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Es menschelt stark
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Text und Fotos: Frank Andres
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Es gibt sie noch. Die traditionelle Gastwirtschaft. Eine davon ist das Wirtshaus „Zur Taube“ in Alberschwende. Lothar Eiler (57), der Wirt des ältesten Gasthauses in Alberschwende, blickt im Gespräch mit der marie auf seine Anfänge zurück. Es sind Erinnerungen mit großem Nostalgiefaktor. >>
Das Wirtepaar Helene Zoller und Lothar Eiler in Olgas Festsaal. Der Name des wunderschön holzgetäfelten Tanzsaals erinnert an Olga Bereuter, Köchin und Tochter des einstigen Besitzers Konrad Bereuter.
Alle Jahre wieder zieht für mehrere Wochen der „W’ortwechsel“ durchs Land: Ein Gesprächsformat, bei dem Vorarlberger Persönlichkeiten als „special guests“ für private Runden gebucht werden können. Heuer wird allerdings nicht in den eigenen vier Wänden über Gott und die Welt „gewortwechselt“, sondern dort, wo seit jeher gern geplaudert wird: im Wirtshaus.
Wir nahmen es zum Anlass, mit einer der teilnehmenden Gaststätten, der Taube in Alberschwende, über Traditionen, Gastfreundschaft und die Bedeutung des Essens ins Gespräch zu kommen.

Außerdem nützten wir die Gelegenheit, Georg Fraberger – Talkgast bei der großen W’ortwechsel-Auftaktveranstaltung – vorab ein paar Fragen zu stellen.
Infos zum W'ortwechsel
W’ortwechseln in insgesamt 25 Gasthäusern und öffentlichen Räumen vom 11.Okt. - 16. Nov. 2020 Programm ab 8.Oktober online: www.wortwechsel. jetzt Kontakt und Organisation: Katholische Kirche Vorarlberg, wortwechsel@ kath-kirche-vorarlberg.at
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6 | L othar Eiler ist ein echtes Gasthauskind. Das Wirtshaus „Zur Taube“ ist sein Elternhaus. Hier ist er aufgewachsen. Ohne Stube oder Wohnung im heutigen Sinn. Arbeit und Wohnen waren eins. Der Schankraum diente zugleich als Stube, die Küche war Teil des Wohnbereichs. Und bereits als Kind hat Lothar Eiler gelernt, mit anzupacken. In der Landwirtschaft der Eltern. In der Gasthausküche. „Damit wächst du auf. Da hat man dich als Kind eingespannt“, sagt er. Ohne vorwurfsvollen Unterton. Vor zwanzig Jahren hat er schließlich das Gasthaus der Eltern übernommen. Das war aber ursprünglich nicht der Plan des Absolventen der Landwirtschaftsschule in Hohenems. „Ich bin plötzlich in Richtung Gastronomie gerutscht“, erzählt er. Kurz und bündig.
Wie im Heimatfilm
Der Wirt der „Taube“ blickt wehmütig an seine Anfänge zurück. In die 60er, 70er Jahre. Als er noch jung war. „Früher war alles viel einfacher. Die Großtante hatte eine Wirtsstube und bediente die Gäste wie im Heimatfilm“, schwelgt Lothar Eiler in Erinnerungen. Die „Taube“ war damals eine klassische Bauernwirtschaft. Das Essen stand, anders wie heute, nicht im Mittelpunkt. „Das Gasthaus war montags immer gerammelt voll. Am Morgen früh kamen bereits die ersten Bauern, zum z'Nüne dann die Handwerker. Da hat man die Geschäfte noch im Wirtshaus gemacht. Regionalität war Trumpf“, erinnert sich Lothar Eiler. Den ganzen Tag herrschte rege Betriebsamkeit im Gasthaus „Taube“ in Alberschwende. Das Gesellschaftliche und die Geselligkeit standen im Vordergrund.
Essen viel wichtiger
Doch vieles aus dieser guten, alten Zeit ist verschwunden. Das Gasthaus-Leben hat sich gewandelt. „Heute ist das Essen viel wichtiger. Die Gäste erwarten sich gutes Essen und eine umfangreiche Speisekarte“, betont der Gastwirt. Nur mit Braten, Gulasch, Landjäger, Käse oder Butter lasse sich ein Wirtshaus nicht mehr führen. Das weiß auch Helene Zoller (47), mit Lothar Eiler seit Jahren liiert und Wirtin der „Taube“. „Die Gäste wollen heute zum Frühstück frische Gipfele, zu Mittag eine reichhaltige Mahlzeit, am Nachmittag Kuchen und Kaffee und am Abend ein üppiges Mahl.“ Da bleibe wenig Zeit zum Durchatmen. Programm fast rund um die Uhr. Und auch wenn am Mittwoch und Donnerstag das Gasthaus geschlossen sei, bedeute das nicht gleichzeitig Freizeit. „In letzter Zeit gab es am Donnerstag Beerdigungen. Und die kann man nicht einfach absagen.“
Mit der Familie ins Gasthaus essen zu gehen, war früher die absolute Ausnahme. Das leistete man sich nur zu ganz besonderen Anlässen. Bei einer Taufe, Kommunion oder Beerdigung. Heute gehört zum Gasthaus-Besuch für viele der kulinarische Genuss dazu. Ein, zwei Bierchen allein reichen nicht mehr aus. „Der Durchschnittsbürger gibt heute viel mehr Geld im Gasthaus aus. Früher wäre eine Familie niemals auf die Idee gekommen, um 1000 Schilling (72,63 Euro) essen zu gehen“, betont Lothar Eiler. Und er fügt hinzu: „Das ist gleichzeitig eine enorme Aufwertung der Küche bzw. des Kochberufes.“
Die einstige Funktion des Gasthauses, als zentraler Ort der Kommunikation, ist laut Lothar Eiler großteils verloren gegangen. „Als es in den meisten Haushalten noch keinen Fernseher gab, hat es den Stammtisch gebraucht. Ansonsten hätte man sich gegenseitig Briefe schicken müssen.“ Man habe im Gasthaus diskutiert, sich informiert und Probleme besprochen. Aber die Zeiten, als der Wirt als erster über das Dorfgeschehen unterrichtet war, sind vorbei. „Heute sagen noch immer viele zu mir: ‚Du hast doch ein Wirtshaus. Da erfährst du eh alles.‘ Aber ich antworte nur: ‚Das ist heute nicht mehr so.‘ Wir erfahren die Neuigkeiten oft als letzte. Gott sei Dank.“ Die Welt ist eben eine andere geworden. Und das ist manchmal auch gut so.
Hektik und Ungeduld
Helene Zoller sieht sich vor allem in der Funktion der Gastwirtin. Diese Rolle sei in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Sie verdeutlicht diesen Wandel an einem Beispiel: „Die Gäste waren vor fünfzehn Jahren viel geduldiger. Es war kein Problem, wenn das Essen erst nach einer halben Stunde am Tisch serviert wurde. Ich habe mich auf die Familien am Sonntag gefreut. Heute ist alles viel hektischer. Wenn die Gäste nach zehn, fünfzehn Minuten das Essen nicht bekommen, fragen sie bei mir nach, ob ich es vergessen habe.“ Viele Gäste könnten am Sonntag nicht mehr richtig abschalten. Sie befänden sich stattdessen noch immer im Arbeitsmodus. Das sei aber nicht nur in der Gastronomie so, sondern ein Phänomen der Zeit. Und dieses Rad der Zeit würde Lothar Eiler am liebsten zurückdrehen. „Die schönste Zeit war, als ich als Gastwirt begonnen habe. Zudem war ich damals dreißig Jahre jünger.“
Aber trotz der vielen Veränderungen, nicht immer zum Guten, sind Lothar Eiler und Helene Zoller mit Herz und Seele Wirtsleute. „Wir sind eine Einrichtung, die die Menschen von der Geburt bis zur Bahre begleitet. Manchmal feiern Gäste sogar ihre Scheidung bei uns. Nach wie vor menschelt es stark.“
Noch ist unklar, wie es mit der „Taube“ nach der Ära des Wirtepaars Eiler und Zoller weitergehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass das älteste Gasthaus am Eingangstor zum Bregenzerwald noch lange bestehen wird. Denn bereits der griechische Philosoph Demokrit wusste: „Ein Leben ohne Freude, ist wie eine Reise ohne Gasthaus.“


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Infokasten
Geschichte der „Taube“ Die Geschichte der Taube ist seit dem 15. Jahrhundert belegt. Als Taverne zum Pfarrgut des Klosters Mehrerau lag die Taube am Handelsweg in den Bregenzerwald und wurde 1867 zur Poststation, an der die Pferde gewechselt wurden. Von 1860 bis 1974 erhielt die „Taube“ die Nebenfunktion eines Postamtes. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das alte Haus bis auf die Grundmauern abgerissen und die Fassade mit Jugendstilelementen gestaltet. Heute führt Lothar Eiler zusammen mit seiner Partnerin Helene die Taube als traditionelles Wälder Dorfwirtshaus mit gutbürgerlicher einheimischer Küche. Mehr zur Geschichte der „Taube“ gibt es im Internet unter taube.at