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Formende Kräfte der Misteltherapie
Die Wirkung von Mistelpräparaten in der Krebstherapie – im Kontext von COVID19 und Immunschwäche
Seit Jahrtausenden ist die Mistel den Menschen als bedeutende Heilpflanze bekannt. Sie kommt nun seit fast einem Jahrhundert in der Zusatzbehandlung von Krebs zum Einsatz. Heute ist ihre Wirkung durch zahlreiche Studien wissenschaftlich belegt. Damit grenzt sie sich klar von anderen alternativ- bzw. komplementärmedizinischen Präparaten ab.
Zur Studienlage
Derzeit liegen rund 150 Studien bei verschiedenen Krebserkrankungen vor. „Als zugelassene Arzneimittel haben die Mistelpräparate einen behördlich bestätigten Wirksamkeitsnachweis“, hebt MR Dr. Gerhard Hubmann, Allgemeinmediziner und Vizepräsident der GAMED, hervor. „Sie verbessern die Lebensqualität der Betroffenen auf eindrucksvolle Weise: Zu den positiven Effekten zählen vor allem zunehmende Leistungsfähigkeit, mehr Kraft und Appetit, verringerte Übelkeit während der Chemotherapie und die Linderung des Fatigue-Syndroms, einer bleiernen Erschöpfung des Körpers“, so Dr. Hubmann.1 Die weißbeerige Mistel (Viscum album L.) gilt als das am häufigsten verwendete Arzneimittel der komplementären Medizin. Es wird von rund 60 Prozent aller Krebspatienten genutzt. Inzwischen ist die Misteltherapie auch ein Bestandteil einiger onkologischer Leitlinien. Leitlinienempfehlungen für die Mistel gibt es beispielsweise von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO)2 sowie seit Neuestem von der American Society of Clinical Oncology (ASCO)3, einer der größten onkologischen Fachgesellschaften weltweit. Trotzdem wird die Studienlage immer noch kontrovers diskutiert. Ein häufiger Kritikpunkt ist die fehlende Verblindung. Mistelpräparate führen meistens zu einer Lokalreaktion, wodurch sie sich leicht von Placebos unterscheiden lassen und eine Blindstudie unmöglich machen. Die unzureichende Studienlage wird auch als Grund genannt, weshalb Mistelpräparate seit 2020 nur mehr in Ausnahmefällen von der Österreichischen Gesundheitskasse erstattet werden. Es bedarf im Einzelfall einer ausführlichen Begründung unter Einbindung von Fachärzten.
Mehr Lebensqualität
Die weißbeerige Mistel, welche in der Krebstherapie zum Einsatz kommt, wächst auf Laub- und Nadelbäumen und ist in ganz Europa vertreten. Misteln bilden keine Wurzeln und sind bekanntlich Halbschmarotzer. Die sogenannte Wirtspflanze ist daher für die Heilpflanze von besonderer Bedeutung, sie liefert ihr Wasser und Nährstoffe. Die Inhaltsstoffe der Mistel wiederum hängen von der Art des Wirtsbaumes, aber auch von der Jahreszeit, dem Standort und dem Zeitpunkt der Ernte ab.4 Zwei Eiweißstoffe sind für die Krebsbehandlung von besonderer Relevanz: Die Heilpflanze bildet Mistellektine anstatt Wurzeln und Viscotoxine anstelle der Verholzung und der Blätter. Während Viscotoxine im Sommer ihre Höchstkonzentration erreichen, kann bei Mistellektinen im Winter die höchste Konzentration nachgewiesen werden.5 Verschiedene Studien belegen, dass sich durch die komplementäre Therapie mit Viscum album die Lebensqualität der Krebspatienten verbessern kann. Deutliche Fortschritte sind vor allem im palliativen Bereich zu sehen. Durch Mistelpräparate kann die Co-Medikation verringert werden: Man benötigt weniger Analgetika, Antiemetika, blutbildende Medikamente oder Therapeutika, welche zum Wohlbefinden der Betroffenen beitragen. Ein systematisches Review verschiedener Studien zeigte vor allem Verbesserungen in puncto Müdigkeit, Erschöpfung, Übelkeit, Depressionen und des allgemeinen Wohlbefindens auf. Die Nebenwirkungen anderer onkologischer Therapien – wie Chemo- und Strahlentherapie – konnten reduziert werden und die Mistelpräparate wurden gut vertragen. Wie bereits erwähnt, kann auch das Fatigue-Syndrom – ein häufiges Problem bei Krebspatienten – gelindert werden.6 Als weitere positive Wirkungen der Misteltherapie sind die Immunmodulation, die Stimulation der Apo-
ptose, die Proliferationshemmung und der Schutz der Erbsubstanz zu nennen. Die Misteltherapie kann mit einer Chemotherapie kombiniert werden.7 In Österreich ist die Misteltherapie zur unterstützenden Behandlung bei soliden Tumoren in allen Stadien einer Krebserkrankung zugelassen. Behandlungsziele sind bei der additiven Gabe eine Verbesserung der Lebensqualität und eine bessere Verträglichkeit der konventionellen Behandlungen wie Chemo- und/oder Strahlentherapie sowie die Rezidivprophylaxe und ebenfalls die Lebensqualitätsverbesserung beim adjuvanten Behandlungsansatz.
Misteltherapie und COVID-19
Den Organismus von Krebspatienten zu stärken ist aktuell besonders wichtig. Der Krebsinformationsdienst Heidelberg (KID) macht darauf aufmerksam, dass diese zur Risikogruppe zählen könnten und somit im Falle einer COVID-19-Erkrankung gefährdet seien, schwere Verläufe zu erleiden.8 Das gilt im Besonderen, wenn immunsupprimierende Therapien angewendet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine klinisch relevanten Ergebnisse, welche gegen die Misteltherapie zur Krebsbehandlung bei vorliegender COVID19-Infektion sprechen. Allerdings stehen systematische Untersuchungen zur Misteltherapie bei Krebspatienten mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion noch aus. Mistelpräparate schwächen das Immunsystem nicht, sondern wirken immunmodulierend. Aus diesem Grund wird gegenwärtig nicht von einer Misteltherapie abgeraten. Biologen empfehlen, auch bei Verdacht auf eine COVID-19-Infektion die Misteltherapie fortzusetzen oder zu beginnen. Kontraindikationen sind Entzündungszeichen wie Fieber, Halskratzen, Husten oder Atemnot. Zur Wiederaufnahme der Misteltherapie wird erst dann geraten, wenn Entzündungen vollständig abgeklungen sind. Im Falle einer bevorstehenden COVID-19-Impfung lautet die Empfehlung für Krebspatienten: Die Misteltherapie sollte drei Tage vor dem jeweiligen Impftermin (auch Zweittermin) unterbrochen werden. Sie kann frühestens eine Woche nach der Impfung wiederaufgenommen werden. Falls jedoch Impfreaktionen auftreten sollten, wird vorher bis zum vollständigen Abklingen der Symptome gewartet.9
Mag.a Ines Riegler, BA
Quellen: 1 Presseinformation: Gerade in Corona-Zeiten unverzichtbar: Misteltherapie stärkt Immunsystem von
Krebspatienten, Fullstop Public Relations. 2 Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e. V.,
Kommission Mamma, Diagnostik und Therapie früher und fortgeschrittener Mammakarzinome, 2019. 3 Lyman, G H /Greenlee, H / Bohlke, K et al., J Clin Oncol, 2018;36:2647-2655, doi.org/10.1200/JCO.2018.79.2721 (abgerufen am 25.5.21). 4 Urech, K / Jäggy, C / Schaller, G. In: Scheer R, / Alban
S / Becker H, et al., Die Mistel in der Tumortherapie 2,
Essen: KVC Verlag; 2009. 67-77. 5 Ganz, C, Schweiz Z Ganzheitsmed, 2014;26:153-154. doi.org/10.1159/000362908 (abgerufen am 31.5.21). 6 Kienle, GS / Keine, H, Integr Cancer Ther. 2010
Jun;9(2):142-57. doi.org/10.1177/1534735410369673 (abgerufen am 31.5.21). 7 Weissenstein, U / Kunz, M / Urech, K et al. BMC Complement Altern Med 14, 6 (2014). doi.org/10.1186/14726882-14-6 (abgerufen am 4.6.21). 8 Deutsches Krebsforschungszentrum: krebsinformation.de (abgerufen am 7.5.21). 9 Medizinische Sektion der Freien Hochschule für
Geisteswissenschaft: Misteltherapie und COVID-19/-
Impfung (28. April 2021). mistel-therapie.de/aktuelles (abgerufen am 17.5.21); helixor.de/fileadmin/dateien/dokumente/FAQ_de_Corona_20200604.pdf (abgerufen am 17.5.21).