Hausärzt:in medizinisch
„Einen so tiefen Zielwert braucht es nicht?!“
© LK Melk
Teil 1 unserer neuen Serie: Über die Notwendigkeit einer wirksamen und anhaltenden LDL-Cholesterinsenkung Chol ester schen Abläufen und zur Rolle des LDLtrationen der Grad in Fake New Cholesterins. In Studien zeigt sich, dass der Lipideinlagerung s einerseits Menschen mit sehr niedrigen in den atherosklerovs. LDL-C-Konzentrationen deutlich wenitischen Läsionen soFakt en ger kardiovaskuläre Ereignisse entwickeln, gar abnimmt. Es gibt
Prim. Doz. Dr. Harald Stingl leitet die Abteilung Innere Medizin am Landesklinikum Melk.
„The lower, the better“, so lautet die prinzipielle Empfehlung der neuen Leitlinien zum „Management der Dyslipidämien“*. Sie wurde 2020 unter der Federführung mehrerer europäischer Fachgesellschaften publiziert. Aufgrund der Datenlage sind die LDL-C-Zielwerte weiter gesenkt worden (siehe Kasten). In der Praxis unterschätzen niedergelassene Ärzte und ihre Patienten die Notwendigkeit, diese niedrigen Zielwerte konsequent umzusetzen, allerdings oftmals noch. „Eh nicht so schlechte“ Cholesterinwerte reichen aus, um „beruhigt“ zu sein … „Diese niedrigen Zielwerte sind aber ja nicht willkürlich festgesetzt, sondern aus dem Verständnis der Pathophysiologie und dem Ergebnis von Interventionsstudien heraus entstanden“, betont Prim. Dr. Harald Stingl, Vorstand der Abteilung Innere Medizin am Landesklinikum Melk, im Gespräch mit der Hausärzt:in. HAUSÄRZT:IN: Warum ist der niedrigere Zielwert der neuen europäischen Leitlinie gerechtfertigt? Prim. Dr. STINGL: In den letzten Jahren hat sich das Wissen über die Entstehung der Atherosklerose deutlich erhöht. Wir kennen nun viele Details zu pathogeneti-
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Juni 2022
andererseits Hochrisikopatienten von der Senkung des LDL-Cholesterins auf Werte < 55 mg/dl ganz besonders profitieren.
daher für das LDLCholesterin keine Untergrenze – „The lower, the better!“
In der Praxis wird das oft unterschätzt … Dies wird leider viel zu oft unterschätzt, ja. In Wirklichkeit hat ein (Hoch-)Risikopatient mit einem LDL-Cholesterin von z. B. 70 oder 80 mg/dl ein deutlich höheres Risiko eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder kardiovaskulären Todes als ein vergleichbarer Patient, dessen LDL-C auf z. B. 50 oder 40 mg/dl gesenkt wurde. Wenn wir konsequent die Zielwerte anstreben und erreichen, erhöhen wir damit schlussendlich auch die Lebensqualität unserer Patienten. Inzwischen steht uns eine Reihe sehr potenter Medikamente zur Verfügung, die auch gut kombinierbar sind, sodass wir Nebenwirkungen komplett vermeiden und in den meisten Fällen die Zielwerte problemlos erreichen können.
Wie kann man Awareness dafür schaffen? Sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten ist es immer wieder notwendig, die Wichtigkeit der konsequenten Therapie zu erklären. Allzu oft erleben wir Patienten, die der Meinung sind, dass nach einer Monatspackung eines Statins das Cholesterin doch ausreichend gesenkt sei und die Therapie beendet werden könne. Auch das offene Ansprechen möglicher Nebenwirkungen sowie die Aufklärung über falsche Behauptungen sind wichtig. Dies kostet Zeit, führt aber dazu, dass viele Patienten schlussendlich vor einem Herzinfarkt und vor Spitalsaufnahmen bewahrt werden können. Natürlich müssen bei einer Atherosklerose immer auch zusätzliche Risikofaktoren beachtet werden. Nur eine multifaktorielle Behandlung, die auch den Blutdruck, den Zuckerstoffwechsel und Lebensstilmaßnahmen berücksichtigt, verbessert optimal die Prognose.
Mit welchen Studienergebnissen kann man dem Mythos „Es braucht diesen niedrigen Zielwert oft ja gar nicht“ argumentativ entgegentreten? Sämtliche große und kleine Studien, bei denen eine cholesterinsenkende Substanz gegeben und mit Placebo verglichen wurde, zeigen konsistente Ergebnisse. Bei den Statinen sind dies z. B. die ASCOT- oder die JUPITERStudie (Atorvastatin, Rosuvastatin), bei Ezetimibe die IMPROVE-IT- und bei den PCSK9-Hemmern die ODYSSEYOUTCOMES-(Alirocumab) und die FOURIER-Studie (Evolocumab). In allen wiesen die Patienten mit den niedrigsten LDL-C-Konzentrationen die besten Ergebnisse auf. Besonders beeindruckend ist: Bereits für mehrere medikamentöse Therapien konnten mit bildgebenden Verfahren gezeigt werden, dass bei sehr niedrigen LDL-C-Konzen-
Das Interview führte Mag.a Karin Martin.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE � Zielwert von Hochrisikopatienten: < 55 mg/dl. Bei zweitem vaskulärem Ereignis innerhalb von 2 Jahren trotz max. lipidsenkender Therapie: < 40 mg/dl. � Zielwert bei hohem kardiovaskulärem Risiko: < 70 mg/dl. � Bei Patienten mit hohem und sehr hohem Risiko sollte zusätzlich eine Reduktion von mindestens 50 % des Ausgangswertes erreicht werden. � Zielwert bei moderatem Risiko: < 100 mg/dl. � Zielwert bei niedrigem Risiko: < 116 mg/dl. *escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/ Dyslipidaemias-Management-of