Hausarzt 06/2021

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Hausarzt medizinisch

Medizin – mehr als Naturwissenschaft? KOMMENTAR: Warum die Integration von komplementärmedizinischen Aspekten in der Ärzteausbildung dringend nötig wäre*

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samtheit und seinen Bezügen zur Umwelt in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen. Dabei sollte es zu einer Synthese einer naturwissenschaftlichen und einer Auffassung von Gesundheit und Krankheit kommen, die anderen Denkweisen entspricht. Zweifelsohne sind dabei bestimmte Kriterien der Seriosität einzuhalten, die aber keineswegs identisch sind mit einem ausschließlich naturwissenschaftlichen Zugang, demzufolge der Mensch und seine Lebensäußerungen ausschließlich auf der Basis von Chemie und Physik zu erklären sind.“ Somit kann festgestellt werden, dass die Medizin Methoden der Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, Sozialwissenschaften – in wachsendem Umfang auch Kenntnisse aus Computerwissenschaften, Rechtswissenschaften, Soziologie, Ökologie, Philosophie und Ethik – für die Behandlung Kranker in der Praxis benötigt. Die Medizin, lateinisch ars medicina, die ärztliche Kunst, ist die „Wissenschaft vom gesunden und kranken Menschen, von den Ursachen, Wirkungen und der Vorbeugung und Heilung der Krankheiten“ – so heißt es im Pschyrembel1. Medizin wird auch als „Heilkunst“, „Heilkunde“ und „ärztliche Wissenschaft“ beschrieben. Aber was ist das Besondere an dieser Definition? Es bleibt unerwähnt, dass Medizin eine Naturwissenschaft ist.

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Das naturwissenschaftliche Fundament der Medizin Eine Krankheit betrifft den gesamten Organismus. Dazu zählen körperliche Symptome ebenso wie vegetative, psychosomatische, psychische, soziale und mentale Faktoren. Letztere sind subjektiv, daher nicht messbar und das Besondere eines jeden Individuums. Aufgrund dieser Unschärfen sowie des individuellen Ansprechens der Patienten auf Medikamente und auf Therapien kann Medizin nicht als exakte Naturwissenschaft betrieben werden. Medizinische

Wissenschaft ist also mehr als Naturwissenschaft. Befunde müssen gedeutet werden. Die Beurteilung von Befunden und die Verschreibung von Medikamenten sind nur mit „klinischer Erfahrung“ möglich. Das folgende Zitat von ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Marktl, emeritierter Physiologe der MedUni Wien und Präsident der GAMED (Wiener Internationale Akademie für Ganzheitsmedizin), verdeutlicht diese Auffassung: „Es ist keine Frage, dass die Naturwissenschaft eine Grundlage des medizinischen Handelns ausmacht. Naturwissenschaft ist keineswegs die einzige Art von Wissenschaft und hat vor allem keinen ursprünglichen Bezug zum Menschen und seinen fundamentalen Bedürfnissen. Medizin sollte aber den Menschen in seiner GeAutor: Dr. Bernhard Zauner Arzt für Allgemeinmedizin, Referent für Komplementärmedizin der Ärztekammer für OÖ, 2. Vizepräsident der Ärztegesellschaft für klassische Homöopathie

Die Bedeutung klinischer Erfahrung Ärztliche Arbeit beruht auf Entscheidungen. Diese sind erforderlich, weil Wissen zum Teil immer theoretisch bleibt, Handeln aber real ist. Letzteres erfolgt aufgrund ausreichender „Legitimation“, aufgrund von Wissen, aus guten und klaren Gründen. Leider lässt sich nicht jedes Handeln und somit jede Entscheidung durch Wissen belegen – es braucht neben der fachlichen Urteilskraft auch eine menschliche Beurteilung. Um diese Entscheidungen treffen zu können, wird Erfahrung benötigt, in der Medizin klinische Erfahrung, um praktisch handeln zu können. Die Medizin ist eine praktische Wissenschaft. Bezeichnend dafür ist der alte Begriff des praktischen Arztes, welcher durch den des Allgemeinmediziners ersetzt wurde. Praktische Ärzte streben Handlungen an, um praktische Ziele zu erreichen. So geht es in der Medizin nicht nur um Erkenntnis, sondern auch um Handlungen, die erkrankten Men-

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