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In der Mitte

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Viele Wege ist Carla Borracine Calace gegangen, suchend, forschend, entdeckend, bevor sie nach Vorarlberg fand. Jetzt leitet die junge Argentinierin inmitten Dornbirns Frauenkreise, gibt Yogastunden und hält Tantraseminare. Die Geschichte einer Frau, die Schritt für Schritt ihre Weiblichkeit entfesselte und in ihrer Mitte Heilung fand.

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Buenos Aires ist ein Ort voller Lärm“, beginnt Carla Borracine Calace, die sich einfach als Carla vorstellt, ihre Geschichte. Nicht nur sei die Metropole laut, auch zuhause bei den Calaces herrschte viel „ Leben. Gut und gerne saßen zum Abendessen 20

Personen am Tisch, Familie habe in Argentinien einen hohen

Stellenwert, genauso die Kirche. Carla ging jeden Sonntag in die Messe, besuchte eine katholische Schule. „Doch im Alter von 12, 13 Jahren war ich schon neugierig auf Sex“, erzählt Carla offen, wie es zu ihrem persönlichen Bruch mit der Kirche kam, denn „laut dieser war ich eine Sünderin.“

Anders als ihre Mutter, die vor allem auf Ordnung setzte, war Carla immer eine Person, die gerne berührte, den Körperkontakt suchte. In der Pubertät wurde das mehr, bald rannte sie dem Sex hinterher, wie sie selbst sagt, suchte über ihn das

Gefühl der Verbundenheit zu anderen Menschen. Danach fühlte sie sich leer. Anfang 20 begann die aufgeweckte Argentinierin dann eine Feministin zu werden, mit 23 schrieb sie sich für ein Jus-Studium ein, um für mehr Gerechtigkeit für Frauen zu kämpfen. Die trockenen juristischen Klauseln waren aber nicht ihres, sie brach ab, entschied sich stattdessen dazu, eine vierjährige Ausbildung zur Lehrerin für Leibeserziehung zu absolvieren. Noch heute bezeichnet sie diesen Schritt als beste

Entscheidung ihres Lebens.

Text: Christina Vaccaro Fotos: heyguapos.com

Die Studentin arbeitete nebenher für verschiedene Schulen und Sportzentren, engagierte sich politisch, in dem sie sich den Linken anschloss. Eigentlich war alles gut, bis sie sich mit Mitte 20 in einer erneuten Krise wiederfand. Carla: „Ich realisierte, dass ich bisexuell bin. Das war aber ein Tabu – ich brauchte zwei Jahre, bis ich das meiner Familie mitteilen konnte. Es war eine harte Zeit für mich.“ Zu der Zeit war sie in einer Beziehung mit einem Mann, den sie mit einer Frau betrog. Sie ist nicht stolz darauf. Schließlich kam es zur Trennung, mit beiden, und die damals orientierungslose Carla begab sich mit einer Musik-Tanz-Gruppe auf eine Reise durch Brasilien. Ein Jahr lang. „Da war eine große Leere in mir und ich suchte den Sinn des Lebens“, erinnert sie sich noch heute.

Die Natur lockte sie aus der Stadt

Als Carla wieder nach Argentinien zurückkehrte, tat sie dies mit dem Bewusstsein, dass Städte einen permanenten Stresslevel über einen bringen. Es zog sie ins Landesinnere Argentiniens, weg von Buenos Aires – „Die Natur rief mich aus der Stadt“ –, wo sie ein friedlicheres Leben führen und innerlich heilen wollte. Das Buch „Heilung des Lebens“ fiel in ihre Hände, sie las es und ihre spirituelle Reise begann. Sie setzte sich mit der Wut, die sie gegenüber den sexistischen Teilen der Gesellschaft empfand, auseinander, und träumte davon, nach Eu-

„Mein Auftrag ist es, alle Frauen auf ihrem Weg zur Selbsterkenntnis, Heilung, Ermächtigung und Selbstverwirklichung zu unterstützen.“

ropa zu gehen. „Meine Großmutter stammte aus Paris. Das war wohl mit ein Grund, weshalb es mich dahin zog“, erklärt sich Carla diesen Wunsch.

Kurz vor ihrem 30. Geburtstag reiste sie nach Paris. Zwei Wochen in der französischen Kulturstadt und Carla wollte bleiben. Und sie blieb. Als Au-pair kümmerte sie sich um die 12- und 15-jährigen Töchter ihrer Gastfamilie und lernte die französische Kultur kennen und lieben. „In Frankreich erfuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben einen anderen Umgang mit Sex“, so Carla, „Niemand drängte.“ Sie besuchte das Theater, tanzte, verliebte sich in eine Frau und besuchte feministische Workshops, in denen geübt wurde, zu ungewollten Berührungen oder Übergriffen Nein zu sagen, und andere Workshops, etwa zur Tantramassage, in denen Berührungen nicht ausbeuterisch, sondern achtsam waren. Carla: „Darin machte ich erstmals die Erfahrung, dass Berührungen wirklich ein Weg sind, sich geliebt zu fühlen – ich musste weinen, so sehr bewegte mich das.“

Hier hält Carla in ihrer Erzählung kurz inne. Es ist ihr wichtig, dass die Botschaft ankommt: „Sex ist etwas Heiliges, etwas Göttliches. Es ist nichts Schmutziges, Ekelhaftes oder Hässliches, sondern eine Quelle der Erfüllung.“

Noch mehr Reisen

Nach Frankreich wollte sie nach Australien, stoppte in Singapur, kam nach Malaysia. Auf der südostasiatischen Halbinsel nahm sie, am Strand ums Feuer sitzend, an ihren ersten Frauenkreisen teil. Wer den Redestab hält, ist an der Reihe zu erzählen. Die anderen hören einfach nur zu, es wird nicht unterbrochen, nicht kommentiert, nicht bewertet. Gesprochen wird über das, was man mit und in sich trägt und sonst keinen Platz findet, über Wünsche und Ängste gleichermaßen, und über längst Vergangenes. „Im Alter von acht Jahren hatte ich eine schlechte Erfahrung mit einem Mann gemacht“, sagt Carla. „Und diese Erfahrung trat erst jetzt zutage, im sicheren Kreis.“

Mit dem Erlernen von Thai-Massagen erfolgte eine weitere Zwischenstation im Leben der jungen Argentinierin, bis sie im Yoga, in Mantras und im Tantra ihre Berufung fand und in diversen Schulen ihre Ausbildungen zur Yoga- und Tantralehrerin machte. Heute bezeichnet sich Carla Borracine Calace als holistische Lehrerin und Prozessbegleiterin.

Offene VorarlbergerInnen

Nach Vorarlberg brachte die heute 34-Jährige tatsächlich die Liebe. Denn in Thailand lernte sie einen Yogalehrer aus Dornbirn kennen, in den sie sich verliebte. Im Zentrum Annagasse gibt sie nun Yogastunden auf Englisch, hält Frauenkreise auf Spanisch und Englisch und leitet auch Tantraseminare an geheimen Orten. Die Vorarlbergerinnen empfindet sie als offen und neugierig darauf, ihre Sexualität als etwas Spirituelles zu entdecken. Am Ende des Gesprächs steht Carlas zentraler Lebenssatz im Raum: „Mein Auftrag ist es, alle Frauen auf ihrem Weg zur Selbsterkenntnis, Heilung, Ermächtigung und Selbstverwirklichung zu unterstützen.“

Carla ist gegenwärtig in Thailand, um ihren spirituellen Weg weiter zu gehen. Sie kommt ein- bis zweimal jährlich nach Vorarlberg, um Workshops zu halten. Kontakt zu Carla: www.carlabc.com

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