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Thrombose nach Coronaimpfung?
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Die häufigsten Fragen von Patienten kompetent beantworten (können)*
Foto: © Wolfgang Lehner Müssen sich Patientinnen und Patienten mit einer Thrombophilie – einer angeborenen Neigung zu venösen Thrombosen – besonders vor der Coronaimpfung fürchten? Kann das Thromboserisiko bereits im Vorfeld ermittelt werden? Welche Beschwerden nach einer Coronaimpfung deuten auf eine Hirnvenenthrombose hin? Mit diesen und ähnlichen Fragen sehen sich niedergelassene Ärzte häufig im Praxisalltag konfrontiert. Ein fundiertes Hintergrundwissen kann bei der Beratung sehr hilfreich sein.
Autor: Univ.-Doz. Dr. Ansgar Weltermann
Gerinnungsexperte, Ordensklinikum Linz
„Einen nicht vektorbasierten Impfstoff wird man primär Menschen empfehlen, die in der Anamnese eine Sinusvenenthrombose oder eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II aufweisen.“
„Bei sehr jungen Menschen mit sehr niedrigem Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs sollte eine ausführliche Beratung über den Nutzen der Impfung und den potentiellen Schaden erfolgen.“
Allgemeines Thromboserisiko
Thrombosen gelten als „seltene Erkrankung“: Junge Menschen haben ein Thromboserisiko von 1 : 10.000/Jahr, bei Personen über 70 Jahre steigt dieses auf 1 : 1.000/Jahr an. Weitere Faktoren, etwa eine Hüftfraktur mit einem Hüftersatzgelenk, können das Risiko zwar zusätzlich erhöhen, jedoch steht gleichzeitig mit der Heparin-Thromboseprophylaxe eine Möglichkeit zur >
Autor: Dr. Paul Niedetzky, MBA
Facharzt für medizinische & chemische Labordiagnostik, Arzt für Allgemeinmedizin, Linz
Verfügung, das Risiko deutlich zu senken.
Thrombophilie und Thromboserisiko
Bei einer Thrombophilie sind die Proteine im Blut so verändert, dass das Thromboserisiko erhöht ist. Die häufigste angeborene Thrombophilie stellt die APC-Resistenz dar, die bei ca. 8 % der gesunden Bevölkerung auftritt. Die Ursache ist eine Mutation im Gen, welches den Blutgerinnungsfaktor V kodiert und eine leicht erhöhte Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln im venösen Stromgebiet nach sich zieht. Diese APC-Resistenz führt zu einem vier- bis fünffach höheren und in Kombination mit der oralen Kontrazeption sogar bis zu einem 30-fach höheren Thromboserisiko. Statistisch gesehen ist das Risiko allerdings immer noch sehr gering, da das absolute Risiko einer Thrombose in dieser Altersgruppe sehr gering ist.
Coronaimpfung und Thrombose
Thrombosen durch eine Coronaimpfung kommen äußerst selten vor und betreffen etwa einen von 100.000 Geimpften. Diese Form der Thrombose nennt man „vaccine induced thrombotic thrombocytopenia (VITT)“. Der dahinterstehende Mechanismus wird neuesten Erkenntnissen zufolge durch Bestandteile des Vektors bei den vektorbasierten DNA-Wirkstoffen (AstraZeneca, Johnson & Johnson) ausgelöst. Nicht vektorbasierte Impfstoffe bringen kein erhöhtes Risiko dieser sehr seltenen Nebenwirkung mit sich. Die Thrombose entsteht im erwähnten Fall durch einen Autoimmunprozess, bei dem der Organismus unerwünschte Antikörper gegen einen Komplex aus Vektorbestandteilen und Plättchenfaktor 4 (PF4) bildet und dadurch die körpereigenen Blutplättchen aktiviert. Die Aktivierung der Blutplättchen führt zur Bildung eines Blutgerinnsels, typischerweise in den Hirnvenen, seltener auch in den Bauch- oder Armvenen. Frauen sind häufiger von dieser schwerwiegenden Nebenwirkung betroffen. Es ist allerdings unklar, ob es sich um einen echten Geschlechterunterschied handelt oder nur damit zu tun hat, dass Frauen vermehrt in Gesundheitsberufen arbeiten und somit bislang vermehrt geimpft wurden. Ob ein erhöhtes Risiko besteht, eine VITT zu entwickeln, kann im Vorfeld einer Impfung jedoch nicht bestimmt werden. Die Beschwerden der VITT treten vier Tage bis vier Wochen nach der Impfung auf. Dazu zählen massive Kopf- und/ oder Bauchschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, kleine punktförmige Einblutungen (Petechien) sowie ein moderater oder schwerer Mangel an Blutplättchen im Blutbild (Thrombozytopenie). Zeigen sich derartige Beschwerden nach der Impfung, wird zur Diagnose ein komplettes Blutbild inklusive der Thrombozytenzahl angefordert sowie der D-Dimer und die HIT-Antikörper PF4 Ak bestimmt.
Klinische Konsequenzen
Auch wenn in den Medien immer wieder betont wurde, wie selten die Nebenwirkung einer VITT ist, fragen sich viele verunsicherte Menschen, ob sie sich einen vektorbasierten Impfstoff verabreichen lassen sollen. Wie wissenschaftlich belegt wurde, überwiegt jedoch der Nutzen der Impfung mit vektorbasierten Impfstoffen (Verhinderung einer schwerwiegen den COVID-19Infektion) eindeutig das Risiko der neu beschriebenen Nebenwirkung vektorbasierter Impfstoffe . Dies gilt insbesondere für Situationen, in welchen die COVID-19Neuerkrankungsrate über 100 pro 100.000 Einwohner liegt, des Weiteren gilt: Je höher das Alter, desto größer der Nutzen – auch bei Personen unter 60 . Viele Menschen, bei denen bereits eine Thrombophilie diagnostiziert wurde und die in der Vergangenheit eine Thrombose erlitten, sind hinsichtlich der Coronaimpfung noch stärker beunruhigt – allerdings zu Unrecht. Denn der Thrombophilie liegt ein völlig anderer Mechanismus zugrunde als der VITT, die nach der Coronaimpfung auftreten kann. Daher kann auch diesen Patienten die Impfung – egal mit welchem Impfstoff – empfohlen werden. Einen nicht vektorbasierten Impfstoff wird man primär Menschen empfehlen, die in der Anamnese eine Sinusvenenthrombose oder eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II aufweisen. Letzterer Erkrankung liegt ein ähnlicher Pathomechanismus zugrunde wie der VITT. Bei sehr jungen Menschen mit einem sehr niedrigen Risiko einer COVID-19-Infektion sollte eine ausführliche Beratung über den Nutzen eines Vektor-basierten Impfstoffes und dessen potentiellen Schaden erfolgen, weil diese ein sehr geringes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken. Tipp: Einen Score zur Ermittlung des persönlichen Thromboserisikos bei Anwendung des COVID-19-Impfstoffes von AstraZeneca finden Sie auf: wintoncentre.maths.cam.ac.uk/news/communicating-potential-benefits-and-harmsastra-zeneca-covid-19-vaccine/
Fazit: Klare Impfempfehlung
Sämtliche erwachsenen Menschen können und sollen sich gemäß den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums gegen Corona impfen lassen. Alle vier derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffe (Stand: April 2021) sind empfehlenswert. Da weder eine Thrombophilie noch eine stattgehabte Thrombose in Zusammenhang mit der sehr seltenen VITT nach Coronaimpfung stehen, kann auch jener Patientengruppe jeder der zugelassenen Impfstoffe uneingeschränkt empfohlen werden. <
* Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Zusammenfassung eines Vortrags im Rahmen des Partnernetzwerktreffens „Tea(m) Time“ des Gesundheitspark
Ordensklinikum Linz vom 22.02.2021.