marie 53/ Oktober 2020

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Mittendrin in V

In der Mitte

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Viele Wege ist Carla Borracine Calace gegangen, suchend, forschend, entdeckend, bevor sie nach Vorarlberg fand. Jetzt leitet die junge Argentinierin inmitten Dornbirns Frauenkreise, gibt Yogastunden und hält Tantraseminare. Die Geschichte einer Frau, die Schritt für Schritt ihre Weiblichkeit entfesselte und in ihrer Mitte Heilung fand.

B

uenos Aires ist ein Ort voller Lärm“, beginnt Carla Borracine Calace, die sich einfach als Carla vorstellt, ihre Geschichte. Nicht nur sei die Metropole laut, auch zuhause bei den Calaces herrschte viel „ Leben. Gut und gerne saßen zum Abendessen 20 Personen am Tisch, Familie habe in Argentinien einen hohen Stellenwert, genauso die Kirche. Carla ging jeden Sonntag in die Messe, besuchte eine katholische Schule. „Doch im Alter von 12, 13 Jahren war ich schon neugierig auf Sex“, erzählt Carla offen, wie es zu ihrem persönlichen Bruch mit der Kirche kam, denn „laut dieser war ich eine Sünderin.“ Anders als ihre Mutter, die vor allem auf Ordnung setzte, war Carla immer eine Person, die gerne berührte, den Körperkontakt suchte. In der Pubertät wurde das mehr, bald rannte sie dem Sex hinterher, wie sie selbst sagt, suchte über ihn das Gefühl der Verbundenheit zu anderen Menschen. Danach fühlte sie sich leer. Anfang 20 begann die aufgeweckte Argentinierin dann eine Feministin zu werden, mit 23 schrieb sie sich für ein Jus-Studium ein, um für mehr Gerechtigkeit für Frauen zu kämpfen. Die trockenen juristischen Klauseln waren aber nicht ihres, sie brach ab, entschied sich stattdessen dazu, eine vierjährige Ausbildung zur Lehrerin für Leibeserziehung zu absolvieren. Noch heute bezeichnet sie diesen Schritt als beste Entscheidung ihres Lebens.

Text: Christina Vaccaro Fotos: heyguapos.com

Die Studentin arbeitete nebenher für verschiedene Schulen und Sportzentren, engagierte sich politisch, in dem sie sich den Linken anschloss. Eigentlich war alles gut, bis sie sich mit Mitte 20 in einer erneuten Krise wiederfand. Carla: „Ich realisierte, dass ich bisexuell bin. Das war aber ein Tabu – ich brauchte zwei Jahre, bis ich das meiner Familie mitteilen konnte. Es war eine harte Zeit für mich.“ Zu der Zeit war sie in einer Beziehung mit einem Mann, den sie mit einer Frau betrog. Sie ist nicht stolz darauf. Schließlich kam es zur Trennung, mit beiden, und die damals orientierungslose Carla begab sich mit einer Musik-Tanz-Gruppe auf eine Reise durch Brasilien. Ein Jahr lang. „Da war eine große Leere in mir und ich suchte den Sinn des Lebens“, erinnert sie sich noch heute.

Die Natur lockte sie aus der Stadt

Als Carla wieder nach Argentinien zurückkehrte, tat sie dies mit dem Bewusstsein, dass Städte einen permanenten Stresslevel über einen bringen. Es zog sie ins Landesinnere Argentiniens, weg von Buenos Aires – „Die Natur rief mich aus der Stadt“ –, wo sie ein friedlicheres Leben führen und innerlich heilen wollte. Das Buch „Heilung des Lebens“ fiel in ihre Hände, sie las es und ihre spirituelle Reise begann. Sie setzte sich mit der Wut, die sie gegenüber den sexistischen Teilen der Gesellschaft empfand, auseinander, und träumte davon, nach Eu-


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