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Das Menschliche im Aktivismus
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Text: Anja Fink, Fotos: privat
Als ich das Angebot bekommen habe, einen Text für die Straßenzeitung marie zu schreiben, war ich sehr aufgeregt. Ich sollte von Fridays for Future Vorarlberg erzählen, davon, was wir als Bewegung schon alles erreicht haben und von meinem persönlichen Bezug zum Klimaaktivismus. Voller Eifer habe ich mich hingesetzt und zu schreiben begonnen. Ich habe von den großen Schulstreiks in Bregenz und den vielen Aktionen, die Fridays for Future in Vorarlberg schon organisiert hat, geschrieben. Ich habe versucht, die Dringlichkeit, mit der Entscheidungstragende weltweit die Klimakrise behandeln sollten, in Worte zu fassen. Wollte in diesem Text das Feuer der Aktivist*innen spürbar machen und auch die Tatsache, dass wir nicht aufhören, laut zu sein, bis die Politik handelt. Je mehr Wörter ich aus meinem Hirn lockte, desto klarer wurde mir, dass ich eigentlich kein Loblied verfassen will, um damit Aktivismus und Einsatz auf ein Podest zu stellen. Wir sind gewöhnliche Menschen, die sich für das Wohl anderer einsetzen. Menschen, die sich für eine lebenswerte Zukunft jetziger und zukünftiger Generationen auf der ganzen Welt stark machen.
Seit der ersten Ausgabe bin ich begeisterte marie-Leserin. Warum? Weil es eine Zeitung VON und FÜR Menschen ist, die ihren Leser*innen das Gefühl gibt, direkt mit den Menschen hinter den Geschichten in Kontakt zu treten. Diese nahe Verbindung zu dir, liebe*r Leser*in, möchte auch ich versuchen aufzubauen. Die nächsten Zeilen sind mein Versuch, dir das Menschliche im Aktivismus näher zu bringen. Menschliche Vision – Klimagerechtigkeit
Mein Name ist Anja Fink. Ich bin Klimaaktivistin. Lange Zeit habe ich durch naive Kinderaugen gesehen wie wir in Österreich leben und bin davon ausgegangen, dass Kinder weltweit glücklich und sorgenfrei aufwachsen. Dass es selbstverständlich ist, dass ich jeden Tag warmes Essen auf dem Tisch und Zugang zu fließendem Wasser habe. Mit dem Alter kam die Einsicht. Immer deutlicher wurde mir klar, in was für einer privilegierten Situation ich mich bewegen darf. Ein überwältigendes Gefühl von Ungerechtigkeit holt mich immer wieder ein, wenn ich daran denke. Lange Zeit wusste ich nicht, was ich mit diesen Gefühlen anfangen soll. Es gibt aber einen Schlüsselmoment, von dem ich dir gerne erzählen möchte. Vor
#53 | Oktober 2020 Wir sind gewöhnliche Menschen, „einigen Monaten bin ich mit meinem Freund Johannes am See in Bregenz entlanggelaufen. Es war eine sehr surreale Situation, in der wir uns befanden. Der See rauschte, im Hintergrund die sich für das Wohl anderer einlebendige Stimmen, die sich am Leben erfreuten. Dazwischen Johannes, ich, und meine Fragen, auf die ich noch immer kei- setzen. Menschen, die sich für eine ne Antwort gefunden hatte. Wie soll ich als einzelner Mensch die Zukunft unserer Gesellschaft sichern? Was soll ich kleiner Mensch am Leid dieser Welt verändern? Ohne zu zögern konnte er mir die Antwort auf meine Fragen geben. Ich allein habe nicht die Verantwortung und Möglichkeiten, das Leid der Welt verschwinden zu lassen. Es liegt in der Verantwortung der Politiker*innen, jetzt Entscheidungen zu treffen, welche Menschen und allen anderen Lebewesen weltweit eine Zukunft sichern und uns einen respektvollen Umgang mit unserer Lebensgrundlage ermöglichen. Wie ich als Bürger*in mithelfen kann, das Problem zu lösen, ist, die Politik auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen. Durch Johannes habe ich auch meinen Weg zu Fridays for Future Vorarlberg gefunden. Junge Menschen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Mir war nicht gleich klar, wie tief der Begriff Klimagerechtigkeit reicht. Klimagerechtigkeit belebenswerte Zukunft jetziger und zukünftiger Generationen auf der ganzen Welt stark machen.“ deutet nicht nur Klimaschutz. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass indigene Völker in Lateinamerika keine Angst mehr vor Gewalt haben müssen. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass Kinder nicht mehr verdursten, während wenige Meter von ihrem Zuhause Wasser in Flaschen abgefüllt und nach Europa ver- Mehr Menschliches kauft wird. Klimagerechtigkeit bedeutet auch, dass reiche Län- Leider haben viele ein falsches Bild davon, was wir fordern. der wie Österreich sich ihrer Verantwortung bewusst werden Wir fordern bewusst Politiker*innen zum Handeln auf, da sie und Schutzsuchenden, die aktuell an den Grenzen Europas um die nötige Macht besitzen, das System, in dem wir leben, zu ihr Leben bangen, ein Zuhause geben. verändern.
Je mehr ich mich mit Klimagerechtigkeit auseinandersetze, Trotzdem fühlen sich manche Menschen persönlich andesto klarer wird mir, dass die Menschen, die für Klimagerech- gegriffen und reagieren mit Beleidigungen. Es scheint absurd, tigkeit kämpfen, mit diesem Begriff Visionen einer besseren wenn fremde Menschen im Internet über mein äußeres ErWelt verfolgen. Visionen von einer toleranten, chancengleichen scheinungsbild urteilen, nur weil sie nicht mit meiner Vision Gesellschaft. Visionen von einer Welt, auf der alle Menschen einer zukunftsfähigen Welt übereinstimmen. Oder wenn sie eine lebenswerte Zukunft haben. Mich für diese Visionen einzu- Johannes als arbeitslosen „Sozialschmarotzer“ betiteln, obwohl setzen ist eine weitere Antwort auf meine Fragen damals am See. er neben dem Klimaaktivismus im LKH Hohenems als Krankenpfleger arbeitet. Man lernt mit solchen Angriffen umzugehen. Manchmal ist es aber doch schwierig, Beleidigungen nicht persönlich zu nehmen. Aktivismus hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen und seine Stimme für Veränderung einzusetzen. Auch wenn das bedeutet, mit Beleidigungen und unguten Erlebnissen klarzukommen. Um schließlich auf meinen Versuch, dir das Menschliche im Aktivismus näher zu bringen, zurückzukommen: Erfolg. Beleidigungen. Ein Spagat zwischen Visionen, die vorantreiben, und ernüchternder Realität. An dieser Stelle wiederhole ich mich gerne nochmal: Wir sind gewöhnliche Menschen, die sich für das Wohl anderer einsetzen. Menschen, die sich für eine lebenswerte Zukunft jetziger und zukünftiger Generationen auf der ganzen Welt stark machen. Was wir tun, sollte nichts Besonderes sein. Was wir tun, ist ein rein menschlicher Akt, der laut meiner Auffassung in unserer Gesellschaft normal sein sollte. Das Menschliche im Aktivismus ist für mich also das Bestreben nach etwas, das uns alle vorantreibt: eine lebenswerte Zukunft.
