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Spannende Entwicklungen im Bereich der Proktologie“

Erkrankungen des Enddarms und des Analkanals zählen nach wie vor zu den Tabuthemen. Fast immer sind sie für Betroffene mit Scham, Schmerz und Ekel verbunden.

+++ Hämorrhoidalleiden: Klassifizierung und Behandlung +++ Analfissuren: konservative und operative Therapien +++ Stuhlinkontinenz: neue Behandlungsansätze +++

Assoc.-Prof. PD. Dr. Stefan Riss, FRCS, Oberarzt an der Universitätsklinik für Chirurgie, Wien, gibt im Gespräch mit dem HAUSARZT ein Update.*

HAUSARZT: Wie häufig kommen Hämorrhoidalleiden in der Bevölkerung vor?

Assoc.-Prof. PD. Dr. Stefan Riss, FRCS: Hämorrhoiden haben alle Menschen. Vergrößern sie sich und verursachen sie Beschwerden, dann spricht man von einer Hämorrhoidalerkrankung. Hämorrhoiden werden – nach der Klassifikation von Goligher – in die Grade 1-4 unterteilt, wobei Grad 4 die größte Ausdehnung darstellt. Wie oft nun Hämorrhoidalleiden in der Bevölkerung vorkommen, ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil die Datenlage leider nicht klar ist. In einer epidemiologischen Studie konnte jedoch gezeigt werden, dass 39 % der untersuchten Personen vergrößerte Hämorrhoiden aufwiesen. Davon hatte rund die Hälfte der Personen keine Beschwerden wie Blutungen, Schmerz und Jucken oder auch Stuhlschmieren. Zu beachten ist zusätzlich, dass diese Symptome ebenso durch andere Erkrankungen hervorgerufen werden können.

Was sind die Ursachen und Risikofaktoren?

Auch in Bezug auf die Einflussfaktoren für die Entstehung von Hämorrhoiden gibt es leider wenig Evidenz. Mögliche Risikofaktoren sind eine genetische Disposition, Stuhlentleerungsstörungen, Diarrhoe oder diverse Lebensstilfaktoren.

Welche Behandlungsoptionen gibt es? Am einfachsten lassen sich Hämorrhoidalerkrankungen durch eine Stuhlregulation mit Ballaststoffen und eine topische Therapie mit Salben oder Suppositorien behandeln. Systemische Therapien, zum Beispiel mit Flavonoiden,

Experte zum Thema: Assoc.-Prof. PD. Dr. Stefan Riss, FRCS

Oberarzt an der Universitätsklinik für Chirurgie, Wien „Die beste Therapie ist jene, die dabei hilft, die Beschwerden der betroffenen Person zu lindern oder zu beseitigen. Das kann eine konservative Therapie oder eine chirurgische sein.“

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helfen ebenfalls gut. Bringt keine konservative Therapie den gewünschten Erfolg, sollte eine invasive Vorgehensweise gewählt werden. Dazu zählen die Gummibandligatur oder eine chirurgische Behandlung. Die Art der Therapie richtet sich natürlich auch nach der Ausprägung der Beschwerden und der Ausdehnung der Hämorrhoiden. In puncto Vorbeugung: Diese ist tatsächlich sehr schwierig. Was helfen könnte, wäre eine ballaststoffreiche Kost.

Welche Ursachen liegen den – sehr schmerzhaften – Analfissuren zugrunde?

Analfissuren gehen tatsächlich mit einem hohen Leidensdruck einher. Die Beschwerden sind hellrote Blutabgänge, Schmerzen beim Sitzen und natürlich nach dem Stuhlgang. Bei der Untersuchung kann man einen Einriss im Anoderm erkennen. Es wird zwischen primären und sekundären Analfissuren unterschieden. Erstere haben zumeist eine unklare Ursache – beispielsweise kommen eine Verstopfung oder starker Durchfall als Auslöser infrage. Daher ist auch hier eine Vorbeugung schwierig. Gründe für eine sekundäre Analfissur können traumatisch, entzündlich, viral oder iatrogen, also die unerwünschte Folge einer ärztlichen Behandlung, sein. Zudem wird zwischen einer akuten und einer chronischen Analfissur differenziert.

Wie kann man betroffenen Patienten helfen?

Leidet ein Patient unter einer Analfissur, empfiehlt es sich – wie bei den Hämorrhoiden –, den Stuhl weich zu halten, zum Beispiel mit einer ballaststoffreichen Kost. Die Wahrscheinlichkeit einer Spontanheilung ist erfreulicherweise hoch, beziehungsweise kann die Fissur in 6090% der Fälle durch eine konservative Therapie geheilt werden. Dazu gehören lokalanästhetische Cremen und Salben mit einem Kalziumkanalblocker oder mit Nitraten, die für mehrere Wochen aufgetragen werden müssen. Ein weiterer Schritt wäre eine Operation oder die Injektion von Botulinumtoxin A. Es gibt unterschiedliche Verfahren, wobei die Fissurektomie zuerst angewendet werden sollte.

Auch Stuhlinkontinenz ist ein Tabuthema. Ab wann spricht man eigentlich von Stuhlinkontinenz und was ruft sie hervor?

Stuhlinkontinenz bedeutet bekanntlich, den Stuhl zu einer falschen Zeit und an einem falschen Ort unkontrolliert zu verlieren. In letzter Zeit bekommt dieses Tabuthema aufgrund vieler Initiativen immer mehr Aufmerksamkeit. Stuhlinkontinenz ist multifaktoriell bedingt. Zu den Ursachen gehören unter anderem anatomische Veränderungen wie der Sphinkterdefekt, ein Rektumprolaps oder die Intussuszeption. Neurologische Störungen wie Morbus Parkinson oder Demenz und funktionelle Störungen, zum Beispiel eine Diarrhoe oder eine Proktitis, und kongenitale Fehlbildungen können ebenso zu einem Verlust der Stuhlkontrolle führen. Leider braucht die klinische Abklärung bei Stuhlinkontinenz viel Zeit. Das liegt einerseits daran, dass Patientinnen und Patienten nur langsam ihr Problem offenbaren und erst einmal Vertrauen zum Arzt fassen müssen. Andererseits bedarf es unterschiedlichster diagnostischer Untersuchungen, um die Ursachen für die Inkontinenz zu ermitteln.

Wie kann man Stuhlinkontinenz therapieren?

Es gibt mittlerweile viele gute Therapiemöglichkeiten. In vielen Fällen reichen konservative Behandlungskonzepte aus, um eine Besserung zu erzielen. Dazu gehören stuhlregulative Medikamente, ein angeleitetes Beckenbodentraining oder die Biofeedbacktherapie. Die Darmspülung ist ebenfalls eine sinnvolle Option, sofern sie körperlich durchführbar ist. Zu den neueren Therapieansätzen zählt die perkutane tibiale Nervenstimulation, die ambulant oder zuhause erfolgen kann. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, dann kann man invasive Methoden anwenden.

Welche invasiven Methoden stehen heute zur Verfügung?

Schwere Formen lassen sich unter anderem mit einer sakralen Neuromodulation behandeln. Ein neues Verfahren ist die Sphinkeeper-OP, bei der solide Prothesen um den Analkanal eingesetzt werden. Allerdings fehlen hierzu noch Studien mit Langzeitdaten, damit eine Bewertung der tatsächlichen Effektivität abgegeben werden kann. Eine mögliche Ursache in puncto Stuhlinkontinenz ist der Darmvorfall. Dieser muss auf jeden Fall zuerst operativ saniert werden. Hierbei stellt die ventrale Rektopexie, die laparoskopisch oder mittels eines Roboters durchgeführt wird, das Standardverfahren für eine Korrektur dar. Sind die Patientinnen und Patienten jedoch älter und haben signifikante Begleiterkrankungen, dann sollte ein transanales Vorgehen präferiert werden.

Das Interview führte Gabriella Mühlbauer.

* Der Experte ist Vortragender bei den Ärztetagen Grado on demand 2021, abrufbar unter: arztakademie.at

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