrere Kurse für Kaderathleten und neue Tennisbegeisterte. Federführend in der TK ist Matthias Hürlimann, welcher schon seit acht Jahren als TK-Chef die Entwicklung der Sportart in der Schweiz vorantreibt. Genauso lange dabei ist Gabriela Bühler, welche selber aktive Kaderathletin ist und sich zusammen mit BouBou Keller um den Nachwuchs kümmert. So können Tennis-Interessierte jeden Montag- und Mittwochabend bei BouBou auf dem Tennisplatz in Nottwil in ein Tennistraining reinschnuppern. Seit einem Jahr neu dabei sind Eva Stutzki und Roger Baumann. Eva ist die amtierende Nationaltrainerin und trainiert die Kaderathleten regelmässig an Kaderkursen. Der Neuling Roger Baumann kümmert sich in der TK um den Webauftritt und vertritt gleichzeitig die französischsprechende Schweiz. Die Athletenstimme bringt Angela Grosswiler in der TK ein. Als Nachwuchs- und Kaderathletin berät sie die TK bereits seit zwei Jahren.

TK Tennis www.tennis.spv.ch 35


ROLLSTUHLSPORT

SERIE 2/4: SPITZENSPORTFÖRDERUNG SCHWEIZER ARMEE

1000 Kilometer pro Woche Distanzen dienen uns Schweizern schnell einmal als Ausrede, etwas nicht zu tun. Für Louka Réal sind sie der Weg zu seinem Basketball-Traum. Von Nicolas Hausammann

Der 29-Jährige Lausanner ist Teil der Schweizer Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft. Er verfolgt seinen Traum vom Basketball-Profi mit aller Konsequenz. Seit Anfang des Jahres gehört er zusammen mit Pascal Christen, Ski alpin, und Luca Olgiati, Badminton, zur Spitzensporttrup­pe der Schweizer Armee. Die Förderung umfasst bis zu 130 Diensttage, welche für Trainings und Wettkämpfe genutzt werden können sowie die Möglichkeit zur An­ stellung eines Teilzeit-Athletik-Trainers durch Rollstuhlsport Schweiz.

Stolz, Teil der Schweizer Armee zu sein Einer der drei ersten Para-Athleten zu sein, die in die Spitzensportförderung der Ar­ mee aufgenommen werden, erfüllt Louka Réal mit grossem Stolz. «Es ist so etwas wie ein Nachhausekommen, nachdem ich noch als Fussgänger die Rekrutenschule absolviert habe und damals im Trial-Sport auf dem Fahrrad sehr aktiv war. Allerdings war ich dazumal nicht Teil der Spitzensporttruppe.» Nun hat er es als Rollstuhl36

sportler geschafft. Seine Ziele hat der Romand hoch gesteckt. So will er sich mit der Schweizer Rollstuhlbasketball-Nati für die Paralympics 2024 in Paris qualifizieren und auch mit seinem Club, den Pilatus Dragons, will er die europäische Bühne rocken. Die IWBF EuroLeague Finals stehen hier zuoberst auf seiner Prioritätenliste. Seine persönliche sportliche Entwicklung ist dabei ein Schlüssel zur Team-Performance. Denn für einen kompletten Paraplegiker mit 1.0 Klassifikationspunkten hat er hervorragende athletische Voraussetzungen. Kann er nun auch noch seine Skills und taktischen Fähigkeiten auf dem Parkett verbessern, wird er zum X-Faktor für das Swiss Team wie auch die Dragons. «Louka ist ein Arbeiter, der alles tut, um das Team besser zu machen», sagt Headcoach Nicolas Hausammann über seinen Schützling. «Es freut mich sehr, dass wir seine individuelle Entwicklung mit der Aufnahme ins Fördergefäss der Schweizer Armee noch besser unterstützen können.» Gestiegenes Trainingsniveau Seit Anfang des Jahres hat Louka Réal auch eine Bleibe in Nottwil, nahe dem Campus der Schweizer Paraplegiker-Gruppe be­

zogen. Er bildet zeitweise eine WG mit Team­kollege Maurice Amacher. Neben den Team­trainings stehen Individualtrainings mit Michael Paye auf dem Programm. Der US-Amerikaner ist seines Zeichens Paralympicssieger 2016 und Co-Captain seines Teams. Vier Mal die Woche trainiert der Spitzenspieler individuell mit Réal und gibt ihm neben enormem technischem Wissen auch seinen taktischen Erfahrungsschatz bezogen auf seine Spielposition weiter. Dieses Training zahlt sich für den Schweizer Topathleten aus: «Die Unterstützung durch die Armee erlaubt es mir, mehr Zeit ins Training zu investieren und erzeugt weniger Stress in Bezug auf meine Aus­bil­ dung, was ich bei meinen sportlichen Leis­ tungen, wenn auch momentan wegen der Pandemie-Situation nur im Training, feststelle. Die Entscheidung, in der Deutsch­ schweiz auf diesem hohen Niveau zu trainieren, war schwierig. Ich bin oft von meiner Familie getrennt und lege zwischen 400 und 1000 Kilometer pro Woche zurück. Für meine Karriere war es jedoch genau das Richtige. No pain, no gain!» Louka Réal auf Instagram @louka91 Paracontact I Sommer 2021


ROLLSTUHLSPORT

FRAUENPOWER IM SPORT

In Bewegung bleiben Claudia Knobel ist begeisterte Breitensportlerin. Wie geht sie mit fitnessrelevanten Themen rund um ihre Weiblichkeit um? Von Nicolas Hausammann und Linda Wiprächtiger

Früher war Claudia drei- bis viermal die Woche sportlich unterwegs. Sie fuhr Inlineskates, ging Schneeschuhlaufen, Schwimmen und Biken, besuchte Fitnesslektionen. Heu­te ist es mehr die Natur, die sie mit ihrem Liegebike rauslockt, zusammen mit ihrer 3-jährigen Tochter. Gemeinsam abseits des Verkehrs das Gelände erkunden ist ihr Ding. Claudia besuchte auch schon mehrmals das Sportcamp «move on» und nahm letztes Jahr am Giro Suisse teil. Dieser begeisterte sie, da es auf der Etappe fan­ tastische, mit dem Bi­ke zugängliche Strecken zu geniessen gab. Gesund bleiben durch vielfältige Bewegung Physiotherapie gehört für die 37-jährige Mut­ter und Lehrerin genauso zum Programm wie an Schultagen abends kurz auf dem Hometrainer zu schwitzen. «Was noch da ist, soll möglichst lang erhalten bleiben», ist ihr Motto, und sie will «fit bleiben», um

mit ihrer Familie später in die Veloferien zu fahren. Darauf freut sich Claudia bereits jetzt, auch wenn die Kleine das Radfahren gerade erst erlernt hat. An den Kursen und Camps von Rollstuhlsport Schweiz fasziniert sie vor allem das grosse Spektrum, wo sie immer wieder neue Sportarten austesten kann. In ih­rer unmittelbaren Umgebung gibt es keine Vereine, daher freut sich Claudia immer auf die ge­mein­samen Gespräche mit gleichgesinn­ ten Rollstuhlsportlerinnen und -sportlern über Alltags­ themen, aber auch über die Sportmöglichkeiten. Gera­de weil sie die Vielseitigkeit, mit welcher sie vor dem Tauchunfall Sport getrieben hat, etwas vermisst. Ihre Offenheit gegenüber neuen Sportmöglichkeiten will sie weiter ausleben, auch wenn bislang ihr Hase-Bike das Lieblings-

sportgerät ist. Als nächstes möchte die Sportbegeisterte Yoga, Aquafit und Langlauf ausprobieren. Trainingspläne nach Schwangerschaft Auch wenn sie keine Spitzensportlerin ist, fühlt sich Claudia von der Swiss-OlympicKampagne «fastHER, smartHER, strongHER» angesprochen. «Gerade im Rollstuhl­ ­­sport ist Frauenförderung noch wichti­­ger, da es in den Clubs noch weniger aktive Frauen hat als im Fussgängersport», erklärt Claudia. «Ausserdem sehe ich ja bereits als Breiten­sportlerin, welchen einen Einfluss die Schwangerschaft und nun auch das Muttersein auf meine Sportaktivitäten hat.» Früher trieb sie täglich morgens eine Stun­de Sport, heute als Mutter kommt dies zu kurz. Da sie ihr Kind während der Arbeit und Physio schon fremdbetreuen lässt, sucht sie vor allem gemeinsame Sportaktivitäten mit ihrer Tochter.

Abgesehen von Physio und Medizinischer Trainingstherapie (MTT) hat die St. Gal­ lerin keine fixen Trainingspläne. Ihre anderen Sportaktivitäten lässt sie nach Lust und Laune auf sich zukommen. Nur ein Jahr nach ihrer Schwangerschaft hat sie mit Claudio Perret, dem Experten des na­ ­tionalen Leistungszentrums für Rollstuhlsport, einen Plan zur Unterstützung der Gewichtsabnahme ausgeheckt. Das Pro­gramm beinhaltete vor al­ lem Einheiten auf dem Hometrainer und Intervalltraining. Claudia ist jedoch sehr dankbar für die gute Schwangerschaft. Eine Woche vor der Geburt war sie noch normal in der MTT und auch nach der Geburt konnte sie schnell mit der Rückbildung beginnen und wieder ins Physiotraining einsteigen. Bereits ein halbes Jahr nach der Geburt kaufte Claudia einen Veloanhänger für ihre Toch­ ter, liess sich eine Spezialkupplung anfertigen und ist seither mit ihr gemeinsam unterwegs – vielleicht bald auch in gemein­ samen Velo­ferien  … Mehr zur Kampagne www.swissolympic.ch (Frau und Spitzensport)

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ROLLSTUHLSPORT

SERIE 2/4: TOKYO 2020

Saisonplanung Im zweiten Teil unserer Tokio-Serie geben Tobias Fankhauser und Catherine Debrunner Einblick in Saisonplanung und Fokus im Schlussspurt vor der Selektion. Von Nicolas Hausammann

Es wird wärmer und damit rückt die Saison näher oder ist bereits gestartet. Wie sieht eure weitere Saisonplanung für den Frühling aus? Trainingslager, Wettkämpfe, Meilensteine? Catherine: Es geht Schlag auf Schlag bei mir. Der Grand Prix in Nottwil und die Rennserie in Arbon zählen zu den wichtigsten Qualifikationsrennen. Sie dienen mir als Standortbestimmung. Dann habe ich mich dazu entschieden die EM zu fahren, um mit jedem Wettkampf wieder besser in die Routinen und Abläufe hineinzufinden, die es an Grossanlässen braucht. Tobias: Ein internationaler Kalender steht mal von Seiten UCI. Ich traue der Sache allerdings noch nicht so ganz. Der Weltcup im Mai ist punkterelevant für Tokio,

daher hoffe ich, dass er stattfinden wird. Anfang Juni steht die WM in Portugal auf dem Programm. Wir haben im Winter in der Hitzekammer im Velodrome in Grenchen trainiert und in Italien ein Trainingslager zur Saisonvorbereitung absolviert. Wie steht es um die Ambitionen bei den Rennen: Vollgas oder vorsichtig abtasten, um euch nicht in die Karten schauen lassen? Tobias: Vorsichtiges Abtasten ist angesagt, denn der Höhepunkt ist ganz klar Tokio. Der persönliche Aufbau soll im September und nicht im Mai gipfeln. Catherine: Ganz klar alles geben. Die Rennen sind wichtig für mich, zu sehen, wie schnell ich bereits sein kann. Also «all in»!

Seid ihr eher Coronamüde oder voll fokussiert? Catherine: Es ist schon irgendwie beides. Das Trainingslager auf Teneriffa hat aber meinen Fokus aufs Ziel verstärkt. Ich bin bereit, jeden Tag mein Bestes zu geben, auch wenn es mit der Pandemiesituation manchmal ein Durchbeissen war. Trotz sechs Coronatests in 14 Tagen und den vie­ len weiteren Auflagen war das Trainingslager genau das Richtige als Kick-off des Paralym­pics-Jahres. Tobias: Anfang Jahr fühlte ich mich eher müde. Daher freue ich mich sehr auf die Saison und die Tapetenwechsel zu den Trainingslagern und Wettkämpfen. Zum Material: Gilt für euch «never change a running system» oder Hightech ausprobieren um jeden Preis? Tobias: Als Tetraplegiker bin ich eher für «never change a running system». Regelanpassungen zwangen mich aber zu Umstellungen: Neu muss die Bremse am Griff sein, weshalb ich die Schaltung wechseln musste. Daher laufen noch Tests an der Übersetzung für die coupierte Strecke der Paralympics. Hier bin ich sehr froh um die Expertise des Mechanikers unseres Partners Orthotec, der mir hilft, das optimale Set-up zu finden. Catherine: Ich setze grösstenteils auf Be­ währ­tes, obwohl ich während des Lockdowns einige Materialien ausprobiert habe. Ernährung: Sushi oder Pasta? Tobias: Vor dem Rennen doch eher Pasta. Lokales Sushi will ich aber nach den Wettkämpfen sicher probieren. Ich bin ernährungsmässig noch die Feinheiten für die Regeneration zwischen den Renntagen am Ausloten. Hinzu kommt auch die Hitze in Tokio, da will ich gut vorbereitet sein. Catherine: Klar Pasta. Ich bin keine Fischesserin und auch sonst etwas heikel, wenns ums Essen geht (lacht). Gibt es ein Motto, das dich auf deinem Weg begleitet? Catherine: «Do the simple things as good as possible.» Tobias: Nein, Zitate sind nicht so meins.

Hitzekammer Training unter klimatischen Bedingungen wie in Tokio Paracontact I Sommer 2021

Infos zu den Paralympics www.tokyo2020.org/paralympics 39


ROLLSTUHLSPORT

aus. So machen die Unterschiede in Sprache, Alter oder Einschränkungsgrad das Camp immer wieder zu einem besonderen Erlebnis für alle Beteiligten. Zusätzlich findet dieses Jahr erstmals eine kleine Version des Multisport-Klassikers statt. Am Mini-«move on» in Tenero können an drei Tagen maximal fünf verschiedene Sportarten getestet werden. Der Anmeldeschluss für dieses Camp ist bereits vorbei. Unser Ziel ist jedoch, zukünftig weitere Mini-Camps in allen Landesteilen der Schweiz zu kreieren. Gemeinsam statt einsam In unseren Breitensportkursen hat neben der Bewegung auch der soziale Kontakt ei­ nen hohen Stellenwert. Gerade in der aktuellen Zeit ist dieses Bedürfnis wichtiger denn je. Wir versuchen, unsere Kurse wenn «Bewegung und Sport sind wichtig für die Gesundheit immer möglich durchzuführen. Nichts­ destotrotz halten wir uns an die Vorgaben und Leistungsfähigkeit in allen Altersgruppen. des BAG und der Kantone sowie an unsere Jede Steigerung der körperlichen Aktivität bringt einen Schutzkonzepte. Mit Verschiebungen und zusätzlichen Nutzen für die Gesundheit.» Absagen kennen wir uns mittlerweile bestens aus. Dies hindert uns aber nicht daran, Von Martina Meyer vorwärts zu schauen und zu planen. So ermuntern wir alle, ebenfalls weiterhin aktiv zu bleiben und Zukunftspläne zu schmieden. Wer rastet, der rostet! Regelmässige Was das Bundesamt für Gesundheit vor- Bou die Trainings in Nottwil für Liebha- Bewegung wirkt sich nicht nur positiv auf schlägt, gilt für Personen im Rollstuhl um­- ber der gelben Filzkugeln mit viel Fach- die Physis, sondern auch auf die Psyche ­­so mehr. Gut dass Rollstuhlsport Schweiz wissen und Herzblut. Sobald es die ak-­ aus. Dabei muss kein Marathon absolviert die passenden Angebote hat, damit unsere ­tuel­le Situation zulässt, werden auch die werden. Schon ein kleiner Spaziergang in Mitglieder fit und gesund bleiben. Denn Schwimmtrainings für unsere Kleinsten so­ der Natur kann müde Lebensgeister wedies ist das oberste Ziel des Breitensport- wie der Familiensamstag mit dem «Mini- cken. Gerade die warmen Sommermonate sind prädestiniert für gemeinsame Aktivibereichs. Training» wieder aufgenommen. täten draussen, welche vielleicht nicht in Massen, aber zumindest kleinen Gruppen 120 Sportangebote «Stay active – move on» Diese stehen schweizweit in den 27 Roll- In sechs Tagen acht Sportarten entdecken möglich sind. stuhlclubs zur Verfügung. Rollstuhlsport und ausprobieren – das gibt es nach wie Schweiz bietet verschiedene Sportkurse vor nur in unserem beliebten Sportcamp und Camps an. Das Sportangebot ist um- «move on» in Nottwil. Dieses Jahr stehen fangreich und es sollte für alle etwas Pas- 17 verschiedene Sportarten auf dem ProBREITENSPORT sendes dabeihaben. Wie wäre es mit einem gramm. Mann­schaft- oder Einzelsport, In­ Unser Angebot Mountainbike-Tag in der Sonnenstube door oder Outdoor, Ausdauer oder Kraft – Daten und Details auf Wallis? Der Kurs in Conthey sorgt neben das umfangreiche Sportangebot könnte bei www.spv.ch/breitensport einem tollen Bergpanorama bestimmt für der Auswahl zu Kopfzerbrechen führen. Adrenalin. Klassiker wie Wasserskifahren Unser Tipp: Probieren geht über Studieren. auf dem Walensee ist genau das Richtige Wir freuen uns auf viele verschiedene AnSportangebote in den Rollstuhlclubs für alle Tempo- und Actionfreaks. Bei meldungen. Verschieden im wahrsten Sin­ www.spv.ch/de/unsere_ «BouBou» Keller können sich Tennisbe- ne des Wortes. Denn nicht nur die Sportrollstuhlclubs/sportangebote geisterte auf die Spuren von Roger Federer arten, sondern auch die Teilnehmenden begeben. Zweimal wöchentlich leitet Bou- zeichnen sich durch eine grosse Vielfalt

SOMMERPROGRAMM

Heute schon bewegt?

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Paracontact I Sommer 2021


ROLLSTUHLSPORT

WHEELCHAIR MOTO X

Inklusion im Skatepark Dimitri Gross gehört zu den Aushängeschildern der noch jungen Sportart WCMX. Immer mehr Querschnittgelähmte wagen sich auf die Rampen und Halfpipes. Skateparks werden so zu Orten der Inklusion, an denen Fussgänger wie Rollstuhlfahrer an ihren Tricks feilen. Von Marco Bruni

Mittwochnachmittag. Es ist schulfrei. Bei Sonnenschein findet man Dimitri Gross und seine Freunde immer am selben Ort: im Skatepark von Bulle. Hier treffen sich die Jugendlichen aus der Region mit ihren Inlineskates, Skateboards, Scooter und eben Dimi mit seinem WCMX-Rollstuhl. Schon lange schaut keiner mehr schräg hin, wenn Dimi einen «drop in» von einer 2,5 Meter hohen Quarterpipe macht und geschickt über ein Rail fährt. Und wer es doch tut, kriegt die Anweisung von Dimi mitgeliefert: «Keep on staring, I might do a trick!» (dt. Glotz ruhig, vielleicht gelingt mir ein Trick), steht auf seinem Shirt. Braucht Dimi Unterstützung, um auf eine Rampe hochzukraxeln, helfen ihm seine

zwei Skaterfreunde routiniert. Sie filmen sich gegenseitig, feuern sich an und lachen über harmlose Stürze. Die Stimmung ist ausgelassen, wie das in der Free­styleszene üblich ist. Für den lokalen Club «Stone Family» war es selbstverständ­lich, an­läss­ lich des Events zum 25-jährigen Club­be­ stehen WCMX neben Skateboard, Inline und Scooter als Disziplin zu integrieren. Paracontact I Sommer 2021

Auch im Hinblick auf die Inklusion gibt sich die Skaterszene ungezwungen, kreativ und faszinierend. Rollstuhlfahrer wie Fussgänger bewegen sich gleichermassen durch die Out- und Indoor-Skateparks. Limiten scheint es kaum zu geben, denn Dimi springt in der Alaïa Freestyle-Halle auch über die grosse Rampe in den Airbag. Aufstrebende Karriere Dimitri Gross hat das Rollstuhl-Skaten mit 13 für sich entdeckt. Zwei Jahre später trainiert er nicht nur mit seinen Freunden in Bulle, sondern mit der Schweizer Pionierin dieser neuen, jungen Sportart, Lorraine Truong, in Le Châble oder CransMontana im Wallis. Dimitri nahm 2020 schon in der Juniorenkategorie an den Weltmeisterschaften teil. Pandemiebedingt wurden diese digital ausgetragen. Die Teil­ nehmen­den aus der ganzen Welt schickten ein 60-sekündiges Video ein, welches live geschaltet und gewertet wurde. Seit diesem Jahr gehört Dimi zusammen mit Emiglio Pargätzi dem Schweizer WCMXNach­wuchs­team an.

In der Schweiz hat sich WCMX vergleichsweise spät etabliert. In Deutschland etwa werden schon seit über sechs Jahren Breitensport-Camps organisiert und die Rollstuhl-Skatergemeinde ist auffallend gross. Jährlich findet dort auch die deutsche Meisterschaft mit internationaler Besetzung statt. Es sind vor allem junge Rollstuhlfahrer, die der Sport anzieht. Der Auf­ wand hält sich verhältnismässig gering. Es braucht lediglich den geeigneten Rollstuhl. Skateparks, die umsonst genutzt werden dürfen, gibt es unzählige. Die Sportart lässt

INTERESSIERT?

Probiere es selber aus! Eine Einführung ins WCMX ist vom CFR Valais Romand am Samstag, 14. August 2021 organisiert und findet im Alaïa Chalet in Lens statt. Info/Anmeldung Sportchef CFR Valais Romand Manuel Mascarenhas-Gonçalves manuelgoncalves28@hotmail.com

sich mit Schulkameraden ausüben oh­ne zusätzliche Organisation oder angepasste Infrastruktur. Zudem geht es hauptsächlich um den Spass. Rollstuhlhandling Nebenbei lernt man, sich flink mit dem Rollstuhl zu bewegen, was einem unterwegs im Alltag wiederum viel Selbstständigkeit gibt. WCMX ist eine grosse Chance für die Breitensportbewegung von Rollstuhlsport Schweiz und erfreut sich grosser Unterstützung.

Dimi strahlt, wenn er einen neuen Trick steht. Für ihn wie für seine Freunde ist Skaten in erster Linie Spass und Lifestyle, auch wenn er insgeheim grosse Ziele verfolgt. Wenn die Sonne untergeht, sind Dimi und seine Freunde zwar erschöpft, aber das breite Grinsen im Gesicht überspielt die Anstrengungen. Die Freunde klatschen sich ab und freuen sich auf den nächsten Tag im Park. 41


VERMISCHTES

FREIZEIT

Nähmaschinen KULTURFESTIVAL

IntegrART Das Netzwerkprojekt IntegrART des Migros-Kulturprozents fördert seit 2007 inklusive Bühnenkunst: Mit Pioniergeist gestalten Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Behinderungen gewohnte Ausdrucksformen neu. IntegrART vernetzt alle zwei Jahre inklusive Festivals sowie Theaterhäuser aus allen Landesteilen der Schweiz, präsentiert gemeinsam mit ihnen nationale sowie internationale Tanz- und Theaterproduktionen und veranstaltet diskursive Plattformen.

Mit einer Handsteuerung lassen sich Nähmaschinen auch ohne Fusspedal betreiben. Vor über zehn Jahren entwickelte Peter Lutz eine Handsteuerung als Nachrüstsatz sowohl für Haushalts- als auch für Industrienähmaschinen. Der Handsteuerschalter liegt in der Handinnenfläche. Über den

eingebauten Druckschalter lässt sich die Nähmaschine in Gang setzen. Dadurch ist kein Fusspedal mehr nötig. Ringfinger und kleiner Finger halten den Handsteuerschalter fest. Damit sind Daumen und Zeigefinger frei und können den Stoff führen. Mehr erfahren www.naehmaschinen-lutz.de

ÖFFENTLICHER VERKEHR

Barrierefreie Bahnhöfe

Vom 26.5. bis 6.6.2021 zeigen die Partnerfestivals von IntegrART fünf aussergewöhnliche Bühnenproduktionen.

OFFROAD-ROLLSTUHL

Mountaindrive Verschiedene Bergbahnen bieten den Offroad-Rollstuhl «Mountaindrive» kostengünstig zur Tagesmiete an. Damit ermöglichen sie Menschen im Rollstuhl das «Wandern» auf unbefestigten Bergwegen. Eine Übersicht der beteiligten Bergstationen findet sich auf der Webseite des Herstellers: www.multidrive.ch 42

Bis Ende 2023 müssen in der Schweiz alle Bahnhöfe und Eisenbahnhaltestellen der Schweiz baulich an die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) angepasst werden – vorausgesetzt, solche Anpassungen sind «verhältnismässig».

und Bahnhöfen ist dies mittlerweile erledigt. Im vergangenen Jahr sind gerade einmal 54 dazugekommen. Bei rund 323 Projekten werden die Bahnen trotz mehrfacher Intervention des Bundesamts für Verkehr die Anpassungsfrist von Ende 2023 voraus­ sichtlich verpassen, teilte das Bundesamt Zuständig für die Umsetzung sind die Bah­ im Februar mit. Die betroffenen Unterneh­ nen beziehungsweise die Infrastrukturbe- men geben als Grund fehlende Ressourcen treiber. Bei 873 von 1800 aller Haltestellen bei Planung und Personal an. Paracontact I Sommer 2021


ÖFFENTLICHE BAUTEN

Nationalratssaal Der Nationalratssaal mitsamt Präsidentenpult ist neu barrierefrei. Dafür seien im Saal befahrbare Rampenzugänge und ein Hebelift eingebaut worden, teilten die Parlaments­ dienste mit. Zusätzlich sei über die Kuppelhalle ein Zugang zu den Präsidentenplätzen sichergestellt worden. Nachdem von Dezember 2020 bis Februar 2021 die Rednerpulte im Nationalratssaal rollstuhlgängig gemacht wurden, werden entsprechende Arbeiten bald auch im Ständeratssaal durchgeführt.

CHARIT Y

Wings for Life World Run Am 9. Mai fand weltweit der «Wings for Life World Run» statt. Pandemiebedingt war die Teilnahme nur über die App möglich. Sämtliche Startgelder fliessen vollumfänglich in die Rückenmarkforschung. Die Schweizer ParaplegikerStiftung unterstützte den Anlass als nationale Partnerin.

176 DIE ZAHL

2020 wurden im SPZ 176 Querschnittgelähmte als Erstrehapatienten behandelt. Das ist der bisher zweithöchste Wert. Mehr waren es nur im Jahr 2013 mit 191. Paracontact I Sommer 2021

GERMAN DESIGN AWARD

Elektrorollstuhl Scewo BRO Der treppensteigende Elektrorollstuhl Scewo BRO des Schweizer Start-up Scewo wurde mit dem German Design Award ausgezeichnet.

Die Scewo AG entstand 2017 durch ein ehe­maliges Studentenprojekt der Eidge­nös­sischen Technischen Hochschule (ETH) und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Das Jungunternehmen stellt als Der German Design Award ehrt jedes Jahr einziges weltweit einen Elektrorollstuhl her, herausragende Projekte aus dem Produkt- der auf zwei Rädern fährt und Treppen und Kommunikationsdesign. Die 37-köp- steigen kann. Die Scewo AG engagiert fi­ge Jury hat den Scewo BRO aus über sich für die Barrierefreiheit in der Schweiz 4200 Einreichungen aus 60 Ländern als Ge­ und wurde für ihre Arbeit bereits mehrwinner im Bereich «Medical Rehabilitation fach ausgezeichnet. and Health Care» ausgewählt. Für die Designleistung erhält der Elektrorollstuhl mit Weitere Informationen www.scewo.ch der Gold-Auszeichnung die höchste Note.

IV

Mehr Sozialhilfe Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades greift die IV auf pauschalisierte Annahmen zurück, welche die realen Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt nicht abbilden. Diese Praxis wirkt sich nachteilig auf den IV-Rentenanspruch und den Anspruch auf Umschulungsmassnahmen aus. Studien, die von Coop Rechtsschutz in Auftrag gegeben wurden, kommen zum ernüchtern-

den Ergebnis: Immer mehr Menschen mit Behinderung sind dadurch auf Sozialhilfe angewiesen. Die IV beruft sich bei der Ermittlung des In­validitätsgrades häufig auf Lohntabellen des Bun­desamts für Statistik. Die Tabellen unterscheiden jedoch nicht zwischen Arbeitnehmenden mit und ohne Behinderung und führen zu nachweisbaren Lohneinbussen von Menschen mit Behinderung. 43


FOKUS

IM GESPRÄCH

Betroffene zu Beteiligten machen

Seit 1. Juni 2020 steht Heidi Hanselmann der Schweizer Paraplegiker-Stiftung als Präsidentin vor. Die ehemalige Regierungsrätin blickt zurück auf ihr erstes Jahr bei der SPS und legt ihre Pläne für die Zukunft dar. Von Nadja Venetz und Evelyn Schmid

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Paracontact I Sommer 2021


Sie sind nun ein Jahr bei der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Woran erinnern Sie sich besonders? Beeindruckt und berührt haben mich in diesem Jahr besonders die Begegnungen mit Direktbetroffenen und den Mitarbeitenden aller Gruppengesellschaften. Ich suche diesen Austausch ganz bewusst. All diese Gespräche sind wie Puzzleteile, die zusammengefügt ein Gesamtbild ergeben. Tag für Tag kommen mehr Informationen dazu und helfen mir, die Abläufe und Struk­ ­turen zu verstehen, aber auch Knackpunk­te zu erkennen. Ich spüre hier in Nottwil viel Leidenschaft und habe grosse Achtung davor, was für Menschen mit einer Querschnittlähmung geleistet wird. Gab es Anlässe oder Momente, die herausstachen? Die Eröffnung der ParaWG war sicherlich so ein Highlight. Die Gespräche mit diesen jungen Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, zu Hause vieles zu­rücklassen und sich mit Ungewissheiten konfrontiert sehen, haben mich beeindruckt. Ängste und Bedenken hatten dabei genauso Platz wie die Freude auf den neu­ en Lebensabschnitt. Dass die Verantwortlichen im Alltag immer wieder das richtige Mass an Unterstützung und Förderung der Selbstständigkeit finden, ist sehr bemerkenswert. Und da war natürlich noch «euer» Giro Suisse! Ich war bei der Etappeneinfahrt in Chur vor Ort. Auch hier ha­be ich die erwähnte Leidenschaft gespürt. Trotz strömendem Regen wurden alle Teilnehmenden mit viel Wärme und Herzlichkeit empfangen. Alle, die an diesem Anlass beteiligt waren, haben nicht ein­fach nur ihren Job gemacht, sondern viel Herzblut an den Tag gelegt. Sowohl in Chur als auch bei der Zieleinfahrt in Nottwil, der ich ebenfalls beiwohnte, packte ich die Gelegenheit, um mit zahlreichen Teilnehmenden und den Organisierenden zu sprechen und zu erfahren, was sie unterwegs erlebt hatten. Dieser persönliche Kontakt scheint Ihnen sehr wichtig zu sein? Wenn Patientinnen und Patienten draussen vor dem SPZ sitzen, geselle ich mich gerne dazu, frage, was ihnen unter den Nä­ geln brennt, was sie gut finden, was sie mir

mitgeben möchten oder worauf wir achten sollen. Ich will nicht vom Elfenbeinturm he­­rab agieren. Das war schon als Poli­ tikerin nicht meine Art. Als Logopädin komme ich aus einem therapeutischen Be­ ruf und ha­be selbst 13 Jahre lang in einem Kantons­spital gearbeitet. In meinem Amt als Vorsteherin des Gesundheitsdepartements von St. Gallen war ich am Tag der Kranken jeweils zu Besuch in den Spitälern. Diese Begegnun­gen motivierten mich sehr in meinem politischen Schaffen. Ich brauche den direkten Kontakt zu den Betroffenen, aber auch zu den Mitarbeitenden. Das Coronavirus hat verhindert, dass ich an Weihnachten die Betroffenen im SPZ besuchen durfte. Immerhin konnte ich einige von ihnen am Karfreitag auf einen Spaziergang begleiten. Zudem habe ich in diesem ersten Jahr alle Gruppengesellschaften besucht, habe Fragen gestellt und Erwartungen abgeholt. Führung ist für mich keine Einbahnstrasse. Wenn wir eine Strategie um­setzen wollen, müssen alle mit­ ziehen. Klar wäre es manchmal einfacher, selber zu entscheiden, aber je mehr Köpfe mitdenken, umso tragfähiger werden die Lösungen. Es ist schön, zu beobachten, dass sich vermehrt Personen aus strategischen Gremien unter die Leute mischen. Für mich war das seit jeher selbstverständlich. Was für eine SPS haben Sie bei Ihrem Amtsantritt vorgefunden? Es gibt eine Aussage eines Betroffenen, die mir immer wieder durch den Kopf geht. Er sagte: «Wissen Sie, Frau Hanselmann, Nottwil ist für mich wie eine Oase. Hier bin ich mit meinen Bedürfnissen im Zen-

trum und kann sagen, was nicht gut ist und was ich brauche. Darauf wird gehört und danach wird gehandelt. Das betrifft den me­dizinischen, den therapeutischen Bereich wie auch die Beratung für einen Roll­ stuhl oder meine beruflichen Möglichkeiten. Ich habe hier wieder eine Perspektive erhalten, obwohl mein Leben auf den Kopf gestellt wurde.» Diese Äusserung verdeutlicht, dass die integrierte Versorgung mit der interdisziplinären und interprofessionellen Zusammenarbeit unsere Stärke ist, die es auszubauen gilt. Der Mensch steht im Fokus. Was vielerorts eine Floskel ist, erlebe ich hier tatsächlich, und ich freue mich, diese Philosophie weiterentwickeln zu dürfen. Wie soll die Zusammenarbeit zwischen den Gruppengesellschaften und insbesondere zwischen der SPS und der SPV künftig ausschauen? Ich will nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern zuerst einmal zuhören, beobachten und analysieren, wo es knarzt. So lässt sich für mich am besten erkennen, wo Knackpunkte zu orten sind. Ich wünsche mir, dass sich die einzelnen Gruppengesell­ schaften noch enger abstimmen. Ich habe in vielen Gesprächen erfahren, dass die Be­reitschaft dazu vorhanden ist. Man erkennt, dass es noch viele Schnittstellen gibt, die sich besser und enger verweben lassen, damit wir noch mehr voneinander profitieren und Doppelspurigkeiten abbauen können. Es ist mir ein grosses Anliegen, dass wir unsere Vielfalt, die wir hier in Nottwil haben, als Chance nutzen und nicht zur Abgrenzung. Ich ziehe gerne den

Austausch Heidi Hanselmann im Gespräch mit einer Teilnehmerin am Giro Suisse

Paracontact I Sommer 2021 45



Vergleich zu meiner Leidenschaft, dem Berg­steigen. Wir befinden uns alle in derselben Seilschaft. Manchmal kann sich die einzelne Person freier an diesem Seil bewegen, manchmal ist es straffer gespannt, aber unser Ziel ist das gleiche. Wie wir Synergien weiter ausbauen können, ist daher ein wesentlicher Punkt in der neuen Strategie. Was sind die nächsten Schritte und Ziele? Wir haben in der Strategie sieben Kernthemen definiert, die es jetzt umzusetzen gilt. Dabei ist es ganz zentral, dass Betroffene zu Beteiligten werden. Direktbetroffene müssen Teil der Gremien sein, die Ent­scheide vorbereiten und auch fällen. Themen, die uns sicherlich noch beschäftigen, sind die Digitalisierung sowie die steigende Lebenserwartung. Beide Bereiche prägen unsere Vision, dass Querschnittgelähmte ein möglichst selbstbestimmtes Le­ ben bei bestmöglicher Gesundheit führen können. Digitale Transformationen können wesentlich zu mehr Selbstständigkeit beitragen. Zugleich wird die Bevölkerung immer älter. Das trifft ebenfalls auf Menschen mit einer Rückenmarkverletzung zu. Einerseits ist das sehr erfreulich, wirft andererseits aber neue Fragen auf, etwa was die medizinische Betreuung oder die soziale Absicherung betrifft. Nicht nur im Hinblick darauf streben wir eine bessere ambulante wohnortnahe Versorgung an. Betroffene sollen nicht wegen jeder Kleinigkeit nach Nottwil fahren müssen, sondern eine ambulante Betreuung möglichst in ihrer Region vorfinden. Im Kanton Waadt entstand mit dem Ambulatorium «Plein Soleil» bereits ein solches Projekt, bei dem die Leistungen der Lebensberatung der SPV integriert wurden. Gibt es weitere Pläne? Aktuell prüfen wir Möglichkeiten in der Ostschweiz. Dazu sind Gespräche im Gang. Aus dem Spital in Flawil soll ein Gesundheits-Notfallzentrum werden. Da gäbe es die Möglichkeit, eine interprofessionelle ambulante Betreuung und Unterstützung aufzubauen. Das wäre eine Chance, gerade auch die Lebens- und Sozialberatung als eine wichtige Dienstleistung nahe zu den Betroffenen zu bringen. Das Ziel ist, dass Paracontact I Sommer 2021

wir zumindest in allen Sprachregionen ein ambulantes medizinisches Angebot zur Verfügung stellen könnten. Sie sprechen von dezentraler Versorgung. Die SPV ist mit ihren 27 Rollstuhlclubs in der ganzen Schweiz präsent. Welches Potenzial sehen Sie darin? Diese dezentrale Struktur, durch welche die SPV stark in den Regionen verankert ist, hat grosses Potenzial. Dadurch ist die SPV nahe bei den Betroffenen und erfährt schnell und direkt, wo es unter den Nägeln brennt. Durch eine enge Zusammenarbeit und einen guten Austausch zwischen SPV und SPS können wir von diesem Wissen profitieren und dieses in unsere Arbeit ein­ fliessen lassen. Dennoch ist es auch wichtig, diejenigen Querschnittgelähmten zu erreichen, die nicht in einem Club organisiert sind. Die SPS ist für alle da. Ihr Vorgänger Daniel Joggi war als ehemaliger Präsident der SPV sehr nah bei unseren Rollstuhlclubs und deren Mitgliedern. Suchen Sie diese Nähe ebenfalls? Ja, diese Nähe möchte ich, wenn sie gewünscht ist, gerne pflegen. Der Giro Suisse hat mir diesbezüglich bereits Türen geöffnet, weil ich mit Mitgliedern in Kontakt kam. Die Präsidentin eines Rollstuhlclubs lud mich beispielsweise zu ihrer Versamm­ lung ein. Leider war es mir aus terminli-

chen Gründen nicht möglich, teilzunehmen, aber ich habe mich über ihr Interesse sehr gefreut und vielleicht klappt es ja das nächste Mal. Worin sehen Sie die Rolle der SPV innerhalb der Schweizer ParaplegikerGruppe? Die SPV ist das Bindeglied zu den Betroffenen und gewährleistet die lebenslange Be­gleitung. Von euch erhalten wir wertvolle Rückmeldungen über die Bedürfnisse und Anliegen der Querschnittgelähmten in unserem Land. Olga Manfredi und ich ha­ ben einen guten Draht zueinander. Wir haben eine ähnliche Art, Problemstellungen anzugehen und sind uns einig in der Vision, die wir verfolgen. Dass es sowohl bei der Stiftung als auch bei der SPV zu einem Wechsel im Präsidium kam, sehen wir beide als Chance, alte Geschichten zu beenden. Wir möchten unsere Energie da­ für nutzen, mit Schwung in die Zukunft zu gehen. Natürlich gibt es auch intensive Diskussionen, zum Beispiel wenn es um die Verteilung der finanziellen Mittel geht, aber die braucht es auch. Dadurch können tragfähige Lösungen erarbeitet wer­den. Ich freue mich, in den kommenden Jahren gemeinsam mit der SPV, den Betroffenen und all den anderen Beteiligten interessan­te und nachhaltige Projekte anzupacken und umzusetzen.

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FOKUS

UNSERE HELFER

Auf goldenen Flügeln Kornelia und Michel Torny engagieren sich seit über 25 Jahren im Vorstand des Rollstuhlclubs Lausanne für ihre Mitglieder. Von Gabi Bucher

Es ist unschwer zu erkennen, wofür das Herz von Michel Torny, Präsident des CFR Lausanne, schlägt. Unzählige Bücher und Zeitschriften über Motorräder im Bücherregal, kleine Motorrad-Modelle, Fotos, ei­ne Uhr in Form eines Motos. Obwohl durch einen Arbeitsunfall seit 1992 im Rollstuhl, fährt er weiterhin leidenschaftlich gerne Mo­torrad. Am glücklichsten ist er, wenn er mit seiner umgebauten Honda Gold Wing GL 1500 mit Seitenwagen über die Strassen kurven kann. Seine Ehefrau Kornelia, Kultur- und Freizeit-Verantwortliche desselben Rollstuhlclubs, teilt seine Leidenschaft. Sie haben sich auch wegen eines Motorrads kennengelernt. «Wenn ich ein neues Motorrad kau­fe, mache ich damit jeweils eine lange Reise», erzählt Michel. So auch 1984, als er mit seiner Maschine nach Griechenland fahren wollte. «Ich liebe Griechenland», sagt der Mann mit dem dichten, weissen Haar und den hellen, graublauen Augen.

Auf Anraten eines Freundes sei er dann aber nach Ungarn gefahren. Dort habe er auf einem Campingplatz am Balatonsee sein Zelt aufgestellt. «Ich habe mich nach der langen Reise frisch gemacht. Als ich aus der Dusche kam, stand jemand bei meinem Motorrad.» Eins führt zum anderen «Jemand» war Kornelia, Österreicherin, auf dem Campingplatz in den Ferien. Als angehende Motorradfahrerin interessierte sie sich für dieses Modell, welches sie nur aus dem Katalog kannte. Michel lud die junge Frau zum Apéro ein, sie konterte mit einer Einladung zum Nachtessen. Ein flotter junger Mann, eine hübsche junge Frau, eine imposante Maschine, «das eine führte zum anderen», sagt Michel lachend. Unterhalten haben sie sich auf Deutsch, soweit es Michel möglich war. Es folgte eine Einladung nach Wien, später eine rasante

Kornelia und Michel Torny, am liebsten gemeinsam unterwegs

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Fahrt auf Deutschlands Autobahnen, «unbeschränkte Geschwindigkeit», schwärmt Michel, «meine Maschine läuft auch mit 200 km/h so rund und leise, dass Kornelia die Fahrt auf dem Rücksitz verschlafen hat». «Hab ich nicht», wehrt sich diese lachend. Die beiden verliebten sich, doch ei­ne Fernbeziehung kam auf Dauer nicht in Frage. Michel hatte eine gute Anstellung als Handelsvertreter in einem Transportunternehmen. Für Kornelia war es als Fach­ frau Gesundheit einfach, in der Schweiz eine Stelle zu bekommen. So lern­te sie Französisch und zog 1988 zu Michel nach Ecublens, wo das Paar bis heute wohnhaft ist. Eine sympathische Truppe Im Januar 1992 verunfallte Michel. Während seiner Rehabilitation im Spital Beau-Séjour in Genf erhielt er Besuch vom damaligen Präsidenten des Rollstuhlclubs Genf. «Er wollte mich in seinen Club aufnehmen, aber das hat mich damals überhaupt nicht interessiert. Mein einziges Ziel war, gesund zu werden und nach Hause zu­rückzukehren.» Durch ei­ nen ehemaligen Motorradkollegen, Didier Recordon, erfuhr er dann, dass es auch einen Rollstuhlclub in Lausanne gab. «Er hat mich 1993 dort eingeführt. Ich nahm an der ersten GV teil, fand die Truppe sympathisch und wurde Mitglied.» Zwei Jahre später wurde er zum Präsidenten gewählt. Mit einem kurzen Unterbruch von vier Jahren, in de­nen er als Vizepräsident amtete, präsidiert er seither den Club. Es sei eine spannende Aufgabe, meint Michel,


er lerne interessante Menschen kennen, erlebe vieles, habe beispielsweise an Studien teilnehmen dürfen, «und am einen oder anderen Galadin­ner, im Frack», fügt er augenzwinkernd an. Er habe das Glück, einen gut organisier­ten und eingespielten Vorstand um sich zu haben. «Alle arbeiten selbstständig, wir tref­fen uns, um Anträge und Ideen zu besprechen und bereiten gemeinsam die GV vor.» Damit der Club gut funktionieren könne, suche er immer wieder Sponsoren. Daneben berät er die Club­ mitglieder. Weiss er nicht weiter, leitet er die Anfragen an die kompetenten Stellen der SPV weiter. Teamarbeit Auch für Kornelia fügte sich bei ihrem Engagement im Rollstuhlclub eins zum anderen. Sie begleitete Michel von Anfang im Vorstand, zuerst als Beisitzende. «Früher fanden die alljährlichen Treffen der Präsidenten und KF-Verantwortlichen am selben Tag in Nottwil statt. Da unser dama­ liger KF-Verantwortlicher nicht so weit reisen wollte, vertrat ich ihn an den Treffen.» Daraus folgte die Nominierung zur Verantwortlichen Kultur und Freizeit.

Die jeweiligen Highlights und Kornelias grosse Leidenschaft sind die alle zwei Jah­ re stattfindenden Clubreisen. Mittlerweile dauern diese bis zu einer Woche. Die bis jetzt sieben Reisen führten unter anderem in die Toskana, ins Südtirol, nach Bad Her­ renalb, ins Futuroscope in der Nähe von Poitiers in Frankreich. Nach einer ersten nicht selber organisierten Reise, welche durch die fehlende Erfahrung des Organi-

Paracontact I Sommer 2021

sators mit Rollstühlen nicht ohne Proble­me verlief, entschied sich Kornelia, künftig das Zepter selber in die Hand zu neh­men. Ihre Vorbereitungen sind minutiös: Vom genauen Sitzplan im Bus über Listen, wer was essen kann und will, bis hin zu genausten Abklärungen der Hotelzimmer, der Ausflugsziele und wer wann wo mitkommen möchte, wird alles festgehalten, damit so viele Eventualitäten wie möglich ausgeschlossen werden können. «Darum sind wir auch immer ausgebucht», sagt Kornelia, oder Michel, denn jetzt erzählen beide. Oft fängt Kornelia einen Satz an und Michel beendet ihn oder andersrum. Die Reisen gehören zwar in Kornelias Ressort, aber Michel ist mit eingebunden. Er vermittelt Sponsoren. Sie verhandelt, um bestmögliche Preise zu erzielen, damit ih­re Reisen für alle erschwinglich sind. Gemeinsam kümmern sie sich um die administrativen Arbeiten. Sie recherchiert, telefoniert, fordert Fotos der Hotelzimmer an, welche sie nicht besuchen kann. Denn wenn immer möglich fahren beide vorgängig an die Destination und schauen sich alles an. «Ich messe die Abstände zwischen Betten und Wand, schaue, wie hoch die Betten sind, von welcher Seite man zur Toilette transferieren kann, damit die Zim­ mer vom Hotelpersonal richtig zugeteilt werden können.» Kornelia ist dankbar für Michels Unterstützung, vor allem auch wäh­rend den Reisen, wo sie Organisatorin, Reiseleiterin, Übersetzerin, Fotografin und durch ihre Ausbildung im Notfall Samariterin und auch Pflegefachfrau in ei­ nem ist. «Ich bin froh, wenn Michel mal kurz übernimmt, wenn ich anderswo ein-

gebunden bin.» Während den Reisen foto­ grafiert sie, Michel filmt. Über jede Reise erstellen sie eine Dokumentation mit Berichten von Teilnehmenden, Fotos und An­gaben zu den Ausflügen. Neben den Reisen werden Kurzausflüge und Wochenenden angeboten, die FurkaDampfbahn, der Gornergrat, Bierbrauen in Thun, Gospelkonzerte, Swiss-Trac-Ausflüge, «einmal waren wir sogar mit Hunde­ schlitten unterwegs», erinnern sich beide. Viele Erlebnisse und Eindrücke für das eingespielte Team Kornelia und Michel. Über 25 Jahre haben sie die Geschicke des Clubs geführt. An der GV 2022 wer­den sie ihre Ämter abgeben an zwei jun­ge Club­ mitglieder aus Morges, Aude Jardin, Rollstuhlfahrerin, und Xavier Rus­coni (siehe Paracontact Frühling 2021, S. 26/27). «Die beiden haben angeboten, die Chargen zu überneh­men. Wir freuen uns sehr», meinen Kornelia und Michel. Ein Glücksfall, es sei auch ein Paar, «und im selben Alter wie wir, als wir dieses Amt damals übernommen haben», ergänzt Kornelia. Wir danken Kornelia und Michel für ih­ ren langjährigen Einsatz und wünschen ihnen, dass sie danach endlich die langersehnte Reise mit dem Camper ans Nordkap unternehmen können, aber vor allem, dass sie mit ihrer wunderbaren Maschine und dem Seitenwagen die Strassen dieser Welt erkunden; auf goldenen Flügeln, Fahrt­wind im Gesicht. RC Lausanne www.cfrlausanne.ch

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FOKUS

FÜR SIE DA

Tessiner Sonne und Italianità Seit zwölf Jahren betreut und berät Gian Paolo Donghi die italienisch sprechenden Querschnittgelähmten. Von Gabi Bucher

Ein Aussendienstmitarbeiter ist oft nicht so stark in ein Team eingebunden, umso mehr, wenn sein Arbeitsgebiet 200 km von jenem seiner Arbeitskollegen entfernt liegt. Die Frage, ob er sich nicht manchmal etwas als Aussenseiter vorkomme, verneint Gian ­Paolo. «Ich fühle mich gut aufgehoben und begleitet. Bei Fragen fin­de ich immer jemanden in Nottwil, der mir weiterhilft.» Und es sei auch manchmal ganz schön, unabhängig arbeiten zu können, fügt er lachend an. So ist Gian Paolo, ausgeglichen und zuvorkommend. Jede und jeden beschenkt er mit einem aufgestellten «Ciao, tutto bene?», begleitet von einer Handbewegung, Italianità eben. Befriedigende Aufgabe Gian Paolo arbeitet seit zwölf Jahren bei der SPV. Nach seinem Unfall wurde er während der Erstrehabilitation von Gian50

pietro Ber­gomi begleitet. Dieser fragte ihn im Jahr 2008, ob er interessiert wäre, seinen Posten als Aussendienstmitarbeiter im Tessin zu übernehmen. Gian Paolo sagte zu. «Ich mag den Kontakt mit Menschen», erklärt er. «Natürlich gibt es auch schwierige Momente in dieser Arbeit, aber es ist eine grosse Befriedigung zu sehen, wie ein Quer­ ­schnittgelähmter nach der Rehabilitation sein Leben wieder in die Hand nimmt.» Post von zu Hause Gian Paolo besucht und berät seine Tessiner Klienten in ihrem Zuhause, allenfalls auch an ihrem Arbeitsplatz. Jeden Monat kommt er für zwei Tage nach Nottwil. Da tauscht er sich aus, bespricht sich mit seiner Vorgesetzten Daniela Vozza, aber vor allem besucht er die italienisch sprechenden Patienten im Schweizer ParaplegikerZentrum. «Heute sind es acht», erklärt er.

Bei jenen, die schon länger stationär sind, schaut er kurz rein um zu sehen, wie es ihnen geht, bringt Grüsse von zu Hause, auch mal die Post, Arbeitsunterlagen, Bücher. Bei Frischverletzten stellt er sich und die Dienst­leis­tungen der SPV vor. Hier gel­ te es vor al­lem, möglichst rasch abzuklären, wie sich die Wohnsituation zu Hause gestalte. Mit einem Architekten und allenfalls Familien­angehörigen bespricht er vor Ort, was angepasst werden soll. «Da ist rasches Handeln gefragt. Die Finanzierung muss geklärt sein und der Umbau beendet, bevor der Patient nach Hause kommt.» Dann stehe oft noch ein Besuch an, um zu sehen, wie der Patient zu Hause zurechtkomme. «Danach ist es an ihm, mich zu kontaktieren, wenn er etwas braucht.» Sein Telefon sei immer auf Empfang, aber glücklicherweise hielten sich die meisten an seine Büro­zeiten, meint er augen­zwinkernd. Neben der Beratung der Mitglieder liegt Gian Paolo vor allem auch die Sensibilisie­ rung der Bevölkerung am Herzen. Er besucht Schulklassen, erklärt in groben Zü­ gen, was Querschnittlähmung bedeutet und lässt die Jugendlichen Rollstühle und Handbikes ausprobieren. «Das ist die beste Art, sie auf unsere Hindernisse im Alltag aufmerksam zu machen», meint er. Da­ neben arbeitet er eng zusammen mit den bei­den Tessiner Rollstuhlclubs. Aber jetzt warten die Patienten. Zeit, ih­ nen etwas Tessiner Sonne und etwas Italia­ nità in den Klinikalltag zu bringen. Paracontact I Sommer 2021


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UNSERE HELFER

5min
pages 48-49

FÜR SIE DA

2min
pages 50-52

VERMISCHTES

3min
pages 42-43

IM GESPRÄCH

7min
pages 44-47

SERIE 2/4: TOKYO 2020

2min
page 39

WHEELCHAIR MOTO X

2min
page 41

SOMMERPROGRAMM

2min
page 40

FRAUENPOWER IM SPORT

2min
pages 37-38

IN KÜRZE

4min
pages 34-35

SERIE 2/4: ARMEE

2min
page 36

GIRO SUISSE

4min
pages 32-33

SANFTE BEWEGUNG

2min
page 31

MALKURS

2min
page 27

ROLLSTUHLCLUBS ROMANDIE

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IN KÜRZE

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FREIZEITTIPP

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FREIZEITGESTALTUNG

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HINDERNISFREIES BAUEN

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pages 20-21

MEDIZIN UND WISSENSCHAFT

5min
pages 18-19

SOZIALVERSICHERUNGEN

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ZENTRALFEST

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GESETZGEBUNG

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STEUERRECHT

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KONSTRUKTIVES MITEINANDER

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LANGJÄHRIGE ZUSAMMENARBEIT

2min
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AKTUELL

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pages 6-7

NACHGEFRAGT

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page 10

PRÄSIDENT/-INNENTREFFEN

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page 8
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