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Mit meinen Vögeln laufe ich wunderbar herum

Zwei humorvolle Damen: Die Zwillingsschwestern Irene (rechts) und Ilse (links) sind ein Herz und eine Seele. Und das fast seit 80 Jahren.

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Irene Hartmann ist eine starke, selbstbewusste Frau. Eine Frau, die immer ihren Weg gegangen ist. Unbeirrt. Abseits ausgetretener Pfade. Bis heute. Mit bald 80 Jahren. Die marie traf das Götzner Dorf-Original zu einer privaten Plauderstunde.

Interview und Fotos: Frank Andres

Schwarze Pluderhose, darüber ein schwarzes T-Shirt. Am Arm ein breiter Armreif mit einem Amethysten in der Mitte, ein großer Ring am linken Finger. Ausgefallener Ohrschmuck. Irene Hartmann ist nicht nur optisch eine außergewöhnliche Frau. Auch ihr Leben ist es. Wir treffen uns im traumhaften Garten samt Natur-Schwimmteich ihrer Zwillingsschwester Ilse. „Was wollen Sie von mir wissen?“, fragt mich Irene Hartmann. Das Gespräch kann beginnen. Wie sind Sie aufgewachsen?

Irene Hartmann: Meine Kindheit war wunderbar. Am Sägerplatz hinter der Mühle haben wir immer gespielt. Bei einem Felsen über dem Emmebach hatten wir unseren Zufluchtsort. Ich kann mich noch genau an die Turnfeste erinnern. Als ersten Preis gab es zehn Stück Stollwerck. Wir waren damals so glücklich.

War die Zeit nach dem Krieg nicht sehr entbehrungsreich?

Das habe ich nicht so empfunden. Nach dem Krieg waren die Franzosen in Götzis. Meine Zwillingsschwester Ilse und ich waren die einzigen beiden Mädchen, die in die Villa Montanida hinein durften. Da gab es dann jede Menge Schokolade zu essen. Wir waren nie reich, aber meine Mutter war eine hervorragende Köchin. Mein Vater konnte super Theater spielen.

Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?

Der Vater hatte eine Handstickerei. Da haben alle im Betrieb mitgeholfen. Meine Tante, meine Großmutter und auch ich. Es war ein richtiger Familienbetrieb. Meine Mutter kümmerte sich um den Haushalt.

Nach dem Krieg herrschte meistens noch Zucht und Ordnung in der Schule. Körperliche Gewalt war alltäglich. Wie haben Sie die Schulzeit erlebt?

Ich hatte ein Fräulein Summer als Lehrerin und da gab es keine Ohrfeigen. Ich muss aber zugeben, dass ich nie eine gute Lernerin gewesen bin. Ich habe alles immer von meiner Schwester Ilse abgeschrieben. Ich war einfach zu faul, um zu lernen. Die Schule war nie meins. Ich bin lieber in den Wald gegangen.

Wie ging es nach der Schule weiter?

Ich habe lange Zeit in der Wirkwarenfabrik Gotthilf Ösch gearbeitet. Danach bin ich nach Hohenems gegangen und habe dort als Haushaltshilfe gearbeitet. Danach bin ich nach Bregenz und in die Schweiz.

Sie sind Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Waren Kinder in Ihrer Lebensplanung vorgesehen?

Kinder schon, aber heiraten wollte ich nie. Der Vater meiner ältesten Tochter Daniela hätte gewollt, aber da ist allerdings etwas dazwischen gekommen.

Sie haben also nie geheiratet?

Ja, das war mir wichtig.

Warum?

Ich wollte niemals jemanden an meiner Seite haben, der mich mehr als meine Kinder liebt.

Wann sind Sie zum ersten mal Mutter geworden?

Mit 26 Jahren. Acht Jahre später bekam ich meine zweite Tochter Sandra. Und ihr Vater hat zu mir gesagt: „Ich ziehe nicht das Kind eines anderen auf.“ Dann war mir für mich das Thema erledigt. Ich wollte immer alleine entscheiden können. Und ich lasse mir bis heute von niemandem sagen, was ich tun soll. Ich bin ein sehr sturer Mensch.

Wie äußert sich diese Sturheit?

Ich kann etwas behaupten, auch wenn ich weiß, dass es in dem Moment nicht stimmt. Und wenn mir jemand weh tut, dann macht man das nur einmal. Sicher kein zweites. Wir Hartmänner sind stur.

Sind Sie immer unbeirrt ihren Weg gegangen?

Ja, bis heute. Auch wenn die Leute sagen, dass ich einen Vogel hätte. Aber ehrlich gesagt: Mit meinen Vögeln laufe ich wunderbar herum. Die tun mir nicht weh. Ich glaube, dass es die Menschen, die so über mich denken, im Leben viel schwerer haben. Ich kleide mich ausgeflippt, wie meine Schwester immer sagt. Und natürlich mache ich das ganz bewusst. So ist einfach die Irene.

Bist Du ein modebewusster Mensch?

Mir ging es nie um Mode, sondern um das Ausgefallene. Meine Schwester würde niemals so herumlaufen.

Haben Sie mit den Vätern ihrer Kinder zusammengelebt?

Nein. Diese Arbeit wollte ich mir nie antun. Für mich sind meine Kinder noch immer alles. Und ich für sie. Und nicht zu vergessen meine Schwester.

Haben Ihre Kinder den Vater nicht vermisst?

Nie. Und wenn Sie sie heute fragen, werden sie sagen: „Für uns war immer nur die Mama da.“

Sie haben am Anfang unseres Gesprächs über ihre Naturverbundenheit als Kind gesprochen. Welche Rolle spielt die Natur in Ihrem Leben heute?

Eine große. Meine Schwester liebt die Natur auch und ist oft mit ihren Wanderfrauen unterwegs. Das ist aber nichts für mich. Ich kann niemanden neben mir brauchen. Ich bin allein unterwegs. Mit dem Hund, der Jause im Rucksack. Am Morgen gehe ich aus dem Haus und am Abend komme ich zurück. Und das jeden Tag. Auch als es geheißen hat: „Bleibt zuhause.“ Ich war alleine unterwegs. Da habe ich sicher niemanden angesteckt.

Wissen Sie zu Beginn einer Wanderung wohin es geht?

Immer. Meistens bin ich in Viktorsberg unterwegs. Da bin ich verwurzelt.

Was gibt Ihnen die Natur?

Wenn ich an meinem Kraftplatz bin und die Tiere füttere, dann kommen Katzen, Vögel, Füchse, Dachse. Sie werden es nicht glauben. Aber wenn ich mit meinem Auto dort ankomme, beginnen die Vögel sofort ein Konzert zu singen. Das ist für meine Seele die beste Medizin. Ich nehme jeden Wurm, jede Schnecke und jeden Käfer auf der Straße auf, damit er nicht überfahren wird. Tiere sind mir näher als Menschen. Ausgenommen meine Kinder und meine Schwester.

Warum meiden Sie den Kontakt zu den meisten Menschen?

Ich will nicht dauernd gefragt werden, wie es mir geht.

Ihre Zwillingsschwester Ilse tickt of

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Irene Hartmann liebt extravaganten Schmuck. Dieser ist zu einem Markenzeichen der gebürtigen Götznerin geworden.

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„Wenn mich jemand zum 80er überraschen will, kann er ja mitlaufen.“

Das stimmt. Wir sind total unterschiedlich. Ich bin zwei Stunden vor meiner Schwester zuhause auf die Welt gekommen. Und sie sagt immer zu mir: „Das merkt man noch heute.“ Sie habe als Kind mir gehorchen müssen.

Wenn man sich bei den Menschen im Dorf etwas umhört, dann kommt immer der Satz: „Das ist doch die Frau, die barfuß unterwegs ist.“ Das ist Ihr Markenzeichen.

Seit ich 18 Jahre alt bin, laufe ich zwischen Mai und August barfuß. Ich hatte damals eine schwere Operation und der Arzt hat zu mir gesagt: „Mädchen, gehe barfuß, dann wirst du nie mehr Probleme haben.“ Und diesen Rat habe ich befolgt.

War dieses Besonders-Sein bei Ihnen Programm?

Nein, es hat sich meistens so ergeben. Ich wollte nie auffallen. Ich mache das nie absichtlich. Das bin einfach ich.

Sind Sie eine gute Gastgeberin?

Nein (lacht). Ich habe einen Freundeskreis. Da trifft man sich einmal pro Monat. Jedes Mal bei jemand anderem. Und da hieß es einmal: „Zur Irene geht man eigentlich nie.“ Und da habe ich geantwortet: „Ich kann keine Frauen bei mir daheim brauchen.“ Ich will es zuhause sauber und aufgeräumt haben. Da erinnere ich an meinen Vater, der immer zu uns gesagt hat: „Mädchen, wenn ihr aus dem Haus geht, achtet darauf, dass zusammengeräumt ist. Und schaut, dass die Betten in Ordnung sind. Denn man weiß nie, wann ein Doktor ins Haus kommt.“ Das ist auch mir sehr wichtig.

Haben Sie das Gefühl irgendetwas in ihrem Leben verpasst zu haben?

Nein. Ich will nicht mehr jung sein. So wie es jetzt ist, ist es wunderbar. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, danke ich dem Herrgott.

Was ist für Sie Luxus?

Laut meiner Schwester Ilse bin ich mir selbst gegenüber sehr geizig. Anderen gegenüber aber großzügig. Ilse (Schwester von Irene): Irene hat ein Herz aus Gold. Dreizehn Jahre haben wir gemeinsam in der Notschlafstelle am Jahnplatz Feldkirch geringfügig gearbeitet. Irene: Da fragt man bis heute nach uns. Ich gehe noch immer mindestens einmal pro Monat dorthin. Ilse: Meine Schwester hatte meistens am Sonntag Dienst. Und da hat sie aus ihrem eigenen Geld für alle Bewohner ein Menü gekocht.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Nein. Aber ich bete meistens, wenn ich alleine in der Natur unterwegs bin. Wenn es mir nicht gut geht, bleibe ich am Waldrand stehen und umarme einen Baum.

Sie werden im Jänner 2021 80 Jahre alt. Wird da groß gefeiert?

Diese Feierlichkeiten mag ich überhaupt nicht. An meinem Geburtstag bin ich ganz hoch oben. Egal ob es kalt ist oder schneit. Wenn mich jemand zum 80er überraschen will, kann er ja mitlaufen.