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Der sein dürfen, der man ist
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Der sein dürfen, der man ist Georg Fraberger wurde 1973 ohne Arme und Beine geboren. Ein Baby wie ihn mit nach Hause zu nehmen, sei damals nicht selbstverständlich gewesen. Doch für die jungen Eltern – die Mutter 22, der Vater 20 – stellte sich die Frage nicht. Heute hat Georg Fraberger, 47, selbst fünf Kinder, ist glücklich verheiratet, arbeitet als Klinischer Psychologe an der Uniklinik für Orthopädie in Wien, hält Vorträge und schreibt Bücher.
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Interview: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: privat
marie: Eines Ihrer Bü- Georg Fraberger: Sorgte ich mich, cher titelt „Ein ziemlich etwas nicht zu können, sagten gutes Leben“. Woraus meine Eltern, dann kommst du haben Sie die Sicher- eben wieder nach Hause. Ich durfheit geschöpft, dass te mich also ausprobieren. Mein auch für Sie ein gutes Glück war, dass ich mit Misserfolg Leben möglich ist? umgehen konnte und so gelassen wurde, wie ich bin. Mit zehn Jahren habe ich einen elektrischen Rollstuhl bekommen, mit 15 bin ich das erste Mal mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Als ich einen Fahrschein kaufen wollte, hat mich der Mann am Schalter abgewiesen mit der Begründung: „Das geht nicht mit dem Rollstuhl.”
Ich habe mich umgedreht, bin zum nächsten Schalter gefahren, hab‘ gesagt, ich brauche ein Ticket und habe es bekommen. Ich durfte also relativ früh erkennen, wenn einer sagt, das geht nicht, dann geh‘ zum nächsten. Da brauch‘ ich gar nicht erst lange diskutieren.
Im Sinne von: sich erst
gar nicht ausgrenzen Ja. Wenn man eine Behinderung lassen? hat, kann man das Ausgrenzen immer auf die Behinderung schieben. Die Behinderung an sich grenzt einen allerdings nicht aus, viel eher wird man ausgegrenzt, weil die Leute ein Problem im Umgang mit der Behinderung haben. Ich glaube, das Glück im Leben hängt wesentlich davon ab, wie sehr man es schafft, Beziehungen erfolgreich zu gestalten, wertgeschätzt zu werden – ob mit oder ohne Behinderung.
Und schon sind wir Inklusion muss von beiden Seimittendrin im Thema ten ausgehen. Menschen mit Inklusion! Behinderung müssen neben dem Mut zur Teilhabe auch den Mut haben, sich verletzbar zu zeigen, sich auch mal eine Abfuhr einzuholen. Sie müssen mit Kränkungen umgehen lernen. Meine Inklusion am Arbeitsplatz besteht nicht hauptsächlich in meiner Tätigkeit als Psychologe, sondern fängt dort an, wo ich mit meinen Kollegen einen
Kaffee trinke oder auch mal abends mit ihnen weggehe.
Inkludiert bin ich, wenn ich auch in meinem Job der sein kann, der ich bin und nicht nur meine Arbeit mache.
Wie gehen Ihre Kinder Es hat dazu geführt, dass meine mit der Tatsache um, Kinder sehr, sehr offen sind. Nadass der Papa keine türlich ist es auch schwierig für sie, Arme und Beine hat? wenn mich andere Kinder auslachen. Oder wenn wie letzthin ein Schulkollege meiner Tochter fragt: „Stimmt des, unterm Hitler hätt‘s dich nicht gegeben?“ Zum Glück weiß man heute, dass der Patient Arbeitgeber des Arztes ist, habe ich ihm erklärt. Ohne Patienten bräuchte es auch keine Ärzte.
Und andere unange- Mir hilft es, dass ich weiß, dass nehme Verhaltenswei- ein Model mindestens so viel ansen wie Anstarren, geschaut wird wie ich. Das Model Mitleid etc., was macht wird aufgrund des Körpers angedas mit Ihnen? schaut, ich werde auf Grund des Körpers angeschaut. Und damit begnüge ich mich. Es ist nicht leicht, aber ich glaube, es ist auch schwierig, übersehen im Sinne von nicht gesehen zu werden. Ich möchte nicht für mich beanspruchen, dass ich es schwerer hätte. Zum Glück habe ich zumindest den Neid nicht auch noch. Der fällt bei mir weg.
Als jemand, der viel Wert auf Sportlichkeit und Aussehen legt, wie stehen Sie zum viel betriebenen Körperkult? Verstehen Sie, dass man wegen einer schiefen Nase unglücklich sein kann?
Jein. Ich glaube, jeder hat ein Schönheitsideal und ich versteh‘ schon, wenn man mit etwas nicht zufrieden ist. Dennoch ist es wichtig, sich nicht davon aufhalten zu lassen. Wir vergessen oft, dass jedes unserer Gefühle auch die kleinsten Muskelbewegungen beeinflusst: Atmung, Körperhaltung, Augenaufschlag, alles.
Dennoch, so habe ich Wir sollten die Gefühle nicht stängelesen, halten Sie dig als negativ oder positiv bewernichts vom „Positiven ten. Jedes Gefühl hat eine Aufgabe. Denken“. Auch Angst, Trauer oder Scham. Wenn ich es nun als negativ oder positiv bewerte, dann heißt das, ich versuche etwas zu vermeiden oder zu verstärken, und dann vergesse ich die eigentlichen Aufgaben dieser Gefühle. Ich glaube ja sowieso, Demut vor dem Leben kommt oft nur durch das Leid. Deshalb tue ich mir mit diesem Positiv-Den-
Georg Fraberger kam ohne Arme und Beine zur Welt. Dafür gibt es bis heute keine medizinische Erklärung.
ken-Konzept so schwer, denn oft werden einem ja erst durch das Leid die Augen geöffnet. Meine Frage als Psychologe wäre viel eher, wie kann man diese Demut und vor allem die damit verbundenen Werte ohne das Leid vermitteln?
Sie arbeiten an der Im Prinzip alle mit Schwerpunkt Uniklinik für Ortho- Orthopädie. Die orthopädische pädie als Psychologe. Chirurgie ist eigentlich ein hochWen betreuen Sie? philosophisches Fach. Weil überlegt werden muss, was gemacht wird und was nicht. Bei Knochenkrebspatienten zum Beispiel, ob man nur einen Teil amputieren will oder gleich das ganze Bein. Es geht um Materialentscheidungen usw. Ich kann natürlich auch jemanden betreuen, der nur einen Plattfuß hat oder Frauen, die sich eine Zehenverlängerung wünschen. Ja klar, das gibt es auch.
In welchen Situationen Am allerbesten beim Autofahren, tritt die Behinderung da sehen sie die Leute nicht. Ich in den Hintergrund, habe ja auch kein Rollstuhlpickerl löst sich gefühlt auf? am Auto. Sie löst sich aber auch nach fünf Minuten Gespräch auf, sobald die Leute merken, hoppla, da ist kein Unterschied zu bemerken, er hat Probleme wie jeder andere auch.
Bücher von Georg Fraberger:
Erfolgreich lieben Wie werde ich Ich. Zwischen Körper, Verstand und Herz Ich verstehe dich. Endlich Klarheit in der Kommunikation Ohne Leib mit Seele Ein ziemlich gutes Leben
Tipp:
Dr. Georg Fraberger talkt gemeinsam mit Skispringerin Eva Pinkelnig und Bischof Benno Elbs bei der W’ortwechsel-Auftaktveranstaltung am 7. Okt. 2020 im Löwensaal in Hohenems. Anmeldungen: wortwechsel@kath-kirche-vorarlberg.at