marie 51/ Juli August

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Seelenruhe und Wassertreten für Daheimgebliebene Es muss nicht immer der Badeurlaub am Mittelmeer oder in der Karibik sein. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Willst du immer weiter schweifen? Sieh‘, das Gute liegt so nah.“ Das Gute ist in diesem Fall das Wasser in Vorarlberg. Niemand hat die magische Wechselwirkung von Wasser und Seele so gut erforscht wie Sebastian Kneipp. Schon zu Lebzeiten hatten der „Wasserdoktor“ und seine Philosophie in Vorarlberg Tausende Anhänger.

Text: Gerhard Thoma Fotos: Archiv

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örder bekommen lebenslänglich; Nahrungsmittelfälscher sollten die gleiche Strafe bekommen – sie sind indirekte Mörder. Mancher stirbt darum, ohne dass man die eigentliche Ursache kennt.“ Aus seiner Meinung machte Kneipp nie einen Hehl. Vieles, was der streitbare Priester schon vor 130 Jahren über Mensch und Gesellschaft sagte, ist aktueller denn je: „Kaum irgendein Umstand kann schädlicher auf die Gesundheit wirken als die Lebensweise unserer Tage: ein fieberhaftes Hasten und Drängen aller im Kampfe um Erwerb und sichere Existenz. Es muss das Gleichgewicht hergestellt werden zwischen der Lebensweise und dem Verbrauch an Nervenkraft.“ Geboren wurde Sebastian Kneipp am 17. Mai 1821 in Stephansried im Allgäu. Er hatte zwei Schwestern und zwei Halbschwestern. Die Familie war arm. „Wer nicht arm geboren und nicht arm erzogen ist, wird nie recht das Schicksal erfassen, das den Armen trifft“, schreibt Kneipp über seine Kindheit. Sein Vater war ein einfacher Weber, von der Mutter erzählte er, dass sie sehr streng war. „Mit elf Jahren musste ich in den Keller um die Weberei einzuüben.“ In den nächsten Jahren arbeitete er als Viehhirte und Knecht und besuchte die Dorf- und Sonntagsschule. 1839 starb die Mutter. 1841, an seinem 20. Geburtstag, brannte sein Elternhaus ab. Alle Ersparnisse, die sich der junge Kneipp hart erarbeitet hatte, waren verloren. Rettung nahte

in der Person von Matthias Merkle, dem Kaplan im benachbarten Grönenbach. Er erkennt das Talent des Bauernknechts und hilft, Kneipps lang gehegten sehnlichsten Wunsch zu erfüllen: Priester zu werden. In Privatstunden bereitet Merkle den 21-Jährigen auf das Gymnasium vor. Kneipp maturiert mit 27, beginnt das Theologiestudium und wird 1852 zum Priester geweiht. Spätestens 1846 zog sich Kneipp eine Lungenerkrankung zu, vermutlich Tuberkulose. Zufällig bekommt er 1848 das Buch „Unterricht von Kraft und Wirkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen“ von Johann Siegemund Hahn in die Hände – und ist fasziniert. Drei Mal wöchentlich badet er einige Augenblicke in der eiskalten Donau, nimmt zuhause Halbbäder, übergießt sich mit Wasser. Nach dieser monatelangen Prozedur war er nach eigenen Angaben geheilt und behandelte im Priesterseminar heimlich an Tuberku-

„Wasserpfarrer“ Sebastian Kneipp war ein engagierter Verfechter des Barfußgehens: „Das natürlichste und einfachste Abhärtungsmittel bleibt das Barfußgehen. Der Schuh ist eine Fußverkümmerungsmaschine.“

lose erkrankte Mitbrüder. Kneipp vertieft sich in Bücher etwa von Vincenz Prießnitz und Heinrich Friedrich Francke über Wasseranwendungen und beginnt seine eigenen Methoden Schritt für Schritt zu verfeinern. Dabei machte er die Erfahrung, dass Wasserkuren allein selten hilfreich sind, sondern dass Heilung meist nur im Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele möglich ist: „Wie viele waren hier, die nach langem Gebrauche der Wasserkur nicht besser dran waren, und bei denen die neurasthenischen Schmerzen an allen möglichen Stellen sich immer wieder fühlbar machten. Erst, als man den Zustand ihrer Seele kannte und da Ordnung hineinbrachte, ging es mit dem körperlichen Leiden auch besser. Sie bekamen mehr Ruhe und Zufriedenheit,


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