15 minute read

Medizin mit Visionen

Coverstory Medizin mit Visionen

6. Praevenire Gesundheitstage in Seitenstetten – viele Learnings aus der Coronakrise

Die COVID-19-Pandemie könnte und sollte der „endgültige Weckruf für die Weiterentwicklung des österreichischen Gesundheitswesens“ sein. Das sagte der Präsident der Initiative Praevenire, Dr. Hans Jörg Schelling, sinngemäß in seiner Eröffnungsrede bei den diesjährigen Gesundheitstagen im Benedektinerstift Seitenstetten*: „So wie es war, wird es nicht mehr sein. Wir müssen anders denken. Wir müssen aus der Krise lernen. Gleichzeitig sollte uns bewusst sein: Es wird eine neue Krise kommen.“ Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Vorträge und Diskussionen namhafter Expertinnen und Experten zum Thema „Weiterentwicklung des österreichischen Gesundheitssystems“. Der HAUSARZT war vor Ort und hat stellvertretend einige spannende Beiträge für Sie zusammengefasst.

Foto: © Markus Spitzauer

Der Praevenire Präsident Dr. Hans Jörg Schelling, Bgm. LAbg. KommR Michaela Hinterholzer, die steirische Gesundheitslandesrätin Dr.in Juliane Bogner-Strauß und der Abt des Stiftes Mag. Petrus Pilsinger

Tempo bei Reformen

Zur Hintergrundinfo: Im Herbst des Vorjahrs stellte der Verein Praevenire das Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung 2030“ vor. Dieses soll bis zum Spätherbst 2021 überarbeitet werden und dann auch Erfahrungen mit der Pandemie beinhalten. Denn: Einerseits brachte die Pandemie Initiativen hervor, die es jetzt weiterzuverfolgen gilt. „Wir haben gesehen, dass wir die Mittel der Digitalisierung nützen können“, nannte Dr. Schelling ein Beispiel. „Lassen wir Dinge wie das E-Rezept in den Regelbetrieb übergehen.“ Der Präsident des Nationalrats, Mag. Wolfgang Sobotka, der auch eine wesentliche Aufgabe in der Steuerung des Gesetzgebungsprozesses innehat, sicherte zu, das Thema Digitalisierung voranzutreiben. Dr. Schelling: „Lehren aus der Krise müssen rasch gezogen werden, damit die Wirkung nicht verpufft. Diese Vorgehensweise hat sich schon nach der Finanzkrise vor zehn Jahren bewährt.“ Krisen könne man managen, so der ehemalige Hauptverbandspräsident und Finanzminister weiter. Nun sei es aber wichtig, alle Systeme im Gesundheitswesen so zu stärken, dass aus der nächsten Krise keine unbeherrschbare Katastrophe werde. „Gleichzeitig müssen längst angedachte Reformschritte möglichst schnell realisiert werden“, hob Dr. Schelling hervor. Dabei gehe es z. B. um mehr Prävention, um eine adäquate Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen und um mehr Eigenverantwortung des einzelnen Menschen.

Eigenverantwortung

Die Verantwortung für die Gesundheit liegt zu einem wesentlichen Teil bei den Ländern. „Die Wege der Bewältigung in der Pandemie waren durchaus unterschiedlich, doch in Summe recht gut“, befand die steirische Gesundheitslandesrätin Dr.in Juliane Bogner-Strauß in ihrer Keynote. Jetzt gelte es, diese Verantwortung auch beim Impfen wahrzunehmen. „Wenn wir es nicht schaffen, innerhalb kurzer Zeit eine hohe Durchimpfungsrate zu erreichen, werden uns die Mutationen überrennen“, hielt sie fest. Für die Länder seien die Anregungen aus dem Praevenire-Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“ sehr hilfreich, um die Rahmenbedingungen im Gesundheitsbereich zukunftsweisend voranzutreiben. Beispiel Pflege: „Der Pflegeberuf ist eine Berufung“, so Dr.in Bogner-Strauß. Nicht nur bedürfe es entsprechender Angebote, um junge Menschen für die Berufsbilder der Pflege zu begeistern, sondern auch entsprechender Umschulungsangebote. Modelle wie die Community Nurse könnten zu einem niederschwelligen Zugang zu Gesundheit am Land beitragen. Beispiel Forschung: In der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, was eine Bündelung der Aktivitäten im Forschungsbereich und eine angemessene finanzielle Unterstützung bewirkten. „Ich hätte mir nie gedacht, dass wir innerhalb eines Jahres einen (COVID-19-)Impfstoff zusammenbringen. Allerdings haben wir bis jetzt keine gute Behandlung durch Medikation“, betonte die Biochemikerin und ehemalige Grundlagenforscherin an der TU Graz. Hier bestehe noch Handlungsbedarf. Auch müssten attraktive Bedingungen für junge Wissenschaftler in Österreich geschaffen werden, damit sie nicht im Rahmen ihrer Ausbildungen ins Ausland gingen und dort blieben.

Mag.a Karin Martin

*6. Praevenire Gesundheitstage im Stift Seitenstetten, 19. bis 21. Mai 2021, praevenire.at

„Infektionen und Pandemien in Zukunft vermeiden“

Referent: Prof. DDr. Stefan H. E. Kaufmann

Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie/ Göttingen, Max-PlanckInstitut für Infektionsbiologie/Berlin

Auch wenn COVID-19 uns alle überwältigt hat, kam die Pandemie nicht völlig unerwartet. Über die letzten Jahrzehnte gab es zahlreiche Warnsignale, die leider von der Politik nicht wirklich ernst genommen wurden. Die internationalen Gesundheitsvorschriften hatten vor der Pandemiegefahr gewarnt und darauf gedrungen, Surveillance-Systeme zur Früherkennung von Ausbrüchen, bevor sie zu einer Pandemie werden, aufzubauen. Das wurde leider nicht ausreichend umgesetzt. Auf die besagte Gefahr wies ich bereits in meinem Buch „Wächst die Seuchengefahr?“1 hin, in welchem ich feststellte: „Von den rund 150 Infektionskrankheiten, die in den letzten Jahrzehnten neu auftraten, stammten drei Viertel von Tieren ab, sie sind also Zoonosen. […] Am wahrscheinlichsten taucht solch ein Erreger in einem „Hotspot“ auf, in dem Mensch und Tier in engem Kontakt stehen und größere ökologische, demo-

grafische und soziale Veränderungen im Gang sind. Selbst wenn Ausbrüche irgendwo auf der Welt vorkommen, sind wir nicht geschützt, denn wir leben alle in einem globalen Dorf.“ Lediglich ein Schritt wurde rechtzeitig angegangen: 2017 wurde CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) ins Leben gerufen, um die Entwicklung von und die Versorgung mit neuen Impfstoffen gegen zukünftige Pandemien zu koordinieren. Heute sind in Europa vier hochwirksame Impfstoffe gegen SARSCoV-2 im Einsatz2. In der Tat stellt Impfen jetzt nicht die einzige, aber die beste Möglichkeit zur Bekämpfung von COVID-19 dar. Wir können davon ausgehen, dass bis Ende 2021 ein Großteil der Bevölkerung in den Industrieländern geimpft ist. In den armen Ländern wird dagegen bis dahin nur ein Bruchteil der Bevölkerung geimpft worden sein. Das ist nicht nur eine Katastrophe für diese Länder, sondern auch ein Nährboden für neue gefährlichere SARS-CoV-2-Varianten, die uns ebenfalls bedrohen. Eine globale Impfstrategie für sämtliche Länder ist daher für alle wichtig, denn ein Erreger irgendwo auf der Erde ist überall ein Risiko. Die Pandemiebekämpfung habe ich in kurzen Worten mit der Vier-E-Regel1,3 beschrieben: Erkennen, was gerade passiert: Durch Surveillance lokale Krankheitsausbrüche frühestmöglich ausmachen. Eingrenzen, was gerade passiert: Durch Pandemiepläne die Verbreitung der Krankheit eingrenzen, bevor eine Pandemie entsteht. Erforschen, was passiert ist: Durch rationale Entwicklungen neuer Interventionsmaßnahmen gegen den Erreger vorgehen. Eingreifen, bevor etwas passiert: Durch fortlaufende Surveillance und schnellstmögliche Interventionen in Zukunft verhindern, dass so etwas noch einmal passiert.

Referenzen: 1 „Wächst die Seuchengefahr? – Globale Epidemien und

Armut: Strategien zur Seucheneindämmung in einer vernetzten Welt“, Fischer Verlag 2008. 2 „Impfen. Grundlagen, Wirkung, Risiken“, Beck Verlag 2021. 3 „COVID-19 und die Bedrohungen durch Pandemien“,

Hessische Landeszentrale für politische Bildung (2020). Kostenfrei verfügbar unter: https://hlz.hessen. de/publikationen/publikation/?id=cba0b1d5-72a7-4fd6a1d8-5573e205d09d Foto: © Salzburger Gebietskrankenkasse

Referent: Andreas Huss, MBA

Obmann-Stellvertreter, Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK)

Mit Corona ist das Impfen plötzlich ein Thema geworden. Es ist eigentlich nicht verständlich, warum man sich in Österreich bisher so wenig um die Impfungen gekümmert hat. Internationale Daten zeigen uns ein bescheidenes Bild: Während beispielsweise in Finnland 72 Prozent der Menschen innerhalb der letzten fünf Jahre zumindest eine Impfung erhalten haben, sind es in Österreich nur 49 Prozent. Auch bei den Kinderimpfungen gibt es Aufholbedarf. Ein anderes Beispiel: Nur in Wien und Niederösterreich ist in der vergangenen Influenza-Saison der „Stich“ gegen die Influenza eine Kassenleistung gewesen. Den Impfstoff haben die Länder bezahlt. In Salzburg, Oberösterreich und Kärnten gab es Zuschüsse. In den restlichen vier Bundesländern werden Gespräche diesbezüglich geführt. Impfungen gehören in die soziale Krankenversicherung. Sie sind seit vielen Jahrzehnten eine Erfolgsstory.

„Onkologie bald Mangelfach“

Foto: © Michael Gnant, privat

Referent: Prof. Dr. Michael Gnant

Comprehensive Cancer Center, MedUni Wien

Österreich liegt bei der onkologischen Versorgung im Spitzenfeld. Wenn wir allerdings nicht handeln, wird sich das ändern. Neben der Sicherstellung eines adäquaten Netzwerkes für die Versorgung, das von der Vorsorge bis hin zur Nachbetreuung reicht, ist eine deutlich verbesserte Unterstützung der klinischen Forschung für innovative Therapiekonzepte notwendig. Österreichs Forschung ist unterfinanziert, von allen EU-Staaten gibt es hier die geringste Förderung klinischer Studien. Dieser Zustand lässt sich umso schlechter nachvollziehen, als die Onkologie in den vergangenen Jahren extrem gute Erfolge zu verbuchen hatte: Die Krebssterblichkeit sinkt dramatisch – im OECD-Durchschnitt ging sie während der vergangenen Jahre um 15 Prozent zurück, in der Schweiz um 28 Prozent, in Österreich um 21 Prozent. Sie ist damit insgesamt um etwa ein Drittel geringer als vor 20 Jahren. Gleichzeitig steigt die Häufigkeit von Krebserkrankungen durch die Alterung der Gesellschaft weiter an. Wir werden pro Jahr zwei Prozent mehr Leistungen und damit auch mehr Kosten haben – dabei sind neue verbesserte Behandlungsmethoden noch nicht berücksichtigt. Innovative Behandlungen, etwa die Immuntherapie, können nur an spezialisierten Zentren erfolgen. Die Versorgung ist auch durch den zunehmenden Ärztemangel in Gefahr: Onkologie wird zu einem Mangelfach. Österreich scheint sich in diesem Kontext nur sehr bedingt für die Zukunft zu rüsten. Es gibt in jedem Land der EU einen nationalen Plan zur Kontrolle von Krebs, nur in Österreich wird das immer noch als „in Vorbereitung“ ausgewiesen.

„mRNA-Impfstoff in großen Onkologie-Studien“

Referent: Prof. Dr. Christoph Huber

österreichischer CoGründer des deutschen Biotech-Unternehmens BioNTech

Die mRNA-Vakzine haben mit der COVID-19-Pandemie binnen kürzester Zeit für einen Umbruch in der Impfstofflandschaft gesorgt. BioNTech macht neben dieser Vakzine u.a. auch mit verschiedenen Krebsimpfstoffen große Fortschritte. Wir haben in den letzten sieben Jahren an hunderten Probanden zeigen können, dass gegen individuelle Tumormutationen gerichtete Krebsvakzine mit mRNATechnologie binnen vier Wochen hergestellt werden können. Dabei setzen wir auf zwei verschiedene Technologie-Platt-

formen. Unsere „FixVac“-Plattform verwendet Antigene, die zwischen den Tumoren eines Organs häufig geteilt werden (sog. „Shared Antigens“). Dabei handelt es sich um Tumorvakzine „vom Regal“. Mehr als ein Drittel aller auf gängige Behandlungen refraktären Melanompatienten sprachen auf diese Therapie klinisch an. Technologisch wesentlich aufwendiger ist die individuelle NeoantigenVakzine Plattform iNEST. Das ist eine personalisierte Immuntherapie mit 20 individuellen Neoantigenen, die von individuellen Tumormutationen codiert werden. Jeder Impfstoff ist unikal und für den jeweiligen Patienten maßgeschneidert. Dazu muss Tumorgewebe von jedem einzelnen Patienten auf Genmutationen untersucht werden, die für, ausschließlich in den bösartigen Zellen vorkommende, Mutations-Proteine kodieren. Dann werden die 20 geeignetsten Sequenzen aus der individuellen Probe herausgesucht und als mRNA Vakzine hergestellt. Damit konnten weitere Rückfälle bei davor häufig lokal rezidivierenden Melanompatienten bisher in frühen Studien nahezu völlig verhindert werden. Das gibt uns großen Mut und wird jetzt in großen Studien in Zusammenarbeit mit Genentech/Roche weiter geprüft. Wichtig wäre, auch in Europa die Innovationskraft der Wissenschaft zu stärken. Was uns sehr bestürzt, ist, dass Innovationen in Europa trotz des enormen Grundlagen-Wissenschaftspotentials schlechter umgesetzt werden. Während in den USA mehr als 60 Prozent der hoch-innovativen Medikamente aus den Universitäten und ihren „Ausgründungen“ kommen, erfolgt das in Europa kaum oder nur sehr selten.

„Es braucht nationalen Schulterschluss mit Politik und ÖGK“

Foto: © K. Christian Leopold

Referent: MR Dr. Johannes Steinhart

Vizepräsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte

Zu Beginn der Pandemie gab es in Deutschland 29 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, in Österreich 28 und in Bergamo acht. Die Krise hat gezeigt, wie wichtig ein leistungsstarkes Gesundheitssystem ist – sowohl die Qualität als auch das Volumen betreffend. Auch wenn einem ökonomisch denkenden Menschen der Wert einer Vorhaltefunktion nur schwer zu vermitteln ist: Man darf hier nicht zu knapp kalkulieren. In Bergamo war die Versorgungslage katastrophal. Hätten wir die Vorhaltekapazität bei den Spitalsbetten nicht, hätten wir ebenfalls ernsthafte Versorgungsprobleme bekommen. Auch der niedergelassene Bereich leistete in der Krise einen wertvollen Beitrag für die Patientenversorgung. Um diese in Zukunft aufrechterhalten zu können, fehlen uns jedoch zirka 1.000 Ärzte pro Jahr. Wir tun schon jetzt sehr viel, um Ärzten die Niederlassung schmackhaft zu machen. Doch es braucht einen nationalen Schulterschluss mit der Politik und der ÖGK, um international konkurrenzfähige Arbeitsbedingungen für niedergelassene Ärzte zu schaffen. Der ÖGK legten wir jüngst den Entwurf eines modernen österreichweit einheitlichen Leistungskatalogs für Kassenärzte vor, über den wir nun verhandeln werden. Wenn der Facharzt für Allgemeinmedizin kommt, würden wir das – ebenso wie flexiblere Möglichkeiten der Praxisorganisation – begrüßen. Wünschenswert wäre auch ein Dispensierrecht für niedergelassene Ärzte, wie in der Schweiz.

„Gesundheit in der Großstadt ist anders“

Referent: Dr. Alexander Biach

Direktor-Stv. der Wirtschaftskammer Wien

Es gibt sechs wichtige Faktoren, die für eine Metropole wie Wien anders gedacht werden müssen. Erstens der Forschungsbereich mit den Hochschulen und dem AKH: Wir haben eine sehr hohe Forschungsquote von über 3,6 Prozent in Wien, gemessen am Bruttoregionalprodukt. Zweitens der Digi-

Wollen Sie mehr über

Gentherapien erfahren?

Herr DDr. Reinisch und Frau Prof. Pabinger beleuchten in diesem eLearning-

Video auf verständliche Art und Weise das Thema Gentherapien aus verschiedenen Richtungen.

Der Zugang ist ganz einfach über den QR-Code oder den unten angeführten Link.*

mit 2 DFPPunkten

https://www.vielgesundheit.at/fortbildungen/dfp/ grundlagen-gentherapie

talisierungsschub: Der Start-up-Hub in Wien, in Großstädten generell, ist nicht vergleichbar mit dem in ländlichen Regionen. Drittens der Fachkräftebereich: Wir haben in Wien 12.600 wissenschaftliche Mitarbeiter allein im Gesundheitsbereich und 18 akademische Institutionen. Wichtig ist, diese Faktoren in der Großstadt zu halten und zu stärken. Viertens die Herstellung von Pharma- und Medizinprodukten: Die Unternehmensniederlassungen befinden sich zwar oft in ländlichen Regionen, aber die Zertifizierungsstellen sind in der Großstadt. Und wenn wir internationale Organisationen nach Wien holen, gelingt es letzten Endes, die Produktion mitzuziehen. Fünftens die Erfordernis, Patientenströme klug zu steuern – Stichwort „PVE“ –, damit nicht jeder Patient in den Spitalsbereich kommt, weil das zu teuer und nicht immer effizient ist. Sechstens der soziale Faktor – auch in Hinblick auf die Migration: Hier gilt es, eine neue Kommunikation zu finden und auf innovative Projekte wie CAPE 10 zu setzen. Zu ebener Erde wird obdachlosen Menschen Gesundheitsbewusstsein vermittelt, im ersten Stock sind Start-ups untergebracht, die innovative medizinische Lösungen für die Menschen entwickeln.

„Arztberuf wird sich verändern“

Foto: © Joachim Buhmann, privat

Referent: Prof. Dr. Joachim Buhmann

Leiter des Instituts für maschinelles Lernen der ETH-Zürich

Der Arztberuf wird sich unter dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz in den medizinischen Systemen deutlich verändern: Als Medizinexperte wird der Arzt Konkurrenz bekommen, als Wissensproduzent ebenso. Der Arzt als Gesundheitsberater scheint in den nächsten Jahren Bestand zu haben. In zwei bis drei Generationen werden die Maschinen klüger sein als wir. Der Clou: Durch die Analyse von Big Data per Künstlicher Intelligenz lassen sich Fragen beantworten, ohne dass der Fragende weiß, wie das funktioniert. Aus riesigen Datenmengen, die für den Menschen völlig unüberschaubar sind, können Muster abgelesen werden, die zu neuen Hypothesen führen und dann im Experiment getestet werden. Dieser Ablauf lässt sich aber auch umkehren. Die Systeme verbinden Deduktion und Induktion auf eine völlig neue Art. Die Algorithmen wird man nicht verstehen müssen. Aber man muss sie einschätzen und kontrollieren können. Sie müssen validiert werden. Künstliche Intelligenz wird unsere Welt fundamental verändern.

„Wohnortnahe Versorgung in Slowenien“

Referentin: Prof.in Dr.in Erika Zelko

Universität Maribor, Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin

Die Primärversorgung in Slowenien ist seit 1927 großteils in Primärzent-

Präzises ABDM – das neue 24-Stunden-Blutdruckmessgerät

Noch mehr Komfort für Ihre Patienten, noch mehr Leistungsfähigkeit für Sie.

| Kommunikation mit allen gängigen Praxis-Systemen über GDT | Inklusive neuer intuitiver PC-Software profil-manager XD 6.0 für den optimalen Ablauf in Praxis und Klinik | Übersichtliche Darstellung aller ABDM-Daten inklusive Pulsdruck und MBPS (morgendlicher Blutdruckanstieg) | Gerät über eindeutige Patientennummer initialisierbar | Möglichkeit zur Anzeige von Fehlmessungen (Artefakten) 16 | Juni 2021 Hotline-Service

boso TM-2450 | Medizinprodukt BOSCH + SOHN GmbH & Co. KG Handelskai 94-96 | 1200 Wien

ren organisiert. In diesen sind Hausärzte, Kinderärzte, Frauenärzte, Arbeitsmediziner, „Community Nurses“, Labordiagnostik, Röntgen und einige Fachärzte, z. B. Dermatologen und Ophthalmologen, unter einem Dach zu finden. Es gibt aber auch Einzelpraxen und kleinere Gruppenpraxen, in denen sich nur Hausärzte und Krankenschwestern für die Gesundheit der Bevölkerung engagieren. Man hat gesehen, dass diese flexibler sind und sich etwas effektiver an die Erfordernisse der lokalen Gemeinden anpassen können. Und: Seit 2013 sind ein Teil der Gesundheitszentren Gesundheitsförderungszentren, in denen verschiedene Aktivitäten für den Erhalt der Gesundheit und die Begleitung von chronisch kranken Patienten stattfinden. Im Jahr 1992 hat man in Slowenien im Gesundheitswesen auch private Initiativen zugelassen. So sind heute ungefähr 30 % der Ärzte als niedergelassene oder Wahlärzte mit Versicherungsverträgen tätig. Die Herausforderungen der Familienmedizin der Zukunft sind zahlreich, sie umfassen u. a. die Digitalisierung, den Zuwachs an zugeteilten Aufgaben und den Mangel an Nachwuchs. Die Bevölkerung Sloweniens gehört zu den älteren Populationen der EU-Gemeinschaft. Deswegen versuchen die Ärzte, die Politik davon zu überzeugen, dass sie flexible Modelle der wohnortnahen Versorgung zulassen sollte, damit die Arbeit für junge Ärzte attraktiver wird. Eine fachärztliche Ausbildung gibt es schon seit 1966 – damals noch in Jugoslawien. Im Jahr 2000 ist sie umorganisiert worden. Seitdem dauert die Ausbildung eines Hausarztes in Slowenien vier Jahre. Zwei Jahre verbringen die jungen Ärzte großteils im Spital. In dieser Zeit sind sie nur einen Tag pro Woche bei ihrem Mentor und zwei an der Universität. In den folgenden zwei Jahren durchlaufen sie die Lehrpraxis ausschließlich bei ihrem Mentor. Die Ausbildung ist sehr gut strukturiert und wird deshalb oft auch von Vertretern anderer Fachrichtungen gelobt. Familienärzte sind in Slowenien außerdem in der Forschung und Lehre sehr aktiv. Sie erfahren dadurch deutlich mehr Wertschätzung. Der Dank dafür gebührt den Pionieren des neuen Ausbildungskonzepts. Gesundheitssysteme sind immer komplex und die Finanzierung ist immer anspruchsvoll, egal, wo wir uns umschauen – sei es in östlichen, westlichen, armen oder reichen Ländern. Der Hausarzt der Zukunft könnte, wie ein guter Navigator, den Patienten den Weg durch das komplexe Gesundheitssystem erleichtern. Österreich hat eine Spitzenmedizin. Von einer noch festeren Integrierung der Allgemeinmedizin in die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann das System letztendlich nur profitieren.

Foto: © Peter Provaznik

„Diabetes 2030: Versorgung zu den Betroffenen bringen“

Referent: Dr. Erwin Rebhandl

Arzt für Allgemeinmedizin im Gesundheitszentrum Haslach

Bei Diabetes mellitus Typ 2 nimmt eine frühzeitige Diagnosestellung einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung und den Therapieerfolg. Deshalb sollte im österreichischen Gesundheitssystem viel mehr auf Präventionsmaßnahmen und Früherkennung gesetzt werden. Im Zuge der Vorsorgeuntersuchung und durch gezieltes Screening können Hausärzte Risikopatientinnen und -patienten frühzeitig identifizieren. Im Patientenpfad sind sie idealerweise die ersten Ansprechpersonen sowie Dreh- und Angelpunkte. Für Betroffene ist es optimal, ein Team, bestehend aus einem Arzt, einem Diätologen, einem Bewegungstherapeuten, einem Psychologen und einer dipl. Pflegeperson, unter einem Dach vorzufinden, beispielsweise in Gesundheitszentren und Primärversorgungseinheiten. Von gesundheitssystemischer Seite wäre es wünschenswert, mehr Ärztinnen und Ärzte zur Teilnahme am Disease Management Programm zu motivieren. Denn mit „Therapie aktiv“ steht eine spezifische Betreuung zur Verfügung, die seit 2007 etabliert ist und eine wertvolle Begleitung für Menschen mit Diabetes darstellt.

„Orthopädische Versorgung im Lebenskontinuum“

Referentin: Prof.in Dr.in Catharina Chiari, MSc.

Klinische Abteilung für Orthopädie, MedUni Wien, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie

Prävention ist ein Kerngebiet der Orthopädie, die sich mit allen Altersgruppen vom Säugling bis zur betagten Patientin auseinandersetzt. Erfolgreiche Prävention durch Screening ist in Form des Hüftultraschalls des Säuglings zur Früherkennung der Hüftdysplasie etabliert. Weitere verpflichtende Untersuchungen sind im Schulkindalter und in der Pubertät zu fordern, da die Behandlung im Wachstum Spätschäden vermeiden kann. Dazu gehört auch Ernährungs- und Bewegungsberatung. Adipositas verursacht Schäden am Bewegungsapparat. Das hier so wichtige beratende ärztliche Gespräch wird nicht ausreichend honoriert. Viele Patienten mit Schmerzen des Bewegungsapparates werden nicht spezifisch behandelt. Eine gezielte Diagnostik und eine kausale Schmerzbehandlung sparen Zeit und Geld. Konservative orthopädisch-traumatologische Fachabteilungen müssen gestärkt und neu etabliert werden. Der zunehmenden chirurgischen Spezialisierung muss durch Zentrenbildung Rechnung getragen werden – genannt seien beispielsweise die Tumororthopädie, die Wirbelsäulenorthopädie, die Endoprothetik und die Kinderorthopädie. Interdisziplinäre Netzwerke sind ein wichtiger Faktor für die optimale Behandlung des Einzelnen. Die genannten Strukturen stellen die Voraussetzung für die Ausbildung von hochqualifizierten Fachärztinnen und -ärzten dar, um die steigende Anzahl orthopädischtraumatologischer Patienten auch in Zukunft adäquat behandeln zu können. <

This article is from: