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Die Klimakrise als Gesundheitskrise
Wie sich Allergiker vor extremen Wettersituationen schützen können
„Der Klimawandel bzw. die globale Erwärmung spielt eine große Rolle in der Zukunft der Allergien. Vieles ist noch nicht absehbar, aber manches zeichnet sich bereits ab“, weiß Uwe E. Berger, MBA, Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien und Mitarbeiter des Ratgebers „Pollen und Allergie“ (siehe Buchtipp). Genaue Vorhersagen seien aber nicht möglich: „Es zeichnet sich ab, dass die Pollensaison allgemein in Mitteleuropa länger werden könnte – ebenso wie das wahrscheinliche Auftreten von neuen Allergenen und die Zunahme von Beschwerden durch extreme Wetterereignisse“, berichtet Berger.
Die Auswirkungen des Wetters
Der Klimawandel, die Umweltverschmutzung und die Entstehung von Allergien gehen Hand in Hand. Die zunehmende Luftverschmutzung trägt zur Verschlimmerung oder Entwicklung von Allergien und Asthma bei. Durch Temperatur-, Feuchtigkeits-, Wind- und Niederschlagsschwankungen ist die Umwandlung von Luftschadstoffen gestört. Belastungen durch Feinstaub und Ozon verschlechtern bestehendes Asthma und Rhinitis. „Ozon verstärkt die Belastung auf zwei Wegen: Es führt zu Entzündungsprozessen in den oberen und unteren Atemwegen und kann sogar die Lungenfunktion einschränken. Außerdem ruft Ozon Zellstress hervor und kann dadurch die Allergene im Pollenkorn verändern bzw. verstärken. Einzelne Ozonmoleküle können sogar auf der Oberfläche von Pollenkörnern in die Atemwege gelangen“, schildert Berger. Die Wetterveränderungen stehen aber auch im direkten Zusammenhang mit Exazerbationen. Die Kühlung oder die Reizung der Atemwege, ausgelöst durch niedrige Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit oder einen plötzlichen Temperaturabfall, führen vermehrt zu Krankenhauseinweisungen von Asthmatikern. Ein besonderes Phänomen stellt das Gewitterasthma dar. Das Unwetter kann unter bestimmten Voraussetzungen schwere Asthmaanfälle auslösen. „Derzeit wird vermutet, dass durch die Blitztätigkeit mehr Ozon produziert und zusätzlich Allergen frei wird, das als Kleinstpartikel tief in die Lunge eindringen kann. Gewitterasthma ist ein ernstzunehmender Notfall, der viele Menschen lokal bzw. regional betrifft. Obwohl das Gewitterasthma nicht durch den Klimawandel bedingt ist, wird es in der Häufigkeit durch den Klimawandel bedingt zunehmen“, führt der Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes aus.
Experte zum Thema: Uwe E. Berger, MBA
Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes, Leiter der Forschungsgruppe Aerobiologie und Polleninformation, Mitarbeiter des Ratgebers „Pollen und Allergie“
Die Menge der Pollen steigt
Die Pollenallergien werden vielfältiger und betreffen uns mittlerweile fast das ganze Jahr über. Aspekte wie die Urbanisierung und die Luftverschmutzung wirken sich unterschiedlich auf die pflanzliche Artenvielfalt, auf die Dauer der Blühphasen, die Pollenmenge in der Luft, aber auch auf die Allergenität der Pollen aus. Die Auswirkungen sind jedoch von Pflanze zu Pflanze verschieden. Ein Vergleich bisheriger Studien konnte bereits aufzeigen, dass die Tendenz in die gleiche Richtung geht: Die Menge der Pollen ist in den letzten Jahren gestiegen und auch in den nächsten Jahrzehnten wird in Mittel- und Nordeuropa mit einer Zunahme von allergenen Pollen gerechnet.1
Luft im Wald ist eine Wohltat
Berger ist selbst Allergiker und weiß daher aus eigener Erfahrung: „Gute Information ist der beste Rat.“ Für Ausflüge und Urlaube empfiehlt er, die Zeit der höchsten Belastungen zu meiden. Eine gute Einschätzung darüber würden die Europakarten des Pollenwarndienstes erlauben. Pauschale Empfehlungen seien jedoch schwierig. Die Luft im Wald sei, vor allem während der Gräserpollenblüte, eine Wohltat für viele Allergiker: „Unter dem Blätterdach ist man nicht nur vor Pollen, sondern auch vor Feinstaub geschützt. Es herrscht dort ein gesundes Klima für die Atemwege. Natürlich gibt es Ausnahmen: Erle und Hasel befinden sich beispielsweise am Waldrand – hier ist die Blütezeit zu beachten“, macht der Experte aufmerksam. Generelle Empfehlungen gebe es außerdem für Aufenthalte in den
Bergen oder am Meer. Aber auch hier weist Berger auf Ausnahmen hin – beispielsweise auf die spätere Gräserblüte in den Bergen, die Blüte der Grünerle (auch Bergerle genannt) oder auch eine lokale Gräserblüte an Urlaubsorten am Meer.
Rechtzeitige Diagnose und Behandlung
Von den gängigen Therapien, welche die Symptome lindern, ist die allergenspezifische Immuntherapie zu unterscheiden. Nur letztere wirkt nachhaltig und kann eine Verschlimmerung, beispielsweise Asthma bronchiale, verhindern. Essenziell dafür ist eine frühe und präzise Diagnose, welche mit der molekularen Allergiediagnostik erzielt werden kann. Der Österreichische Pollenwarndienst der MedUni Wien bietet Ärzten eine zusätzliche Entscheidungshilfe bei Diagnose und Therapie. „Mit dem Pollentagebuch2 können Beschwerden unkompliziert dokumentiert werden. Das erlaubt – gerade über längere Zeit – eine objektive Einschätzung, ob und wie eine Medikation oder Therapie gewirkt hat“, berichtet Berger. Als „Highlight für Ärzte“ bezeichnet der Experte den Service „Befundbericht“3 , eine Erneuerung seit diesem Jahr: „Persönliche Beschwerdedaten werden dort anonymisiert mit den Pollenmessdaten des gewählten Jahres und des Allergens abgeglichen. Das erleichtert eine erste Einschätzung, welches Allergen für die Beschwerden verantwortlich ist.“
Fazit: Was können wir tun?
Zu der Erkenntnis, dass der Klimawandel krank mache – und das nicht nur in Bezug auf Allergien –, gelangt auch der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Summa summarum gebe es zwei Handlungsmöglichkeiten: Erstens dem Klimawandel entgegenzusteuern, zweitens sich auf die Veränderungen einzustellen.4 Zu einer ähnlichen Conclusio gelangt man in einem Artikel im European Journal of Allergy & Clinical Immunology: Durch Anpassung allein werde man nicht alle negativen Auswirkungen des Klimawandels bewältigen können, weshalb es nötig sei, das Ausmaß einzudämmen, beispielsweise durch die Aufklärung der Bevölkerung und erforderliche politische Entscheidungen. Ebenfalls hervorgehoben wird die Bedeutung, Betroffene über das Risiko von Asthma-Exazerbationen zu informieren, im Speziellen während der Gewitter- oder Pollensaison.5
Mag.a Ines Riegler, BA
Quellen: 1 Gilles-Stein, S., et al., Pädiatrische Allergologie 01/2017:6-10. 2 pollentagebuch.at; oder über die „Pollen-App“ 3 pollenwarndienst.at/allergie/befundbericht/info-fuer-patienten.html 4 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin. 5 D’Amato, G et al., Allergy. 2020; 75: 2219– 2228.
X HAUSARZT-Buchtipp
Pollen und Allergie
Von Katharina Bastl, Markus Berger, 2. Auflage. MANZ Verlag Wien 2021, ISBN 978-3-214-02200-6. Reihe: Ratgeber der MedUni Wien.