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Enttäuschungen, Sehnsüchte, Aufgaben
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Europa, das eingebildete Paradies?
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Ein afrikanischer Priester in Europa. Pater Kofi spricht über Enttäuschungen, falsche Sehnsüchte und eine Aufgabe, die etwas aus der Zeit gefallen scheint, aber gebraucht wird wie nie: Seelsorge.
Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Frank Andres
Pater Kofi (51) und ich haben uns in Dornbirn verabredet. Er wartet schon auf mich. Wie ich ihn so dastehen sehe, groß, schwarze Hautfarbe, Jeans und gemustertes Hemd, frage ich mich: Wäre ich ihm zufällig begegnet, hätte ich ihn dann womöglich in die Kategorie „Flüchtling“ gesteckt? Schubladen-Alarm, keine Frage. Natürlich passiere ihm das immer wieder, wird mir Pater Kofi später erzählen. Er sähe es an den Blicken. Oder am Umgang mit ihm. Wie damals, als ihn am Bahnhof Feldkirch die Polizei aufhielt und nach seiner Asylbescheinigung fragte. Hatte er keine, also baten sie ihn ins Polizeiauto. Als er ihnen dort seinen Pass zeigte, mischte sich zu ihrer Betretenheit auch eine leise Empörung: Das hätte er doch gleich sagen können, dass er einen Pass habe und Priester sei. Doch Pater Kofi ging es eben genau darum: Zu veranschaulichen, dass das Gegenüber zu oft die Fragen so stellt, als wüsste es bereits die Antworten.
„Sie sagen, wieso soll ich Deutsch lernen, wenn ich nicht weiß, ob ich überhaupt bleiben darf. Und ich sage, egal, alle Energie muss jetzt da rein.“
Pater Kofi
Paradies Europa
Pater Kofi ist mit vier Geschwistern in Ghana aufgewachsen. Man sei weder arm noch wohlhabend gewesen. Der Vater leitete eine kleine römisch-katholische Gemeinde, der Glaube spielte seit jeher eine zentrale Rolle im Le- Pater Kofi mit seiner Familie zu Hause in ben von Kofi Kodom. Wer Ghana in der Schule nicht parierte oder schlechte Zensuren schrieb, wurde vom Lehrer mit mahnender Gebärde darauf hingewiesen, „es so sicher nie nach Europa zu schaffen.“ „Kommentare wie diese und der Glaube, dass alles, was von dort kommt, das Beste ist, machten Europa zum allseits angestrebten Paradies“, spricht Pater Kofi nicht nur für sich, sondern auch für seine Landsleute. Nach zwei Dekaden Lebenserfahrung auf dem „Sehnsuchtskontinent“ sieht es der 51-Jährige mittlerweile differenzierter: „Die Ordnung, die gerechte Bezahlung, dass man hier überhaupt etwas lernen und Arbeit finden kann, ja, das schätze ich sehr an Europa. Aber was mir bei aller Schönheit fehlt, sind die warmen, menschlichen Beziehungen. Ich sage immer: Hier Urlaub zu machen ist toll. Doch solange man nicht von Hunger oder Krieg bedroht ist, ist auch das Leben zuhause sehr schön.“ Zuhause, Ghana, das ist Pater Kofis Sehnsuchtsort heute. Dorthin wird er auch bald zurückkehren. Nach 20 Jahren seelsorgerischer Tätigkeit in Europa steht er vor einem neuen Lebensabschnitt. Seine Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare ermöglicht ihm ein Sabbatjahr, eine Art Neuorientierungsphase im Rahmen eines spirituell-pastoralen Programms: Rückschau, Innenschau, Erneuerung. Soviel weiß er schon: Er möchte in Ghana im Ausbildungsbereich arbeiten, um junge Menschen vor zu viel Illusion zu schützen. Man dürfe ihnen nicht ein Europa vorgaukeln, das es für sie so nicht gäbe: „Ich habe selber im Grunde nicht gewusst, wie das Leben hier ist. Viele kommen mit falschen Erwartungen und sind nach bereits einem Monat ernüchtert – und sei es nur, weil sie feststellen müssen, dass es hier ohne Arbeitserlaubnis auch keinen richtigen Job gibt.“
Seelenarbeit
In den vergangenen Jahren ist Pater Kofi für viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu einer Person des Vertrauens geworden. Der etwas verstaubt anmutende Begriff der Seelsorge würde seine Aufgaben äußerst treffend beschreiben, sagt er, „weil es eine ganz andere Art vom Umgang mit Migranten und Geflüchteten ist. Abseits aller bürokratischen Herausforderungen darf ich mich mit viel Zeit zum Zuhören um sie kümmern.“ Es gehe um Zuspruch und Ermutigung, denn oft genug seien die seelischen Verletzungen stark und die Perspektiven dürftig. Ja, das Vertrauen gewinne er rasch, weil er selber Ausländer ist. Als erstes komme immer die Frage, wie er es denn geschafft habe. „Und schon ist das Eis gebrochen. Obwohl ich natürlich immer klarstelle, dass ich nicht als Flüchtling, sondern als Priester ins Land gekommen bin.“ 90 Prozent seiner Schützlinge sind keine Katholiken, zollen ihm aber hohen Respekt, gerade, weil er die interreligiöse Zusammenarbeit sehr fördere: „Ich organisiere das Fastenbrechen nach dem Ramadan oder Zusammenkünfte für religiöse Festtage. Sogar eine muslimisch-katholische Hochzeit war schon dabei. Das sehe ich auch als einen Auftrag an die Pfarren: Im Sinne der Friedensarbeit die Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen weiter zu verankern.“
Luftschlossruinen
„Keiner meiner betreuten Jugendlichen hat damit gerechnet, dass es so lange dauert, bis er Asyl bekommt, die Sprache lernen und arbeiten kann. Sie glauben, sie kommen und alles ist da“, so Pater Kofi. Er sagt es ohne Vorwurf, ohne Bitterkeit. Vielmehr mit der Erfahrung desjenigen, der gelernt hat, desillusionierte Menschen aufzufangen und die Trümmer ihrer zusammengefallenen Luftschlösser aufzuräumen. Der ihnen hilft, mit Traurigkeit und Enttäuschung, mit Heimweh und dem Zweifel an der Richtigkeit ihres Hierseins umzugehen. Auch mit Schuldgefühlen, dass sie hier genug zu essen bekommen, während ihre Familien möglicherweise Hunger leiden, seien die minderjährigen Flüchtlinge belastet. Nicht zu unterschätzen sei zudem der psychische Druck, der von zu Hause komme. „Entweder du schaffst es dort und holst uns nach oder du schickst uns Geld, bis die Familie wieder vereint ist“, so laute oftmals der Auftrag der Eltern. Pater Kofi: „Das ist ein Thema, das sie gut mit mir besprechen können, denn auch meine Verwandten glauben, ich habe viel Geld und schicken mir Anfragen, die ich nicht alle erfüllen kann. Ich sage den Jungs, diesen Druck können wir uns nicht ersparen, aber wir dürfen uns dem auch nicht ausliefern. Sie wissen, dass ich das aus persönlicher Erfahrung sage und es keine bloße Theorie ist.“
Integration mit open end
Horizont im Sinne von Perspektive und Orientierung weite sich dort, wo die jungen Männer anfangen, Wurzeln zu schlagen. „Zum einen bilden sie Gruppen und unterstützen sich gegenseitig, zum anderen helfen Kontakte zu den Einhei- >>
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20 | „Das wird nicht einfach sein, weil ich schon so lange weg bin. Aber ich habe mir gedacht, damit ich in meiner alten Heimat auch wirklich ankommen kann, darf es nicht zu spät sein. Jetzt ist noch ein guter Zeitpunkt.“
Pater Kofi
mischen natürlich immer sehr, hier anzukommen. Sie haben es eigentlich auch nicht schwer, Freundinnen zu finden. Das ist überhaupt der schnellste Weg, die Sprache zu lernen und sich zu integrieren“, meint der Seelsorger. Manche würden sogar konvertieren. Nicht zuletzt aus einer Hoffnung heraus, so dem Druck der Eltern zu entkommen und sich in der neuen Realität besser zurecht zu finden.
Ein Aspekt, der Pater Kofi seit geraumer Zeit sehr beschäftigt: Nach einem positiven Asylbescheid fallen die dann meist erwachsenen Männer aus allen Zuständigkeits-Netzen. So richtig bewusst geworden sei ihm das, als ein 20-jähriger Afghane verstarb und sich niemand für die sterblichen Überreste bzw. eine ordentliche Beisetzung verantwortlich fühlte. „Sollten wir nicht seitens der Kirche oder des Staates die Aufgabe übernehmen, sie weiter zu begleiten? Auch nach dem Asylbescheid? Wie kann man diese Lücke schließen, wenn die Menschen noch am Leben sind?“ Pater Kofi sieht Integration als langfristiges Projekt: „Es braucht jemand, der sich kümmert. Das wäre eine Auseinandersetzung wert.“
„Nega“
Unser Gespräch driftet immer wieder in Richtung Pater Kofis eigener Biografie. Anfangs, in Wien, da sei es sehr schwer für ihn gewesen: „Ständig hat mich die Polizei kontrolliert, immer wieder bin ich auf der Straße von Wildfremden angesprochen worden, ob ich Drogen habe.“ Gleichzeitig gab es Zusammenkünfte auf höchster Ebene, sei es mit dem Kardinal oder dem Polizeipräsidenten. Pater Kofi nahm dabei eine Art Vermittlerrolle ein. „Warum sind Afrikaner immer gleich so aggressiv?“ sei er einmal gefragt worden. Dabei schilderte ihm ein Polizist, wie er während einer Kontrolle tätlich attackiert wurde. Bei der Rekonstruktion dieses Falles sei dann folgendes herausgekommen: Ein Afrikaner wird von einem Polizeibeamten kontrolliert, letzterer nimmt telefonischen Kontakt ins Office

auf. Beim Check über Identität und Status fällt das Wort „nega“ – in diesem Fall eine Abkürzung für „negativ“. Das Gegenüber hört etwas ganz anderes, nämlich das lautmalerisch fast nicht unterscheidbare „Neger“ und rastet angesichts der vermeintlichen Diskriminierung völlig aus. „Das sind Kleinigkeiten, die viel ausmachen“, sagt Pater Kofi. Der Blick hinter das scheinbar Offensichtliche lohnt.
Glaubensgemeinschaft, Gebet oder Supervision sind jene Quellen, die Pater Kofi für die eigene Seelsorge nützt. Ohnmacht kenne er durchaus. Aber sie hat bei ihm nicht das letzte Wort. Er sagt: „Wenn ich mich ohnmächtig fühle, dann achte ich darauf, dass sie nicht zu Handlungsunfähigkeit führt. Denn Ohnmacht schließt Handeln nicht aus.“
Anmerkung: Auf das Gendern wurde in diesem Beitrag verzichtet, da es sich ausschließlich um junge Männer innerhalb der Gruppe „unbegleitet minderjährige Flüchtlinge“ handelt.
Biografie
P. Patrick Kofi Kodom, SVD (Steyler Missionare, Gesellschaft des göttlichen Wortes), geb. 1969 in Ghana, kam 2001 nach Österreich. Nach Stationen in Wien, Traiskirchen und Innsbruck und einer studienbedingten zweijährigen Auszeit in Rom ist er 2015 in Vorarlberg gelandet. Seitdem arbeitet der Priester als Migranten- und Flüchtlingsseelsorger für die Caritas, seit 2017 auch als Gefängnisseelsorger für die Justizanstalt Feldkirch. Im August 2020 feierte Pater Kofi zwei besondere Jubiläen: vor 25 Jahren hat er sein Ordensgelübde abgelegt, vor 20 Jahren wurde er zum Priester geweiht. Ab Oktober tritt er ein Sabbatical an, um sich auf die Rückkehr in seine Heimat Ghana vorzubereiten.
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