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MENSCHEN IM PORTRAIT

REINHARD STEGER

„Ein Koch muss Menschen begeistern können“ Der Kochhut ist sein Markenzeichen - und hilft ihm, Haltung zu bewahren: Reinhard Steger, Präsident des Südtiroler Köcheverbandes, ist Koch, Lehrer und Berater. Ein Gespräch über 30 unbeantwortete Bewerbungsschreiben, Leidenschaft für Lebensmittel und die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen anzupassen. PZ: Herr Steger, Sie haben schon früh gelernt, dass gutes Essen die Menschen fasziniert und zusammenführt. An welchem Ort haben Sie die Liebe zum Kochen entdeckt? Reinhard Steger: Beim Spanglwirt in Sand in Taufers. Elisabeth Moser, die im Dorf alle nur die Spanglerin nannten, war meine Tante. In den Sommermonaten wollte ich schon in der Mittelschule mein eigenes Geld verdienen und habe ihr in der Küche geholfen. Meine Schwestern und ich stammten aus einer Arbeiterfamilie, da war jede Lire wertvoll. In der Küche hat sich für mich eine neue Welt aufgetan. Meine Tante war so eine begeisterte Köchin. Vom Hirn, zum Bries, zum Kuheuter, sie hat aus allem etwas gemacht und ist immer mit Genuss und Liebe am Herd gestanden. Selbst Knochen hat sie zu hervorragenden Suppen verkocht.

Reinhard Steger, Jahrgang 1961, wächst in Mühlen in Taufers auf. Mit 14 Jahren entdeckt er die Welt der Küche und absolviert beim Spanglwirt in Sand in Taufers die Lehre zum Koch. Danach folgen Stationen in Bozen, St. Moritz, Bad Ragaz und München. Weil er versteht, dass „man mit Praxis alleine nicht weiterkommt”, unterbricht er seine Wanderjahre und besucht den Kaiserhof in Meran. Eine gute Ausbildung ist für ihn das Fundament - das gibt er auch seinen Schülern weiter. Seit 1991 unterrichtet er in der Landeshotelfachschule. Seit 1999 ist er zudem Präsident des Südtiroler Köcheverbands. Zusammen mit seiner Frau und Tochter ist er darüber hinaus als Berater tätig. Steger lebt mit seiner Familie in Mühlen // in Taufers.

Diese ganzheitliche Herangehensweise preisen viele Köche heute als etwas ganz Neues. Für meine Tante war das schon damals selbstverständlich. Sie war den ganzen Tag mehr oder weniger in der Küche. Draußen sind Persönlichkeiten wie Giulio Andreotti ein- und ausgegangen. Und wer arm war, durfte bei ihr immer kostenlos essen. Ihr Umgang mit Lebensmitteln und mit Menschen war beeindruckend und hat mich sehr geprägt. Ich habe dann bei ihr meine Lehre

Die Küche ist sein zweites Zuhause: Bei Reinhard Steger (r.) sitzt am Herd jeder Handgriff. 16

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gemacht. Obwohl mein Vater mich lieber auf die Handelsschule geschickt hätte. Vom Spangler ging es dann ins Laurin nach Bozen. Ein radikaler Schritt? Ja, mit Sicherheit. Es waren ganz andere Gäste dort. Meran war europaweit als Kurstadt und für seine Hotellerie bekannt. Die Köche dort und in der Umgebung fanden überall Arbeit. Deshalb bin ich nach Bozen und wollte von dort den Sprung ins Ausland schaffen. Wer in Gegenden arbeitete, die nicht bekannt waren, hatte überhaupt keine Chance. Das habe ich am eigenen Leib erfahren: In vier Jahren habe ich mehrere Dutzend Bewerbungsschreiben verfasst und nie eine Antwort bekommen! Und dann flatterten plötzlich zwei Zusagen auf einmal ins Haus. Ich habe mich dann für die Schweiz entschieden und im heutigen Kempinski in St. Moritz angeheuert. Welche Erinnerungen haben Sie an die Ankunft in diesem riesigen Hotel? Da kommt der ländlich geprägte Reinhard und steht mit seinem kleinen Koffer vor einem Kasten mit 600 Gästen und damit direkt vor der Realität der internationalen Hotellerie. In der Küche redeten alle Französisch, ich hatte null Sprachkenntnisse. Ich musste bei null anfangen, in einer Brigade von


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