
5 minute read
FREIZEITGESTALTUNG
SINNVOLLE FREIZEITGESTALTUNG
Biscotti, pomodori e peperoni
Sandro Lancini, passionierter Gärtner, hat sich in Arzo TI sein eigenes kleines Paradies eingerichtet.
Von Gabi Bucher
Sandro Lancini lebt in Arzo, im Bezirk Mendrisio, in einem Haus am Hang mit unglaublichem Ausblick. Bis Mailand sehe man an schönen Tagen, behauptet er. Er lebt dort seit 30 Jahren, allein, mit Hund Aldo, einer englischen Bulldogge. Nicht alltäglich, der Name, denn Aldo ist eine Hundedame. Sandro lacht und erzählt, halb Französisch, halb Italienisch und mit ein paar Brocken Deutsch, wie es dazu gekommen ist. Der Name sei schon gewählt gewesen und zusammen mit seinem eigenen bereits auf dem Briefkasten vermerkt, bevor er den Hund beim Züchter ausgesucht habe. Der für ihn vorgesehene Rüde hatte nicht die richtige Farbe, also entschied er sich für das Weibchen. «Schlussendlich ist es dem Hund egal, wie ich ihn rufe, solange er sein Leckerli kriegt», erklärt er lachend.
Verheerende Hilfsaktion
Das ist Sandro, er erzählt gerne Geschichten, lacht viel und lebt gut hier in seinem Reich, trotz den Einschränkungen durch seinen Unfall. Wobei es eigentlich nicht sein Unfall gewesen sei, meint er. «Ich war auf der Autobahn unterwegs. Es hatte einen Unfall gegeben und ich stieg aus meinem Wagen, um zu helfen. Dabei wurde ich von einem herannahenden Auto mit 120 km/h erfasst und 25 Meter durch die Luft geschleudert.» Er sei mehr tot als lebendig liegen geblieben. Nach fast zwei Jahren Krankenhaus und dreissig Operationen lebt er heute, 13 Jahre später, mit einem über dem Knie amputierten Bein und mit einer eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Arms. Aber was ihn vor allem plagt und einschränkt, sind die Phantomschmerzen. Immer wieder suchen sie ihn heim. «Die Beinprothese machte das Ganze noch schlimmer, darum habe ich sie vor zwei Jahren weggelegt.» Jetzt benutzt er den Rollstuhl und ab und zu Krücken.

Treppenelemente als Gartenweg
Eine grosse Ablenkung in seinem Alltag ist Aldo. «Einerseits ist sie Gesellschaft, andererseits muss ich mich um sie kümmern, muss raus, bei jedem Wetter.» Aber sein wirklich grosses Hobby ist sein Garten. «Es gab schon immer einen Garten hier, auch vor meinem Unfall, aber er war viel grösser», erzählt er. Als er nach seinem Krankenhausaufenthalt zurückgekommen sei, habe er lange überlegt, wie er den Garten umgestalten und für sich zugänglich machen könnte. «Eines Tages sah ich in Coldrerio bei einer Betonfirma diese viereckigen Behälter und die Treppenelemente.» Das brachte ihn auf die Idee der Gartenbeete. Liefern würden sie schon, habe der Verkäufer gesagt, aber verlegen müsse er das Ganze selber. «Glücklicherweise habe ich viele Freunde aus meiner Zeit als Zugführer bei der SBB», erklärt Sandro.


Die Treppenelemente wurden verkehrt herum verlegt, das ergab einen befahrbaren Weg und gleichzeitig die Umrandung der Gartenbeete. Da Sandro relativ viel Rumpfstabilität hat, kann er die so entstandenen Beete erreichen. «Natürlich wäre es praktischer, wenn sie höher wären, aber dann hätte betoniert werden müssen. Der Druck der Erde wäre sonst zu hoch gewesen. So reichte es, sie zu verlegen.» Auch ein etwas breiterer Weg wäre praktisch, dann könnte er sich im Rollstuhl drehen. «Dazu hätte ich aber Elemente nach Mass benötigt, das wäre zu teuer gewesen.»
«Mein Garten hält mich auf Trab»
In diesen Beeten pflanzt er Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Zucchini, Kräuter, Salat. «Es gibt Tomatenjahre, Zucchinijahre, man weiss nie, was jeweils am besten wachsen wird. Aber meine Tomaten!», schwärmt er, «gross, rot und wunderbar fleischig.» Sein vor vier Jahren verstorbener Vater habe auch einen Garten gehabt, «in dem hättest du vom Boden essen können», lacht Sandro. «Alles geputzt und gepflegt, kein Unkraut, nichts. Er stand um fünf Uhr in der Früh auf, um zu giessen. Bei mir wächst so einiges mit, ich giesse am Abend, das sei total falsch, sagte mein Vater. Aber meine Tomaten waren eher reif und schöner als seine!» Gut, er gibt zu, dass die ganztägige Besonnung, von welcher sein Garten profitiert, wohl auch das ihre tut!
Bezahlung in Keksen
Im kleinen Gewächshaus an der Hauswand zieht Sandro Setzlinge. «Ich versuche, alles so weit als möglich selber hinzukriegen. Wenns nicht klappt, kaufe ich die Setzlinge nach.» Der Garten hält ihn auf Trab. Jäten, Triebe entfernen, giessen, das kriegt er problemlos hin. Aber es gebe natürlich etliches, was er nicht selbst machen könne. «Das ist auch gut so. So bleibe ich in Kontakt mit meinen Freunden. Entweder rufe ich sie an und bitte um Hilfe oder sie fragen, ob es zum Beispiel Zeit sei, die Kartoffeln auszugraben. Als Gegenleistung bekoche ich sie oder bezahle sie in Keksen.» Ja, erklärt er, seit einiger Zeit backe er regelmässig Kekse, eine Beschäftigung gegen die Phantomschmerzen. «Wenn ich nicht mehr schlafen kann, weil sie zu stark sind, mache ich Kekse, anstatt vor dem Fernseher zu sitzen und kannenweise Kaffee zu trinken. Das lenkt ab.» Er bringt drei Schüsseln mit unterschiedlichen Keksen. «Meine Mutter hat mir das Grundrezept gegeben und ich probiere jetzt aus, was man alles reintun kann. Nüsse, getrocknete Aprikosen und neu auch Ingwer.» Seine Freunde lieben die Kekse und lassen sich gerne damit «bezahlen». «Und mich freut es, wenn sie mir sagen, sie seien lecker.» Schade nur, dass er selber keine esse! Kürzlich habe er einem seiner Helfer ein Paket davon in die Rekrutenschule geschickt, zum Spass mit kleinen gebratenen Bratwurststückchen drin. «Es war als Gag gemeint», lacht er, «aber der junge Mann fragte nach Nachschub.» Der Garten ist nicht riesig, aber gross genug für das, was er in seiner Küche braucht. Natürlich koche er selber, sonst könnte er ja nicht essen, meint er. Und mindestens drei Mal pro Woche komme seine betagte Mutter zum Mittagessen. «Sie ernährt sich nicht mehr richtig. Zudem hat sie so lange für mich gekocht, jetzt kann ich ihr etwas zurückgeben.» Auch grillieren tut er gerne, hat sich einen Spezialgrill konstruieren lassen, den er jetzt sitzend gut bedienen kann. Und zu Grilladen reicht er «pomodori e peperoni», eine Art Tomaten-Peperoni-Paste auf frischem Baguette – es gäbe nichts Besseres. «Oder gefüllte Zucchini mit Gemüse oder mit Fleisch, und Gurken mit Joghurt.» Hier spricht ganz offensichtlich ein Geniesser.
Es gebe ein italienisches Sprichwort, meint Sandro: «Jeder rührt seine eigene Polenta.» Man müsse sich selber organisieren, sich selber helfen. So tüftelt und verbessert er immer wieder. So erfand er beispielsweise eine Vorrichtung gegen Hagel. «Wenn ich sie montiere, hagelt es bestimmt nicht, aber wehe, ich vergesse sie mal!» Oder ein demontierbares Gitter, damit er vom Parkplatz aus an seine Gartenbeete rankommt, Aldo sich jedoch nicht in den Beeten vergnügt. Und er holt sich Hilfe, wann immer nötig.
Der unverkennbare köstliche Duft eines Moka-Kaffees weht von der Küche her auf die Terrasse. Zeit, sich Sandros «biscottis» zu widmen!